OGH 2Ob637/84

OGH2Ob637/8418.12.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei prot Firma Albert R*****, vertreten durch Dr. Gernot Schreckeneder, Rechtsanwalt in Zell am See, wider die beklagten Parteien 1.) prot Firma G*****, 2.) Irene G*****, beide vertreten durch Dr. Hans Christian Kollmann, Rechtsanwalt in Lambach, wegen 460.105,16 S sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 16. Mai 1984, GZ 5 R 77/84-22, womit infolge Berufung beider Streitteile das Zwischenurteil des Kreisgerichts Wels vom 13. Jänner 1984, GZ 7 Cg 449/82-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass das Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei 460.105,16 S samt 13,5 % Zinsen seit 22. 4. 1982 binnen 14 Tagen zu bezahlen, abgewiesen wird.

Die klagende Partei hat den beklagten Parteien die mit 92.478,52 S bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten 16.317 S Barauslagen und 6.123,42 S USt) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die erstbeklagte Partei, deren persönlich haftende Gesellschafterin die Zweitbeklagte ist, beförderte am 21. und 22. 4. 1982 mittels eines Sattelkraftfahrzeugs mit Anhänger ein Horizontal-Tisch-Bohr- und Fräswerk (im Folgenden nur Fräswerk) von Leobendorf nach Zell am See zur klagenden Partei als Empfängerin. Nach der Ankunft des Frachtguts am Bestimmungsort am 22. 4. 1982 rutschte das Fräswerk vom Anhänger und wurde beschädigt.

Die klagende Partei begehrt den Ersatz eines Schadens von 460.105,16 S sA. Der Lenker des Sattelkraftfahrzeugs habe sämtliche Befestigungsgurte vom Fräswerk gelöst, sei mit dem Fahrzeug rückwärtsgefahren und habe dann abrupt gebremst, wodurch das Fräswerk von der Metallladefläche des Anhängers gerutscht sei.

Die beklagten Parteien vertreten den Standpunkt, dass das Frachtgut zum Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits abgeliefert gewesen sei. Das Fahrmanöver des Lenkers sei daher lediglich eine Gefälligkeitsleistung gewesen. Die Befestigungsgurte seien überdies von den Gehilfen der klagenden Partei gelöst worden.

Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil - der Eintritt eines Schadens in Höhe von mindestens einer Währungseinheit ist unbestritten - zu Recht, dass die Ansprüche der klagenden Partei dem Grunde nach zu ¾ zu Recht bestehen. Nach seinen Feststellungen besteht die Ladefläche des Anhängers aus Holzbohlen. In der Mitte der Ladefläche befindet sich eine ca 4 m lange Stahlplatte. Das Fräswerk besteht aus Grauguss und hat ein Gewicht von rund 18 Tonnen. Es ist ca 6 m lang und ca 3 m breit, wobei die Aufstandsbreite aber nur ca 2 m beträgt. Die Verladung des Fräswerks erfolgte vereinbarungsgemäß durch die Firma G*****, von der die klagende Partei das Fräswerk gekauft hatte. Der Lenker der beklagten Parteien äußerte hiebei, man solle das Fräswerk so stellen, dass das Gewicht gleichmäßig verteilt sei. Das Fräswerk wurde etwa in der Mitte der Ladefläche aufgestellt, mit einer Teillänge von rund 4 m auf der Stahlplatte und mit einer Teillänge von je rund einem Meter vorne und hinten auf den Holzbohlen. Es wurde mit drei Gurten und einem Seil an den seitlich auf dem Anhänger angebrachten Stahlstehern befestigt. Der Lenker der beklagten Parteien Rudolf H***** stellte nach Ankunft in Zell am See das Fahrzeug zunächst in einer Entfernung von rund 500 m vom Betriebsgelände der klagenden Partei ab. Er ging zu Fuß zum Betrieb und fragte den Juniorchef Eduard R*****, wo er die „Maschine“ abstellen könne. Er nahm hiebei wahr, dass im Bereich des Firmengeländes ein großer Kran der Firma E***** stand, den die klagende Partei vereinbarungsgemäß für die Entladung beizustellen hatte. Der Kran war bereits am Morgen des 22. 4. 1982 gebracht worden, der Kranführer hatte sich aber zwischenzeitig entfernt, weil der Zeitpunkt des Eintreffens des Sattelkraftfahrzeugs nicht bekannt war. Eduard R***** erklärte dem Rudolf H*****, er solle „hierher“ zurückfahren und das Fahrzeug im Bereich der Firmeneinfahrt abstellen. Eine genaue Standorteinweisung erfolgte nicht, Rudolf H***** hatte aber ohnedies bereits den Standort des Krans wahrgenommen. Das Gelände wies im Einfahrtsbereich eine Steigung von 13 bis 14 % auf. Einige Arbeiter der klagenden Partei begannen bis zum Eintreffen des Kranführers, der telefonisch verständigt worden war, mit dem Abladen der Zubehörteile und waren dem Lenker der beklagten Parteien beim Lösen der Befestigungsgurte behilflich. Nach dem Eintreffen des Kranfahrers ersuchte dieser Rudolf H*****, ca 1 m zurückzufahren, um ein sicheres Aufnehmen der Ladung mit dem Kran zu gewährleisten. Rudolf H***** fuhr mit einer Geschwindigkeit, die nicht einmal Schrittgeschwindigkeit erreichte, zurück. Nach Zurücklegung einer Strecke von ca einem halben Meter rutschte das Fräswerk vom Anhänger. Ursache hiefür war die geringe Haftfähigkeit zwischen Grauguss und Stahl. Die Haftreibungszahl zwischen diesen beiden Materialien beträgt rund 0,2. Dies bedeutet, dass bei einem Gefälle von 20 % das Ladegut automatisch zum Rutschen kommt. Bis zu einem Gefälle von 20 % befindet sich das Ladegut in einem labilen Gleichgewicht. Bei einer Steigung von 13 bis 14 % war es zwar möglich, das Ladegut ohne Bewegung des Transportfahrzeugs auch ohne Befestigung auf der Ladefläche zu halten. Eine geringfügige Erschütterung im Zuge des Rückwärtsfahrens bewirkte jedoch eine Überschreitung des labilen Gleichgewichts und ein Abrutschen der Ladung. Bei einer auch nur geringfügigen Abbremsung mit etwa 2 m/sec2 wird auf das Ladegut ein Druck von etwa 3.000 kg ausgeübt, was zwingend ein Abrutschen zur Folge hat. Um das Abrutschen der Ladung bei einem Haftreibungsbeiwert von 0,2 zu verhindern, wäre es notwendig gewesen, die Befestigungsgurte bis zur Verzurrung der Maschine am Kran zu belassen.

Nach der Rechtsmeinung des Erstgerichts hatte im Zeitpunkt des Schadensereignisses noch keine Ablieferung des Frachtguts iSd § 429 HGB stattgefunden. Das Rückwärtsfahren mit dem Sattelkraftfahrzeug habe vielmehr erst der Vorbereitung der Übernahme des Frachtguts gedient. Die beklagten Parteien haften daher gemäß § 429 HGB für die Beschädigung des Guts. Sie wären nur dann haftungsfrei, wenn die Beschädigung durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet hätte werden können. Das Rückwärtsfahren mit der ungesicherten Ladung auf der abschüssigen Strecke rechtfertige aber einen Schuldvorwurf, weil die Gefährlichkeit eines solchen Fahrmanövers jedem Kraftfahrer bekannt sein müsse. Die klagende Partei habe jedoch ein Mitverschulden zu vertreten. Ihre Gehilfen hätten bei der Lösung der Befestigungsgurte mitgewirkt und das Rückwärtsfahren des Sattelkraftfahrzeugs nach Lösung der Befestigungsgurte angeregt. Für das Verhalten ihrer Gehilfen, auch für das des Kranfahrers, habe die klagende Partei einzustehen. Den von den beklagten Parteien zu vertretenden, für das Schadensereignis ursächlichen Umständen käme jedoch mehr Gewicht zu, sodass eine Schadensteilung von 3 : 1 zugunsten der klagenden Partei gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es die Ansprüche der klagenden Partei dem Grunde nach zur Gänze als zu Recht bestehend erkannte. Es vertrat die Auffassung, dass die beklagten Parteien auch dann nicht haftungsfrei seien, wenn das Frachtgut im Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits abgeliefert gewesen sei, weil auch die schuldhafte Verletzung einer jedem Vertragspartner als Nebenpflicht obliegenden Schutz- und Sorgfaltspflicht einen Schadenersatzanspruch begründe. Diese Nebenpflicht bestehe solange, als sich der Vertragspartner in der Einflusssphäre des anderen Teils befinde. Beim Frachtvertrag bestehe auch nach Erfüllung der frachtrechtlichen Hauptleistungspflicht, der Ablieferung des Guts, eine Obhutspflicht des Frachtführers, das Frachtgut vor Schäden zu bewahren. Der Lenker der beklagten Parteien hätte daher vor dem Rückwärtsfahren die zur Befestigung des Fräswerks notwendigen Vorkehrungen treffen müssen. Für die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht durch den Lenker hafte die erstbeklagte Partei gemäß § 1313a ABGB, die zweitbeklagte Partei nach den §§ 128 und 161 HGB. Auf ein Mitverschulden der klagenden Partei sei nicht Bedacht zu nehmen, weil die beklagten Parteien ein solches in erster Instanz nicht geltend gemacht und auch kein Sachvorbringen in dieser Richtung erstattet hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts erhobene Revision der beklagten Parteien ist berechtigt.

Nach § 429 HGB haftet der Frachtführer unter anderem für den Schaden, der aus der Beschädigung des Guts in der Zeit von der Annahme bis zur Ablieferung entsteht, es sei denn, dass die Beschädigung auf Umständen beruht, die durch die Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht abgewendet werden konnten. Diese Bestimmung grenzt den Obhutszeitraum des Frachtführers auf die Zeit zwischen Annahme und Ablieferung des Guts ein. Vertraglich kann der Obhutszeitraum verlängert werden, was insbesondere dann anzunehmen ist, wenn die Beladung und die Entladung vereinbarungsgemäß dem Frachtführer obliegen (vgl Helm in Großkomm HGB3 V Anm 14 zu § 429). Die Ablieferung ist der Vorgang, durch den der Frachtführer die Gewahrsame über das Gut mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Empfängers wieder aufgibt und den Empfänger instandsetzt, die tatsächliche Gewalt über das Frachtgut auszuüben (Helm aaO Anm 12; Schlegelberger-Geßler HGB5 VI 756 f; SZ 54/160; 2 Ob 51/80). Dieser Besitzwechsel ist ein zweiseitiger Akt und bedarf deshalb der Mitwirkung des Empfängers. Das Halten mit dem Beförderungsmittel vor dem Haus oder vor der Betriebsstätte des Empfängers stellt daher in der Regel noch keine Ablieferung dar. Die Übernahme durch den Empfänger erfordert aber andererseits nicht, dass dieser das Gut körperlich in Empfang nimmt. Es genügt, dass der Frachtführer das Gut mit Zustimmung des Empfängers aus seiner Obhut entlässt und ein Verhältnis hergestellt wird, das dem zur Entgegennahme bereiten Empfänger die Einwirkungsmöglichkeit auf das Gut einräumt (Schlegelberger-Geßler aaO; NJW 1955, 1322). Das Gut kann daher dem Berechtigten mit dessen Einverständnis durch Abstellen auf einem bestimmten Platz zur Verfügung gestellt werden, so durch Abstellen des Transportfahrzeugs an der Laderampe bei Entladepflicht des Empfängers und Hinzuziehen von dessen Leuten zum Entladen (Helm aaO; Schlegelberger-Geßler aaO). Im vorliegenden Fall, in dem eine Entladepflicht des Frachtführers von der hiefür beweispflichtigen klagenden Partei nicht einmal behauptet wurde, stellte der Lenker der beklagten Parteien das Sattelkraftfahrzeug an dem ihm auf seine Anfrage vom Juniorchef der klagenden Partei bezeichneten Platz im Bereich des für die Abladung von der klagenden Partei bereitgehaltenen Krans ab, worauf Arbeiter der klagenden Partei mit dem Abladen der Zubehörteile begannen. Dadurch wurde aber nach den oben dargelegten Grundsätzen das Transportgut im Einverständnis mit dem Empfänger aus der Obhut der erstbeklagten Partei entlassen und in die der klagenden Partei übertragen, die auch in der Lage war, die tatsächliche Herrschaft über das Gut auszuüben und sie auch sogleich durch Abladung der Zubehörteile ausübte. Das schädigende Ereignis trat demnach erst nach der frachtrechtlichen Obhutszeit ein.

Wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhob, erschöpfen sich jedoch die rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien meist nicht in der Erbringung der Hauptleistung. Zu den für den Vertragstyp wesentlichen Hauptleistungspflichten treten in der Regel vertragliche Nebenpflichten. Diese können sich aus der Vereinbarung, aus einer ergänzenden Vertragsauslegung, insbesondere aus der Übung des redlichen Verkehrs oder aus dem Gesetz ergeben (Koziol-Welser 6 I 155 f; SZ 51/26 ua). Auch für den Frachtführer ist anerkannt, dass ihn neben den Hauptpflichten aus dem Frachtvertrag zahlreiche Nebenpflichten treffen (Helm aaO Anm 72 f zu § 425; vgl auch Schlegelberger-Geßler aaO 732). Die Verletzung solcher Pflichten kann nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung zur Schadenshaftung auch vor Beginn und nach Beendigung der frachtrechtliche Obhutszeit iSd § 429 HGB führen (Helm aaO Anm 88 zu § 429; Hämmerle-Wünsch 3 Band 3, 363). Hat der Frachtführer dem Empfänger, dem die Entladung des Guts obliegt, zwar die Gewahrsame über das Gut verschafft, kann sich insbesondere nach einer Teilentladung die Notwendigkeit zur Weiterbewegung des Transportmittels ergeben, um die weitere Entladetätigkeit überhaupt oder besser zu ermöglichen. Das hiefür erforderliche Fahrmanöver stellt entgegen der Meinung der beklagten Parteien keine bloße Gefälligkeit des Frachtführers dar, sondern eine vertragliche Nebenpflicht, die sich aus dem auf Beförderung gerichteten Vertrag selbst ergibt. Nur insoweit der Lenker nach der vollzogenen Ablieferung beim Entladen des Transportguts - hier durch Lösung der Befestigungsgurte - mithalf, liegt keine vertragliche Nebenleistung mehr vor. Damit ist aber für die klagende Partei nichts gewonnen, weil dem Lenker der beklagten Parteien bei Erfüllung der vertraglichen Nebenpflicht zur Verstellung des Transportfahrzeugs kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten zur Last fällt. Eine abrupte Bremsung, wie sie ihm von der klagenden Partei vorgeworfen wurde, ist nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht erwiesen. Die Entladung oblag mangels anderer vertraglicher Regelung der klagenden Partei, und der Entladevorgang gehörte daher zu ihrem Risikobereich. Sie hätte daher die zur Sicherung des Guts gegen die mit der Abladung verbundenen Gefahren notwendigen Vorkehrungen treffen müssen. Diese Vorkehrungen oblagen der klagenden Partei auch dann, wenn sich im Zuge des Abladevorgangs die Notwendigkeit zu einem weiteren Fahrmanöver des Transportfahrzeugs ergab. Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichts, dass der Lenker die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen treffen hätte müssen, kann mit Rücksicht auf die Zugehörigkeit des Entladevorgangs zum Risikobereich der klagenden Partei nicht geteilt werden. Ob dem Lenker aber die Verletzung einer Warnpflicht zur Last fällt, für die die beklagten Parteien gemäß § 1313a ABGB einzustehen hätten, ist nicht zu prüfen, weil die klagende Partei ihre Ansprüche auf die Verletzung einer solchen vertraglichen Nebenpflicht nicht stützte und in dieser Richtung auch kein Sachvorbringen erstattete.

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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