Spruch:
Wenn die Klage vorsichtshalber bei zwei Gerichten eingebracht worden ist, ist eine Klagsrücknahme auch ohne Anspruchsverzicht zulässig, wenn sie vor dem zweitangerufenen Gericht wegen einer vorangegangenen, die Zuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichtes aussprechenden Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes erklärt wird.
Entscheidung vom 12. Oktober 1955, 2 Ob 525/55.
I. Instanz: Handelsgericht Wien; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klage, die am 10. Jänner 1955 beim Handelsgericht Wien eingebracht worden ist, wurde zunächst a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit hinsichtlich des Erstbeklagten und wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache hinsichtlich des Zweitbeklagten zurückgewiesen. Der Zurückweisungsbeschluß wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 25. Februar 1955 aufgehoben, und es wurde dem Erstgericht aufgetragen, sich der Verhandlung und Entscheidung zu unterziehen. Ein gegen den Beschluß des Rekursgerichtes gerichteter Revisionsrekurs wurde vom Obersten Gerichtshof als unzulässig zurückgewiesen. Nach der Entscheidung des Rekursgerichtes wurde den beiden Beklagten die Klage am 21. März 1955 zugestellt und die erste Tagsatzung am 31. März 1955 abgehalten. Bei dieser Tagsatzung haben die Beklagten rechtskräftig entschiedene Streitsache und Streitanhängigkeit, der Erstbeklagte überdies noch sachliche Unzuständigkeit, eingewendet.
Das Erstgericht hat über diese Einreden in der ersten Tagsatzung nicht entschieden, sondern hat Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung gegeben und hat nach ihrem Einlangen am 24. Juni 1955 eine Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung abgehalten. Bei dieser faßte das Handelsgericht den Beschluß, die Klage wegen Streitanhängigkeit zu 40 Cg 13/55 des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien zurückzuweisen. Der Kläger hatte nämlich nach der a limine-Zurückweisung seiner Klage durch das Handelsgericht Wien dieselbe Klage am 22. Jänner 1955 beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zu der erwähnten Geschäftszahl eingebracht. Die beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien eingebrachte Klage ist den beklagten Parteien am 3. Februar 1955 zugestellt worden. Nach der die a limine-Zurückweisung aufhebenden Entscheidung des Oberlandesgerichtes hat der Kläger die beim Zivillandesgericht eingebrachte Klage mit einem am 21. Juni 1955 überreichten Schriftsatz ohne Verzicht auf den Anspruch zurückgezogen. Bei seinem Beschluß vom 24. Juni 1955, mit dem es die Klage wegen Streitanhängigkeit zurückwies, ging das Handelsgericht Wien davon aus, daß die Streitanhängigkeit nicht aufgehoben sei, weil den Parteien noch keine Verfügung des Gerichtes über die Zurkenntnisnahme der Zurücknahme der Klage zugestellt worden sei. Außerdem sei eine Zurücknahme der Klage ohne Anspruchsverzicht nur mit Zustimmung der beklagten Parteien möglich. Da diese nicht vorliege, sei auch darum das Verfahren beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien noch immer anhängig.
Das Oberlandesgericht Wien gab dem Rekurs des Klägers gegen den Beschluß des Handelsgerichtes Wien, betreffend die Zurückweisung der Klage wegen Streitanhängigkeit, Folge, hob diesen Beschluß auf und trug dem Handelsgericht die Fortsetzung der Verhandlung auf.
Der Oberste Gerichtshof gab den Revisionsrekursen der beklagten Parteien nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Revisionsrekurse sind zulässig, weil nicht der Fall des § 527 Abs. 2 ZPO. vorliegt und es sich bei der Entscheidung des Oberlandesgerichtes nicht um eine Aufhebung, sondern um eine Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses handelt.
Der Oberste Gerichtshof erachtet aber die Revisionsrekurse nicht für begrundet. Die Auffassung des Rekursgerichtes, daß eine Klagsrücknahme auch ohne Anspruchsverzicht zulässig sei, wenn sie vor dem zweitangerufenen Gericht infolge einer vorangegangenen, die Zuständigkeit des zunächst angerufenen Gerichtes aussprechenden Entscheidung des Rechtsmittelgerichtes erklärt wird, trifft zu. Denn in dem Fall, wenn eine Klage nur aus Zuständigkeitsgrunden, eben wegen der Zuständigkeit des früher angerufenen Gerichtes, zurückgenommen wird, wäre es sinnwidrig, die Zulässigkeit der Klagsrücknahme von einem materiellen Anspruchsverzicht abhängig zu machen.
Der Oberste Gerichtshof vermag die Ansicht der Revisionsrekurse nicht zu teilen, daß die Klagsrücknahme noch nicht rechtskräftig war, als das Handelsgericht die Streitanhängigkeit wahrnehmen zu können vermeinte. Der Oberste Gerichtshof schließt sich vielmehr der Auffassung des Rekursgerichtes an, daß die Kenntnisnahme der Zurücknahme der Klage überhaupt nicht das Substrat für einen der Rechtskraft fähigen Beschluß zu bilden vermag (vgl. 1 Ob 790/53; Petschek, Glosse zu ZBl. 1938 Nr. 82). Es ist daher ganz unerheblich, daß das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien erst mit Beschluß vom 6. Juli 1955 die Zurücknahme der Klage zur Kenntnis genommen hat.
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