Spruch:
Beruht ein Schaden auf mehreren Ursachen, ohne daß gesagt werden kann, daß gewisse Teile des Schadens ausschließlich auf die eine oder die andere Ursache zurückzuführen sind, so sind dem Schädiger auch solche Auswirkungen der Verletzungshandlung zuzurechnen, die, wenn sie die alleinige Ursache eines Vermögensschadens gewesen wären, eine Ersatzpflicht des Schädigers als Drittschaden nicht ausgelöst hätten
OGH 7. 12. 1972, 2 Ob 65, 66/72 (OLG Innsbruck 2 R 217/71; LG Innsbruck 8 Cg 16/69)
Text
Der Erstbeklagte verschuldete am 22. 6. 1967 als Lenker eines LKW der Zweitbeklagten einen Verkehrsunfall, bei dem der Kläger schwer verletzt und dessen Ehefrau getötet wurde. Es ist nunmehr unbestritten, daß das Alleinverschulden den Erstbeklagten trifft.
Der Kläger begehrte Schadenersatz im Gesamtbetrage von S 109.938.60, die Zahlung einer monatlichen Rente von S 754.93 ab 1. 7. 1968 und die Feststellung der solidarischen Haftung der Beklagten für künftige Schäden.
Die Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Das Erstgericht verurteilte den Erstbeklagten zur Zahlung von S
47.488.60 samt 4% Zinsen seit 18. 7. 1968 und einer monatlichen Rente von S 754.93 ab 1. 7. 1968. Es stellte ferner die Haftung des Erstbeklagten für künftige Schäden des Klägers fest. Das Mehrbegehren von S 62.450.- sowie das weitere Kosten- und Zinsenbegehren, soweit es gegen den Erstbeklagten gerichtet ist, wies das Erstgericht ab. Das Verfahren gegen die Zweitbeklagte ist unterbrochen.
Der nur vom Erstbeklagten erhobenen Berufung gab das Berufungsgericht teilweise Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich des Rentenzuspruches sowie im Kostenpunkt unter Rechtskraftvorbehalt auf und bestätigte es in seinem übrigen stattgebenden Teil als Teilurteil.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Klägers, Folge, hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung nach allfälliger mündlicher Berufungsverhandlung auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Für den Rentenzuspruch waren im wesentlichen folgende Feststellungen maßgebend:
Der organische Bereich des Unfalles führte zwar zu keinen neuropsychiatrischen Folgeerscheinungen, die von Bedeutung wären, doch gingen der Schockzustand, der Verlust der Frau und das Unfallserlebnis selbst über die Kraft des Klägers und warfen ihn aus seiner bisherigen Bahn. Eine Aggravation oder Simulation ist beim Kläger nicht festzustellen. Als Dauerfolge liegt beim Kläger ein unfallsbedingter Abbau vor, der sich in einer Hilflosigkeit, einer mangelnden geistigen Zielstrebigkeit und einem Untergewicht manifestiert. Der Kläger wurde, nachdem er sich bereits ab 1. 7. 1968 im zeitlichen Ruhestand befunden hatte - er war Angestellter der Stadtwerke Innsbruck -, am 1. 1. 1969 wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den dauernden Ruhestand versetzt. Der Kläger erleidet dadurch eine Einkommensminderung.
Das Erstgericht ging davon aus, daß der Kläger wegen der Unfallfolgen in den Ruhestand versetzt wurde, und gab daher dem Rentenbegehren statt.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß die vom Erstgericht angenommene psychische Veränderung des Klägers, soweit sie durch den Tod seiner Frau verursacht worden sei und im Zusammenhang mit den unmittelbaren Unfallfolgen seine Dienstunfähigkeit nach sich gezogen habe, als mittelbarer Schaden ebensowenig Berücksichtigung finden könne, wie allenfalls unfallsunabhängige altersbedingte Abbauerscheinungen. Um über den Rentenanspruch entscheiden zu können, müsse daher geprüft werden, ob es zu dem Zustand, der die Pensionierung des Klägers erfordert habe, auch dann gekommen wäre, wenn der Kläger beim Unfall nicht seine Frau verloren hätte.
Der vom Rekurs erhobene Vorwurf der Aktenwidrigkeit ist unbegrundet. Das Berufungsgericht hat keineswegs festgestellt, daß der Tod der Ehefrau die alleinige Ursache für die abnorme psychische Entwicklung des Klägers gewesen sei. Das Berufungsgericht hat die Feststellungen des Erstgerichtes richtig wiedergegeben und lediglich aus rechtlichen Erwägungen die Prüfung für erforderlich gehalten, inwieweit die Pensionierung und die dadurch bedingte Einkommensminderung auf die durch den Tod der Ehefrau verursachte psychische Beeinträchtigung und inwieweit sie auf die sonstigen Unfallsfolgen zurückzuführen sei.
Die Erledigung des Berufungsgerichtes begegnet jedoch, wie dem Rekurs zuzugeben ist, rechtlichen Bedenken. Die Frage, ob die ungünstige psychische Entwicklung, soweit sie durch den Tod der Ehefrau bedingt ist, und ein sich allenfalls daraus ergebender Vermögensschaden als nicht ersatzfähiger Drittschaden anzusehen ist spielt bei der Beurteilung des vom Kläger erhobenen Rentenbegehrens allerdings keine Rolle. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes ist davon auszugehen, daß die Unfallsfolgen in ihrer Gesamtheit zur Dienstunfähigkeit und damit zur Pensionierung des Klägers geführt haben. Die sogenannten unmittelbaren Verletzungsfolgen sind zwar möglicherweise nicht die alleinige Ursache, aber doch Mitursache der durch die Pensionierung bedingten Einkommensminderung. Beruht der gesamte Schaden auf mehreren Ursachen, ohne daß gesagt werden kann, ob gewisse Teile des Schadens ausschließlich auf die eine oder die andere Ursache zurückzuführen sind, so sind dem Schädiger auch solche Auswirkungen der Verletzungshandlung zuzurechnen, die, wenn sie die alleinige Ursache eines Vermögensschadens gewesen wären, eine Ersatzpflicht des Schädigers nur deshalb nicht ausgelöst hätten, weil es sich um einen sogenannten Drittschaden handelt.
Die Berechtigung des Rentenbegehrens, dessen Höhe im übrigen unbestritten ist, muß daher unter der Voraussetzung, daß das Berufungsgericht die von der Berufung bekämpften Feststellungen des Erstgerichtes betreffend die psychische Beeinträchtigung des Klägers durch den Unfallsschock, den Tod der Ehefrau und das Unfallserlebnis übernimmt, bejaht werden. Das Berufungsgericht hat auf Grund seiner vom erkennenden Senat nicht gebilligten rechtlichen Beurteilung die diesbezügliche Beweisrüge des Beklagten nicht erledigt.
Dem Rekurse war daher Folge zu geben und der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben, das über eine allfällige Ergänzung der Berufungsverhandlung zu befinden haben wird.
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