Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.471,92 (darin S 2.245,32 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 19.Oktober 1991 wurde der damals 27-jährige Kläger bei einem Verkehrsunfall in Regau als Beifahrer des vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen PKWs schwerst verletzt. Die zweitbeklagte Partei war im Unfallszeitpunkt Haftpflichtversicherer dieses PKWs. Der Kläger, der aus dem PKW geschleudert wurde, erlitt einen Verrenkungsbruch der Halswirbelsäule zwischen dem vierten und fünften Wirbel, sowie einen Bruch des linken Schulterblattes. Noch am Unfallstage erfolgte eine Operation der Halswirbelsäule. Der zertrümmerte vierte Wirbel wurde entfernt und durch einen aus dem Beckenkamm entnommenen Knochenteil ersetzt. Die Beatmung erfolgte über eine Kanüle, da die natürliche Atmung durch eine Teillähmung im Zwerchfellbereich nicht ausreichend möglich war. Diese künstliche Beatmung mußte durch einen Luftröhrenschnitt ergänzt werden. Die Kanüle konnte erst am 27.11.1992 entfernt werden. Der Kläger wurde bis 15.1.1992 im Landeskrankenhaus Vöcklabruck behandelt, anschließend wurde er in das Rehabilitationszentrum Weißer Hof bei Klosterneuburg verlegt, wo er bis Oktober 1992 war. Bereits im Landeskrankenhaus Vöcklabruck traten ein schwerer Harnweginfekt, eine schwere Entzündung des Darmes und eine Lungenentzündung auf. Durch das Liegen traten weiters Druckgeschwüre im Bereich beider Steißbeinknochen und im Bereich der beiden großen Rollhöcker auf. Im Rehabilitationszentrum wurde mit der Mobilisation (Stehübungen, Training auf der Matratze und am Rollstuhl) begonnen. Ende August 1992 wurde die volle Rollstuhlfähigkeit erreicht. Die Lähmung hatte sich zu dieser Zeit etwa auf den siebenten Brustwirbel zurückgebildet, die motorische Lähmung besteht weiterhin. Ab Verlegung ins Rehabilitationszentrum traten keine zusätzlichen Komplikationen beim Kläger auf. Bei ihm besteht als Dauerfolge, für welche keine Besserung zu erwarten ist, eine komplette motorische Querschnittlähmung unterhalb des sechsten Halswirbels. Der linke Bicepsmuskel ist gut funktionsfähig. Der Kläger kann damit den linken Ellbogen beugen. Weitere Körperfunktionen unterhalb des sechsten Halswirbels sind nicht kontrollierbar gegeben. Harn und Stuhl sind nicht beeinflußbar. Die Funktion des Körpers ist auf das Beugen des linken Armes und das Heben beider Schultern beschränkt. Mit geeignetem Werkzeug kann sich der Kläger selbst Essen zuführen. Eine kontrollierte Beweglichkeit der Finger beider Arme ist nicht möglich. Ein selbständiges Ein- und Aussteigen in den (aus dem) Rollstuhl ist nicht möglich. Eine volle Rollstuhlfähigkeit könnte mit Mundblasrohr-Steuerung erreicht werden. In der Folge können beim Kläger Druckgeschwüre und Harnweginfekte auftreten. Die letzteren können ein lebensbedrohliches Ausmaß annehmen und sind statistisch eine häufige Todesursache bei Querschnittlähmungen. Blaseninfektionen und infektiöse Entzündungen, die immer wieder auftreten können, bildeten früher die häufigste Todesursache bei Querschnittgelähmten, sie sind nunmehr aber bereits beherrschbar. Eine häufige Todesursache bei solchen Verletzungsfolgen ist der Selbstmord. Statistisch ist eine Lebenserwartung ähnlich einem unverletzten Menschen im Bereich von 60 - 70 Jahren beim Kläger möglich. Die Lähmung des Nervensystems bedingt eine Schmerzunempfindlichkeit gegenüber rein körperlichen Schmerzen, eine Schmerzempfindung ist ab etwa dem Brustwarzenbereich nach oben möglich. Die Rehabilitation ist noch nicht gänzlich abgeschlossen. Es ist möglich, daß der Kläger etwa noch lernt, selbst zu essen, zu trinken, zu rauchen und allenfalls einen Rollstuhl mit einem Mundblasrohr zu lenken. Der Kläger wird ständig nahezu bewegungsunfähig bleiben und andauernd auf eine Hilfsperson angewiesen sein.
Der Kläger begehrt unter anderem Schmerzengeld von S 1,500.000,-- wovon im Revisionsstadium noch ein ein Betrag von S 300.000,-- strittig ist.
Die beklagten Parteien begehren die Abweisung dieses Teils der Klagsforderung.
Das Erstgericht sprach ua dem Kläger den begehrten Schmerzengeldbetrag zu und ging dabei noch von folgenden Feststellungen und Erwägungen aus: Der lebensbedrohliche Zustand des Klägers vom Unfall bis Ende November 1992, dem Wiedereinsetzen der natürlichen Atmung, sei starken Schmerzen gleichzusetzen. Die künftigen psychischen Schmerzen des Klägers seien nicht exakt feststellbar, jedoch als lebenslang andauerndes Gefühl absoluter Hilflosigkeit und Einsamkeit, sohin Ausgeschlossenheit von der menschlichen Gesellschaft festzustellen. Die psychischen Schmerzen würden zumindest als lebenslang mittelstarke bis starke Schmerzen festgestellt, die auch etwa weitere 45 Jahre andauern, aber auch ein solches Ausmaß annehmen könnten, welches einer Selbstmordgefahr gleichzusetzen sei. Im vorliegenden Fall sei dem Kläger jedenfalls das begehrte Schmerzengeld von S 1,500.000,-- zuzuerkennen, welches ihn in die Lage versetzen solle, sich für seine weitere Lebenserwartung von rund 40 Jahren als Ausgleich für die Leiden und statt der ihm entzogenen Lebensfreude auf gewisse andere Weise Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte den Schmerzengeldzuspruch und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sei einerseits auf die Umstände des Einzelfalles, nämlich Art und Schwere der Körperverletzung, Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes und die damit verbundenen Unlustgefühle, abzustellen, andererseits sei aber zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung auch ein objektiver Maßstab anzulegen. Die Annahme einer starren Obergrenze für Schmerzengeldbegehren finde im Gesetz keine Deckung, würde auch den Umständen des Einzelfalles nicht immer gerecht. In jüngerer Zeit habe der Oberste Gerichtshof in verschiedenen Fällen Schmerzengeldbeträge in der Höhe von S 1,000.000,--, S 1,200.000,-- und S 1,300.000, zuletzt in 2 Ob 66/92 von S 1,500.000,-- zugesprochen. Sei auch der Sachverhalt dieser Entscheidungen zum vorliegenden Fall unterschiedlich, so rechtfertige doch die Gesamtbeurteilung der vom Kläger erlittenen Verletzungen auch im Zusammenhang mit dem Umstand, daß der Kläger geistig nicht beeinträchtigt ist, den Zuspruch des von ihm begehrten Schmerzengeldbetrages. In einem Fall wie dem vorliegenden komme der Ausgleichsfunktion des Schmerzengeldes erhöhte Bedeutung zu: der Verletzte sollte sich in die Lage versetzen können, sich als Ausgleich für die Leiden statt der ihm entgangenen Lebensfreude auf andere Weise Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu schaffen.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil der zweiten Instanz erhobene Revision der beklagten Parteien ist nicht berechtigt.
Bei der Bemessung des Schmerzengeldes sind nach ständiger Rechtsprechung (ZVR 1992/99 uva) Art und Schwere der Körperverletzung(en), Art, Intensität und Dauer der Schmerzen sowie die Dauer der Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes des Verletzten überhaupt und die damit verbundenen Unlustgefühle zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, andererseits aber zur Vermeidung von Ungleichmäßigkeiten in der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab anzulegen, damit der für Einzelfälle aufgestellte Bemessungsrahmen nicht gesprengt wird (vgl ZVR 1992/99; 2 Ob 60/92 uam). Jedenfalls ist das Schmerzengeld nach dem Gesamtbild des durch die Verletzungen gestörten (zerstörten) körperlichen und seelischen Zustandes des Verletzten auszumessen. In der jüngeren Rechtsprechung wurden - worauf die Vorinstanz zutreffend verweist - Schmerzengeldbeträge bis zu S 1,500.000,-- auch dann zugesprochen, wenn die Fähigkeit des Verletzten, Schmerzen zu empfinden oder den Verlust von Lebenswerten einzuschätzen, durch die Verletzungsfolgen selbst beseitigt wurde. Es kann nun aber grundsätzlich keine andere Beurteilung bewirken, wenn der von einer bleibenden Querschnittlähmung mit den hier festgestellten lebenslangen Beeinträchtigungen betroffene Kläger zwar manche körperliche Schmerzen wegen der Lähmungswirkungen nicht verspürt, aber bei praktisch voller geistiger Frische den Verlust seiner durch 27 Jahre besessenen Mobilität und die auf Lebensdauer wirkenden Beeinträchtigungen erkennen kann und seelisch verarbeiten muß. Dem Kläger wird seine verletzungsbedingte schwerste Beeinträchtigung immer wieder vor Augen geführt werden und dadurch bewußt sein, daß er diesen Zustand während seines gesamten weiteren Lebens nicht mehr ändern und ohne fremde Hilfe nicht einmal existieren kann. Diese schon vom Erstrichter dargestellten und in ihren Wirkungen auch von der zweiten Instanz zutreffend beurteilte schwerstgradige körperliche und seelische Beeinträchtigung des Klägers rechtfertigt den von den Vorinstanzen zugesprochenen Schmerzengeldbetrag von S 1,500.000,--.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.
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