Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger ist schuldig, dem Beklagten die mit S 16.023,15 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer S 1.456,65) und dessen Nebenintervenientin die mit S 10.673,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 970,35) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 11.7.1985 ereignete sich gegen 21 Uhr in Braunau am Inn auf der sogenannten Kriechbaumstiege ein Unfall, an dem der Kläger und der Beklagte beteiligt waren. Beide gingen miteinander spazieren und wollten über die Stiege zu dem unterhalb gelegenen Gelände gelangen. Der Beklagte rutschte plötzlich aus und stieß bei seinem Sturz gegen die Beine des Klägers, wodurch dieser ebenfalls stürzte und sich hiebei schwer verletzte.
Der Kläger begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung eines Schmerzengeldes von S 500.000,- s.A. sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für alle künftigen Schäden aus dem Unfall.
Über den unbestrittenen Sachverhalt hinaus brachte er vor:
Er habe bei dem Unfall, an dessen Zustandekommen den Beklagten das alleinige Verschulden treffe, eine Wirbelverletzung mit Querschnittlähmung erlitten. Durch die unfallsbedingten Verletzungen sei er erwerbsunfähig geworden. Es sei aus wirtschaftlicher Sicht nicht auszuschließen, daß er auch in Zukunft Schäden erleiden werde, die heute noch nicht vorhersehbar seien. Im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen und Schmerzen sei ein Schmerzengeld von S 500.000,-- angemessen. Wegen der nicht auszuschließenden zukünftigen Schäden sei das Feststellungsbegehren gerechtfertigt. Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ihn treffe am Unfall kein Verschulden, weil er weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt habe. Das Feststellungsbegehren sei unberechtigt, das Schmerzengeldbegehren überdies überhöht. Hilfsweise werde ein Mitverschulden eingewendet, weil es dem Kläger möglich gewesen wäre, in einem größeren Abstand vom Beklagten über die Stiege zu gehen, wodurch die Gefahr eines Sturzes verringert worden wäre. Auch die Nebenintervenientin auf Seite des Beklagten beantragte die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf nachstehende Feststellungen:
Am 11.7.1975 benützten beide Streitteile gegen 21 Uhr die Kriechbaum-Stiege in Braunau am Inn, um in die Innauen zu gelangen. Die Stiege gliedert sich in drei Abschnitte, wobei der mittlere von einem Torbogen überdacht wird und ca. 6 Stufen umfaßt. Rechts und links der Stiege befinden sich gemauerte Wände, an denen Handstützen angebracht sind. Die in Beton ausgeführten Stufen waren zum Unfallszeitpunkt trocken.
Der Kläger und der Beklagte bewegten sich in relativ schnellem Gehtempo bzw. in lockerer Gangart treppenabwärts, wobei der Kläger etwa in der Mitte der Stiegenbreite und der Beklagte hinter ihm mehr links, in der Gehrichtung gesehen, unterwegs waren. Als der Beklagte mit seinem linken Fuß im Bereich der ersten Stufe des Mittelteiles zum Aufsetzen kam, kippte er damit um. Der Beklagte fiel dadurch nach hinten, wobei es ihm das rechte Bein seitlich nach rechts wegriß. Er konnte sich zwar noch mit der linken Hand am Stiegengeländer festhalten und versuchte sich auch mit der rechten Hand am Boden abzustützen, kam aber dessenungeachtet zum Sturz. Mit dem rechten Fuß traf der Beklagte dabei das linke Bein des Klägers im Bereich der Kniekehle, wodurch der Kläger ebenfalls zum Sturz und im Bereich der letzten drei Stufen des mittleren Stiegenabschnittes auf dem Rücken zu liegen kam. Wohin der Beklagte zum Zeitpunkt des Umkippens seinen Blick hingewendet hatte, ist nicht feststellbar. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß dem Beklagten keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne. Mangels Verschuldens sei das Klagebegehren abzuweisen gewesen.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat ebenso wie das Erstgericht die Auffassung, daß dem Beklagten kein Verschulden angelastet werden könne. Für den Umfang des gehörigen Fleißes und der gehörigen Aufmerksamkeit im Sinne des § 1294 ABGB sei kein individueller, sondern ein objektiver Maßstab anzulegen. Fahrlässigkeit (Sorglosigkeit) liege nur vor, wenn die objektiv gebotene Sorgfalt aus subjektiv zu vertretenden Gründen nicht eingehalten wird, das heißt demjenigen, dem die Sorgfaltsverletzung unterläuft, diese subjektiv vorwerfbar sei. Im gegebenen Fall sei weder das Bewegungstempo des Beklagten noch dessen Konzentration bei der Fortbewegung als sorgfaltswidrig zu beanstanden. Für eine Zuwendung des Blickes zu einem oberhalb der Unfallstelle in der Stiegenkonstruktion angebrachten Schild wäre der Kläger beweispflichtig gewesen. Mangels Erbringung dieses Beweises könne dahingestellt bleiben, ob ein Blick auf die zu überwindenden Stufen ein Mehr an Konzentration und damit eine Vermeidung des "Umkippens", welches ohne Anstoß an ein Hindernis erfolgte, mit sich gebracht hätte. Wegen des fehlenden Nachweises einer Fahrlässigkeit des Beklagten habe das Erstgericht zutreffend die Berechtigung der geltend gemachten Schadenersatzansprüche verneint.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Der Beklagte und seine Nebenintervenientin beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Kläger vertritt in der Revision den Standpunkt, daß dem Beklagten zumindest leichte Fahrlässigkeit anzulasten sei. Es führe zu weit, nicht beherrschte, wohl aber beherrschbare Körperbewegungen als Mißgeschick abzutun. Diesen Ausführungen ist zu erwidern:
Fahrlässigkeit fällt demjenigen zur Last, der sich mangels gehöriger Aufmerksamkeit oder gehörigen Fleißes, also mangels gehöriger Willensanspannung, der Rechtswidrigkeit seines Verhaltens nicht bewußt war oder trotz dieses Bewußtseins nicht vorhersah, daß sein Verhalten geeignet ist, einen schädigenden Erfolg herbeizuführen (§ 1294 ABGB; Koziol-Welser, I5, 353; Gschnitzer, Schuldrecht, Besonderer Teil und Schadenersatz, 149; Ehrenzweig2 II/1, 56; Ehrenzweig, Schuldrecht 294 f; 5 Ob 566/80; 6 Ob 813,814/80 ua). Bei der Bestimmung des jeweils nach Auffassung des Verkehrs als erforderlich zu erachtenden Maßes der Sorgfalt ist also die konkrete Situation zu berücksichtigen (vgl. auch Larenz; Schuldrecht, I12, 233; 6 Ob 813,814/80 ua). Die zur Bejahung der Fahrlässigkeit notwendige Voraussehbarkeit muß sich im Falle einer Körperverletzung nur darauf erstrecken, daß der (schließlich) Verletzte irgendwie körperlich zu Schaden kommen könnte, aber nicht darauf, daß er in dem dann verwirklichten Ablauf verletzt werde (Staudinger, Komm. BGB10/11, II, 5.Teil S.3067, Randnummer 430 zu § 823; RG 148, 165; VersR 1967, 393; 6 Ob 813,814/80 ua). Welche Voraussetzungen für die Annahme eines wenigstens leichten Verschuldens gefordert werden, ergibt sich aus § 1294 ABGB. Es muß zumindest ein Versehen vorliegen, das auf schuldhafter Unwissenheit oder einem Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit oder des gehörigen Fleißes beruht (SZ 48/42 ua). Fahrlässigkeit liegt also vor, wenn die objektiv gebotene Sorgfalt aus subjektiv zu vertretenden Gründen nicht eingehalten wird, dh demjenigen, dem die Sorgfaltsverletzung unterläuft, diese subjektiv vorwerfbar ist (Reischauer in Rummel, Rdz 21 zu § 1294). Zur Abwendung des Schadens müssen zwar alle, aber auch nur jene Vorkehrungen getroffen werden, die vernünftigerweise nach der Lage der Umstände und der Auffassung des Verkehrs vom Schädiger zu erwarten sind (SZ 30/22; SZ 36/103 ua). Fahrlässigkeit ist also zu verneinen, wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintrittes eines rechtswidrigen Erfolges so gering war, daß sie auch einen pflichtgemäß Handelnden nicht von der Handlung abgehalten oder zu größerer Vorsicht veranlaßt hätte. Sie liegt nur vor, wenn der den Schaden Verursachende bei der nach objektivem Maßstab zu beurteilenden gehörigen Sorgfalt mit der Möglichkeit des Eintrittes jener Schadensfolgen hätte rechnen müssen, mit der er selbst nicht rechnete (vgl. Koziol-Welser, Grundriß3 I 296, 297; SZ 48/42 ua). Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall ist den Vorinstanzen zuzustimmen, daß dem Beklagten eine die Haftung für die Verletzungen des Klägers begründende Fahrlässigkeit im dargestellten Sinn nicht anzulasten ist: Nach den getroffenen Feststellungen bewegten sich der Kläger und der Beklagte "in lockerer Gangart treppenabwärts". Ihr Schuhwerk entsprach den Gegebenheiten; die Stiege war trocken; es lagen keine Umstände vor, die eine besondere Aufmerksamkeit erfordert hätten. Die konkrete Situation war so, daß keiner der beiden auch nur mit der entfernten Möglichkeit einer Schädigung des anderen rechnen mußte. Das gemeinsame Gehen einer bestimmten Wegstrecke ist eine allgemein übliche Verhaltensweise von Menschen, die keine besondere Aufmerksamkeit erfordert oder in Anspruch nimmt. Eine solche käme erst zum Tragen, wenn vom Üblichen abweichende Umstände vorlägen.
Dies war aber hier nicht der Fall: Beide Männer waren durchaus geschickt (sie waren nach der unbestrittenen Aussage des Klägers gemeinsam unterwegs, um im Garten des Cafe Graf am Stadtplatz Tischtennis zu spielen (AS 54)), es waren keine anderen Leute auf der Stiege, diese war trocken und ohne irgendwelche auffällige Unebenheiten; daß der Beklagte dennoch plötzlich mit dem Fuß "umkippte", lag demnach außerhalb des nach Lage der Umstände zu erwartenden Geschehens und war für diesen selbst genauso überraschend - demnach unter Anwendung der Auffassung des Verkehrs nicht vorhersehbar - wie für den ihn begleitenden Kläger. Damit fehlt es aber zur Inanspruchnahme des Beklagten für die Unfallsfolgen des Klägers an einem Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB, weshalb die Vorinstanzen mit Recht das Schadenersatzbegehren des Klägers abwiesen. Seiner Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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