Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Der Kläger hat der Beklagten die mit 3.553,50 S (darin 600 S Barauslagen und 268,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger wurde am 8. 2. 1975 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt; die Beklagte haftet nach dem im Verfahren 2 Cg 107/75 des Kreisgerichts Krems am 25. 11. 1975 geschlossenen Vergleich im Rahmen des für den Traktor mit dem behördlichen Kennzeichen ***** abgeschlossenen Versicherungsvertrags für den Ersatz aller künftigen Unfallschäden des Klägers.
Der Kläger begehrte zuletzt die Zahlung von 64.800 S sA und brachte vor, er habe wegen des Unfalls das Schuljahr 1974/75 wiederholen müssen, obwohl er ein guter Schüler gewesen sei; er habe daher erst am 3. 6. 1982 die Mittelschule mit der Matura abgeschlossen. Für diese unfallsbedingte Verlängerung der Mittelschulzeit stünden ihm Aufwendungen für Verpflegung, Bekleidung, Sonderausgaben etc sowie anteilige Miete, Heiz-, Gas- und Stromkosten von monatlich rund 5.900 S für den Zeitraum Juli 1981 bis Juni 1982 zu. In seiner Parteienvernehmung deponierte der Kläger, dass er mit seinen Eltern vereinbart habe, ihre Aufwendungen für das verlorene Schuljahr zurückzuzahlen.
Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und wendete ein, die behaupteten Aufwendungen seien nicht dem Kläger persönlich, sondern seinen Eltern erwachsen. Die Eltern des Klägers hätten auch kein Feststellungsbegehren gestellt, sodass die Ansprüche verjährt seien. Darüber hinaus sei das verlorene Schuljahr jenes des Jahres 1974/75 gewesen, was der Kläger im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses bereits gewusst habe, sodass er damals schon auf Leistung hätte klagen können. Der Kläger könne auch nicht beweisen, dass er unmittelbar nach der Matura ins Erwerbsleben getreten wäre und ein monatliches Einkommen von mindestens 5.900 S erzielt hätte. Aus der Klage ergebe sich vielmehr, dass der Kläger ohne Beschäftigung sei, was auf die Arbeitsmarktlage zurückgeführt werden müsse. Auch seien die Aufwendungen überhöht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Infolge Berufung der Beklagten änderte das Gericht zweiter Instanz das Urteil des Erstgerichts im Sinne der gänzlichen Klagsabweisung ab. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die Revision zulässig sei.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts wendet sich die Revision des Klägers aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO), aber nicht berechtigt.
Das Erstgericht hat zusammengefasst im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Der Kläger wurde am 8. 2. 1975 im Alter von 11 Jahren, 9 Monaten und 6 Tagen bei einem Unfall schwer verletzt (Bruch des linken Oberschenkels), was einen Krankenhausaufenthalt bis 22. 5. 1975 notwendig machte. (Dauerzugbehandlung bei ständiger Rückenlage und Unmöglichkeit des Aufstehens sowie Schwierigkeit des Aufsetzens im Bett). Danach und in den Hauptferien 1975 war die gymnastische Ertüchtigung des Beines von den Beweglichkeitseinschränkungen im Knie und Hüftgelenk sowie von der Muskulaturschwächung (infolge der langmonatigen Inaktivität) medizinisch notwendig. Die volle Wiederherstellung - eine geringfügige Beugeeinschränkung im Knie sowie eine spurweise Muskulaturschwächung am linken Oberschenkel verblieben - nahm rund ein Jahr in Anspruch. Der Kläger weist eine gehoben durchschnittliche, aber keineswegs eine außergewöhnliche Intelligenz auf. Sie hat ihn dazu befähigt, das Gymnasium in der Unterstufe mit ganz gutem, die Reifeprüfung mit mittelmäßigem Erfolg abzulegen. Von der Persönlichkeit her ist er als durchschnittlich strukturiert und psychopathologisch unauffällig zu bezeichnen. Unter Berücksichtigung der Begabungsstruktur und aller Erfahrungswerte ist es schwer vorstellbar, dass der Kläger die innere Bereitschaft und den nachhaltigen Willen aufgebracht hätte, aller Entmutigung und den Schmerzen zum Trotz Versäumtes nachzulernen und den Anschluss an das Lehr- und Lernpensum der Schule zu finden. Dies würde vermutlich auch vielen Erwachsenen nicht gelingen, sie sich nach einem schweren Unfall in einem Krankenhaus befinden und den Ausgang ihres Genesungsprozesses noch gar nicht absehen können. Dass der Kläger in der Zeit nach seiner Entlassung aus dem Spital zielstrebig ein halbes Jahr Schulversäumnis mit intensiver Nachhilfe hätte nachholen können, ist ebensowenig realistisch. Er war nicht so hochbegabt, dass ihm dies spielend gelungen wäre (das gute Abschneiden beim nachfolgenden Repetieren geht auf das teilweise Wiederholen der Klasse und auf die bessere Verfügbarkeit des intellektuellen Leistungspotentials aufgrund des nunmehrigen Altersvorsprungs zurück); dazu kam, dass ja auch nach der Entlassung aus dem Spital eine Bewegungsbehinderung bestand, die durch intensive Gymnastik gebessert werden sollte. Es wäre auch keineswegs kindgemäß gewesen, wenn der Kläger, kaum aus dem Spital entlassen, auf die wiedererlangte Freiheit verzichtet und sich einem intensiven, durch Nachhilfelehrer massiv gestütztem Studium gewidmet hätte. Aber auch wenn man dies rein spekulativ annimmt, wäre es aus psychologischer Sicht nicht sehr sinnvoll gewesen: Vermutlich hätte der Bub damit den Aufstieg in die nächsthöhere Klasse, wenn überhaupt, nur knapp geschafft, um dafür in der dritten oder vierten Klasse hängen zu bleiben, weil rasch angelernter Stoff lerntheoretisch selten eine gediegene Grundlage für den Aufbau weiteren Wissens bildet, für den verteiltes und einsichtiges, systematisch fortschreitendes Lernen aber die Voraussetzung bildet. Eine Klassenwiederholung in einer höheren Schulstufe wäre obendrein weniger günstig gewesen, weil er dadurch nicht zum fehlenden Basiswissen gelangt wäre. Ein Versagen bei den Nachprüfungen auch nur in einem Fach hätte andererseits den Kläger vermutlich schwer frustriert und in eine neue Depression getrieben. Der Kläger macht seit dem Wintersemester 1982, also im Anschluss an die im Juni 1982 abgelegte Matura, als außerordentlicher Hörer an der Wirtschaftsuniversität Wien den Universitätslehrgang Werbung und Verkauf (4 Semester) und studiert überdies als ordentlicher Hörer, aber nur hin und wieder, Betriebswirtschaftslehre. Er beabsichtigt, in einer Werbeagentur oder einer Werbeabteilung eines Großunternehmens eine Stellung anzunehmen, wofür jenes Studium von Vorteil wäre. Durch den Verlust eines Jahres ist es für ihn noch schwieriger geworden, eine Stelle zu finden. Im September 1982 hatte er eine Stelle als Assistent des Anzeigenleiters einer Zeitschrift in Aussicht, doch wurde diese Stelle schließlich mit einem anderen Bewerber, der schon Berufserfahrung hatte, besetzt. Der Kläger arbeitet freiberuflich in der Handelsagentur Manfred G*****. Im Zeitraum vom 1. 9. bis 17. 12. 1982 verdiente er dabei netto 6.000 S, vom 1. 1. bis 8. 2. 1983 4.160 S und vom 9. 2. bis 8. 3. 1983 2.000 S. Durchschnittlich verdient er bis heute das Gleiche. Für die Zeit vom Juli 1981 bis Juni 1982 wendeten die Eltern des Klägers der mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebt, für seinen Lebensunterhalt insgesamt 64.800 S auf. Der Kläger verpflichtete sich, den Eltern diesen Betrag zurückzuzahlen. Einen Teil hat er schon aus dem Schmerzengeld zurückgezahlt, den Rest will er aus dem eingeklagten Betrag zahlen.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, dass es sich aufgrund der Rückzahlungsverpflichtung des Klägers um seine eigenen Ansprüche handle, die deshalb noch nicht verjährt seien, weil der Kläger ein Jahr später maturiert habe und daher das letzte Jahr der Mittelschule der „kritische Zeitraum“ sei. Dass der Kläger nicht unmittelbar nach der Matura eine entsprechende Stellung gefunden habe, ändere nichts an dem Umstand, dass er von seinen Eltern ein Jahr länger habe erhalten werden müssen.
Das Berufungsgericht erachtete schon aus rechtlichen Gründen die Berufung für gerechtfertigt. Es führte aus, ein Geschädigter, der eine unfallbedingte Verzögerung seiner Ausbildung erleide, könne einen Verdienstentgang für jenen Zeitraum geltend machen, um welchen er - bezogen auf das Ende seiner Ausbildungszeit - später ins Erwerbsleben eintritt. Müsse ein Beschädigter wegen der Unfallsfolgen eine Mittelschulklasse wiederholen und lege er daher seine Matura ein Jahr später ab, könne er den nach der Differenzmethode zu errechnenden Verdienstentgang seiner verlängerten Mittelschulzeit dann begehren, wenn er unmittelbar nach der Matura ins Erwerbsleben trete. Dasselbe gelte, wenn der Geschädigte nach der Matura ein Universitätsstudium absolviere, und der Abschlusszeitpunkt sich um eben diese Differenz verschiebe. Desgleichen könne ein Entfall des Einkommens für Nebentätigkeiten begehrt werden, wenn diese neben der Mittelschule noch nicht, neben dem Studium aber bereits möglich seien. Der Kläger mache Aufwendungen geltend, welche von seinen Eltern für seinen Unterhalt während 11 Monaten des Schuljahrs 1981/82 getätigt wurden. Zutreffend sei an sich, dass auch ein unfallskausaler erhöhter Unterhaltsaufwand einen ersatzfähigen Schaden iSd § 1325 ABGB darstelle. Wie der Oberste Gerichtshof ausgeführt habe, sei der Aufwand für das unfallsbedingt verlängerte Studium dem Verlust des Verdienstes gleichzustellen, wobei die Unterhaltspflicht eines Dritten den Schädiger nicht befreie. Daraus sei jedoch für den Kläger nichts zu gewinnen, weil dieser Schaden erst dann entstehen könne, wenn der Geschädigte ohne das schädigende Ereignis sein Studium bereits abgeschlossen hätte, also noch nicht in einem Zeitpunkt, in dem diese Aufwendungen noch nicht getätigt worden wären. Dass dem Kläger durch die Verzögerung in seinem Ausbildungsgang ein aus Nebentätigkeiten zufließender Verdienstentgang entstanden wäre, sei nicht einmal behauptet worden. Die Klage sei daher mangels Schadenskausalität für den in Frage stehenden Zeitraum abzuweisen gewesen.
Der Kläger bringt in seiner Revision vor, der Aufwand für das unfallsbedingt verlängerte Studium sei als Verdienstentgang zu werten. Der Ersatz der Aufwendungen für seinen Lebensunterhalt sei unabhängig von dem von ihm erzielten oder erzielbaren Verdienst. Seine Eltern hätte ihn als Folge des Unfalls ein Jahr länger erhalten müssen. Erbracht seien diese Aufwendungen aber erst in dem Zeitraum unmittelbar vor der unfallsbedingt verspäteten Ablegung der Reifeprüfung worden. Erst in diesem Zeitraum sei der Ersatzanspruch entstanden.
Der Revision ist zuzugeben, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch ein unfallsbedingter erhöhter Unterhaltsaufwand in Form der Kosten des verlängerten Studiums einen ersatzfähigen Schaden iSd § 1325 ABGB darstellen kann und ein durch die Folgen einer Verletzung im Studium behinderter Student Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls hat, der durch den verzögerten Eintritt ins Berufsleben entsteht (vgl ZVR 1970/150). Allerdings kann der Ersatz der unfallsbedingt erhöhten Kosten der Berufsausbildung nicht neben dem Verdienstentgang wegen verspäteten Eintritts in das Berufsleben verlangt werden, weil sonst dem Verletzten derselbe Schaden zweifach ersetzt würde. Wäre nämlich der Verletzte früher berufstätig geworden, dann hätte er hiedurch voraussichtlich seinen Unterhalt bestritten, sodass sich die Frage der Kosten einer verlängerten Ausbildung nicht ergeben könnte (2 Ob 151/75). Die Frage des Ersatzes des erhöhten Unterhaltsaufwands zufolge der verlängerten Berufsausbildung kann aber nicht unabhängig vom Zweck der Berufsausbildung, nämlich der Ermöglichung des Eintritts in das Erwerbsleben betrachtet werden. Grundsätzlich ist der Geschädigte so zu stellen, wie er ohne den Unfall gestellt wäre, dh es ist darauf Bedacht zu nehmen, welchen Verdienst er ohne Unfall beim gewöhnlichen Verlauf der Dinge voraussichtlich erzielt hätte (ZVR 1979/232, 8 Ob 116/83 ua). Da der Kläger aber nach den Feststellungen nach der Reifeprüfung ein Hochschulstudium aufnahm, das er noch nicht beendet hat, konnte zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch nicht beurteilt werden, in welchem Ausmaß eine Verzögerung der Berufsausbildung des Klägers durch den Unfall bewirkt werden wird und um welchen Zeitraum er - bezogen auf das Ende seiner Ausbildungszeit - später in das Erwerbsleben eintreten wird. Aus diesem Grunde hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum den Ersatz der Aufwendungen für den Unterhalt des Klägers für den Zeitraum vom Juli 1981 bis Juni 1982 abgelehnt (vgl hiezu EvBl 1969/374).
Dem Verjährungseinwand der Beklagten ist allerdings entgegenzuhalten, dass dem Kläger mit Rücksicht auf den rechtswirksamen Vergleich, mit welchem die Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallsfolgen des Klägers übernommen wurde, die grundsätzliche Möglichkeit der späteren Geltendmachung von Ansprüchen aufgrund einer unfallsbedingten Verzögerung des Eintritts in das Erwerbsleben nach Maßgabe der künftigen Gestaltung seiner Erwerbsverhältnisse gewahrt bleibt (vgl EvBl 1969/374).
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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