OGH 2Ob571/91

OGH2Ob571/9127.11.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Zehetner und Dr. Schinko als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ludwig H*****, vertreten durch Dr. Herbert Gartner, Dr. Thomas Furherr, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei mj. Richard H*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie *****, dieses vertreten durch Dr. Werner Masser, Dr. Ernst Grossmann, Dr. Eduard Klingsbigl und Dr. Robert Lirsch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Bestreitung der Ehelichkeit infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 20.Juni 1991, GZ 47 R 2030/91-41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 30.November 1990, GZ 3 C 52/90-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger behauptet in einem als "Klage auf Aberkennung der ehelichen Geburt" am 19.2.1990 bei Gericht eingebrachten Schriftsatz, nicht der Vater des am 30.5.1982 geborenen Minderjährigen Richard H***** zu sein. Am 28.2.1990 gab er in Ergänzung seiner Ausführungen zu gerichtlichem Protokoll, daß die von ihm geschiedene Mutter des beklagten Kindes im September 1989 ihm, seiner Mutter und weiteren Personen gegenüber einen gewissen "Robert" als Vater des Kindes bezeichnet habe.

Das beklagte Kind beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete insbesondere ein, daß der Kläger die Jahresfrist zur Erhebung der Ehelichkeitsbestreitungsklage versäumt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Feststellung, daß der Beklagte kein eheliches Kind des Klägers sei, ab. Es stellte fest, daß die Mutter in der kritischen Zeit sowohl mit dem Kläger als auch mit einem gewissen Robert R***** Geschlechtsverkehr hatte, sodaß als Erzeuger des Kindes sowohl der Kläger als auch Robert R***** in Betracht kämen. Die Mutter wisse selbst nicht sicher, welcher von beiden der Vater des Kindes sei. Der Kläger habe noch während der Schwangerschaft der Mutter mehrfache und ernstliche Hinweise darüber erhalten, daß das Kind unter Umständen von einem anderen Mann gezeugt wurde. Es seien ihm auch der Name dieses Mannes und der Mann selbst bekannt gewesen. Im Herbst 1989 sei dem Kläger eine Äußerung der Mutter des Kindes hinterbracht worden, der zufolge ihr es "wurscht sei, wer der Vater des Kindes wäre. Wenn der Kläger so blöd sei, zu zahlen, so solle er zahlen". Aus dieser Äußerung habe der Kläger nicht mehr an sachlicher Information erhalten, als er schon zur Zeit der Schwangerschaft wußte, daß nämlich nicht nur er sondern auch Robert R***** als Vater des Kindes in Frage komme. Der Kläger habe daher die Frist des § 156 ABGB zur Einbrigung der Ehelichkeitsbestreitungsklage versäumt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und ließ die ordentliche Revision zu. Es vertrat die Auffassung, daß die Jahresfrist des § 156 Abs 2 ABGB noch nicht abgelaufen sei, weil dem Kläger keine konkreten Umstände, die die Unehelichkeit des Kindes als höchstwahrscheinlich ansehen lassen, bekanntgeworden seien. Das Klagebegehren sei aber trotzdem abzuweisen, weil § 156 ABGB das Erlangen der Kenntnis von wesentlichen Umständen voraussetze, auf Grund derer der Ehemann schwerwiegende und begründete Zweifel an seiner Vaterschaft bekommt. Werden ihm keine derartigen Umstände bekannt, lägen überhaupt keine Voraussetzungen für die Einbringung einer Ehelichkeitsbestreitungsklage vor.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt. Dem Berufungsgericht ist zwar zuzustimmen, daß bloße Vermutungen, die auf unüberprüfbare Mitteilungen zurückgehen oder in zweifelhaften, einer verschiedenen Deutung zugänglichen Tatumständen ihre Begründung finden, nicht iS des § 156 Abs 1 ABGB als Kenntnis jener Umstände gelten können, die für die Unehelichkeit sprechen (RZ 1968, 52; JBl 1953, 322; SZ 27/196). Nur die Kenntnis genügend beweiskräftiger, für die Unehelichkeit des Kindes sprechender Umstände setzt die Bestreitungsfrist in Lauf (JBl 1960, 605). Wann dem Ehemann ernsthafte Bedenken gegen seine Vaterschaft gekommen sind, ist dagegen bedeutungslos (RZ 1967, 35; EvBl 1964/119; EvBl 1978/164; RZ 1990/84 S 202). Die Gewißheit, daß die Mutter innerhalb der kritischen Frist mit einem Dritten geschlechtlich verkehrt hat, begründet zwar Zweifel an der Vaterschaft des Ehemannes, mangels konkreter objektiver Umstände wird aber die Ehelichkeit des Kindes dadurch nicht in jedem Fall ernstlich in Frage gestellt. Wenn auch der Ehemann mit der Mutter innerhalb der kritischen Zeit geschlechtlich verkehrt hat, sprechen die Umstände ebenso für die Vaterschaft des Dritten wie für die Vaterschaft des Ehemannes (ÖAmtsVmd 1990, 51; RZ 1990/84 S 202).

Diese Grundsätze haben aber nur Bedeutung für die Beurteilung, ob die Frist zur Bestreitung der Ehelichkeit des Kindes iS des § 156 Abs 1 und 2 ABGB eingehalten wurde oder nicht. Sie bringen keinesfalls zum Ausdruck, daß die Ehelichkeitsbestreitungsklage nur von einer bisher als Vater festgestellten Person geltend gemacht werden dürfe, die Umstände von so großer Beweiskraft vorbringen kann, daß die Unehelichkeit des Kindes als höchstwahrscheinlich angesehen werden müßte. Aus dem Sachverhalt der bereits zitierten Entscheidungen EvBl 1978/164 und ÖAmtsVmd 1990, 51 geht eindeutig hervor, daß in ähnlich gelagerten Fällen wie hier - also bei Fehlen konkreter Umstände im dargelegten Sinn - die Vorinstanzen mit Recht die in der Ehelichkeitsbestreitungsklage angebotenen Beweise aufgenommen haben oder vom Revisionsgericht dazu verhalten wurden. Wäre die Auffassung des Berufungsgerichtes richtig, hätten diese Entscheidungen das Klagebegehren "mangels Ingangsetzen der Bestreitungsfrist des § 156 ABGB" (Berufungsurteil S 6) abweisen müssen. Für eine solche Auslegung des § 156 Abs 1 und 2 ABGB fehlt es aber an jeglicher Sinnfälligkeit, da oft gerade erst das vom Untersuchungsgrundsatz beherrschte Abstammungsverfahren (siehe § 6 Abs 1 Z 1 FamRAnglV) den vom Kläger angestrebten Beweis der Unehelichkeit des Kindes erbringen wird. Es kann daher keine Rede davon sein, daß der Kläger das vorliegende Bestreitungsverfahren verfrüht angestrengt hätte.

Die dargelegten Grundsätze haben zur Folge, daß sowohl die Entscheidung des Berufungsgerichtes als auch jene des Erstgerichtes aufzuheben waren. Das Erstgericht wird die angebotenen Beweise aufzunehmen und insbesondere das beantragte Gutachten eines Sachverständigen einzuholen haben. Das auf der Grundlage der FamRAnglV durchzuführende Verfahren wird abschließend zu klären haben, ob der Beweis der Unwahrscheinlichkeit der Vaterschaft - daher der Zeugung, nicht bloß der Beiwohnung - erbracht werden kann, der unter Würdigung aller Umstände gegen die Annahme spricht, daß der Ehemann der Mutter das Kind gezeugt hat (Pichler in Rummel, ABGB2, Rz 1 zu §§ 156 bis 159).

Der Revision war somit Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Der Kostenausspruch beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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