Spruch:
Der Bestandgeber muß Schadenersatzansprüche seines Bestandnehmers gegen Dritte, deren Durchsetzbarkeit fraglich ist, nur dann geltend machen, wenn ihn der Bestandnehmer dazu auffordert und für die Prozeßkosten Sicherheit leistet. Der Bestandnehmer kann statt dessen auch die Abtretung derartiger Ansprüche verlangen
OGH 25. 10. 1983, 2 Ob 563/83 (OLG Linz 5 R 51/83; KG Wels 6a Cg 345/79)
Text
Die Klägerin war Mieterin eines im Haus der Beklagten in F befindlichen Geschäftslokales. Im Auftrag der S GesmbH, die Eigentümerin der Nachbarliegenschaft ist, hob ein Baumeister auf der Nachbarliegenschaft eine Baugrube aus. Weil der Baumeister nicht die nötigen Sicherungsmaßnahmen vornahm, stürzte am 7. 9. 1977 der Teil des Hauses der Beklagten ein, in welchem sich das Geschäftslokal der Klägerin befand.
Im Verfahren 4 Cg 127/79 (4 Cg 103/78) des Erstgerichtes begehrte die Klägerin vom Baumeister Schadenersatz, ua. den Verdienstentgang, den sie dadurch erlitt, daß das Bestandobjekt zerstört wurde und sie ihr Geschäft daher nicht weiter betreiben konnte. Mit Beschluß vom 11. 1. 1979, 7 Ob 779/78, sprach der OGH in diesem Verfahren aus, die Klägerin könne als Mieterin keinen Ausgleichsanspruch nach den §§ 364 ff. ABGB erheben, wohl aber einen Schadenersatzanspruch. Einen Verdienstentgang könne die Klägerin aber insoweit vom Baumeister nicht begehren, als er aus der Nichteinhaltung des Mietvertrages durch den Vermieter entstanden sei, also jenen Verdienstentgang, der auf die Stillegung des Geschäftes zurückgeführt werden könne. Diesbezüglich handle es sich ausschließlich um Ansprüche auf Grund einer Nichterfüllung des Vertrages, die mittelbare Schäden darstellten, bezüglich derer kein Rechtswidrigkeitszusammenhang mit der behaupteten rechtswidrigen Schädigung des Baumeisters bestehen könne.
Mit der nunmehr vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von den Beklagten mit der Begründung, sie wären verpflichtet gewesen, die Ansprüche der Klägerin vom Grundnachbarn einbringlich zu machen, zur ungeteilten Hand Verdienstentgang und "fixe Auslagen" im Betrag von insgesamt 202 493.88 S sA. Außerdem begehrte sie die Feststellung, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin für alle künftigen Schäden, die diese aus Anlaß des Einsturzes des Hauses in F erleide, vollen Ersatz zu leisten. Später brachte sie ergänzend vor, sie stütze ihren Anspruch nicht auf Schadenersatz, sondern auf den Schutz des Bestandnehmers durch den Bestandgeber im nachbarlichen Ausgleichsrecht; die Bestandgeber seien bei sonstigem Schadenersatz verpflichtet, Ausgleichsansprüche des Bestandnehmers im eigenen Namen nach den Bestimmungen des § 364b ABGB geltend zu machen. Die Klägerin habe die Beklagten vor Klagseinbringung aufgefordert, ihre Ansprüche geltend zu machen, die Beklagten hätten dies jedoch nicht getan. In einem späteren Schriftsatz führte die Klägerin aus, sie stütze ihr Begehren vorsichtsweise auch auf Schadenersatz. Gleichzeitig stellte sie drei Eventualbegehren, und zwar 1. daß die Beklagten je zur Hälfte den Klagsbetrag zu ersetzen haben und ihre Haftung für künftige Schäden je zur Hälfte festgestellt werde, 2. daß die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, den Klagsbetrag bei der S GesmbH & Co. KG und bzw. oder bei dem Baumeister geltend bzw. einbringlich zu machen, es werde festgestellt, daß die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig seien, alle künftigen Ansprüche bei der S GesmbH & Co. KG und bzw. oder beim Baumeister geltend bzw. einbringlich zu machen und 3. daß die Verpflichtung laut dem zweiten Eventualbegehren die Beklagten je zur Hälfte treffe.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Sie brachten vor, der Bestandvertrag sei ohne ihr Verschulden durch Untergang der Bestandsache aufgelöst, die Klägerin habe daher keine Ersatzansprüche gegen die Beklagten. Unabhängig davon sei die Klägerin jedenfalls verpflichtet gewesen, den Schaden möglichst geringzuhalten. Es sei ihr nicht nur möglich, sondern auch zumutbar gewesen, entweder in einem anderen Objekt ein Geschäft zu betreiben oder einer anderen Beschäftigung nachzugehen, wodurch sie ein Einkommen wenigstens in der bisherigen Höhe hätte erzielen können. Sie wäre dadurch auch entweder in der Lage gewesen, die Sozialversicherungsabgaben und Kammerumlagen freiwillig weiter zu entrichten, oder es hätte ohnedies eine Pflichtversicherung bestanden. Die Klägerin habe die Beklagten niemals zur Klagsführung gegen die Liegenschaftseigentümerin und den Baumeister aufgefordert und habe den Beklagten auch keine Unterlagen zur Verfügung gestellt, aus welchen sich die Berechtigung der Ansprüche mit Grund ableiten und durchsetzen lasse; sie habe den Beklagten auch keine Sicherheit für Prozeßkosten angeboten oder geleistet. Nachdem die Klägerin ihren Anspruch auch auf Schadenersatz gestützt hatte, wendeten die Beklagten überdies Verjährung ein.
Beide Parteien erstatteten außerdem ein Vorbringen über die Höhe der geltend gemachten Ansprüche.
Das Erstgericht erkannte die Beklagten schuldig, der Klägerin je einen Betrag von 78 173.40 S samt Zinsen zu bezahlen. Außerdem sprach es aus, daß die Beklagten schuldig seien, der Klägerin für alle künftigen Schäden aus Anlaß des Einsturzes des Hauses jeweils halben Ersatz zu leisten. Das Mehrbegehren von 124 320.80 S sowie das Feststellungsbegehren hinsichtlich der Haftung der Beklagten jeweils für weitere 50% wurden abgewiesen.
Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:
Mit Schreiben vom 23. 1. 1978 ist die Klägerin, anwaltlich vertreten, an die Haftpflichtversicherung der S GesmbH mit Forderungen herangetreten (insbesondere für entgangenen Gewinn ab dem Schadensereignis, Ersatz des beschädigten bzw. vernichteten Warenlagers, der beschädigten oder vernichteten Einrichtung sowie Arbeitsaufwand zur Behebung der Schäden). Mit Schreiben vom 22. 3. 1978 ist die Klägerin, anwaltlich vertreten, an die Beklagten zu Handen ihres Vertreters mit dem Ersuchen herangetreten, gemäß § 364b ABGB ihre Forderungen bei den Verhandlungen mit der S GesmbH zu berücksichtigen. Beigeschlossen war die Forderungsaufstellung vom 23. 1. 1978. Auf Grund der Nichtbeantwortung dieses Schreibens urgierte die Klägerin mit Schreiben vom 17. 7. 1978. Daraufhin antwortete der Beklagtenvertreter mit Schreiben vom 28. 7. 1978 sinngemäß, daß die Beklagten sich nicht zum Ersatz der Schäden verpflichtet sehen, zumal sie kein Verschulden am Einsturz zu vertreten hätten. Im übrigen sei das Bestandverhältnis wegen Unterganges der Bestandsache erloschen. Daraufhin erwiderte der Klagevertreter mit Schreiben vom 18. 8. 1978 unter Wiederholung seines Standpunktes und berichtete, wie auch im folgenden Schreiben vom 25. 4. 1979, vom Verfahren 4 Cg 103/78 des KG Wels. Der Beklagtenvertreter erwiderte mit Schreiben vom 5. 6. 1979 sinngemäß, daß der Klägerin der geltend gemachte Verdienstentgang nicht zustehe (infolge Unterganges der Bestandsache). Der Klagevertreter entgegnete mit Schreiben vom 8. 6. 1979, daß es seiner Meinung nach nicht genüge, daß die beklagten Parteien die Forderungen der Klägerin der Eigentümerin der Nachbarliegenschaft lediglich zur Kenntnis bringen; es sei erforderlich, diese Ansprüche auch geltend zu machen. Weitere davon abweichende mündliche Verabredungen fanden nicht statt; seitens der Beklagten wurde eine Haftungserklärung betreffend Prozeßrisiko (in bezug auf ein Verfahren gegen Bauführer und Eigentümer der Nachbarliegenschaft) vor Einleitung des gegenständlichen Verfahrens nicht begehrt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, die Beklagten seien gemäß § 1096 ABGB als Bestandgeber verpflichtet, Ausgleichsansprüche iS des § 364b ABGB im eigenen Namen gegen den Nachbarn geltend zu machen. Die Bestandgeber hätten bei sonstiger Haftung gegenüber dem Bestandnehmer auch die Ausgleichsansprüche des Bestandnehmers im eigenen Namen gegen den Nachbarn geltend zu machen. Die Beklagten als Bestandgeber seien verpflichtet, alle ihnen zumutbaren rechtlichen Schritte zu unternehmen, um die Ansprüche der Klägerin als ihres Bestandnehmers zu sichern. In dieser Richtung hätten jedoch die Beklagten nichts Zielführendes unternommen, sodaß sie der Klägerin im Ausmaß ihrer Miteigentumsanteile am Haus, sohin je zur Hälfte, nicht jedoch solidarisch, für die nunmehr ihnen gegenüber von der Klägerin geltend gemachten Ausgleichsansprüche haften. Das Feststellungsbegehren sei gerechtfertigt, weil damit gerechnet werden müsse, daß die Klägerin auch künftighin einen derzeit nicht absehbaren vermögensrechtlichen Nachteil, der auf den Hauseinsturz zurückzuführen sei, erleiden werde.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß das Haupt- und alle drei Eventualbegehren abgewiesen wurden. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes 60 000 S, der von der Abänderung betroffene 15 000 S, der Wert des Streitgegenstandes insgesamt jedoch nicht 300 000 S übersteige und die Revision gemäß § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zulässig sei.
Das Bestandverhältnis sei durch den Untergang der Bestandsache aufgelöst worden. Die Beklagten seien nicht mehr Bestandgeber in bezug auf die Klägerin und seien daher nicht verpflichtet, Ausgleichsansprüche der Klägerin im eigenen Namen nach § 364 ABGB geltend zu machen. Die Beklagten seien daher weder schuldig, die Ausgleichsansprüche der Klägerin selbst zu bezahlen, noch sei die Möglichkeit gegeben, daß in Zukunft diesbezügliche Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagten entstehen würden. Aus diesem Grund sei nicht nur das Leistungs-, sondern auch das Feststellungsbegehren nicht berechtigt.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Frage, ob die Auflösung eines Bestandvertrages wegen Unterganges der Bestandsache gemäß § 1112 ABGB zur Folge hat, daß der Bestandnehmer nicht mehr verpflichtet ist, Ersatzansprüche des Bestandnehmers im eigenen Namen gemäß dem § 364 ff. ABGB geltend zu machen, braucht aus folgenden Gründen nicht erörtert zu werden.
Richtig ist, daß der OGH aussprach, den Hauseigentümer treffe eine aus § 1096 ABGB abzuleitende Pflicht zur Geltendmachung der Ersatzansprüche der Bestandnehmer iS des § 364 ABGB (ZBl. 1937/298; JBl. 1933, 59; SZ 15/101; MietSlg. 21 027/17; SZ 47/140). Der Vermieter hat insbesondere für die Beseitigung der Störung Sorge zu tragen (SZ 15/101) und die Wiederinstandsetzung des beschädigten Gebäudes zu veranlassen (MietSlg. 21 027/17). Die aus § 1096 ABGB abzuleitende Pflicht des Bestandgebers geht aber nicht so weit, daß er jeden von einem Bestandnehmer behaupteten Schaden im eigenen Namen geltend machen müßte, auch wenn damit ein wesentliches Prozeßkostenrisiko verbunden wäre.
Im vorliegenden Fall handelt es sich um den Verdienstentgang eines selbständig Erwerbstätigen, dessen Berechnung häufig schwierig ist und dessen Geltendmachung daher mit einem beträchtlichen Prozeßrisiko verbunden sein kann. Für die Beklagten war es insbesondere nicht vorhersehbar, ob dieses Begehren nicht ganz oder teilweise mit der Begründung abgewiesen werden könnte, die Klägerin hätte nach Zerstörung ihres Geschäftslokals ein anderweitiges Einkommen erzielen können. Die Beklagten konnten auch nicht mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Berechtigung des Bestandgebers, einen Verdienstentgang des Bestandnehmers im eigenen Namen geltend zu machen, bejaht wird, da über einen derartigen Anspruch vom OGH bisher nie entschieden wurde und in SZ 47/140 die Frage offengelassen wurde, ob der Grundsatz uneingeschränkt gelte, daß der Ausgleichsanspruch gegen den Nachbarn auch Schäden anderer Personen umfaßt, die nur mittelbar durch den Bestandgeber Ersatz verlangen könnten. Dem Beklagten war es daher nicht zumutbar, bloß auf Grund des Schreibens des Klagevertreters die von der Klägerin behaupteten Forderungen gerichtlich geltend zu machen; sie waren hiezu somit nicht verpflichtet. Es wäre Sache der Klägerin gewesen, eine Aufforderung an die Beklagten zu richten, deren Erfüllung dieser auch zumutbar gewesen wäre. Diesem Erfordernis wäre entsprochen worden, wenn die Klägerin Sicherheit für die Prozeßkosten geleistet hätte oder wenn die Klägerin die Beklagten aufgefordert hätte, ihr die aus § 364b ABGB abzuleitenden Ansprüche, soweit sie auf einer Schädigung der Klägerin beruhen, abzutreten. In diesem Fall hätte die Klägerin diese Ansprüche selbst geltend machen können, ohne daß - wie im Verfahren 4 Cg 127/79 - mit Erfolg eingewendet hätte werden können, sie sei dazu nicht legitimiert (vgl. JBl. 1933, 59; dort war die Forderung tatsächlich vom Bestandnehmer auf Grund einer Zession geltend gemacht worden).
Daß die Beklagten den Standpunkt vertraten, sie seien überhaupt nicht verpflichtet, Ansprüche der Klägerin geltend zu machen und sich nicht darauf beriefen, dies sei ihnen wegen des Prozeßkostenrisikos nicht zumutbar, ist ohne Bedeutung. Wie oben dargelegt, waren die Beklagten nicht verpflichtet, dem Verlangen der Klägerin zu entsprechen und auf Grund der Aufforderung des Klagevertreters eine Klage einzubringen. Daher kann die Klägerin daraus, daß die Beklagten nicht mit Klage gegen den Grundnachbarn oder den Baumeister vorgingen, keine Ansprüche ableiten.
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