OGH 2Ob645/84

OGH2Ob645/8430.10.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Ölz, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Gertraud S*****, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. Juni 1984, GZ 5 R 158/84-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 31. Dezember 1983, GZ 7 b Cg 5478/83-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat dem Kläger die mit 3.193,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 240 S Barauslagen und 268,50 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte die Scheidung seiner Ehe mit der Beklagten und brachte vor, die häusliche Gemeinschaft sei seit mehr als sechs Jahren aufgehoben.

Die Beklagte widersetzte sich dem Scheidungsbegehren nicht, stellte jedoch den Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen.

Das Erstgericht schied die Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG. Den Antrag der Beklagten, das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festzustellen, wies es ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten, mit der die Abweisung des Antrags, das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen, bekämpft wurde, nicht Folge.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten. Sie macht die Revisionsgründe des § 503 Abs 1 Z 2, 3 und 4 ZPO geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, dass das überwiegende Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe festgestellt werde. Hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:

Die im Jahr 1955 geschlossene Ehe verlief bis etwa 1970 problemlos. Danach begannen die Schwierigkeiten in der Ehe. Der Kläger ist ein zurückhaltender, introvertierter Mensch, der sich zurückzieht und mit Schweigen reagiert, wenn er sich von ihm nahestehenden Personen angegriffen fühlt. Seine Wesensart brachte es mit sich, dass er zur Beklagten und auch zu seinen sechs Kindern nicht jenes herzliche Verhältnis hatte, wie es in anderen Familien der Fall ist. Von seinen Kindern Michael und Barbara distanzierte er sich, als diese das Pubertätsalter erreicht hatten. Der älteste Sohn, Michael, besuchte das Gymnasium. Obwohl er ein begabter Schüler war, tat er in der Schule gerade so viel, als zum „Durchkommen“ notwendig war. Diese Haltung akzeptierte der Kläger nicht, er reagierte darauf in der Weise, dass er sich allmählich von ihm zurückzog. Die Beklagte hingegen unterhielt sich mit ihrem Sohn Michael über Wissensgebiete, die diesen interessierten. Der Kläger kam zur Überzeugung, dass sich die Beklagte mit Michael nur deshalb über den Bereich, von dem er nichts verstand, bewusst unterhielt, um den Kläger zu zeigen, dass er nicht mithalten könne. Ob dies allerdings tatsächlich die Absicht der Beklagten war, ist nicht erwiesen. Der Kläger fühlte sich zurückgesetzt und reagierte mit Schweigen und Zurückhaltung. Das Verhältnis des Klägers zu seinem Sohn Michael verschlechterte sich zusehends, so dass es schließlich im Jahre 1978 zur gänzlichen Trennung kam. Seither bestehen keinerlei Kontakte mehr. Zu den übrigen Kindern hat der Kläger ein normales gutes Verhältnis. Vor allem den beiden jüngsten Kindern wandte er sich im besonderen Maße zu. Der Kläger besuchte mit der Beklagten gemeinsam Turnabende in H***** und ging mit ihr auch gemeinsam ins Theater. Auch Wanderungen und Skifahrten wurden gemeinsam unternommen. Der Kläger hatte die Beklagte gern bei sich. Er missbilligte es aber, wenn sie in Gesellschaft nicht neben ihm saß. Die Beklagte empfand dies als unangenehm und warf dem Kläger vor, er sei eifersüchtig, er passe auf sie auf wie ein „Wachhund“. Bei einer Ballveranstaltung des Turnvereins ließ der Kläger die Beklagte allein am Tisch sitzen und unterhielt sich mit anderen Personen an der Bar. Dies warf die Beklagte danach dem Kläger vor. Schwierigkeiten in der Ehe begannen in dem Zeitpunkt, als die Beklagte sich mit ihrem Dasein als „Nurhausfrau“ nicht mehr abfinden wollte und das Bestreben zeigte, sich selbständiger zu machen. Seit dem Jahr 1969 nahm sie am Frauenturnen teil. Als eine Leiterin für das Kinderturnen gesucht wurde, zeigte sie sich daran interessiert. In Form eines Fernkurses absolvierte die Beklagte eine Ausbildung als Fachsportlehrerin, das Studium wurde zu Hause absolviert, die Prüfungen in Innsbruck abgelegt. In den drei Semestern des Studiums musste die Beklagte ca zweimal an Wochenenden nach Innsbruck fahren. Im letzten Semester war die Beklagte eine volle Woche lang in Innsbruck. Der Umgang mit anderen Personen machte die Beklagte selbstbewusster und bestärkte sie in der Überzeugung, dass die von ihr geäußerten Ansichten, die vom Kläger abgelehnt wurden, richtig sind. Dies führte auch dazu, dass sie den vom Kläger geäußerten Ansichten widersprach. Streitigkeiten zwischen den Eheleuten waren die Folge. Der Kläger fühlte sich bei Diskussionen mit der Beklagten unterlegen, da er ihr einen schärferen Verstand zubilligte. Wenn er daher nicht in der Lage war, die von der Beklagten geforderten sachlichen Argumente vorzutragen, schwieg er und zog sich zurück. Probleme ergaben sich vor allem auch deshalb, weil zwischen den Streitteilen völlig verschiedene Auffassungen über die zu behandelnden Gesprächsthemen herrschten. Der Kläger wollte sich mit der Beklagten hauptsächlich im Probleme der Haushaltsführung und über Vorgänge in der Nachbarschaft unterhalten; diese Themen interessierten die Beklagte nicht besonders. Sie hätte sich mit dem Kläger lieber über Literatur und Musik unterhalten, was aber den Kläger nicht interessierte. So gab es wegen dieser unterschiedlichen Auffassungen und Interessen ständig Streitigkeiten. Die Beklagte ließ den Kläger wissen, dass er sie in ihrem Bestreben, selbständig zu werden, behindere. Sie war in den Jahren 1974 bis 1976 in Bregenz als Sportlehrerin beschäftigt. Diese Lehrtätigkeit gefiel dem Kläger nicht. In diesem Zusammenhang erklärte die Beklagte, der Kläger sei für sie ein „Klotz am Bein“. Im Dezember 1976 erhielt die Beklagte eine Anstellung als Masseurin im Hallenbad L*****. Sie schaffte sich einen eigenen PKW an. Wenn sie ein- oder zweimal pro Woche Saunadienst hatte, übernachtete sie in L*****. Im Frühjahr 1977 machte die Beklagte dem Kläger über ihren damaligen Rechtsfreund den Vorschlag, sich für einige Zeit zu trennen. Der Kläger sah keine Möglichkeit, die Beklagte von ihrem Vorhaben, sich selbständig zu machen und sich von ihm zu trennen, abzuhalten. Deshalb stimmte er der Trennung zu. Um die durch die ständigen Auseinandersetzungen gefährdete Ehe zu retten, suchten die Streitteile etwa ein Jahr lang die Eheberatungsstelle in Bregenz auf, allerdings jeweils getrennt. Diese Besuche brachten jedoch keine Besserung im Verhältnis der Streitteile zueinander. Die Beklagte wollte zunächst, dass der Kläger die eheliche Wohnung verlasse. Damit war dieser jedoch nicht einverstanden. Schließlich suchte sich die Beklagte selbst eine Wohnung und zog im September 1977 aus der Ehewohnung aus. Seither leben die Streitteile getrennt. Es bestehen zwischen ihnen keinerlei Kontakte mehr. Ende 1976, Anfang 1977 war es zu einer Tätlichkeit des Klägers gegenüber der Beklagten gekommen. Ihr war eine wörtliche Auseinandersetzung vorausgegangen, wobei nicht festzustellen ist, worum es bei dieser Auseinandersetzung gegangen war. Es ist auch nicht feststellbar, ob der Kläger die Beklagte dabei mit den Fäusten schlug oder ob er ihr eine Ohrfeige gab. Nicht erwiesen ist, dass der Kläger die Beklagte regelrecht tyrannisierte und ständig mit seinen Bosheiten schikanierte.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, für die Annahme eines überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe habe es keine ausreichenden Anhaltspunkte gegeben. Vielmehr hätten die Streitteile die Probleme, die dadurch entstanden seien, dass sich die Klägerin fortgebildet habe und selbständiger geworden sei, nicht bewältigen können. Der Kläger habe sich von der Beklagten zurückgezogen und sei bei Gesprächen Debatten aus dem Weg gegangen, da ihm die Beklagte aus seiner Sicht geistig überlegen gewesen sei. Dem Kläger sei zwar der Vorwurf zu machen, dass er für die Interessen der Beklagten wenig Verständnis gezeigt habe. Allerdings könne es ihm nicht als schwere Eheverfehlung angelastet werden, dass er sich die geistigen und kulturellen Interessen der Beklagten nicht zu eigen gemacht habe. Richtig sei es auch, dass die Reaktion des Klägers auf die berufliche und persönliche Entwicklung der Beklagten objektiv betrachtet überempfindlich und daher sicher nicht richtig gewesen sei. Auch daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass den Kläger das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Dies gelte auch im Zusammenhang mit den festgestellten Tätlichkeiten.

Das Berufungsgericht erachtete die Beweisrüge der Beklagten als nicht berechtigt und billigte auch die Ansicht des Erstgerichts, den Kläger treffe kein überwiegendes Verschulden am Scheitern der Ehe. Die Beklagte bestreite nicht, dass sie selbst ein Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Es sei ihr ein erhebliches Mitverschulden anzulasten, weil sie durch ihre Aktivitäten, die vom Kläger weder verstanden noch gebilligt worden seien, den Keim zur Zerrüttung gelegt habe.

Die von der Revisionswerberin behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Die Beklagte versucht mit diesen Ausführungen in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu bekämpfen.

Als aktenwidrig rügt die Revisionswerberin die Ausführungen des Berufungsgerichts, sie habe nicht bestritten, dass sie selbst ein Mitverschulden an der Zerrüttung treffe. Die Frage, ob die Beklagte mit ihrem Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers festzustellen, ein eigenes Mitverschulden zugegeben hat, braucht jedoch nicht erörtert zu werden, weil ihr für die Entscheidung keine Bedeutung zukommt.

Im Rahmen der Rechtsrüge führt die Beklagte aus, es sei richtig, dass ihr Wille, ihre Persönlichkeit zu entfalten und sich gesellschaftlich und beruflich zu betätigen, die letzte Ursache für die Zerrüttung der Ehe gewesen sei, auch wenn diese Ursache sicherlich in Wechselbeziehung zur häuslichen Situation gestanden sei. Ursachen für die Zerrüttung einer Ehe könnten jedoch nur dann ein Verschulden an der Zerrüttung der Ehe begründen, wenn das Verhalten dem Wesen der Ehe widerspreche, wenn dieses Verhalten also eine Eheverfehlung darstelle. Eine solche Eheverfehlung der Beklagten sei hier aber keinesfalls zu erkennen. Der Kläger habe hingegen versucht, die Kontakte der Beklagten mit der Außenwelt zu behindern oder gar zu verhindern, er habe seine Ehegattin auf Gespräche über Vorgänge in der Nachbarschaft und Probleme der Haushaltsführung beschränken wollen, also kurz, sie an der Entfaltung ihrer Persönlichkeit hindern wollen. Die Weigerung des Klägers, das modernen gesellschaftlichen Vorstellungen entsprechende Verhalten der Beklagten zu akzeptieren, habe eine Haltung dargestellt, die im völligen Widerspruch zum heutigen Verständnis des Wesens der Ehe stehe. In der Weigerung, eine entsprechende berufliche Betätigung seiner Frau zu akzeptieren und in seinem daraus abgeleiteten Entzug seiner Zuneigung gegenüber der Beklagten, habe er ein Fehlverhalten gesetzt, das in keinem Verhältnis zu allfälligen geringfügigen Fehlreaktionen der Beklagten stehen, wobei der Kläger auch eine Reihe namhafter einzelner Fehlleistungen gesetzt habe, wie zB eine schwerwiegende Tätlichkeit.

Dem ist Folgendes zu erwidern:

Die Ausführungen, das Verhalten der Beklagten stelle keine Eheverfehlung dar, sind nicht zielführend, weil es nicht darauf ankommt, ob ein Scheidungstatbestand verwirklicht wurde. Entscheidend ist allein, ob dem Ehegatten eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten ist (EFSlg 41.289 mwN). Für den Schuldausspruch nach § 61 Abs 3 EheG ist das unter Umständen geringgradigere Zerrüttungsverschulden maßgebend, doch muss nach Abwägung beiderseitiger Verschuldensanteile unter Einbeziehung des Gesamtverhaltens beider Eheleute während der ganzen Dauer der Ehe der das „Überwiegen“ rechtfertigende graduelle Unterschied augenscheinlich hervortreten (EFSlg 41.290). Der Revisionswerberin ist zuzugeben, dass ihr kein Verhalten zur Last gelegt werden kann, aus welchem ein schweres Verschulden an der Zerrüttung der Ehe abgeleitet werden könnte. Damit ist für sie jedoch nichts gewonnen, weil auch dem Kläger keine schwerwiegenden Vorwürfe gemacht werden können. Dass er die Beklagte tyrannisierte und schikanierte, steht nicht fest, ebensowenig, dass er die Beklagte daran hinderte, „ihre Persönlichkeit zu entfalten und sich beruflich zu entwickeln“. Seine Schweigsamkeit und sein distanziertes Verhalten gegenüber den Kindern trugen zur Zerrüttung der Ehe zwar ohne Zweifel wesentlich bei, doch ist zu berücksichtigen, dass der Kläger ein introvertierter Mensch ist und sein Verhalten auf seine Wesensart zurückzuführen ist. Die unterschiedlichen Auffassungen und Interessen, die ständig zu Streitigkeiten führten, waren eine wesentliche Ursache für die Zerrüttung der Ehe. Aus den Feststellungen ergibt sich aber nicht, dass hiebei dem Kläger ein schwerwiegenderer Vorwurf gemacht werden kann als der Beklagten und dass er weniger bereit war, auf die Interessen und Ansichten seiner Ehefrau Rücksicht zu nehmen als umgekehrt. Dafür, dass die festgestellte Tätlichkeit des Klägers gegenüber der Beklagten die Zerrüttung der Ehe vertiefte, fehlt jeglicher Anhaltspunkt. Aus diesen Gründen ist ein Ausspruch des überwiegenden Verschuldens des Klägers an der Zerrüttung der Ehe, der nur bei einem sehr unterschiedlichen Grad des beiderseitigen Verschuldens zu erfolgen hat (EFSlg 41.294 ua), nicht gerechtfertigt. Ob die Beklagte jegliches Mitverschulden an der Zerrüttung der Ehe in Abrede stellte, oder ob in ihrem Vorbringen das Zugeständnis eines gewissen Mitverschuldens erblickt werden kann, ist ohne Bedeutung.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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