OGH 2Ob528/93

OGH2Ob528/9325.11.1993

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner, Dr.Graf, Dr.Schinko und Dr.Tittel als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Josef L*****, vertreten durch Dr.Christian Pichler, Rechtsanwalt in Reutte, wider die Antragsgegnerin Aloisia P*****, vertreten durch Dr.Markus Purtscher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Einräumung eines Notweges, infolge der Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgerichtes vom 4.März 1993, GZ 1b R 39/93-29, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 29.September 1992, GZ 1 Nc 11/91-22, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Der Revisionsrekurs des Antragstellers wird als verspätet zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten der Beantwortung dieses verspäteten Revisionsrekurses selbst zu tragen.

2. Dem Revisionsrekurs der Antragsgegnerin wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß der Antrag, dem Antragsteller als Eigentümer des Grundstückes *****1 der EZ ***** KG V***** möge ein Notweg über das der Antragsgegnerin gehörige Grundstück *****8 der EZ ***** KG V***** durch Erweiterung der bereits bestehenden Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Ökonomiefuhren auf die Dienstbarkeit des unbeschränkten Gehens und Fahrens eingeräumt werden, abgewiesen wird.

Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die mit S 22.272,48 (darin S 3.716,12 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des gesamten Verfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks *****1 ***** KG V*****, die Antragsgegnerin ist Alleineigentümerin des Grundstückes *****8 ***** KG V*****. Das genannte Grundstück des Antragstellers im Gesamtausmaß von 3834 m2 ist in seinem nördlichen Teil mit dem Ausmaß von rund 500 m2 als Baugrund gewidmet und liegt mit seinem südlichen Teil im Freiland. Es kann von der öffentlichen Straße her nur über das Grundstück der Antragsgegnerin erreicht (befahren) werden, über welches zugunsten des Grundstücks des Antragstellers eine grundbücherlich einverleibte Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Ökonomiefuhren einverleibt ist. Das Grundstück der Antragsgegnerin ist weiters noch mit einem gleichartigen Geh- und Fahrrecht zugunsten eines anderen Grundstückes (***** der EZ ***** KG V*****) und mit einer Dienstbarkeit des unbeschränkten Geh- und Fahrrechtes aufgrund des Vertrages vom 17.5.1977 zugunsten des Grundstückes *****4 der EZ ***** KG V***** belastet. Das 203 m2 große Grundstück der Antragsgegnerin stellt einen 3 m breiten Wegstreifen dar, der die Verbindung von der V*****-Dorfstraße bis zum Haus der Antragsgegnerin und gleichzeitig in seinem westlichen Teil (mit einer Fläche von rund 80 m2) die Zufahrt für die Grundstücke *****4, *****5 und *****6, sowie weiters die Zufahrt mit Ökonomiefuhren für die Grundstücke *****1 (Antragsteller) und *****1 darstellt. In der Natur ist in dem vom Antragsteller beanspruchten westlichen Teil des Grundstücks der Antragsgegnerin ein ca. 2,60 m breiter asphaltierter Weg vorhanden, der schräg in die V*****-Dorfstraße mündet und dort ein deutliches Gefälle aufweist. Das Grundstück des Antragstellers schließt direkt an den westlichen Teil des Grundstücks der Antragsgegnerin an und stellt in diesem Bereich einen 2,50 m breiten Wegstreifen dar, der in seinem nördlichen Teil asphaltiert ist und in seinem südlichen Teil einen aufgeschotterten Fahrstreifen mit dazwischenliegender Grasnarbe aufweist.

Der Antragsteller beantragt, ihm möge als Eigentümer des Grundstücks *****1 ein Notweg über das im Eigentum der Antragsgegnerin stehende Grundstück *****8 je KG V***** durch Erweiterung der bereits bestehenden Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens mit Ökonomiefuhren auf die Dienstbarkeit des unbeschränkten Gehens und Fahrens eingeräumt werden. Er erstattete dazu folgendes Vorbringen:

Es sei beabsichtigt, auf dem im Bauland gelegenen Teil seines Grundstücks *****1 ein Haus zu errichten, wobei der im Bauland

gelegene Teil in zwei neue Grundstücke (nämlich *****9 = Bauplatz und

*****10 = teilweise verbliebenes Weggrundstück laut vorliegender

Planurkunde des Dipl.Ing.Kurt L*****, GZl. 5895/91) geteilt, das Grundstück *****9 durch Zuerwerb von im Bauland gelegenem Nachbargrund vergrößert und sodann verkauft werden solle, wenn die unbeschränkte Zufahrtsmöglichkeit durch Einräumung des begehrten Notweges gesichert sei. Die Antragsgegnerin werde durch den begehrten Notweg mit Rücksicht auf die bereits bestehenden Belastungen dieses Weggrundstückes nicht oder nur gering belastet, während der Antragsteller sein Grundstück ohne die beantragte Zufahrtsmöglichkeit nicht verbauen könne und daher einen großen finanziellen Nachteil erleide. Der Stadtmagistrat Innsbruck habe die Errichtung einer Zufahrt im Sinne des § 16 Abs.1 Tiroler Bauordnung (TBO) abgelehnt.

Die Antragsgegnerin beantragte die Abweisung des Notwegantrages und wandte ein, der derzeit im Bauland gelegene Teil des Grundstücks des Antragstellers stelle keinen hinreichenden Bauplatz dar; die behaupteten Einbeziehungen weiterer fremder Liegenschaftsflächen (zur Gewinnung eines ausreichenden Bauplatzes) rechtfertigten die Einräumung eines Notweges nicht. Darüber hinaus sei die Gemeinde gemäß § 16 TBO zur Erschließung des Baulandes durch Schaffung einer Zufahrt zum öffentlichen Wege-(Straßen-)netz verpflichtet. Überdies könne eine Verbindung zum öffentlichen Wegenetz auch über andere Grundstücke hergestellt werden.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt und erlegte dem Antragsteller die Zahlung einer Entschädigungssumme von S 28.000,-- binnen vier Wochen auf. Es vertrat folgende Rechtsansicht: Die begehrte Ausweitung des Geh- und Fahrrechtes wirke sich mit Rücksicht auf die Vorbelastungen des Grundstücks der Antragsgegnerin nicht auf dessen Verkehrswert aus. Das Grundstück des Antragstellers könne durchaus mit einem kleineren, individuell gestalteten Einfamilienhaus verbaut werden. Für die Einräumung eines Notweges komme es auf die Widmung des notleidenden Grundstückes und nicht auf dessen derzeitige Nutzung an. Ohne Notweg könne das Grundstück des Antragstellers nicht als Baugrund benützt werden. Der Antragsgegnerin erwüchsen durch die Mehrbenützung ihres Weggrundstückes im Wege des eingeräumten Notwegerechtes keine erheblichen Nachteile, diese Nachteile würden überdies durch die Entschädigungszahlung ausgeglichen.

Das Gericht zweiter Instanz hob infolge Rekurses der Antragsgegnerin die Entscheidung des Erstgerichtes auf und trug diesem die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000,-- S übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es vertrat nachstehende Rechtansichten:

Der Einwendung der Antragsgegnerin, die Gemeinde sei gemäß § 16 TBO zur verkehrsmäßigen Erschließung der im Flächenwidmungsplan als Bauland ausgewiesenen Fläche verpflichtet, der Antragsteller möge daher seinen Anspruch an die Gemeinde herantragen, weil das Notwegerecht gemäß § 1 Abs.1 NWG nur subsidiär bestehe, komme keine Berechtigung zu. Diese Erschließungspflicht der Gemeinde bestehe nur für den öffentlichen Verkehr und sei auf öffentliche Verkehrsflächen beschränkt. Bei einem Fehlen eines öffentlichen Verkehrsinteresses wie im vorliegenden Fall, in welchem die Zufahrt von der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche zur Liegenschaft des Antragstellers im Bereich des begehrten Notweges nur im Interesse eines oder mehrerer Anrainer bestehe, seien die Voraussetzungen für eine Enteignung nach dem Tiroler Straßengesetz zu verneinen. Die im § 1 Abs.1 NWG der Einräumung eines Notweges vorgeschalteten Voraussetzungen für eine Enteignung oder unentgeltliche Gestattung nach § 365 ABGB oder nach anderen hiefür erlassenen Gesetzen lägen daher nicht vor.

Grundsätzlich sei der Notwegbedarf eines Grundstückes nach seiner Widmung und nicht nach seiner derzeitigen Nutzung zu beurteilen, sodaß ein mangels einer geeigneten Wegeverbindung sonst nicht verbaubarer Baugrund die Einräumung eines Notweges erfordern könnte. Allerdings sei dies dann nicht gerechtfertigt, wenn eine Bebauung in sinnvoller Weise praktisch ausgeschlossen sei. Die bei den Akten liegende Mitteilung des Stadtmagistrats Innsbruck (ON 7) weise in diese Richtung, während der gerichtlich bestellte Sachverständige eine Bebauung der dem Antragsteller gehörigen, im Bauland gelegenen Teilfläche des Grundstücks *****1 für möglich erachtet habe. Dieser Widerspruch sei durch Beiziehung eines gemäß § 12 Abs.1 NWG auch gesetzlich vorgesehenen zweiten Sachverständigen zu klären; dabei seien auch (näher dargestellte) Zweifel an der Richtigkeit des vom Erstgericht eingeholten Gutachtens auszuräumen. Sei danach eine Bebauung des dem Antragsteller gehörigen Grundstücksteiles nicht möglich und daher ein Notweg nicht gerechtfertigt, könne ein solcher auch nicht im Wege der dargestellten geplanten Vorgangsweise des Antragstellers (Teilung des Grundstücks und Schaffung eines neuen Baugrundes unter Zuerwerb von Grundflächen aus benachbarten Grundstücken) erlangt werden, weil damit erst die Notlage des Grundstücks des Antragstellers geschaffen werde, obwohl dieser den Mangel der freien Zufahrtsmöglichkeit kannte, und dem Antragsteller somit auffallende Sorglosigkeit gemäß § 2 Abs.1 NWG zur Last fiele. Es widerspreche dem Sinn und Zweck des Notwegegesetzes, nicht auf die Bedürfnisse der Liegenschaft, sondern auf jene des Liegenschaftseigentümers (Antragstellers) Bedacht zu nehmen.

Gegen die den Parteien am 18.3.1993 zugestellte zweitinstanzliche Entscheidung erhoben beide Parteien Revisionsrekurse, die Antragsgegnerin am 1.4.1993 (Postaufgabedatum), der Antragsteller hingegen erst am 15.4.1993 (Postaufgabedatum). Da die Rekursfrist gemäß § 16 Abs.2 NWG 14 Tage beträgt, ist der Rekurs des Antragstellers verspätet und daher zurückzuweisen. Die Antragsgegnerin hat in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Verspätung dieses Rechtsmittels nicht hingewiesen, sodaß sie ihre diesbezüglichen Kosten selbst zu tragen hat (§ 25 Abs.1 NWG iVm §§ 40, 50 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin ist berechtigt.

Gemäß § 1 Abs.1 NWG kann für eine Liegenschaft, welche der für die Zwecke einer ordentlichen Bewirtschaftung oder Benützung nötigen Wegeverbindung mit dem öffentlichen Wegenetz entbehrt, sei es, daß eine Wegeverbindung gänzlich mangelt oder daß sie unzulänglich erscheint, der Eigentümer in jenen Fällen, in denen für die Befriedigung des Wegebedürfnisses nicht die Voraussetzungen der Enteignung oder unentgeltlichen Gestattung nach § 365 ABGB oder nach sonstigen hiefür erlassenen Gesetzen eintreten, die gerichtliche Einräumung eines Notweges über fremde Liegenschaften begehren.

Unter "Bewirtschaftung oder Benützung" ist auch die Verwendung zu Bauzwecken zu verstehen (Petrasch in Rummel2 Rz 6 zu § 480; EvBl 1965/10 ua). Wird daher beabsichtigt, auf der Liegenschaft, die bisher anders genutzt wurde, ein Gebäude zu errichten, kann die Einräumung eines Notweges gerechtfertigt sein. Es kommt nicht auf die bisherige Nutzung an, auch ein durch einen Willensentschluß des Eigentümers geschaffener Bedarf ist zu berücksichtigen (EvBl 1965/106). Eine Absicht, auf dem Grundstück *****1, für welches der Notweg eingeräumt werden soll, ein Gebäude zu errichten, behauptet der Antragsteller aber nicht. Er hat vielmehr vor, dieses zu teilen, einen Teil durch Zuerwerb weiterer im Bauland gelegener Nachbargrundflächen zu vergrößern und dann als neu geschaffenes Grundstück *****9 zu verkaufen. Ein Weg zu einem Bauplatz, der erst durch die Vereinigung eines Grundstückes mit anderen noch zu erwerbenden Flächen geschaffen werden soll, ist aber nicht für das Grundstück erforderlich, sondern dient lediglich den Interessen seines Eigentümers. Die Bedürfnisse des Eigentümers sind jedoch nicht zu berücksichtigen, sondern nur jene der Liegenschaft (JBl 1967, 529). Die Voraussetzungen für die Einräumung des begehrten Notweges liegen daher schon auf Grund des Vorbringens des Antragstellers nicht vor.

Ob und unter welchen Voraussetzungen für das "geplante" Baugrundstück (*****9 laut der beiliegenden Planurkunde) ein Notweg eingeräumt werden könnte, ist hier nicht zu entscheiden. Alle übrigen, von den Vorinstanzen und im Revisionsrekurs aufgeworfenen Rechtsfragen (Aufschließungspflicht der Gemeinde; daraus ableitbares subjektives Recht des Antragstellers oder der Bauwerber; Möglichkeiten der theoretischen, weil gar nicht konkret geplanten Bebauung des dem Antragsteller gehörigen Baugrundteiles; Notwegerecht für die nach der dargelegten Absicht des Antragstellers vereinigte Grundfläche usw.) sind somit nicht mehr zu lösen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 Abs.1 NWG.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte