Spruch:
Das als Berufung bezeichnete Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
Text
Begründung
Zwischen den Pareien war zu 48 C 241/91 des Erstgerichtes ein Besitzstörungsverfahren anhängig. Der Wiederaufnahmskläger begehrte in diesem Verfahren die Feststellung, die wiederaufnahmsbeklagte Partei habe ihn dadurch, daß sie die Herausgabe der Schlüssel zur Wohnung Singerstraße *****, von Budimir N***** begehrte, die Schlüssel in Empfang nahm, die Wohnung betrat und beging, versperrte und die Herausgabe der Schlüssel, die die in der Wohnungseingangstür befindlichen Schlösser sperren, verweigerte, den ruhigen Besitz an dieser Wohnung entzogen. Er begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, sich jeder weiteren Störung zu enthalten und den früheren Besitzstand wieder herzustellen, sohin die Wohnung geräumt von eigenen Fahrnissen an ihn zurückzugeben. Er brachte dazu vor, die in Rede stehende Eigentumswohnung von der ehemaligen Eigentümerin Clara P***** käuflich erworben zu haben. Dieser Kaufvertrag sei von der Erbin der ehemaligen Eigentümerin, der Beklagten, erfolgreich angefochten worden. Das Eigentumsrecht des Klägers im Grundbuch sei gelöscht, das Eigentumsrecht der Beklagten einverleibt worden. Die Beklagte sei zwar grundbücherliche Eigentümerin, habe aber mangels Übergabe keinen Besitz erworben, vielmehr habe sich der Kläger seit Jahren im ruhigen Besitz der Wohnung befunden. Die Beklagte habe zu 48 C 340/90 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien eine Klage auf Räumung gegen den Kläger eingebracht. Das Räumungsverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Dessen ungeachtet habe sich die Beklagte eigenmächtig in den Besitz der Eigentumswohnung gesetzt.
Die Beklagte führte in diesem Verfahren aus, der Besitz des Klägers sei unecht im Sinne des § 345 ABGB gewesen. Das Klagebegehren sei unzulässig und nur von offensichtlicher Schädigungsabsicht getragen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging in tatsächlicher Hinsicht davon aus, daß der Mieter der Wohnung vom Beklagtenvertreter aufgefordert worden sei, die im Wohnungseigentum der Beklagten stehende Wohnung unverzüglich zu verlassen. Dieser Mieter habe das Mietverhältnis vorzeitig beendet und dem Beklagtenvertreter die Schlüssel zur Wohnung übergeben, der seitdem über die Schlüssel verfüge. Rechtlich erörterte es, daß die Beklagte bei Inbesitznahme der Wohnung nicht eigenmächtig gehandelt habe, weil sie die Schlüssel durch den Besitzdiener des Klägers erhalten habe.
Das Rekursgericht sprach in seiner Entscheidung vom 17.2.1992 (42 R 15/92) aus, daß der Rekurs im Ergebnis nicht berechtigt sei. Der dem Kläger zukommende Sachbesitz an der Wohnung sei diesem dadurch entzogen worden, daß der Vertreter der Beklagten den Rechtsbesitzer der Wohnung und dadurch Besitzmittler in bezug auf den Kläger zur Übergabe der Wohnungsschlüssel unter Androhung von - wenn auch zulässigen - Konsequenzen aufgefordert habe. Ein tatsächlicher Eingriff (Störung) liege bereits dort vor, wo ein Verbot oder Drohungen oder beides zugleich ausgesprochen würden. Gebe der Rechtsbesitzer (Mieter) seinen Besitz auch freiwillig auf, heiße das noch nicht, daß der darüberhinaus weiterbestehende Sachbesitz des Klägers erloschen sei. Das Rekursgericht gelangte aber weiter zum Ergebnis, daß die Klagsführung rechtsmißbräuchlich sei, weil der Kläger nicht nur im Petitorium (23 C 383/83 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien) sondern auch in dem auf Wiederaufnahme des selben geführten Verfahren (21 C 558/90 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, 45 R 661/90 des Landesgerichtes für ZRS Wien) endgültig unterlegen sei.
Der Kläger machte nunmehr mit seiner auf Bewilligung der Wiederaufnahme des Besitzstörungsverfahrens an das Rekursgericht gerichteten Klage geltend, daß das Rekursgericht zu Unrecht von der rechtskräftigen Abweisung der auf Bewilligung der Wiederaufnahme im Petitorium gerichteten Klage ausgegangen sei. Mit Beschluß des Obersten Gerichtshofes vom 26.9.1991 6 Ob 581/91 sei nämlich seinem außerordentlichen Revisionsrekurs, der sich gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien 45 R 661/90, mit dem die zu 21 C 558/90 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien erfolgte Zurückweisung seiner Wiederaufnahmsklage bestätigt worden, Folge gegeben worden.
Die Beklagte wendete dagegen ein, das Landesgericht für ZRS Wien sei zur Entscheidung über diese Wiederaufnahmsklage unzuständig, die Klage sei verfristet, eine "neue Tatsache" liege nicht vor. Durch den vom Kläger erwähnten Beschluß des Höchstgerichtes habe sich keine Änderung der Entscheidungsgrundlage im Besitzstörungsverfahren ergeben. In dem auf Wiederaufnahme des Petitoriums gerichteten Verfahren werde mit Sicherheit eine Klagsabweisung erfolgen, der Kläger verschleppe das gegen ihn anhängige Räumungsverfahren.
Mit der nunmehr angefochtenen - gemeinsam ausgefertigten Entscheidung - bewilligte das Landesgericht für ZRS Wien die Wiederaufnahme des Besitzstörungsverfahrens (48 C 241/91 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, 42 R 15/92 des Landesgerichtes für ZRS Wien) und sprach gleichzeitig aus, daß die Beklagte den Kläger dadurch, daß sie die Herausgabe der Schlüssel zur Wohnung Singerstraße ***** von Budimir N***** begehrte, diese Schlüssel in Empfang nahm die Wohnung betrat und beging, versperrte und die Herausgabe der Schlüsel, die die in der Eingangstür der Wohnung Singerstraße ***** befindlichen Schlösser sperren, verweigerte, im ruhigen Besitz an dieser Wohnung gestört, bzw dem Kläger den Besitz an dieser Wohnung entzogen habe. Es verpflichtete die Beklagte, den früheren Besitzstand wieder herzustellen und die Wohnung Singerstraße ***** geräumt von eigenen Fahrnissen dem Kläger zu übergeben, und sich jeder weiteren Störung zu enthalten. Es führte aus, zur Entscheidung in dieser Sache zuständig zu sein, die Klage sei auch nicht verfristet, ihr Begehren berechtigt. Gemäß § 532 Abs 2 ZPO sei zur Entscheidung über die Wiederaufnahmsklage das Gericht höherer Ordnung zuständig, wenn nur seine Entscheidung vom geltend gemachten Anfechtungsgrund betroffen sei. Damit sei zu bedenken, ob dem Einwand, es läge keine neue Tatsache vor, Gewicht beizumessen sei. Das Besitzstörungsverfahren vor dem Erstgericht sei in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 8.10.1991 geschlossen worden. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, auf die sich der Wiederaufnahmskläger stütze, sei erst am 22.11.1991 beim Erstgericht eingelangt und in der Folge den Parteien zugestellt worden. Der Kläger habe daher gar nicht vorbringen können, daß seinem außerordentlichen Rechtsmittel Erfolg beschieden worden sei. Die höchstgerichtliche Entscheidung stelle eine "neue Tatsache" dar, die dem Kläger erst nach Schluß der Verhandlung bekannt geworden sei. Der Rekursentscheidung vom 17.2.1992 liege eine Tatsache zugrunde, die das Erstgericht nicht unterstellt habe. Diese Tatsache sei für die Entscheidung des Rekursgerichtes von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, weil sie die Annahme gestützt habe, der Kläger übe sein Recht nur rechtsmißbräuchlich aus. Ob nach den bisherigen Ergebnissen das auf die Wiederaufnahme des Petitoriums gerichtete Begehren abzuweisen sein werde, sei im Besitzstörungsverfahren nicht zu prüfen, weil dessen Gegenstand nur die Erörterung und der Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes sowie der erfolgten Störung sei, während im Petitorium und im korrespondierenden Wiederaufnahmsverfahren die Frage des Eigentums und des Rechtes zum Besitz geprüft werde. Dem Kläger könne Mißbrauch der Rechtsausübung durch Führung des Besitzstörungsverfahrens nicht unterstellt werden. Die am 4.5.1992 beim Rekursgericht eingelangte Klage sei auch rechtzeitig, weil dem Vertreter des Klägers der Beschluß des Rekursgerichtes vom 17.2.1992 erst am 21.4.1992 zugestellt worden sei. Erst zu diesem Zeitpunkt sei er in der Lage und genötigt gewesen, die Entscheidung des Höchstgerichtes als neue Tatsache gegen die erst in zweiter Instanz erfolgte Annahme, seine Wiederaufnahmsklage sei rechtskräftig zurückgewiesen worden, ins Treffen zu führen. Da sich der Anfechtungsgrund nur in der Entscheidung des Gerichtes höherer Ordnung ereignet habe, sei dieses gemäß § 535 ZPO zur Entscheidung und zwar in der Besetzung wie es sonst als Rechtsmittelgericht zu entscheiden hätte, berufen.
Das Landesgericht führte noch aus, daß gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel nicht zulässig sei.
Die wiederaufnahmsbeklagte Partei bekämpft diese Entscheidung mit einem als Berufung bezeichneten Rechtsmittel mit dem Antrag, das Wiederaufnahmeklagebegehren des Wiederaufnahmsklägers, gerichtet auf die Wiederaufnahme des Verfahrens 48 C 214/91 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, 42 R 15/92 des Landesgerichtes für ZRS Wien, zurückzuweisen, in eventu abzuweisen und die Entscheidung des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 17.2.1992 42 R 15/92-15 wiederherzustellen sowie dem seinerzeitigen Rekurs der wiederaufnahmsklagenden Partei Anton J.G***** nicht Folge zu geben und damit auch den Endbeschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8.1.1991 zu bestätigen, wonach das Besitzstörungsklagebegehren der klagenden Partei Anton J.G***** abgewiesen werde.
Gleichzeitig beantragte sie ein Normenkontrollverfahren beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2, Art 140 BVG einzuleiten und beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, § 535 ZPO als verfassungswidrig aufzuheben.
Unstrittig sei, daß das Landesgericht für ZRS Wien als einzige Instanz verhandelt und entschieden habe und zum Ergebnis gekommen sei, daß gegen diese Entscheidung offenbar unter Anwendung der Bestimmung des § 535 ZPO iVm § 518 ZPO kein Rechtsmittel zulässig sei. Dadurch sei eine vom Landesgericht für ZRS nicht überprüfbare und nicht bekämpfbare Entscheidung gefällt worden, die das Recht auf Parteiengehör im Sinne des § 6 MRK aber auch das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums verletze.
Rechtliche Beurteilung
Das Rechtsmittel ist unzulässig.
Gemäß § 535 ZPO sind für die Anfechtbarkeit von Entscheidungen, die ein höheres Gericht im Zuge eines bei ihm anhängigen Wiederaufnahmsverfahrens fällt, diejenigen Bestimmungen maßgebend, welche für dieses Gericht als Rechtsmittelinstanz maßgebend wären. Es gelten daher die Rekursbestimmungen der §§ 519 und 528 ZPO (Fasching ZPR2, Rz 2087, RZ 1990/39). Nach § 528 Abs 2 Z 6 ZPO ist der Revisionsrekurs in Streitigkeiten wegen Besitzstörung jedenfalls unzulässig. Dieser Rechtsmittelausschluß gilt kraft Größenschlusses auch für Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren über Besitzstörungsstreitigkeiten. Ebenso wie der Streitgegenstand des Wiederaufnahmsprozesses denknotwendigerweise derselbe wie im Hauptprozeß ist (SZ 10/9, JBl 1970,153; 4 Ob 502/84; 1 Ob 531/90), ist auch die Revisibilität in beiden Verfahren nach gleichen Grundsätzen zu beurteilen. Die auf die Überprüfung der im Besitzstörungsverfahren ergangenen Entscheidung abzielende Wiederaufnahmsklage kann daher auch in diesem Belang keine andere Beurteilung erfahren als im Hauptprozeß selbst (RZ 1975/93, 5 Ob 546/91). Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß das Wiederaufnahmsverfahren durch Urteil, das Besitzstörungsverfahren jedoch durch Endbeschluß entschieden wird. Der Ersatz des Wortes "Urteil" durch die Wortgruppe "eine die Sache erledigende Entscheidung" in § 530 ZPO durch das KSchG und die damit eröffnete Möglichkeit die Wiederaufnahmsklage unter anderem auch im Besitzstörungsverfahren einbringen zu können, hatte nämlich lediglich den Zweck, die Unausgewogenheit der Anfechtungsmöglichkeiten zu beseitigen (744 BlgNR XIV GP 54) führte jedoch nicht zu einer Änderung der Qualität der Wiederaufnahmsklage im Sinne eines vom Hauptprozeß losgelösten Verfahrens und somit zur Anrufbarkeit des Höchstgerichtes in Besitzstörungsstreitigkeiten.
Die gegen die Bestimmung des § 535 ZPO ins Treffen geführten verfassungsrechtlichen Bedenken vermögen nicht zu überzeugen. Das Besitzstörungsverfahren muß auf die Erörterung des Besitzes und auf die Gewährung des Besitzesschutzes beschränkt bleiben. Es ist ihm verwehrt, die dem Besitz zugrundeliegenden weiterreichenden dinglichen oder obligatorischen Rechte zu prüfen oder über den Besitzesschutz hinaus weitere Ansprüche des gestörten Besitzers durchzusetzen. Die materielle Rechtskraft des Besitzstörungsendbeschlusses steht daher einer (Herausgabe)klage aus dem petitorischen oder obligatorischen Recht oder einer Klage auf Feststellung solcher Rechte nicht entgegen, mag sich auch der zugrundeliegende Lebenssachverhalt nicht geändert haben (Fasching ZPR2 Rz 1649). Da daher der Beklagten die meritorische Überprüfung der Entscheidung im Petitorium unbenommen bleibt, die eingeschränkte Anrufbarkeit des Höchstgerichtes grundsätzlich nicht verfassungswidrig sein kann und auch das rechtliche Gehör im Sinne des § 6 MRK gewährt wurde, bestehen keine Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 535 ZPO bzw auch des § 339 ABGB.
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