OGH 2Ob52/86

OGH2Ob52/8611.11.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erwin P***, Landwirtschaftsmeister, Pratztrum 3, vertreten durch Dr. Max Villgrattner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien

1.) Florian L***, Pensionist, 2.) Friedrich L***,

Landwirt, beide Pratztrum 2, 3.) A***-E*** Versicherungs-Aktiengesellschaft, Wien 1., Bösendorferstraße 13, alle vertreten durch Dr. Otto Haselauer, Rechtsanwalt in Linz, wegen restlicher S 97.895,67 s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 18. Juni 1986, GZ 2 R 80/86-62, womit infolge Berufung beider Streitteile das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 18. Dezember 1985, GZ 10 Cg 230/82-53, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.119,26 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 960,-- Barauslagen und S 650,85 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13. September 1979 stieß der Kläger mit seinem Motorrad Jamaha in Pratztrum im Kreuzungsbereich zweier landwirtschaftlicher Zufahrtswege mit dem entgegenkommenden vom Erstbeklagten gelenkten Traktor Steyr 188 zusammen. Der Zweitbeklagte ist Halter, die drittbeklagte Partei ist der Haftpflichtversicherer des Traktors. Der Kläger, der bei dem Unfall schwer verletzt wurde, begehrte ein Schmerzengeld, den Ersatz seines Sachschadens, einen Verdienstentgang, eine Verunstaltungsentschädigung, den Ersatz der Besuchskosten und Ummeldespesen, zusammen S 312.454,40 s.A., vom 1. Jänner 1983 bis 31. Juli 1984 eine monatliche Rente von S 1.600 und ab 1.. August 1984 eine monatliche Rente von S 2.000; ferner die Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung der beklagten Parteien für 70 % seiner künftigen Schäden.

Das Erstgericht sprach dem Kläger S 145.881,06 s.A., einen Verdienstentgang für die Jahre 1983 und 1984 von S 14.026,70 und ab 1. Jänner 1985 eine monatliche Rente von S 572,47 zu. Es stellte die Haftung der beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für 50 % der künftigen Schäden des Klägers fest. Das Mehrbegehren von S 166.573,34 s.A. und auf einen weiteren Verdienstentgang von S 30.047,46 sowie das Feststellungsmehrbegehren wies das Erstgericht ab.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß es dem Kläger insgesamt nur S 144.480,36 s.A. und einen Verdienstentgang für die Jahre 1983 und 1984 von nur S 13.108,16 zuerkannte. Es bestätigte den Feststellungsausspruch des Erstgerichtes und wies im übrigen das Mehrbegehren ab. Das Berufungsgericht hielt einen Ausspruch nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für entbehrlich, da bereits der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Streitgegenstandes den Betrag von S 300.000 übersteige. Letzteres trifft zu, weil nach der hier noch anzuwendenden Fassung des § 58 JN vor der Zivilverfahrensnovelle 1983 das Rentenbegehren des Klägers noch mit der zehnfachen Jahresleistung zu bewerten ist, sodaß zusammen mit den übrigen Teilansprüchen, soweit sie noch Gegenstand der Entscheidung durch das Berufungsgericht waren, jedenfalls der in einem Geldbetrag bestehende Teil des Streitgegenstandes S 300.000 übersteigt.

Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Verschuldensteilung und der Anspruch des Klägers auf Verdienstentgang strittig. Nach den für die Beurteilung dieser Fragen relevanten Feststellungen der Vorinstanzen beschreibt der von den unfallsbeteiligten Lenkern befahrene asphaltierte Weg im Unfallsbereich in Fahrtrichtung des Klägers eine Linkskurve. Das Haus des Zweitbeklagten bildet mit den zwischen Zaun und Fahrbahn befindlichen Sträuchern eine Sichtbehinderung. Die Fahrbahn ist 3,5 m breit und erweitert sich im Einmündungsbereich des von rechts - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen!- einmündenden Zufahrtsweges. Der im Unfallszeitpunkt 75 Jahre alte Erstbeklagte fuhr mit dem Traktor mit einem nicht zum Verkehr zugelassenen Anhänger, der mit ca. 1200 kg Schweinefutter beladen war, mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 28 km/h. Im Vergleich zu einer Geschwindigkeit von nur 10 km/h erhöht sich die kinetische Energie bei 25 km/h auf 625 % und bei 28 km/h auf 784 %. Der Abstand der Zugmaschine zum rechten Fahrbahnrand (Bordsteinkante) betrug 70 bis 90 cm. Aus der Gegenrichtung kam der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h. Er hielt eine Fahrlinie ein, bei der das linke Ende des Lenkers des Motorrades von der linken Begrenzung der Fahrbahn (Bordsteinkante) 1,60 m entfernt war. 12 m vor der späteren Kollisionsstelle hatte der Kläger eine Gesamtsicht von 29 m. Bei 25 m Sichtweite wäre der Kläger mit einer Geschwindigkeit von 43 km/h noch auf Sicht gefahren. Die Kollision erfolgte frontal, worauf das Motorrad unter die Zugmaschine geriet, die mit einem Hinterrad auf dem Oberkörper des Klägers zum Stillstand kam. Der Zweitbeklagte, der sich in einer Entfernung von ca. 50 m aufgehalten hatte, eilte herbei, forderte seinen erschrockenen Vater auf, vom Traktor zu steigen, und befreite den Kläger aus seiner Lage, indem er mit dem Traktor ein Stück nach vor fuhr. Der Erstbeklagte hatte die Lage des Klägers nicht wahrgenommen. Der Kläger erlitt schwerste Bauchverletzungen. Die Leber war nahezu in zwei Teile zerrissen, die Milz mußte entfernt werden. Der Krankenhausaufenthalt dauerte insgesamt 93 Tage. Durch die Sozialversicherung der Bauern wurde bis Ende April 1980 die Erwerbsminderung mit 100 %, bis 31. August 1981 mit 40 % und seither dauernd mit 30 % angenommen. Zur Verrichtung gewisser landwirtschaftlicher Arbeiten muß sich der Kläger vermehrt anstrengen und Beschwerden überwinden. Der Kläger hatte nach der Pflichtschule die Landwirtschaftliche Fachschule besucht und 1979 - noch vor dem Unfall - die Facharbeiterprüfung abgelegt. Die Landwirtschafsmeisterprüfung legte er am 1. Mai 1982 ab. Er ist als Übernehmer des elterlichen Hofes vorgesehen. Den Hof bewirtschafteten die Eltern gemeinsam mit dem Kläger und einer Landarbeiterin. Seit 1. Dezember 1984 ist der Kläger Pächter des Hofes, seine Eltern sind seither in PensiON An den tatsächlichen Verhältnissen hat sich dadurch nichts geändert. Eine finanzielle Gegenleistung ist im Pachtvertrag nicht vorgesehen. Es konnte nicht festgestellt werden, welchen Lohn der Kläger von seinen Eltern erhielt.

Nach der Auffassung des Erstgerichtes hätte der Erstbeklagte nur mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 10 km/h fahren dürfen. Ihm falle daher eine schwerwiegende Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last, der der gleichfalls schwerwiegende Verstoß des Klägers gegen § 7 Abs 2 StVO gegenüberstehe, sodaß eine Verschuldensteilung von 1 : 1 gerechtfertigt sei. Zum Verdienstentgang führte das Erstgericht aus, daß davon auszugehen sei, daß der Kläger während seiner Erwerbsunfähigkeit von seinen Eltern kein Entgelt erhalten habe, sodaß er einen tatsächlichen Verdienstentgang habe. Aber selbst ohne vereinbartes Entgelt hätte der Kläger Anspruch auf Verdienstentgang in Höhe des Wertes seiner Arbeitsleistungen. Der Berechnung der Höhe des Verdienstentganges legte das Erstgericht die von ihm festgestellten Tariflöhne für Landarbeiter zugrunde. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen Verschuldensteilung. Da der Kläger für seine Mitarbeit im elterlichen Betrieb auch ein Entgelt erhalten habe, stehe ihm - allerdings nur bis zur Hofübernahme - ein Anspruch auf Verdienstentgang zu, dessen Höhe mangels Feststellbarkeit vom Erstgericht zu Recht an Hand der Lohntabelle für Landarbeiter bestimmt worden sei. Zur teilweisen Abänderung des Ersturteils hinsichtlich dieses Teilanspruches gelangte das Berufungsgericht durch Korrektur eines Rechenfehlers und infolge Begrenzung des Anspruches mit dem Zeitpunkt der Hofübernahme (vgl. AS 379).

Gegen die Entscheidung der zweiten Instanz richtet sich die Revision der beklagten Parteien. Die Rechtsmittelwerber bekämpfen die angefochtene Entscheidung im Umfang eines Zuspruches von mehr als S 59.692,85 s.A., des Zuspruches eines Verdienstentganges und im Feststellungsausspruch insoweit, als ihre Haftung für künftige Schäden mit mehr als 25 % festgestellt wurde. Geltend gemacht wird der Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revision wendet sich gegen die Verschuldensteilung mit der Begründung, daß von den Vorinstanzen der Verstoß des Klägers gegen das Rechtsfahrgebot unterbewertet und nicht berücksichtigt worden sei, daß der Kläger an der Grenze des Gebotes des Fahrens auf Sicht gefahren sei und keine Abwehrhandlung gesetzt habe. Mangels Feststellung eines konkreten Verdienstentganges hätte ein Verdienstentgang nicht zugesprochen werden dürfen.

Richtig ist, daß dem Einhalten der rechten Fahrbahnseite an unübersichtlichen Straßenstellen erhöhte Bedeutung zukommt, sodaß ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot besonders schwer wiegt und demgegenüber die Einhaltung einer für die Verhältnisse zu hohen Geschwindigkeit in der Beurteilung der Verschuldensfrage zurücktritt. Aus diesen Erwägungen ist daher im Regelfall die Aufteilung des Verschuldens im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten dessen gerechtfertigt, der gegen § 7 Abs 2 StVO verstoßen hat (ZVR 1982/80, 1980/263, 1973/212, 1969/257). Die besonderen Umstände des Einzelfalles sind allerdings jeweils zu berücksichtigen (ZVR 1969/257). Zu berücksichtigen ist insbesondere das Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, weil es einen gravierenden Unterschied macht, ob jemand eine Geschwindigkeitsbeschränkung nur um 10 % oder um 100 % überschritten hat (vgl. Jabornegg, Probleme des Mitverschuldens bei Verkehrsunfällen in ZVR 1983, 194). Dem wurde auch in der Rechtsprechung insbesondere bei Zusammentreffen einer Vorrangverletzung (die in der Regel schwerer wiegt als andere Verkehrswidrigkeiten) mit einer eklatanten Geschwindigkeitsüberschreitung Rechnung getragen und in solchen Fällen eine Verschuldensteilung von 1 : 1 vorgenommen (ZVR 1976/364, 1972/25; 2 Ob 80/80 ua). Die Revision vernachlässigt eine Wertung der Geschwindigkeitsüberschreitung des Erstbeklagten. Es ist aber festzuhalten, daß der Erstbeklagte beim Ziehen eines nicht zum Verkehr zugelassenen Anhängers nur mit 10 km/h fahren hätte dürfen. Der Erstbeklagte hat somit die zulässige Höchstgeschwindigkeit um rund 150 % überschritten. In den der eingangs zitierten Rechtsprechung zugrunde liegenden Fällen handelte es sich jeweils nur um Geschwindigkeitsüberschreitungen zum Teil weit unter 100 %. Die Bedeutung der dem Erstbeklagten zur Last fallenden Geschwindigkeitsüberschreitung im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen über die Erhöhung der kinetischen Energie. Bei der gravierenden Geschwindigkeitsüberschreitung kann sich die Revision nicht darauf berufen, daß der Verstoß des Klägers gegen § 7 Abs2 StVO grundsätzlich schwerer wiegt. Unrichtig ist, daß der Kläger das Fehlverhalten des Erstbeklagten nach der Kollision nicht als zusätzliche Verschuldenskomponente geltend gemacht habe (vgl. AS 281). Eine besondere Würdigung dieses Umstandes kann aber ebenso unterbleiben wie die von der Revision angezogene Reaktionslosigkeit des Klägers und dessen Geschwindigkeit, weil diese Umstände nicht mehr besonders ins Gewicht fallen. Daß den Kläger ein gravierender Schuldvorwurf trifft, bedarf keiner Begründung. Aus den Feststellungen über die Unfallsörtlichkeit, die insbesondere durch die im Akt erliegenden Lichtbilder veranschaulicht wird, ergibt sich, daß in Anbetracht der Sichtbehinderung und der Enge der Fahrbahn dem Erstbeklagten gleichfalls der Vorwurf beträchtlicher Sorglosigkeit gemacht werden muß, sodaß die vorgenommene Verschuldensteilung der Vorinstanzen aufrecht erhalten werden kann. Der Standpunkt der Beklagten, daß das Erstgericht einen konkreten Verdienstentgang nicht angenommen habe, ist unzutreffend. Das Erstgericht hat - allerdings außerhalb seiner sonstigen Feststellungen - bei Berechnung des Verdienstentganges festgestellt, daß der Kläger während der Dauer seiner Erwerbsunfähigkeit von seinen Eltern keine Entlohnung erhielt und dadurch einen tatsächlichen Verdienstentgang erlitt (AS 312). Die Höhe wurde dann vom Erstgericht unter Heranziehung der Tariflöhne für einen Landarbeiter ermittelt. Davon abgesehen stünde dem Kläger, wie bereits das Erstgericht zutreffend ausführte, auch wenn er seine Arbeitskraft im Familienbetrieb ohne ziffernmäßig festgesetzte Entlohnung eingesetzt hätte, ein Anspruch auf Verdienstentgang zu (ZVR 1975/99 ua; vgl. auch Reischauer in Rummel ABGB Rdz 38 zu § 1325).

Demgemäß ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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