OGH 2Ob574/89

OGH2Ob574/8930.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Warta als Richter in der Sachwalterschaftssache betreffend Stefanie H***, geboren am 11.Dezember 1932, Dankholz 8, 3623 Kottes, infolge Amtsrekurses des Erstrichters gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Krems an der Donau als Rekursgericht vom 31. Mai 1989, GZ R 397/88-30, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Ottenschlag vom 12. September 1988, GZ SW 4/88-19, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß, der in seinem Punkt 1) als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleibt, wird in seinem Punkt 2) aufgehoben. Dem Rekursgericht wird in diesem Umfang die neuerliche Entscheidung über den Rekurs der Betroffenen aufgetragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht bestellte für die Betroffene gemäß § 273 Abs. 3 Z 2 ABGB einen Sachwalter zur Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten im wesentlichen mit der Begründung, daß die Betroffene psychisch krank sei. Das durch ihre psychische Krankheit bedingte Verhalten, nämlich die ständige Führung von Rechtsstreitigkeiten gegen Nachbarn ohne Rücksicht auf ihre Erfolgsaussichten, habe durch die damit verbundenen Kosten bereits zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer finanziellen Existenz geführt und drohe sich weiter auszuweiten. Die Betroffene sei somit nicht in der Lage, ihre rechtlichen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen.

Dem gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Rekurs der Betroffenen gab das Rekursgericht mit dem Punkt 2) (Punkt 1 der Entscheidung des Rekursgerichts betrifft einen anderen Gegenstand und blieb unangefochten) seines nunmehr angefochtenen Beschlusses Folge; es änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, daß es das Verfahren einstellte.

Das Rekursgericht stellte nach Neudurchführung des Verfahrens (§ 250 Abs. 1 AußStrG) im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die am 11. Dezember 1932 geborene Betroffene ist Landwirtin und betrieb mit ihrem im November 1987 verstorbenen Ehegatten eine Landwirtschaft in der Größe von ca. 13 ha. Sie hat einen 25 Jahre alten Sohn. Sie ist in Dankholz geboren und aufgewachsen. Die Ehe ihrer Eltern wurde geschieden, als sie noch ein Kind war. Dankholz ist ein abgelegenes Dorf mit 23 Häusern. Die Ortsbewohner sind untereinander seit Jahren zerstritten. Die Liegenschaften, die im Miteigentum der Betroffenen stehen, sind mit Pfandrechten in der Höhe von rund 1,000.000 S belastet. Ein Teil dieser Schulden ist durch Prozeßführung entstanden; ein anderer Teil stammt bereits aus der Zeit, ehe die Betroffene einen Miteigentumsanteil an diesen Liegenschaften übernommen hat; ein weiterer Teil ist durch den Ankauf neuer Maschinen und durch Bautätigkeit entstanden. Außerdem war die Mutter der Betroffenen in der Zeit von 1960 bis zu ihrem Tod im Jahr 1987 ausgedingsberechtigt. Die Betroffene wurde bereits mehrmals psychiatrisch untersucht. Der Sachverständige Prof.Dr.K*** kam im Verfahren 16 E Vr 576/78 des Kreisgerichtes Krems an der Donau im Jahr 1979 zu dem Gutachten, daß sie strafrechtlich zurechnungsfähig sei. Der Sachverständige Dr. P*** stellte am 27. Februar 1985 im Verfahren SW 107/84 des Erstgerichts fest, daß bei der Betroffenen ein Querulantentum, aber kein Querulantenwahn vorliege. Im Zug eines Anhalteverfahrens im Juli 1987 wurde im Krankenhaus Mauer bei Amstetten festgestellt, daß bei der Betroffenen keine Geisteskrankheit oder Geistesschwäche vorliege. Der Sachverständige Prof.Dr.K*** stellte im Zusammenhang mit dem Tod des Ehegatten der Betroffenen im Verfahren 9 b E Hv 115/87 des Kreisgerichtes Krems an der Donau im Jahr 1987 fest, daß bei der Betroffenen ein psychischer Ausnahmezustand vorliege.

Die Betroffene ist persönlich, zeitlich und örtlich voll orientiert, bei klarem Bewußtsein, in der Stimmungslage zunächst indifferent, im Rahmen der Exploration jedoch wechselnd depressiv bis weinerlich, hat aber keine formalen und keine inhaltlichen Denkstörungen. Es finden sich bei ihr paranoide Ideen, die sie systemisiert auf die Nachbarschaft bezieht. Sie ist auch in gewisser Weise unkorrigierbar; diese Unkorrigierbarkeit bezieht sich einzig und allein auf dieses System. Bedeutungserlebnisse sind nicht feststellbar; die Betroffene ist überstiegsfähig. Es bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines krankhaften psychotischen Geschehens im Sinne eines Querulantenwahns. Es liegt eine paranoide Reaktion bei einer eher primitiv strukturierten Persönlichkeit vor, die mit einer Verminderung der Kritikfähigkeit einhergeht. Diese Reaktionsbereitschaft wird auch seitens der Umgebung gesteuert. Es ist nicht zu erwarten, daß sich dies ändert. Es ist damit zu rechnen, daß der psychische Zustand der Betroffenen weiter fixiert werden wird.

Die Betroffene war allein in keinem Zivilverfahren Partei, sondern mit Ausnahme des Verfahrens C 51/87 des Erstgerichts, wo sie zusammen mit ihrem Sohn geklagt wurde, immer zusammen mit ihrem Ehegatten. Lediglich die Verfahren C 53/82 , C 9/85 und C 10/85 des Erstgerichts und 4 Cg 264/78 des Kreisgerichtes Krems an der Donau waren Aktivprozesse, in denen die Betroffene als Klägerin auftrat. In allen diesen Prozessen wurde das Klagebegehren abgewiesen. Abgesehen von den eigenen Kosten der klagenden Parteien entstanden dadurch rund 53.000 S an Kosten. In allen anderen Prozessen, in denen die Betroffene zumindest Mitbeklagte war, war der Prozeßerfolg wechselnd, soweit die Rechtsstreite abgeschlossen wurden. Abgesehen von eigenen Kosten entstanden den beklagten Parteien, somit der Betroffenen, Kosten im Umfang von rund 30.000 S. Seit dem Tod des Ehegatten der Betroffenen im Jahr 1987 ist die Betroffene in keinen Zivilrechtsstreit verwickelt worden. Auch sie selbst hat seither keine Klage anhängig gemacht.

Rechtlich beurteilte das Rekursgericht diesen Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Betroffene durchaus in der Lage erscheine, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Es könne auch nicht gesagt werden, daß sie zu ihrem wirtschaftlichen Nachteil von vornherein aussichtslose Prozesse geführt und sich dadurch finanzielle Nachteile zugefügt habe. Gemäß § 243 AußStrG sei daher das Verfahren einzustellen. Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Amtsrekurs des Erstrichters mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erfstgerichts abzuändern; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Dieser Amtsrekurs ist zulässig (siehe dazu SZ 58/61 mwN) und auch im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt. Gemäß § 273 Abs. 1 ABGB setzt die Bestellung eines Sachwalters voraus, daß der Betroffene an einer psychischen Krankheit leidet oder geistig behindert ist und infolge dieser Beeinträchtigungen alle oder einzelne seiner Angelegenheiten nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen vermag. Die in dieser Gesetzesstelle verwendeten Begriffe der psychischen Krankheit und der geistigen Behinderung sind Rechtsbegriffe, die nicht unbedingt mit medizinischen Definitionen übereinstimmen müssen. Sie umfassen jede geistige Störung, die die gehörige Besorgung der eigenen Angelegenheiten hindert und bewirken kein verschiedenes Maß der Schutzwürdigkeit des Betroffenen (siehe dazu Maurer, Sachwalterrecht 52 f).

Aus diesem Gesichtspunkt kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die geistige Beeinträchtigung der Betroffenen aus medizinischer Sicht als "Querulantenwahn" oder als "Querulantentum" bezeichnet wird; entscheidend ist, ob bei ihr eine geistige Beeinträchtigung von solcher Art vorliegt, daß sie infolge dieser Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen (vgl. Maurer aaO 57 f).

Im vorliegenden Fall steht nur die Fähigkeit der Betroffenen zur Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten in Frage, also die Vertretung ihrer Interessen vor Gerichten und anderen Behörden, womit sie, wie die Vielzahl der vorliegenden Akten beweist, nicht nur in der Vergangenheit in äußerst weitgehendem Umfang befaßt war; wie sich aus den unbedenklichen Wahrnehmungen des Erstrichters ergibt, hat sich darin auch nach Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens keine wesentliche Änderung ergeben. Daß der Betroffenen ein erheblicher Nachteil vor allem durch entstehende Vertretungs- und Verfahrenskosten droht, wenn sie zufolge einer bei ihr bestehenden geistigen Beeinträchtigung nicht in der Lage ist, die Voraussetzungen, die Tragweite und die Erfolgsaussichten ihrer diesbezüglichen Tätigkeiten selbst zu beurteilen bzw. sich die dazu nötige Hilfe zu verschaffen (§ 273 Abs. 2 ABGB), bedarf keiner weiteren Begründung.

Nun finden sich nach den Feststellungen des Rekursgerichts bei der Betroffenen systemisierte auf die Nachbarschaft bezügliche unkorrigierbare paranoide Ideen. Mögen diese auch nicht die medizinische Diagnose einer bei der Betroffenen vorliegenden Geisteskrankheit im Sinne eines Querulantenwahns ermöglichen, so ist damit aber noch nicht gesagt, daß diese geistige Beeinträchtigung nicht zu einer schwerwiegenden Gefährdung der Betroffenen bei der Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten im dargestellten Sinn führt. So hat etwa der vom Rekursgericht beigezogene Sachverständige Prim.Dr.M*** ausdrücklich ausgeführt, daß die bei der Betroffenen bestehende Verminderung ihrer Kritikfähigkeit zusammen mit ihrer paranoiden Reaktionsbereitschaft und ihrer zumindest zeitweise bestehenden depressiven Verstimmung zweifelsohne dazu führen kann, daß die Betroffene nicht in der Lage ist, ständig so zu handeln, daß ihr daraus kein Schaden entsteht (ON 27 S 136). Das Rekursgericht hat dazu nicht Stellung genommen.

Unter diesen Umständen ist die Sache auf Grund der vom Rekursgericht getroffenen Feststellungen noch nicht spruchreif. Das Rekursgericht wird vielmehr nach Ergänzung des Verfahrens (zweckmäßigerweise durch neuerliche Anhörung des von ihm beigezogenen Sachverständigen) die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben, aus denen sich im Sinne obiger Rechtsausführungen ergibt, ob die bei der Betroffenen bestehende geistige Beeinträchtigung sie außerstande setzt, die Voraussetzungen, die Tragweite und die Erfolgsaussichten von ihr in Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten unternommener Schritte objektiv zu beurteilen bzw. sich die dafür notwendige Hilfe anderer geeigneter Personen zu verschaffen und deren Urteil bei ihrer eigenen Tätigkeit zu berücksichtigen. Erst dann wird darüber abgesprochen werden können, ob die im § 273 ABGB normierten Voraussetzungen für die Bestellung eines Sachwalters für die Betroffene zur Besorgung ihrer rechtlichen Angelegenheiten vorliegen. Dabei wäre der Umfang dieser rechtlichen Angelegenheiten entsprechend dem Ausmaß einer allfälligen Behinderung der Betroffenen einzugrenzen.

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