OGH 2Ob602/93

OGH2Ob602/9327.1.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Markus S***** Landesjugendheim ***** bei Linz, gemäß § 176 a ABGB in Obsorge der Bezirkshauptmannschaft G***** als Jugendwohlfahrtsträger infolge Rekurses des Landes O*****, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft G***** gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels vom 10.November 1993, GZ R 1017/93-141, mit welchem der Beschluß des Bezirksgerichtes Peuerbach vom 11.Oktober 1993, GZ P 54/89-137, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben und die Entscheidung dahin abgeändert, daß sie zu lauten hat:

"Die Obsorge für den mj. Markus S*****, wird im Teilbereich der Pflege und der Erziehung dem Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Abteilung Jugendwohlfahrt, übertragen.

Text

Begründung

Der ***** 1978 geborene Markus S***** ist das uneheliche Kind der Heidemarie S***** und des Gottfried R*****. Er befand sich bis zum 20. März 1980 bei seiner Mutter, danach bis Herbst 1987 bei Pflegeeltern. Nach Aufenthalten in verschiedenen Kinderheimen wohnte er in der Zeit vom 11.Mai 1988 bis 9.Juli 1993 im Jugendheim G*****, danach bei seinem Vater.

Mit Beschluß vom 27.November 1989 wurde der Bezirkshauptmannschaft G***** als Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge gemäß § 176 a ABGB übertragen.

Seit dem 24.September 1993 befindet sich der Minderjährige im Landesjugendheim W*****.

Am 27.September 1993 beantragte die Bezirkshauptmannschaft G***** als Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge über den Minderjährigen im Teilbereich der Pflege und Erziehung dem Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Abteilung Jugendwohlfahrt zu übertragen. Der Minderjährige habe in letzter Zeit mehrere strafbare Handlungen begangen und bedürfe im Hinblick auf dieses auffällige Verhalten einer besonders intensiven Betreuung durch das spezialisierte Fachpersonal der Abteilung Jugendwohlfahrt des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung.

Das Erstgericht wies diesen Antrag mit der Begründung ab, ein Jugendwohlfahrtsträger, dem die Obsorge gemäß § 176 a ABGB übertragen worden sei, könne die Ausübung auch Dritten, etwa Pflegeeltern oder Heimleitern übertragen.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es teilte die Rechtsmeinung, daß der Jugendwohlfahrtsträger die Obsorge Dritten, worunter auch andere geeignete Institutionen zu verstehen seien, ohne Befassung der Gerichte überlassen könne. Da die dem Minderjährigen bereits gewährte volle Erziehung nur qualitativ verbessert werden solle und der Jugendwohlfahrtsträger an deren Anordnung nicht gehindert sei, sei eine Übertragung der Obsorge an das Land Oberösterreich nicht nowendig.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zum Verhältnis der Bestimmung des § 176 a letzter Satz ABGB zu den §§ 4, 40 OÖJWG nicht vorliege.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen mit dem Antrag, der Oberösterreichischen Landesregierung im Teilbereich der Pflege und Erziehung die Obsorge für den Minderjährigen zu übertragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist berechtigt.

Nach § 176 a ABGB kann das Gericht die Obsorge für ein Kind dem Jugendwohlfahrtsträger ganz oder teilweise übertragen, wenn das Wohl des Kindes gefährdet und deshalb die gänzliche Entfernung aus seiner bisherigen Umgebung notwendig ist, sowie eine Unterbringungsmöglichkeit bei Verwandten oder anderen geeigneten nahestehenden Personen nicht besteht. Der Jugendwohlfahrtsträger darf die Ausübung der Obsorge Dritten übertragen.

Was unter dem Begriff "Jugendwohlfahrtsträger" zu verstehen ist, wird im ABGB nicht näher ausgeführt. Das Jugendwohlfahrtsgesetz 1989 bestimmt in § 4 Abs 1 als Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt das jeweilige Land. Nach Abs 2 dieser Bestimmung hat die Landesgesetzgebung festzulegen, welche konkrete Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen haben. Die Anknüpfung "Jugendwohlfahrtsträger" ist nämlich nur eine allgemeine, während die Konkretisierung durch die Bestimmung der berufenen Organisationseinheit (des berufenen Organs) der Landesgesetzgebung vorbehalten ist (Ent-Frischengruber, Jugendwohlfahrtsrecht 1992, 9).

Nach § 4 OÖJWG 1991 (OÖLGBl 1991/111) werden die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt von der Landesregierung, von den Bezirksverwaltungsbehörden und von den Sozialhilfeverbänden der Städte mit eigenem Statut bzw des Landes besorgt.

Abs 3 dieser Bestimmung normiert ausdrücklich die Landesregierung als Jugendwohlfahrtsträger im Sinne des § 176 und des § 176 a ABGB, sofern diese gemäß § 40 Abs 2 leg. cit zur Durchführung einer Maßnahme der vollen Erziehung zuständig ist, und zwar insoweit, als es sich um die Übertragung der Pflege und Erziehung (= teilweise Übertragung der Obsorge) handelt sowie um gesetzliche Vertretung des Minderjährigen bei Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen, die ein Dienst-, Lehr- oder Ausbildungsverhältnis betreffen.

§ 40 leg. cit behält der Landesregierung die Durchführung der vollen Erziehung durch Unterbringung in einem Heim, einer Wohngemeinschaft oder einer sonstigen Einrichtung vor, wenn es sich um einen Minderjährigen handelt, der auf Grund seines Sozialverhaltens einer besonders intensiven sozialpädagogischen Betreuung bedarf und das elfte Lebensjahr vollendet hat.

Daraus folgt, daß die Oberösterreichische Landesregierung unter den in der letzten Bestimmung genannten Voraussetzungen als Jugendwohlfahrtsträger anzusehen ist und daher dieser die Obsorge im Teilbereich Pflege und Erziehung für den Minderjährigen zukommt. Die Antragstellerin hat auch das Vorliegen dieser Voraussetzungen im Hinblick auf das auffällige Verhalten des Minderjährigen behauptet.

Bei von der Landesregierung durchzuführenden Erziehungsmaßnahmen handelt es sich daher nicht um die - im Sinne des § 176 a ABGB letzter Satz zulässige - Übertragung der Obsorge an Dritte, sondern um die Wahrnehmung der in § 4 OÖJWG normierten Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers zur Obsorge für den Minderjährigen.

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben und spruchgemäß zu entscheiden.

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