OGH 2Ob52/90

OGH2Ob52/906.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas S***, Präsenzdiener, Treietstraße 25, 6833 Weiler, vertreten durch Dr. Reinhold Nachbaur, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagten Parteien 1. Manfred B***, Monteur, Kapellenweg 25, 6800 Feldkirch-Tosters, 2. Ingeborg B***, Hausfrau, ebendort, und 3. C*** Versicherungs-AG, Börsegasse 14, 1010 Wien, alle vertreten durch Dr. Gerold Hirn und Dr. Burkhard Hirn, Rechtsanwälte in Feldkirch, wegen S 90.726,- s.A. infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 21. Februar 1990, GZ 3 R 38/90-18, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 8. November 1989, GZ 4 Cg 235/89-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichts wieder hergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 10.350,68 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 1.725,11 Umsatzsteuer) und die mit S 6.286,72 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 631,12 Umsatzsteuer und S 2.500,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 26. März 1989 ereignete sich in Schaanwald, Fürstentum Liechtenstein, auf der Vorarlbergerstraße ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger mit seinem Motorrad und der Erstbeklagte mit einem von der Zweitbeklagten gehaltenen, bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW beteiligt waren. Beide Fahrzeuge waren in Österreich zugelassen.

Der Kläger begehrte einen Schadenersatzbetrag von

S 90.726,- s.A. und führte aus, der PKW, an dem der linke Blinker eingeschaltet gewesen sei, sei zur Fahrbahnmitte eingeordnet gewesen. Als der Kläger zum Überholen rechts angesetzt habe, sei der PKW plötzlich zu der rechts befindlichen Tankstelle gelenkt worden. Die Beklagten brachten vor, am PKW sei der rechte Blinker eingeschaltet gewesen, der Kläger habe eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten und habe versucht, den PKW vorschriftswidrig rechts zu überholen. Außerdem wendeten die Beklagten eine Gegenforderung ein.

Das Erstgericht sprach aus, daß die Klagsforderung mit S 81.726,- s.A. zu Recht und die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und erkannte die Beklagten daher zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger einen Betrag von S 81.726,- s.A. zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 9.000,- s.A. wurde abgewiesen. Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Erstbeklagte hielt eine Geschwindigkeit zwischen 70 und 80 km/h ein, der Kläger folgte dem PKW schon längere Zeit in einem Abstand von 50 bis 80 m. Etwa 100 bis 150 m vor der späteren Unfallstelle begann der Erstbeklagte die Geschwindigkeit zu verringern und fuhr dabei noch etwa in der Mitte der rechten Fahrbahnhälfte. Sodann lenkte er langsam nach links, so daß er etwa in der Mitte der 11 m breiten Fahrbahn fuhr. Der Abstand des PKWs zu dem an den rechten Fahrbahnrand anschließenden Radfahrstreifen betrug ca. 3 m. Dann fuhr der Erstbeklagte in einem Winkel von 45 Grad nach rechts zum Vorplatz der Tankstelle. Als der Kläger bemerkt hatte, daß der Erstbeklagte zur Fahrbahnmitte lenkt, beschloß er, den PKW rechts zu überholen. Er verringerte die Geschwindigkeit auf 60 bis 70 km/h und prallte in der Folge gegen die rechte Seite des rechts einbiegenden PKWs. Ob und welcher Blinker am PKW eingeschaltet war, konnte nicht festgestellt werden. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, den Erstbeklagten treffe ein Verschulden, weil er aus der Fahrbahnmitte nach rechts eingebogen sei. Im Hinblick auf die Negativfeststellung über das Blinken könne dem Erstbeklagten aber nicht vorgeworfen werden, nicht rechts geblinkt zu haben, weil den Kläger die Beweispflicht für Tatumstände, aus denen ein Verschulden des Gegners abgeleitet werde, treffe. Aber auch die Beklagten hätten nicht nachweisen können, daß der Kläger rechts überholt habe, obgleich am PKW der rechte Blinker eingeschaltet gewesen sei. Da ein Verschulden des Erstbeklagten feststehe und ein Mitverschulden des Klägers nicht habe nachgewiesen werden können, hätten die Beklagten die berechtigten Ersatzansprüche des Klägers zu ersetzen. Vom begehrten Schmerzengeld sei ein Teilbetrag von S 8.000,-, von der begehrten Verunstaltungsentschädigung ein solcher von S 1.000,-

nicht berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß die Klagsforderung mit S 40.863,- s.A. zu Recht und die Gegenforderung mit S 8.250,- zu Recht bestehe und die beklagten Parteien daher zur ungeteilten Hand schuldig seien, dem Kläger den Betrag von S 32.613,- s.A. zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 58.113 s.A. wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, obwohl sich der Unfall in Liechtenstein ereignet habe, sei gemäß Art. 4 lit b des Übereinkommens des auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendenden Rechts österreichisches Recht anzuwenden, weil die beteiligten Fahrzeuge in Österreich zugelassen gewesen seien. Bei Prüfung der Frage des Fehlverhaltens der beteiligten Lenker sei hingegen gemäß Art. 7 des genannten Übereinkommens von den zur Zeit des Unfalles geltenden Verkehrsvorschriften des Fürstentums Liechtenstein auszugehen. Die maßgeblichen Vorschriften des Liechtensteinischen Straßenverkehrsgesetzes vom 30. Juni 1978, Liechtensteinisches LGBl Nr. 18/1978, lauteten wie folgt:

"Artikel 33

... 3) Wer überholt, muß auf die übrigen Straßenbenützer, namentlich auf jene, die er überholen will, besonders Rücksicht nehmen.

6) Fahrzeuge, die zum Abbiegen nach links eingespurt haben, dürfen nur rechts überholt werden.

Artikel 34

1) Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Straßenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Straßenmitte zu halten.

c) Sicherungsvorkehren

Artikel 36

1) Jede Richtungsänderung ist mit dem Richtungsanzeiger oder durch deutliche Handzeichen rechtzeitig bekannt zu geben. Dies gilt namentlich für

a) das Einspuren, Wechseln des Fahrstreifens und Abbiegen, ...."

Da der Erstbeklagte nicht vom rechten Straßenrand aus, sondern von der Fahrbahnmitte nach rechts abgebogen sei, habe er gegen die Vorschrift des Artikel 34 Abs 1 des Liechtensteinischen Straßenverkehrsgesetzes verstoßen. Dem Kläger wäre es hingegen gestattet gewesen, das Fahrzeug der Zweitbeklagten rechts zu überholen, wenn dieses "zum Abbiegen nach links eingespurt hätte" (Artikel 33 Abs 6 des Liechtensteinischen Straßenverkehrsgesetzes). Unter "zum Abbiegen nach links eingespurt" könne im Zusammenhalt mit der Bestimmung des Artikel 36 Abs 1 lit a des Liechtensteinischen Straßenverkehrsgesetzes wohl nur verstanden werden, daß Fahrzeuge, die sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet haben und an denen der linke Blinker betätigt ist, nur rechts überholt werden dürfen. Im vorliegenden Fall sei aber offen geblieben, ob und welcher Blinker am Fahrzeug der Zweitbeklagten in Betätigung gewesen sei. Demnach habe für den Kläger insoweit eine unklare Verkehrslage bestanden, als nicht erkennbar gewesen sei, ob der vor ihm fahrende PKW nun nach links abbiege oder geradeaus weiterfahre. In dieser Situation hätte der Kläger nicht ohne vorherige Kontaktaufnahme mit dem Erstbeklagten, so etwa durch Abgabe eines Hupzeichens, rechts überholen dürfen. Es sei also dem Berufungswerber zuzustimmen, daß auch den Kläger ein Verschulden am Zustandekommen des Unfalles treffe; dieses überwiege aber keineswegs das Verschulden des Erstbeklagten. Vielmehr seien die Verkehrsverstöße der beiden Lenker etwa als gleich groß zu werten, weshalb eine Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 1 : 1 gerechtfertigt erscheine.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit außerordentlicher Revision, macht als Anfechtungsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles.

Die Beklagten beantragen, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Der Revisionswerber vertritt zunächst die Ansicht, das Berufungsgericht habe die Vorschriften des Liechtensteinischen Straßenverkehrsgesetzes unrichtig ausgelegt. Nach diesen sei es für die Zulässigkeit des Rechtsüberholens nicht erforderlich, daß an einem links eingeordneten Fahrzeug auch der linke Blinker eingeschaltet sei. Diese Frage der Auslegung des Liechtensteinischen Straßenverkehrsrechtes bedarf im vorliegenden Fall jedoch keiner Klärung. Auch wenn man die Ansicht des Berufungsgerichtes teilt, nur Fahrzeuge, die zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet seien und an denen der linke Blinker betätigt sei, dürften rechts überholt werden, kann nämlich nicht von einem Mitverschulden des Klägers ausgegangen werden. Berechtigt sind nämlich die Revisionsausführungen über die Beweislast. Wie das Erstgericht zutreffend ausführte, trifft die Behauptungs- und Beweislast für ein Mitverschulden des Klägers die Beklagten. Insoweit gehen Unklarheiten zu Lasten der Beklagten (ZVR 1976/194; 2 Ob 70/89 ua).

Dem Kläger kann jedenfalls dann kein Verschulden angelastet werden, wenn an dem in der Fahrbahnmitte fahrenden, langsamer werdenden PKW der linke Blinker eingeschaltet war. Die Annahme eines Mitverschuldens des Klägers hätte daher zur Voraussetzung, daß die Behauptung des Klägers, am PKW sei der linke Blinker in Tätigkeit gewesen, widerlegt wäre. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil nicht feststeht, ob und welcher Blinker eingeschaltet war. Es besteht daher die Möglichkeit, daß sich der linke Fahrtrichtungsanzeiger in Tätigkeit befand und daher der Kläger, auch wenn man die Ansicht des Berufungsgerichtes über die Auslegung des Liechtensteinischen Straßenverkehrsrechtes teilt, rechts überholen durfte. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes kann daher auch nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger bei einer unklaren Verkehrslage rechts überholte.

Auszugehen ist somit davon, daß den Erstbeklagten, der aus der Mitte der 11 m breiten Fahrbahn nach rechts zu einer Tankstelle zufuhr, ein Verschulden trifft, Umstände, aus denen sich ein Mitverschulden des Klägers ergeben würde, aber nicht festgestellt werden konnten. Zutreffend gelangte daher das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß die Klagsforderung (soweit sie der Höhe nach berechtigt ist) zu Recht besteht, nicht aber die Gegenforderung. In Stattgebung der Revision war daher das Urteil des Erstgerichtes wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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