OGH 2Ob660/50

OGH2Ob660/504.10.1950

SZ 23/281

Normen

Eisenbahnverkehrsordnung §83
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §454
Eisenbahnverkehrsordnung §83
Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897. DRGBl. S. 219 §454

 

Spruch:

Zur Haftung der Eisenbahn für Funkenflug.

Entscheidung vom 4. Oktober 1950, 2 Ob 660/50.

I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Eine Glasfabrik übergab der Eisenbahn 24 Kisten Gußglas zur Beförderung nach J. im offenen Waggon. Der Wagen, der als dritter nach der Lokomotive gereiht war, brannte während des Transportes vollständig aus. Die Versicherungsgesellschaft, bei der die Ware versichert und an die der Ersatzanspruch abgetreten worden war, begehrte die Verurteilung der Republik Österreich (Österr. Bundesbahnen) zur Zahlung des Betrages von 10.374.16 S.

Das Prozeßgericht gab dem Klagebegehren statt. Es nahm einerseits die Möglichkeit, daß der Brand durch Funkenflug entstanden sei, anderseits ein Verschulden der Bahn wegen zu naher Einreihung des Waggons nach der Lokomotive an.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab, da die klagende Partei nicht den Beweis erbracht habe, daß die Einreihung des Waggons für den Brand ursachlich gewesen sei.

Der Oberste Gerichtshof hob beide Urteile auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Unter dem vor allem ausgeführten Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird geltend gemacht, daß der Absender keinen Einfluß auf die Art des ihm bereitgestellten Waggons gehabt habe. Die Beförderung des Gutes im offenen Waggon sei weder in tarifartigen Bestimmungen vorgesehen noch im Frachtbrief vereinbart gewesen. Schon aus diesem Gründe könne sich die beklagte Partei auf § 83 Abs. 1 lit. a EVO. nicht berufen. Die diesen Ausführungen allenfalls zu entnehmende Tatsachenbehauptung, die klagende Partei habe die Beförderung in einem gedeckten Waggon begehrt, aber keinen Einfluß auf die Bereitstellung eines solchen Waggons nehmen können, wäre eine unzulässige Neuerung. Außerdem war die Beförderung in einem offenen Waggon laut Tarif zulässig, da weder die Eisenbahnverkehrsordnung noch polizeiliche oder Zollvorschriften eine andere Beförderungsart vorschreiben und die klagende Partei vor den Untergerichten nicht behauptet hat, daß sie die Beförderung in einem gedeckten Waggon verlangt habe. Diese Beförderungsart hindert daher nicht die Geltendmachung des Haftungsausschließungsgrundes nach § 83 EVO.

Die Revision gibt zu, daß nach der Rechtslehre Funkenflug zu jenen Gefahren gehört, welche mit der Beförderung in einem offenen Waggon verbunden sind, meint aber, daß sich in der Nachkriegszeit die Verhältnisse so geändert hätten, daß Brände auch bei gedeckten Waggons vorkommen, so daß Funkenflug jetzt nicht mehr zu jenen Gefahren zu zählen sei, welche durch Verladung in einem gedeckten Waggon hätten vermieden werden können. Es ist zuzugeben, daß Brände auch bei gedeckten Waggons vorkommen können und auch tatsächlich vorgekommen sind, insbesondere in der Nachkriegszeit, als die Waggondächer noch nicht vollständig wieder instandgesetzt waren. Allein es bedarf keiner besonderen Begründung, daß das Gefahrenmoment bei Beförderung im offenen Waggon immer weitaus höher war und ist als bei gedeckten Wagen. Gerade diese erhöhte Gefahr soll durch § 83 EVO. getroffen werden.

Die Revision führt weiter aus, Funkenflug als Brandursache müsse in concreto erwiesen sein, die bloße theoretische Möglichkeit genüge nicht für die Haftungsausschließung. Nun seien Holzkisten nicht leicht brennbar und schützten das Gut mindestens ebenso gut wie ein gedeckter Waggon. Der Beweis in concreto sei der beklagten Partei nicht gelungen. Selbst in der mangelhaften Tatbestandsaufnahme sei darüber nichts enthalten. Eine mangelhafte Verpackung sei nicht erwiesen, darauf könne daher nicht Bedacht genommen werden. Aber selbst wenn Funkenflug als Brandursache angenommen würde, liege ein Verschulden der beklagten Partei im Sinne des § 83 Abs. 2 EVO. vor, weil sie den offenen Waggon entgegen der bestehenden inneren Dienstordnung als dritten Waggon nach der Lokomotive gereiht habe.

Der Revision ist zuzubilligen, daß eine bloß abstrakte Möglichkeit, daß Funkenflug die Brandursache gewesen ist, nicht hinreichend wäre, um die beklagte Partei von der Haftung zu befreien, es muß vielmehr in concreto nach den besonderen Umständen des Falles eine solche Möglichkeit gegeben sein. Die Beantwortung der Frage jedoch, ob im konkreten Falle mit dem Transport des Frachtgutes in einem offenen Waggon die Gefahr des Brandes infolge Funkenfluges aus der Lokomotive verbunden war und der dadurch entstandene Brand nach den Umständen des Falles aus dieser Gefahr entspringen konnte, ist nicht Gegenstand der rechtlichen Beurteilung, sondern Tatfrage (ACl. 2963). Die Untergerichte haben nun übereinstimmend festgestellt, daß der Brand durch Funkenflug, sei es aus der Zugslokomotive, sei es aus einer entgegenkommenden Lokomotive, entstanden sein konnte. An diese tatsächliche Feststellung ist der Oberste Gerichtshof gebunden.

Verfehlt ist die Meinung der Revision, daß durch Einhaltung aller Betriebsvorschriften über Feuerung und dergleichen eine Gefährdung durch Funkenflug zu vermeiden wäre. Eine technische Einrichtung, welche den Funkenflug vollkommen ausschaltet, besteht derzeit noch nicht. Die Brandgefahr durch gewöhnlichen Funkenflug bleibt daher auch bei Einhaltung aller Betriebsvorschriften bestehen. Durch die Einhaltung der Betriebsvorschriften allein kann somit die Möglichkeit der Entstehung eines Brandes durch Funkenflug keineswegs ausgeschlossen werden. Die Möglichkeit, daß der Brand auch durch andere Umstände, insbesondere durch Heißlaufen des Wagens entstanden sein kann, schließt aber die Möglichkeit, daß Funkenflug die Brandursache war, nicht aus. Es greift daher die Vermutung des § 83 Abs. 2 EVO. Platz, eine Vermutung, gegen welche der Gegenbeweis erbracht werden könnte, aber nur dadurch, daß eine bestimmte andere Brandursache nachgewiesen würde. Ein solcher Beweis wurde aber nicht angeboten und nicht erbracht.

Was nun das behauptete Verschulden anlangt, so ist es richtig, daß die Bahn auf Grund ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht gehalten ist, alles zu unternehmen, um die Möglichkeit der Entstehung eines Schadens für die von ihr beförderten Güter einzuschränken. In dem Umstande der Einreihung eines offenen Waggons in der nächsten Nähe der Lokomotive, in Kenntnis der Tatsache, daß die Ladung infolge der Art der Verpackung der Brandgefahr durch Funkenflug besonders ausgesetzt ist, könnte eine Fahrlässigkeit der Bahn liegen. Das Berufungsgericht hat aber bereits mit Recht darauf verwiesen, daß die klagende Partei ein Verschulden der Bahn hätte beweisen müssen, also hätte beweisen müssen, daß gerade die Einreihung des offenen Waggons als dritten nach der Lokomotive für die Entstehung des Brandes durch Funkenflug kausal war. Einen solchen Beweis hat die klagende Partei aber nicht angetreten. Mangels eines strikten Nachweises des Kausalzusammenhanges ist der nach § 83 Abs. 2 EVO. der klagenden Partei obliegende Verschuldensnachweis nicht erbracht worden (Rspr. 1925, Nr. 9, SZ. VI/87).

Die Bahn ist allerdings auf Grund ihrer allgemeinen Sorgfaltspflicht gehalten, alles zu unternehmen, um nicht nur die Gefahr der Entstehung eines Schadens möglichst einzuschränken, sondern auch die Vergrößerung des Umfanges eines bereits entstandenen Schadens so weit wie möglich zu verhüten. Diesbezüglich behauptet nun die klagende Partei, die Bahn hätte ihre Sorgfaltspflicht verletzt, da der Brand erst zu einer Zeit entdeckt worden sei, als er seinen Höhepunkt erreicht hatte. Es sei aber unvorstellbar, daß bei gehöriger Aufmerksamkeit der Brand nicht schon früher bemerkt worden wäre. In diesen Ausführungen liegt die Behauptung, daß bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt der Umfang des Schadens hätte verringert werden können. Obwohl zu dieser Behauptung von beiden Parteien Beweise angeboten wurden, ließ das Erstgericht, von einer unrichtigen Rechtsansicht ausgehend, diesen Umstand unerörtert. Diesem Mangel hat auch das Berufungsgericht nicht abgeholfen. Es erweist sich daher zur Behebung dieses Mangels die Aufhebung beider untergerichtlichen Urteile und die Rückverweisung der Sache an die erste Instanz als notwendig. Dort wird nach Durchführung der beantragten Beweise zu prüfen sein, ob den Bahnangestellten ein Verschulden insofern zur Last fällt, als sie den Zug nicht gehörig beobachtet haben und aus diesem Gründe der entstandene Brand zu spät entdeckt wurde, und ob nach Entdeckung des Brandes alles unternommen wurde, den Umfang des Schadens zu vermindern.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte