OGH 2Ob546/87

OGH2Ob546/8724.3.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Walter Karl A***, geboren am 9. Juli 1933 in Hieflau, Steiger, Eibensteinstraße 7, 8790 Eisenerz, vertreten durch Dr. Herwig Trnka, Rechtsanwalt in Leoben, wider die beklagte Partei Hedwig Anna A***, geboren am 19. Februar 1939 in Liezen, Hausfrau, Oberhofallee 160, 8911 Admont, vertreten durch Dr. Hans Schmölzer, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 5. Dezember 1986, GZ. 1 R 175/86-37, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 23. Juni 1986, GZ. 3 Cg 87/85-26, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile lernten einander im Jahr 1964 kennen. Der Kläger war damals verheiratet, sagte der Beklagten in den folgenden Jahren aber immer wieder, seine Frau werde sich scheiden lassen. Am 16. November 1966 kam der Sohn der Streitteile zur Welt. Die Beklagte wurde noch fünfmal schwanger, ließ auf Drängen des Klägers aber immer Abtreibungen vornehmen. Zwei Abtreibungen führte der Kläger selbst durch. Die Beklagte war im Gastgewerbe tätig, der Kläger als Steiger bei der V***-A***. Einen gemeinsamen Wohnsitz hatten die Streitteile weder vor noch während der Ehe. Im allgemeinen kam der Kläger zum Wochenende zur Beklagten nach Admont. Es war wohl beabsichtigt, in eine gemeinsame Wohnung zu ziehen, der Kläger bezog dann aber eine Kleinwohnung in Eisenerz, in der ein gemeinsames Wohnen nicht möglich war. 1981 wurde mit dem Bau eines Hauses in Eisenerz begonnen, das nun nahezu fertiggestellt ist. Der Kläger pachtete im Jahre 1981 die Haindlkarhütte, die Beklagte fungierte als Wirtschafterin und Köchin. Nachdem die erste Ehe des Klägers geschieden worden war, schlossen die Streitteile am 26. Mai 1983 die Ehe. Im Jahre 1983 begann die Beklagte plötzlich übermäßig dem Alkohol zuzusprechen, sodaß sie nicht in der Lage war, die Hütte ordnungsgemäß zu führen. Sie vernachlässigte nicht nur die Wirtschaftsführung derart, daß sie als Wirtschafterin untragbar wurde und der Kläger das Pachtverhältnis Ende 1984 aufgeben mußte, sondern vernachlässigte auch die Pflege ihres Körpers und ihrer Kleidung. Wenn ihr der Kläger Vorhaltungen machte, hat sie ihn, zum Teil in Gegenwart von anderen Personen, beschimpft. Der Kläger hatte der Beklagten zugesagt, daß er sie bei der Wirtschaftsführung auf der Hütte tatkräftig unterstützen werde, kam während der Saison aber nur einige Male auf die Hütte, unterstützte die Beklagte nicht und redete nur wenig mit ihr. Die Beklagte hatte aber immer eine Aushilfskraft zur Verfügung. Der Kläger hat mit der Beklagten während des Bestandes der Ehe keine gemeinsamen Ausfahrten unternommen und verbrachte seine Freizeit allein. Wenn ihm die Beklagte Vorhaltungen machte, äußerte er sich, es gehe sie nichts an, was er mache. Die Beklagte hat vom Kläger für ihre Tätigkeit als Wirtschafterin auf der Haindlkarhütte kein gesondertes Entgelt erhalten. Sie konnte mit den Einkünften aus dem Hüttenbetrieb den Lebensunterhalt für sich und das eheliche Kind bestreiten. Nach Saisonende hat ihr der Kläger in den letzten beiden Jahren der Bewirtschaftung der Hütte einen Betrag von S 30.000 ausgehändigt. Darüber hinaus hat der Kläger weder der Beklagten noch dem ehelichen Kind irgendeinen Unterhalt geleistet. Er hat auch die Familienbeihilfe bezogen und diese für sich verwendet, obgleich die Betreuung des ehelichen Sohnes der Beklagten oblag. Die Alkoholsucht der Beklagten belastete in Verbindung damit, daß sich der Kläger um die Beklagte viel zu wenig kümmerte, das eheliche Verhältnis so sehr, daß schließlich jede gemeinsame Basis verloren ging. Von Mai 1984 bis Mitte April 1985 unterhielten die Streitteile keine ehelichen Beziehungen mehr miteinander. Den letzten Geschlechtsverkehr hatten sie am 14. April 1985. Danach ist der Kläger nicht mehr in die Wohnung der Beklagten gekommen. Im Sommer 1983 tauschte der Kläger mit Irma L*** Zärtlichkeiten aus, 1984 und 1985 hielt er sich einige Male mit Antonia S*** in einem Kaffeehaus auf, 1985 sah die Beklagte Antonia S*** im Auto des Klägers. Am 12. Juli 1985 trafen die Streitteile zufällig in Liezen zusammen. Der Kläger hatte einige Besorgungen zu machen, die Beklagte folgte ihm überall hin nach, obwohl sie der Kläger aufgefordert hatte, hievon Abstand zu nehmen. Als der Kläger in sein Auto einstieg um wegzufahren, hinderte ihn die Beklagte daran, indem sie den Schlüssel aus dem Zündschloß zu nehmen versuchte. Der Kläger war darüber so verärgert, daß er ausstieg und die Beklagte von sich stieß. Dabei fiel die Beklagte gegen die Autotüre und verletzte sich leicht.

Mit seiner am 18. März 1985 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Scheidung der Ehe. Als Eheverfehlungen macht er den übermäßigen Alkoholkonsum und die Beschimpfungen geltend, weiters, daß ihm die Beklagte ehewidrige Beziehungen vorwerfe. Die Beklagte begehrte die Abweisung des Klagebegehrens, stellte aber hilfsweise einen Mitschuldantrag, in dem sie geltend machte, der Beklagte habe sie und den Sohn vernachlässigt, sei interesselos, habe die Unterhaltspflicht verletzt, unterhalte ehewidrige und ehebrecherische Beziehungen zu anderen Frauen und habe die Pflicht zum gemeinsamen Wohnen verletzt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden. Es lastete der Beklagten mißbräuchlichen Alkoholkonsum an, der wesentlich zur Zerrüttung der Ehe beigetragen habe. Die Beweggründe für dieses ehestörende Verhalten seien nicht bekannt. Die Beschimpfungen seien ebenfalls als schwere Eheverfehlungen zu qualifizieren. Der Vorwurf ehewidriger Beziehungen des Klägers zu anderen Frauen könne der Beklagten hingegen nicht angelastet werden, auch wenn sexuelle Beziehungen des Klägers zu anderen Frauen nicht erwiesen seien. Dem Kläger sei das lieb- und interesselose Verhalten anzulasten, weiters der festgestellte Kontakt mit anderen Frauen, der offensichtlich über den Rahmen eines freundschaftlichen oder gesellschaftlichen Umganges hinausgegangen sei und geeignet gewesen sei, die Beklagte in ihrer Vermutung eines ehewidrigen Umganges zu bestärken und sie damit zu kränken. Der Vorfall, bei dem die Beklagte Verletzungen erlitt, sei weniger gravierend, weil die Beklagte den Kläger provoziert habe. Der weitere Vorwurf, der Kläger habe keine gemeinsame Wohnung geschaffen, sei nicht berechtigt. Die Ehegatten seien zwar zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet, es sei aber zu bedenken, daß sie erst im Mai 1983 geheiratet hätten und das Haus, das gemeinsam bezogen werden sollte, noch nicht fertiggestellt gewesen sei. Außerdem seien zu dieser Zeit bereits massive Trunkenheitszustände der Beklagten aufgetreten, die zweifellos das Verhältnis getrübt hätten und beim Kläger berechtigte Zweifel aufkommen lassen konnten, ob es überhaupt sinnvoll sei, eine eheliche Wohngemeinschaft aufzunehmen. Beide Ehegatten hätten in etwa gleicher Weise zur Zerrüttung der Ehe beigetragen. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, wohl aber teilweise jener der Beklagten und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das überwiegende Verschulden des Klägers aussprach. Der Kläger habe die Beklagte weitgehend allein gelassen und sei offenbar bestrebt gewesen, die Arbeitskraft der Beklagten für seine wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit der Haindlkarhütte zu nützen, habe die überbeanspruchte Beklagte aber nicht unterstützt. Der Kläger habe daher die Verpflichtung zum wechselseitigen Beistand gemäß § 44 ABGB gröblich und durch längere Zeit hindurch vernachlässigt, was eine schwere Eheverfehlung darstelle. Dem Kläger seien auch die Unterhaltsverletzung sowie die zwar nicht schwerwiegenden aber doch über das gesellschaftliche Ausmaß eindeutig hinausgehenden Beziehungen zu anderen Frauen vorzuwerfen. Der Tätlichkeit komme hingegen keine entscheidende Bedeutung zu. Alkoholmißbrauch bedeute grundsätzlich eine schwere Eheverfehlung. Bei Berücksichtgung der gesamten Entwicklung der Beziehungen der Parteien auch noch vor ihrer Eheschließung (Abtreibungen) komme jedoch das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, daß das interesse- und lieblose Verhalten des Klägers und die Verletzung seiner Beistandspflicht gegenüber der Beklagten für diese eine erhebliche psychische Belastung darstellen mußte, die sehr wohl geeignet gewesen sei, eine Neigung der Beklagten zum Alkoholgenuß zu fördern, zumal sie offenbar ohne Beistand des Klägers den Anforderungen des Hüttenbetriebes nicht gewachsen gewesen sei und in ihrer schwierigen Lage immer mehr zum Alkohol Zuflucht genommen habe. Die Trunksucht der Beklagten sei zwar sicher geeignet gewesen, zur Zerrüttung der Ehe beizutragen, sei jedoch mit Rücksicht auf das diese Eheverfehlung der Beklagten begleitende ehewidrige Verhalten des Klägers nicht als auslösendes Moment für das Auseinanderleben der Ehegatten zu betrachten. Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines Ehegatten sei nur bei sehr unterschiedlichem Grad des Verschuldens gerechtfertigt. Berücksichtige man die Vorgeschichte der Ehe (jahrelange Beziehungen des Klägers zur Beklagten mit ständigen Eheversprechungen, fünf Abtreibungen) und deren Auswirkungen auf die psychische Situation der Beklagten in der Ehe sowie die Entwicklung der Ehe selbst, wobei der Kläger mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen habe, sei der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens des Klägers gerechtfertigt. Der Kläger habe durch sein interesseloses Verhalten die Ehezerrüttung eingeleitet, die Zuwendung der Beklagten zum Alkohol habe ihre Wurzel im Verhalten des Klägers.

Der Kläger bekämpft dieses Urteil mit Revision und beantragt Abänderung dahin, daß das überwiegende Verschulden der Beklagten ausgesprochen werde.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Bei der Verschuldensabwägung im Sinne des § 60 EheG ist das Gesamtverhalten der Ehegatten während der Ehe zu berücksichtigen. Es ist aber verfehlt, auf ein Verhalten aus der Zeit vor der Eheschließung Bedacht zu nehmen. Dem Umstand, daß der Kläger die Beklagte fünfmal zu Abtreibungen veranlaßte und ihr, obwohl er noch verheiratet war, immer wieder die Ehe versprochen hatte, kann daher keine Bedeutung beigemessen werden. Die Ausführungen des Berufungsgerichtes, der Alkoholmißbrauch der Beklagten sei durch Eheverfehlungen des Klägers veranlaßt worden, sind durch die Feststellungen in keiner Weise gedeckt. Es handelt sich hier um eine Vermutung des Berufungsgerichtes, die nicht einmal im Vorbringen oder in der Aussage der Beklagten eine Stütze findet, zumal die Beklagte Alkoholmißbrauch überhaupt bestritt und aussagte, die Ehe sei nicht zerrüttet, sie wolle diese aufrechterhalten und denke weiterhin an ein gemeinsames Familienleben (S. 10 des Protokolls ON 25). Gegen die Annahme, der Alkoholmißbrauch der Beklagten sei durch Eheverfehlungen des Klägers veranlaßt worden, spricht auch, daß die Trunksucht bereits während der Bewirtschaftung der Hütte in der Saison 1983, also im Sommer 1983 auftrat. Da die Ehe erst am 26. Mai 1983 geschlossen wurde, muß die Beklagte bereits kurze Zeit nach der Eheschließung mit dem übermäßigen Alkoholkonsum begonnen haben. Da der Kläger im Bergbau tätig war, konnte die Beklagte, die die Hütte bewirtschaftete, von vornherein nicht damit rechnen, daß sie sogleich mit dem Kläger einen gemeinsamen Haushalt führen werde. Mag sich der Kläger auch vom Beginn der Ehe an nicht sehr liebevoll verhalten haben und nicht jedes Wochenende auf die Hütte gekommen sein, so fehlt doch jeglicher Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte hiedurch veranlaßt worden sei, übermäßig Alkohol zu trinken. Der Alkoholmißbrauch der Beklagten muß daher losgeöst von Eheverfehlungen des Klägers gesehen werden. Auf Grund der Feststellungen kann allerdings auch nicht davon ausgegangen werden, daß die Ehewidrigkeiten des Klägers erst eine Folge des Alkoholmißbrauchs der Beklagten waren und die Beklagte daher die erste Ursache für die Ehezerrüttung setzte. Vielmehr muß davon ausgegangen werden, daß sich beide Ehegatten bald nach der Eheschließung ehewidrig verhielten und hiedurch eine Zerrüttung der Ehe herbeiführten. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nur dann gerechtfertigt, wenn ein sehr erheblicher gradueller Unterschied des beiderseitigen Verschuldens gegeben ist (EFSlg. 48.835 uva), der Unterschied muß also offenkundig hervortreten (EFSlg. 48.833 uva). Davon, daß der vom Kläger nicht veranlaßte Alkoholmißbrauch der Beklagten, von dem feststeht, daß er das eheliche Verhältnis belastete und dazu führte, daß der Kläger das Pachtverhältnis hinsichtlich der Haindlkarhütte aufgeben mußte, im Verhältnis zu den Verfehlungen des Klägers in den Hintergrund tritt, kann keine Rede sein. Entgegen der Ansicht des Revisionswerbers wäre es allerdings auch nicht gerechtfertigt, ein überwiegendes Verschulden der Beklagten auszusprechen. Der Kläger hat sich vom Beginn der Ehe an wenig um die Beklagte gekümmert und hat gegen ihren Willen Umgang mit anderen Frauen gehabt. Sind auch sexuelle Beziehungen zu anderen Frauen nicht festgestellt, ist darauf hinzuweisen, daß der Kläger bereits im Jahr der Eheschließung mit einer anderen Frau Zärtlichkeiten austauschte. Überdies hätte der Kläger der Beklagten zumindest die Familienbeihilfe für den von ihr betreuten gemeinsamen Sohn zur Verfügung stellen müssen. Ob ihm darüber hinaus eine Unterhaltsverletzung anzulasten ist, braucht nicht erörtert zu werden, denn das Verhalten des Klägers war insgesamt jedenfalls so schwerwiegend, daß ein Überwiegen des Verschuldens der Beklagten auf keinen Fall offenkundig hervortritt. Ein Ausspruch, daß das Verschulden eines der Ehegatten überwiege, hat daher zu entfallen, weshalb das Ersturteil wiederherzustellen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43, 50 ZPO.

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