OGH 2Ob64/87

OGH2Ob64/8724.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Karl S***, Altlandwirt, 8961 Stein/Enns, Gatsching 41, vertreten durch Dr. Alois Kitzmüller, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien 1.) Johann R***, Kellner, Fleiß 16, 8961 Stein/Enns,

2.) A*** E*** Versicherungs-AG, Bösendorferstraße 13, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Heinrich Wallner, Rechtsanwalt in Liezen, wegen S 370.868,- und Feststellung (S 50.000,-) infolge Revisionen der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. Juli 1987, GZ 2 R 144/87-40, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 15. April 1987, GZ 7 Cg 60/86-33, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

 

Spruch:

1.) Die Revision der Beklagten wird insoweit zurückgewiesen, als sie den Zuspruch eines Betrages von s 33.733,99 samt 4 % Zinsen vom 10. Februar 1986 an den Kläger bekämpft. Ein Kostenzuspruch findet insoweit nicht statt.

2.) Im übrigen wird beiden Revisionen nicht Folge gegeben. Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31. Oktober 1985 ereignete sich im Gemeindegebiet von Großsölk auf der Landesstraße 704 ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Begleiter eines Viehtriebes und der Erstbeklagte als Lenker und Halter des PKWs mit dem pol. Kennzeichen St 350.284 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des genannten Fahrzeuges. Der Erstbeklagte wurde wegen dieses Unfalles vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt. Der Kläger wurde mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen. Der Kläger begehrte von den Beklagten - nach Zuspruch eines Betrages von S 109.220,-- s.A. und der Feststellung der Haftung der Beklagten mit 50 % für zukünftige Schäden durch das Teilanerkenntnisurteil vom 6. März 1987 - den Betrag von S 270.868,-- s.A. (Schmerzengeld S 350.000,--, Kosten für Besuchsfahrten S 11.988,--, Kleiderschaden S 2.000,--, Heilkostenbeitrag restliche S 900,--, Verdienstentgang S 15.200,-- abzüglich des mit Teilanerkenntnisurteil zugesprochenen Betrages von S 109.220,--) und die Feststellung der Haftung der Beklagten für zukünftige Schäden mit 100 %. Der Kläger behauptete, den Erstbeklagten treffe das Alleinverschulden am Unfall, weil er sich dem Viehtrieb mit überhöhter Geschwindigkeit genähert habe. Der Erstbeklagte habe erkannt, daß er sein Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig werde anhalten können; er habe sein Fahrzeug auf das Bankett gelenkt und den dort stehenden Kläger niedergestoßen. Die Beklagten anerkannten ein Mitverschulden des Erstbeklagten von 50 %, beantragten im übrigen die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, daß der Kläger den Viehtrieb unsachgemäß durchgeführt habe. Der Kleiderschaden wurde mit S 2.000,-- außer Streit gestellt, im übrigen wurde die Höhe der geltend gemachten Ansprüche bestritten. Die Höhe der eingewendeten Gegenforderung steht mit S 28.546,-- außer Streit.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 239.684,-- als zu Recht, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend, sprach dem Kläger S 239.684,-- s.A. zu, gab auch dem Feststellungsbegehren statt und wies ein Leistungsmehrbegehren von S 31.184,-- s.A. ab. Es traf - zusammengefaßt

dargestellt - nachstehende Feststellungen:

Der in der Landwirtschaft des Sohnes des Klägers tätige Johann B*** und der Kläger trieben am Unfallstag 13 Kälber auf der Landesstraße von Norden in Richtung Süden in der Absicht, diese über die 20 - 30 m nördlich der Bezugslinie gelegene Zufahrt zum Eingang des Stalles zu führen. B*** ging auf Höhe des ersten Tieres. Der Kläger begleitete die Herde an deren Ende. Als sich B*** und ein Teil der Herde ca. 25 m nördlich der Bezugslinie und der Kläger mit dem Rest der Herde 50 - 60 m nördlich der Bezugslinie und zum Teil auf der östlichen Fahrbahnhälfte aufhielten, näherte sich aus südlicher Richtung der Erstbeklagte mit einer Geschwindigkeit von rund 108 km/h. Obwohl am östlichen Fahrbahnrand das Gefahrenzeichen "andere Gefahren" mit der Zusatztafel "Viehtrieb" aufgestellt war, und der Erstbeklagte die Herde auch erkennen konnte, fuhr er mit dieser Geschwindigkeit durch 2,8 Sekunden reaktionslos weiter. Er entschloß sich erst 31,3 m südlich der Bezugslinie zum Bremsen. Als er erkannte, nicht mehr rechtzeitig vor der Herde anhalten zu können, lenkte er sein Fahrzeug bremsend zum rechten Fahrbahnrand, fuhr auf dem östlichen Wiesenstreifen bremsend weiter und erfaßte den ca. 60 m nördlich der Bezugslinie und mindestens 1 m außerhalb der Landesstraße stehenden Kläger. Hätte der Erstbeklagte 75 m südlich der Bezugslinie (Mindestsichtweite) den Bremsentschluß gefaßt, wäre ein Anhalten vor der Herde möglich gewesen. Bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h wäre es dem Erstbeklagten möglich gewesen, sein Fahrzeug vor dem Unfallspunkt anzuhalten, wenn er den Bremsentschluß erst 31 m südlich der Bezugslinie gefaßt hätte. Durch den Anstoß erlitt der Kläger einen schweren offenen Unterschenkelbruch rechts mit Zerreißung der hinteren Wadenschlagader und einen Wadenbeinbruch, eine Verrenkung des rechten Schultergelenkes, mehrfache Rißquetschwunden am Scheitel und am Kinn sowie Hautabschürfungen am rechten Ellenbogen. Diese Verletzungen erforderten Aufenthalte in den Krankenhäusern in Schladming und Salzburg und im Rehabilitationszentrum in Tobelbad. Es besteht eine Gang- und Belastungsinsuffizienz des rechten Beines mit einer Verkürzung sowie eine Bewegungseinschränkung des Kniegelenkes. Das rechte Schultergelenk ist in seiner Funktion ebenfalls eingeschränkt. Als Dauerfolgen verblieben eine Verkürzung des rechten Beines, eine leichte Behinderung des Kniegelenkes. Mit größter Wahrscheinlichkeit verbleiben auch eine Behinderung des rechten Schultergelenkes sowie Narben. Der Kläger hatte 21 Tage starke, 42 Tage mittlere und 120 Tage leichte Schmerzen zu erdulden. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Erstbeklagte den Unfall allein verschuldet habe. Er sei zu schnell gefahren und habe zu spät reagiert. Ausgehend von einem Schmerzengeld von S 320.000,-- und weiteren berechtigten Ansprüchen gelangte es unter Berücksichtigung des mit Teilanerkenntnisurteil zugesprochenen Betrages zur oben wiedergegebenen Entscheidung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Es änderte die erstgerichtliche Entscheidung, von einer Verschuldensteilung im Verhältnis 1 : 4 zu Lasten der Beklagten ausgehend, dahin ab, daß es die Klageforderung mit S 137.903,20, die Gegenforderung mit S 5.709,20 als zu Recht bestehend erkannte und dem Kläger S 132.194,-- s.A. zuerkannte. Das Feststellungsbegehren erachtete es mit 4/5 als berechtigt. Das restliche Klagebegehren wies es ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000,-- übersteigt.

Das Gericht zweiter Instanz verwarf die Mängelrüge der Beklagten, erachtete aber deren Rechtsrüge deswegen teilweise als berechtigt, weil sich nicht nur der Erstbeklagte, sondern auch der Kläger eines Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung schuldig gemacht habe. Er habe dem § 80 Abs3 StVO zuwider das Vieh nicht bloß auf der rechten Fahrbahnseite getrieben, sondern ihm die gesamte Fahrbahnbreite überlassen. Dadurch habe er den Verkehr in unzulässiger Weise behindert und damit ebenfalls den Unfall im allerdings im Vergleich zum gravierenden Fehlverhalten des Erstbeklagten geringen Ausmaß von 1 : 4 verschuldet. Das Schmerzengeld sei mit S 320.000,-- zu hoch ausgemessen worden; gerechtfertigt sei nur ein solches von S 280.000,--. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richten sich die Revision des Klägers und der Beklagten. Der Kläger macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nach § 503 Abs1 Z 4 ZPO geltend und beantragt die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, daß die Klageforderung mit S 219.684,-- zu Recht, hingegen die Gegenforderung nicht zu Recht erkannt und ihm der dargestellte Betrag samt Anhang zugesprochen sowie dem Feststellungsbegehren stattgegeben werden möge. Die Beklagten stützen sich auf die Revisionsgründe des § 503 Abs1 Z 2, 3 und 4 ZPO und beantragen die Abänderung des Ersturteiles dahin, daß die Klageforderung mit S 31.182, die Gegenforderung mit S 9.515,33 zu Recht bestehend und die Beklagten schuldig erkannt werden mögen, dem Kläger nur S 21.666,67 s.A. zu bezahlen. Dem Feststellungsbegehren möge nur zu 2/3 Folge gegeben werden. In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

A) Zweckmäßigerweise ist zunächst auf die Revision der Beklagten

einzugehen.

1.) Diese erweist sich insoweit als unzulässig, als sie in der Berufung nur beantragten,

a) die Klageforderung mit S 66.582,66, die Gegenforderung mit

S 11.182,-- als zu Recht bestehend festzustellen und die Beklagten zur Bezahlung von S 55.400,66 s.A. zu verurteilen.

Nunmehr stellen sie den Antrag

b) die Klageforderung mit S 31.182,--, die Gegenforderung mit

S 9.515,33 als berechtigt zu erachten und den Beklagten nur die Bezahlung von S 21.666,67 s.A. aufzutragen.

Sie fechten daher in der Revision im Endergebnis um

S 33.733,99 s.A. mehr an, als in der Berufung. In diesem Umfang erweist sich ihre Revision daher infolge Verstoßes gegen die Teilrechtskraft als unzulässig.

2.) Soweit die Beklagten die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeiten des berufungsgerichtlichen Verfahrens und der Aktenwidrigkeit des Berufungsurteiles geltend machen, ist ihnen erwidern, daß

c) die von ihnen behaupteten Mangelhaftigkeiten des erstgerichtlichen Verfahrens durch das Berufungsgericht verneint wurden, weshalb ihnen verwehrt ist, diesen Rechtsmittelgrund im Revisionsverfahren mit Erfolg geltend zu machen.

d) In der Aktenwidrigkeitsrüge bekämpfen sie im Grunde nur die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, was im Revisionsverfahren ebenfalls unzulässig ist.

Eine nähere Begründung darüber, daß diese Revisionsgründe nicht stichhältig geltend gemacht wurden, erübrigt sich aufgrund der Bestimmungen des § 510 Abs3 ZPO.

Die Rechtsrüge, die nur mehr die Verschuldensteilung des Berufungsgerichtes betrifft, wird gemeinsam mit der ebenfalls diesen Fragenkomplex betreffenden Revision des Klägers behandelt.

B) Zur Revision des Klägers:

3.) Der Kläger erachtet ein Schmerzengeld von S 300.000,-- statt des ihm vom Berufungsgericht zugebilligten Betrages von S 280.000,-- für angemessen. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Das Gericht zweiter Instanz hat alle Umstände berücksichtigt, die für die Ausmessung des Schmerzengeldes in Betracht zu ziehen sind. Dabei fiel besonders ins Gewicht, daß der Kläger infolge der beim Unfall erlittenen Verletzungen körperlich nicht mehr voll einsatzfähig ist. Der ihm zugesprochene Betrag ist jedoch keinesfalls als zu niedrig zu beurteilen, weil die festgestellten Schmerzperioden und der Heilungsverlauf im Vergleich zu anderen Fällen den Zuspruch eines darüber hinausgehenden Betrages nicht rechtfertigen.

C) 4.) Beide Revisionen der Streitteile wenden sich noch gegen

die Verschuldensteilung des Berufungsgerichtes. Der Kläger stellt jegliches Verschulden in Abrede, die Beklagten nehmen den Standpunkt ein, daß dem Kläger nicht 1/5, sondern 1/3 des Verschuldens anzulasten sei. Ihre Argumente sind jedoch nicht stichhältig:

Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei der Verschuldensteilung nicht auf die Zahl der Verstöße an, vielmehr entscheidet vor allem der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs im allgemeinen und im konkreten Fall (ZVR 1975/162; ZVR 1978/314; ZVR 1983/257; 8 Ob 126/78; 8 Ob 94/82 uva).

Dem Erstbeklagten liegt zur Last, gegen § 20 Abs1 StVO in gravierender Weise dadurch verstoßen zu haben, daß er sich auf der Landesstraße trotz des Gefahrenzeichens "andere Gefahren" und der Zusatztafel "Viehtrieb" mit einer überhöhten Geschwindigkeit von 108 km/h derart sorglos dem Viehtrieb näherte, daß er nach dem Erkennen der gefährlichen Situation noch durch 2,8 Sekunden völlig reaktionslos weiterfuhr und anschließend in einer wesentlich verspäteten und verfehlten Abwehrmaßnahme den neben der Fahrbahn stehenden Kläger niederstieß. Vor dem Erstbeklagten hatte ein anderer Autofahrer noch anstandslos den Viehtrieb passiert (AS 141). Dem Kläger ist ebenfalls ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung anzulasten, weil er es entgegen § 80 Abs3 StVO nicht verhinderte, daß das Vieh auch auf die linke Straßenseite gelangte. Allerdings wird durch die genannte Bestimmung nur die möglichst geringe Behinderung des Verkehrs, nicht aber der völlige Ausschluß einer solchen Behinderung verlangt (ZVR 1973/174 ua). Berücksichtigt man, daß sich die Rinder schon ganz in der Nähe ihres Stalles befanden und es dem Kläger durchaus zugutegehalten werden muß, daß das Heimtreiben von 13 Kälbern trotz Beiziehung eines weiteren Treibers gerade in der letzten Phase vor dem Erreichen des Stalles immer wieder Drängeleien und damit eine Auseinanderfächerung der Tiere zur Folge hat, kann in der Beurteilung des Berufungsgerichtes dahin, daß das Verschulden des Klägers gegenüber jenem des Erstbeklagten wesentlich geringer zu werten sei, ein Rechtsirrtum nicht erblickt werden. Auch die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung ist daher nicht zu beanstanden. Dies hat zur Folge, daß beiden Revisionen, von der teilweisen Zurückweisung der Revision der Beklagten abgesehen, der Erfolg zu versagen und im übrigen wie im Spruch zu erkennen war.

Die Kosten des Revisionsverfahrens waren gemäß § 43 Abs1 ZPO gegeneinander aufzuheben, weil die Parteien in ungefähr gleichem Ausmaß in der Abwehr der gegnerischen Ansprüche obsiegten. Da der Kläger auf die teilweise Unzulässigkeit der Revision der Beklagten im spruchgemäß dargestellten Ausmaß nicht hinwies, waren ihm insoweit keine Kosten zuzusprechen.

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