OGH 2Ob675/57

OGH2Ob675/5721.3.1958

SZ 31/49

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §19 Abs2
Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.
Eisenbahn- und Kraftfahrzeug-Haftpflichtgesetz §19 Abs2
Einführungsverordnung zum Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen ArtIV.

 

Spruch:

Die Kenntnis des Beschädigten vom Verbot der Mitnahme von Personen auf einem Kraftfahrzeug schließt die Haftung des Halters nach Art. IV EVzKraftfVerkG. (jetzt § 19 Abs. 2 EKHG.) auf Grund des strafgerichtlich festgestellten Verschuldens des Fahrers nicht aus.

Entscheidung vom 21. März 1958, 2 Ob 675/57.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:

Oberlandesgericht Graz.

Text

Elisabeth H., die am 11. Februar 1955 mit dem der Fa. A. gehörigen PKW. gefahren war, wurde bei einem diesem PKW. zugestoßenen Unfall schwer verletzt. Der Fahrer Johann P. wurde deshalb wegen Übertretung nach § 335 StG. rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt. Elisabeth H. war Papiersortiererin bei der Fa. A., sie war aber, als sie mit dem gegenständlichen PKW. mitfuhr, dienstfrei.

Elisabeth H. machte ihre Schadenersatzansprüche gemäß §§ 1325, 1326 ABGB. gegen den Fahrer und gegen die Fa. A. als Halterin (Art. IV EVzKraftfVerkG.) geltend.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil den Klageanspruch gegenüber beiden Beklagten dem Gründe nach als zu Recht bestehend. Der Fahrer ließ dieses Zwischenurteil unbekämpft.

Der Berufung der Fa. A. gab das Berufungsgericht keine Folge und bestätigte das erstgerichtliche Zwischenurteil. Die Revision der Fa. A blieb erfolglos.

Nunmehr brachte die Fa. A. gegen Elisabeth H. eine Wiederaufnahmsklage ein, die auf § 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO. gestützt wurde. Sie führte neue Zeugen dafür, daß Elisabeth H. von dem Verbot der Fa. A., laut welchem den Kraftfahrern der Firma verboten war, Personen ohne ausdrückliche Erlaubnis der Direktion mitzunehmen, gewußt habe und trotz dieses Verbotes mitgefahren sei.

Das Erstgericht wies das Wiederaufnahmsbegehren mit Urteil ab.

Das Berufungsgericht hob auf Berufung der Wiederaufnahmsklägerin das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt gemäß § 519 Z. 3 ZPO. auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Wiederaufnahmsbeklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, ob die erste Instanz mit Beschluß gemäß § 538 ZPO. zu entscheiden gehabt hätte und ob das Rechtsmittel gegen die erstgerichtliche Entscheidung daher gemäß § 84 ZPO. richtig als Rekurs aufzufassen gewesen wäre; denn da die zweite Instanz die Entscheidung der ersten Instanz ohnehin aufgehoben und dieser die Verhandlung und Entscheidung über das Wiederaufnahmsbegehren aufgetragen hat, ist die Frage, ob das Rechtsmittel als Rekurs oder als Berufung zu behandeln gewesen wäre, für die weitere Verhandlung und Entscheidung über das Wiederaufnahmsbegehren ohne Bedeutung.

In der Sache selbst bekämpft die Rekurswerberin die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß das neue Beweisthema, auf welches sich die Wiederaufnahmsklägerin beruft - nämlich die Behauptung, daß der Wiederaufnahmsbeklagten schon vor Antritt ihrer Fahrt mit dem betriebseigenen Wagen der Fa. A. am 11. Februar 1955 bekannt gewesen sei, daß eine solche Mitfahrt ohne Zustimmung der Betriebsdirektion verboten sei -, für den Ausgang des Rechtsstreites in der Hauptsache von rechtlicher Bedeutung sei.

Diese Ansicht des Berufungsgerichtes ist aber nicht rechtsirrtümlich.

Die Verletzte stützt ihre Ansprüche gegen die Fa. A. als Halterin nach dem Inhalt ihrer seinerzeitigen Klage auf die §§ 1325, 1326 ABGB. in Verbindung mit Art. IV EVzKraftfVerkG., also auf das Verschulden des Fahrers.

Über dieses strafgerichtlich festgestellte Verschulden des Fahrers, der sich bei der Fahrt, auf welcher sich der Unfall ereignete, im Dienst der Fa. A. befunden hat, kommt die Wiederaufnahmsklägerin allerdings nicht hinweg. Für dieses Verschulden des Fahrers hat sie gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. (jetzt § 19 Abs. 2 EKHG.) grundsätzlich zu haften.

Auch wenn der Wiederaufnahmsbeklagten das seitens der Wiederaufnahmsklägerin ausgesprochene Verbot der Mitnahme von Personen ohne ausdrückliche Erlaubnis der Direktion bekannt war, wird das strafgerichtlich festgestellte Verschulden des Fahrers am Unfall und die Haftung der Wiederaufnahmsklägerin als Halterin gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. hiefür nicht beseitigt.

Was aber einen allfälligen stillschweigenden Haftungsverzicht der Wiederaufnahmsbeklagten mit Rücksicht darauf, daß es sich um eine unentgeltliche Gefälligkeitsfahrt gehandelt und die Wiederaufnahmsbeklagte von dem oben angeführten Verbote gewußt hat, anlangt, so könnte auch ein solcher Verzicht nur dahin verstanden werden, daß die Wiederaufnahmsbeklagte das Risiko eines bei normalem Verlauf der Fahrt eintretenden Schadens auf sich nehmen wollte, nicht aber könnte dies auch für den Fall angenommen werden, daß der Unfall und der daraus entstandene Schaden durch ein strafrechtliches Verschulden des Lenkers entstanden ist, wenn daran weder gedacht wurde noch gedacht werden konnte (vgl. SZ. XXII 159). Von der Wiederaufnahmsbeklagten konnte aber nicht verlangt werden, daß sie bereits bei Antritt der Fahrt damit rechnen mußte, durch ein gegen das Strafgesetz verstoßendes Verhalten des Lenkers des Personenkraftwagens zu Schaden zu kommen. Denn wenn auch leider häufig Verkehrsunfälle auftreten, so kann doch deswegen noch nicht gesagt werden, daß der Eintritt eines strafgesetzlich zu ahndenden Verstoßes des Fahrers gegen die Verkehrsvorschriften bereits dem normalen Ablauf einer Autofahrt entspricht.

Es mag auf den ersten Blick unbillig erscheinen, daß der Halter auch dann für das Verschulden seines Fahrers haftet, wenn er ihm ausdrücklich die Mitnahme von Personen verboten hat und wenn die mitgenommene Person von diesem Verbot wußte. Wenn der Fahrer aber das Verbot des Halters übertreten und dennoch eine Person mitgenommen hat, so hat er, dem vom Halter die Verfügung über den Kraftwagen überlassen wurde, zwar in Überschreitung seiner Befugnisse, aber dennoch freiwillig die mitgenommene Person mit dem Betrieb des ihm zur Verfügung überlassenen Kraftfahrzeuges in Verbindung gebracht; wenn infolge dieses Verhaltens des Fahrers die von ihm im Wagen mitgenommene Person in der Folge verletzt wird und der Fahrer dies verschuldet hat, kann die Haftung des Halters für das Verschulden des Fahrers gemäß dem mehrfach zitierten Art. IV EVzKraftfVerkG. nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Anders wäre es, wenn der Fahrer zur Mitnahme einer Person gegen seinen Willen gezwungen worden wäre, wenn ihm also etwa die Mitnahme erpreßt worden wäre, welches Beispiel, die Wiederaufnahmsklägerin in ihrer Berufung angeführt hat; dann wäre die mitfahrende Person ja gegen den ausdrücklichen Willen des Fahrers mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges in Verbindung gebracht worden, und es würde in einem solchen Falle weder der Fahrer - der freiwillig nichts zur Verbindung der mitgenommenen Person mit dem Betrieb des Kraftfahrzeuges beigetragen hat - noch auch der Halter haften, wenn derjenige, der sich gegen den Willen des Fahrers in den Betrieb des Kraftfahrzeuges eingeschaltet hat, bei der Fahrt infolge eines Unfalles verletzt wird.

Wenn aber auch das Verbot der Mitnahme von Personen die Haftung der Wiederaufnahmsklägerin als Halterin gemäß Art. IV EVzKraftfVerkG. grundsätzlich nicht ausschließen kann, so könnte der Umstand, daß dieses Verbot auch der Wiederaufnahmsbeklagten bekannt war, doch dazu führen, daß ein Mitverschulden ihrerseits in Betracht käme. Das Verschulden des Beschädigten muß keineswegs in einer Handlung bestehen, durch die die Verletzung bewirkt und unmittelbar herbeigeführt wird. Es kann auch in einer solchen Tätigkeit gelegen sein, durch welche sich der Beschädigte zu dem Betrieb des Fahrzeuges in eine ihm bekannt verbotene Beziehung brachte und auf diese Weise bewirkte, daß ein Unfall beim Betrieb des Kraftfahrzeuges seine Verletzung herbeiführte (vgl,. SZ. XXII 80.). Für den Grad des Mitverschuldens wird insbesondere von wesentlicher Bedeutung sein, ob das Verbot im allgemeinen streng oder lax gehandhabt wurde. Wenn sich herausstellen sollte, daß das Verbot tatsächlich überhaupt nicht beachtet wurde, so könnte dies allerdings unter Umständen auch zur Ablehnung irgendeines Mitverschuldens der Verletzten führen. Andererseits könnte die Übertretung eines strikt erteilten, den in Betracht kommenden Personen genauestens eingeschärften und stets streng eingehaltenen Verbotes wieder unter Umständen einen so hohen Grad des Mitverschuldens der Verletzten begrunden, daß das Verschulden des Fahrers und damit die Haftung des Halters für dieses Verschulden ganz in den Hintergrund treten könnte.

Aus den angeführten Gründen hat das Berufungsgericht jedenfalls ohne Rechtsirrtum angenommen, daß die von der Wiederaufnahmsklägerin aufgefundenen neuen Beweismittel abstrakt geeignet sind, eine ihr günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen (§ 530 Abs. 1 Z. 7 ZPO.).

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