OGH 2Ob518/84

OGH2Ob518/8429.2.1984

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gertrude B*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Pils, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Artur Heinrich B*****, vertreten durch Dr. Eckhard Tasler, Rechtsanwalt in Linz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. November 1983, GZ 3 a R 181/83-31, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichts Linz vom 1. Juli 1983, GZ 5 Cg 83/82-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 8. 6. 1971 geheiratet. Der Ehe entstammt der am 20. 11. 1971 geborene minderjährige Artur. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger, ihr gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt ist Linz.

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Der Beklagte gehe seine eigenen Wege und kümmere sich nicht um die Familie. Er habe die Klägerin wiederholt beschimpft und erklärt, sie zu hassen. Er habe seine Unterhaltspflicht vernachlässigt und die Klägerin am 12. 5. 1982 körperlich verletzt.

Der Beklagte bestritt die ihm angelasteten Eheverfehlungen und stellte einen Mitschuldantrag. Ursache der Zerrüttung der Ehe sei der übermäßige Alkoholkonsum der Klägerin. Sie sei oft nächtelang der Ehewohnung ferngeblieben und erst morgens in betrunkenem Zustand nach Hause gekommen. In der Nacht vom 31. 8. 1982 zum 1. 9. 1982 habe sie Ehebruch begangen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus beiderseitigem gleichteiligem Verschulden.

Das Berufungsgericht änderte das nur im Ausspruch über das Verschulden angefochtene Ersturteil dahin ab, dass es das überwiegende Verschulden des Beklagten feststellte.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung. Der Beklagte begehrt den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nur zum Teil berechtigt.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung den auf den Aktenseiten 100 bis 109 (S 4 bis 13 der Urteilsausfertigung) dargestellten Sachverhalt zu Grunde, den das Berufungsgericht nach teilweiser Beweiswiederholung ergänzte. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen verlief die Ehe der Streitteile bis zum Jahre 1978 harmonisch. Seither verschlechterte sich ihr Verhältnis. Es kam wöchentlich ein- bis zweimal aus nichtigen Anlässen zu Auseinandersetzungen. Der Beklagte beschimpfte die Klägerin als „Trampel“ und „Bauernmensch“. Er äußerte zu ihr, sie solle sich „schleichen, sich putzen, ihr Hirn in die Hand nehmen, sie habe nur Stroh drinnen“. Er erklärte auch, zu bereuen, sie geheiratet zu haben und sie zu hassen. Aber auch die Klägerin beschimpfte bei diesen Auseinandersetzungen den Beklagten. Hauptursache dieser Streitigkeiten war die Erziehung des Sohnes. Der Beklagte konnte sich mit seinen Ansichten gegenüber der Klägerin nicht durchsetzen. Daraufhin zog er sich immer mehr zurück. Er holte sich am Abend sein Essen aus dem Kühlschrank und nahm dieses allein im Wohnzimmer ein. Das Angebot der Klägerin, ihm etwas zu essen zu bringen, lehnte er ab.

Seit dem Jahre 1979 spricht die Klägerin in verstärktem Maß dem Alkohol zu. In diesem Jahr fand auch der letzte Geschlechtsverkehr statt. Auch den letzten gemeinsamen Urlaub verbrachten die Streitteile in diesem Jahr.

Ab 1980 ging die Klägerin trotz Vorhaltungen des Beklagten häufig allein fort. Im Jahre 1981 war sie zwei- bis dreimal pro Woche weg. Sie vernachlässigte die Haushaltsführung. Sie kochte nicht und ließ die ungebügelte Wäsche längere Zeit liegen. Einige Male kam sie angeheitert nach Hause. Der Beklagte machte ihr deshalb Vorwürfe. Seit Mitte des Jahres 1981 ist die Klägerin aus dem gemeinsamen Schlafzimmer ausgezogen und schläft im Kinderzimmer. Etwa im Herbst 1981 äußerte der Beklagte, dass ihm die Klägerin nichts mehr herzurichten brauche und er seine Lebensmittel selbst einkaufe. Die Streitteile besprachen nur mehr das Nötigste. Seit März 1982 verkehren sie überhaupt nur mehr schriftlich miteinander.

Die Klägerin trinkt täglich mindestens zwei bis drei Flaschen Bier oder zwei bis drei Viertelliter Wein. Sie ist jedoch in den letzten Jahren nie volltrunken nach Hause gekommen. Auch der Beklagte kam in den letzten Jahren etwa zweimal wöchentlich spät nach Hause. Die Klägerin wusste nicht, wo er war. Der Beklagte trinkt täglich zwei Flaschen Bier und einige Achtelliter Wein.

Am 12. 5. 1982 gab der Beklagte der Klägerin keine Antwort auf ihre Frage betreffend den Erholungsurlaub des Sohnes. Sie hielt ihm auch vor, dass er ihr noch kein Wirtschaftsgeld gegeben habe. Als die Klägerin daraufhin den Fernsehapparat ausschaltete, fasste sie der Beklagte bei den Armen und wies sie aus dem Zimmer. Als sie das Wohnzimmer verließ, schlug er die Türe zu. Dadurch erlitt die Klägerin Prellungen und einen Bluterguss am rechten Knie. In der folgenden Nacht kam der Beklagte nicht nach Hause.

Das Erstgericht vertrat den Standpunkt, dass beide Ehegatten schwere Eheverfehlungen begangen und dadurch die Ehe schuldhaft zerrüttet hätten. Dem Beklagten lastete das Erstgericht an, dass er sich abgekapselt, die Klägerin beschimpft, mit ihr nicht mehr gesprochen und sie am 12. 5. 1982 körperlich verletzt habe. Die Klägerin habe ihre Pflicht zur anständigen Begegnung dadurch verletzt, dass sie sich ständig in die Erziehung des Sohnes eingemischt habe. Ferner seien ihr der Alkoholkonsum und die Vernachlässigung der Haushaltsführung vorzuwerfen. Die Eheverfehlungen beider Ehepartner seien gleichgewichtig.

Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass der Beklagte den entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe dadurch geleistet habe, dass er schon im Jahre 1978 zu erkennen gegeben habe, jede weitere Kommunikation mit der Klägerin abzulehnen. Er habe sich völlig abgekapselt und in der Folge jedes Gespräch verweigert. Das Verschulden der Klägerin trete demgegenüber in den Hintergrund.

Der Beurteilung des Berufungsgerichts tritt der Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung entgegen, dass die Klägerin den entscheidenden Beitrag zur Ehezerrüttung geleistet habe. Sie habe sich in die Erziehung des Sohnes eingemengt, seit 1978 allein Gasthäuser besucht und in zunehmendem Maße Alkohol konsumiert. Dieses Verhalten sei für die Zerrüttung der Ehe entscheidend gewesen. Der Beklagte sei erst ab dem Jahre 1979 seine eigenen Wege gegangen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bezögen sich im Wesentlichen auf einen Zeitraum, zu dem die Ehe bereits zerrüttet gewesen sei.

Den Revisionsausführungen, die sich in einzelnen Punkten nicht mit den Feststellungen der Vorinstanzen decken, kann nur im Ergebnis teilweise beigepflichtet werden.

Zu entscheiden ist nur über den Verschuldensausspruch. Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Verschuldensabwägung das Gesamtverhalten der Ehegatten maßgebend (EFSlg 38.774, 38.776 uva). Es kommt hiebei nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten an, sondern auch darauf, wie weit die Eheverfehlungen einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten. Zu berücksichtigen ist, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe begonnen und wer den entscheidenden Beitrag dazu geleistet hat, dass die Ehe unheilbar wurde (EFSlg 38.777, 38.780 f, 36.385 uva). Der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn sehr unterschiedliche Grade des Verschuldens der Ehegatten hervorgekommen sind (EFSlg 38.786, 36.383 uva), wenn die Schuld des einen erheblich schwerer wiegt als die des anderen und dies neben dem eindeutigen Verschulden des einen Teiles fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 38.787 mwN). Nach diesen Grundsätzen ist im vorliegenden Fall der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens eines der Ehegatten nicht gerechtfertigt.

Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend hervorhob, steht das Erziehungsrecht beiden Elternteilen gemeinsam zu und ist einvernehmlich auszuüben. Hiebei auftretende Meinungsverschiedenheiten sind zwischen Ehepartnern unter Beachtung des Grundsatzes der anständigen Begegnung auszutragen. Kann auf dieser Ebene kein Einvernehmen erzielt werden, ist nach § 176 ABGB vorzugehen (vgl Pichler in Rummel ABGB § 144 Rdz 2 und 3). Im vorliegenden Fall führten die Meinungsverschiedenheiten jedoch zu Streitigkeiten, verbunden mit gegenseitigen Beschimpfungen. Dass sich der Beklagte gegenüber der Klägerin nicht durchsetzen konnte, führte dazu, dass er sich immer mehr zurückzog. Wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen zwanglos ergibt, war der zunehmende Alkoholgenuss der Klägerin und ihr Fernbleiben von der Ehewohnung eine Folge der Streitigkeiten und der dadurch bedingten Absonderung des Beklagten. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen lässt sich überhaupt das gesamte ehewidrige Verhalten beider Ehegatten in den Jahren nach 1978 nur durch die Streitigkeiten über die Erziehung des Sohnes erklären. Daran waren aber beide Ehegatten beteiligt und es kam auch auf beiden Seiten im Zuge dieser Auseinandersetzungen zu Beschimpfungen. Wenn auch die von der Beklagten hiebei gebrauchten Ausdrücke nicht feststehen, ist ein überwiegendes Verschulden eines der beiden Ehegatten nicht ersichtlich. Auch die weiteren Eheverfehlungen beider Streitteile sind im Wesentlichen gleichgewichtig. Auch der Beklagte kam in den letzten Jahren regelmäßig etwa zweimal in der Woche spät nach Hause, ohne dass die Klägerin wusste, wo er war. Seiner Absonderung und Ablehnung der Essenszubereitung durch die Klägerin steht deren Auszug aus dem ehelichen Schlafzimmer und die Vernachlässigung der Haushaltsführung gegenüber. Berücksichtigt man die erste Ursache des Auseinanderlebens, kann in den durch sie bedingten, jeweils im Zusammenhang stehenden weiteren Eheverfehlungen beider Streitteile ein überwiegender Anteil eines von ihnen an der Zerrüttung der Ehe nicht erkannt werden. Die Eheverfehlungen bieten nach ihrer Schwere und nach ihrem Zusammenhang keinen Anhaltspunkt für einen erheblich stärkeren Schuldvorwurf an einen der Ehegatten. Das Verhalten der Klägerin in der Nacht vom 31. 8. 1982 zum 1. 9. 1982 kann vernachlässigt werden, weil es jedenfalls bereits in den Zeitraum fällt, in dem die Ehe völlig zerrüttet und ihre Rettung nicht mehr zu erwarten war. In diesen Zeitraum fallende Eheverfehlungen spielen bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle (EFSlg 25.090; 7 Ob 721, 722/82 ua). Dann ist aber der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nicht gerechtfertigt. Dies insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die erste Ursache für die Zerrüttung der Ehe von beiden in gleicher Weise gesetzt wurde.

Demgemäß ist der Revision teilweise Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 43 Abs 1 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte