OGH 2Ob4/93

OGH2Ob4/9317.2.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hermann W*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Grohmann und Dr.Helmut Paul, Rechtsanwälte in Krems/Donau, wider die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, vertreten durch Dr.Hans Kreinhöfner und Dr.Thomas Mader, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 57.255,60 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgerichtes vom 6.Oktober 1992, GZ 5 R 222/92-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wolkersdorf vom 22.April 1992, GZ C 697/91 g-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.348,80 (darin enthalten S 724,-- USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 23.11.1990 gegen 21.00 Uhr kam es auf der B 7 im Ortsgebiet von Wolkersdorf zu einem Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker des PKWs Ford-Escort, N *****, sowie der tschechische Staatsbürger Erich B***** als Lenker seines PKWs Fiat 131 beteiligt waren. Die auf dem Fahrzeug des Erich B***** montierten tschechischen Kennzeichen ***** stammten von einem anderen Fahrzeug des Erich B*****, auf welches sie auch in der CSFR zugelassen worden waren. Er hatte diese Kennzeichen in der CSFR auf seinem zum Verkehr nicht zugelassenen und nicht versicherten PKW Fiat 131 montiert und war sodann mit diesem Fahrzeug nach Österreich eingereist. Zum Unfall kam es, weil Erich B***** seinen PKW im Begegnungsverkehr auf einer ampelgeregelten Kreuzung ohne Beachtung des entgegenkommenden Fahrzeuges des Klägers nach links lenkte, sodaß es trotz sofortiger Notbremsung des Klägers zum Zusammenstoß kam. Durch den Unfall entstand dem Kläger ein der Höhe nach unstrittiger Schaden in Höhe des Klagsbetrages.

Der Kläger begehrte von der beklagten Partei den Ersatz seines Schadens und stützte seinen Anspruch insbesondere auf die §§ 1358, 1042 ABGB, § 59 KFG, Art 3, 5 und 12 des Londoner Abkommens und des Zusatzabkommens zwischen dem österreichischen und dem tschechoslowakischen Versicherungsbüro in Anwendung des § 27a Abs 1 KDV, weiters auf eine ausdrückliche Erklärung der beklagten Partei, Schäden der gegenständlichen Art zu regulieren.

Die beklagte Partei bestritt die passive Klagslegitimation, zumal sie nie eine rechtsverbindliche Zusage für die Liquidierung von Schäden der vorliegenden Art gegeben habe. Das "Beklagtenfahrzeug" sei zum Verkehr nicht zugelassen und demnach auch nicht versichert gewesen. Eine Übernahme der Schadensregulierungspflicht im Sinne des Londoner Abkommens oder anderer Bestimmungen bestehe somit nicht.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat folgende Rechtsauffassung: Die gemäß § 62 KFG nachzuweisende KFZ-Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen sei im Verhältnis zwischen Österreich und der CSFR dadurch geregelt, daß bei Kraftfahrzeugen das amtliche Kennzeichen jedes Landes im jeweils anderen Land die internationale Versicherungskarte für den Kraftfahrverkehr (grüne Karte) ersetze. Aus Art 3 des Londoner Abkommens (Interbüroabkommen) ergebe sich grundsätzlich, daß das behandelnde Büro des Staates, in welchem sich der Unfall ereigne, zur Schadensliquidierung gegenüber dem Geschädigten verpflichtet sei, wenn der Schaden durch ein, mit einer grünen Versicherungskarte ausgestattetes Fahrzeug verursacht worden sei. Nach Art 12 des Londoner Abkommens gelte dies auch in dem Fall, daß eine vorhandene grüne Versicherungskarte nur angeblich von einem nationalen Büro (des Heimatstaates) ausgegeben worden sei. Da nunmehr an die Stelle der grünen Versicherungskarte im Verhältnis zur CSFR das Vorhandensein eines amtlichen Kennzeichens getreten sei, müsse gestützt auf Art 12 des Londoner Abkommens das behandelnde Büro, im vorliegenden Fall die beklagte Partei, den Schaden ebenfalls liquidieren.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei. Es traf zunächst weitere Feststellungen über den Inhalt der Art 3, 5 und 12 des Londoner Abkommens, und stellte überdies aus dem am 12.12.1973 geschlossenen Zusatzabkommen der internationalen Büros zum Londoner Interbüroabkommen fest: Art 2 besagt:

a) wenn ein Fahrzeug, das seinen gewöhnlichen Standort in einem der in Art 1a genannten Territorien hat, in ein anderes, im selben Artikel genanntes Territorium einreist und der für jenes Territorium geltenden obligatorischen Haftpflichtversicherung unterliegt, so werden der Eigentümer, der Halter und/oder der Lenker als Versicherte im Sinne des Interbüroabkommens und als Inhaber einer gültigen Versicherungsbescheinigung des Büros für das Territorium, in dem das Fahrzeug seinen gewöhnlichen Standort hat, angesehen, gleichgültig, ob sie tatsächlich im Besitz einer solchen gültigen Bescheinigung sind oder nicht;

b) die im Art 1a mit Bezug auf jedes der Unterzeichnerbüros des Abkommens erwähnten Territorien sind für die Anwendung desselben als ein einziges ungeteiltes Gebiet anzusehen,

c) mit gewöhnlichen Standort in einem der im Art 1a genannten Territorien gelten Fahrzeuge, die in jenem Territorium amtlich zugelassen sind.....

Im Art 3 des Zusatzabkommens heißt es:

a) Dieses Abkommen ändert pro tanto die zwischen den Vertragsparteien in der Form des Interbüroabkommens bestehenden Vereinbarungen, doch bleiben diese, abgesehen von den vorgenommenen Änderungen, in Kraft und die Worte und Ausdrücke, denen im Interbüroabkommen eine besondere Bedeutung gegeben ist, besitzen hier dieselbe Bedeutung;

b) ereignet sich im Territiorium des behandelnden Büros ein Unfall, der einen Anspruch gegen die nach Art 2 als Versicherter angesehene Person zur Folge hat, so sind alle in der Form des Interbüroabkommens über die Bearbeitung und Regulierung von Schadensfällen bestehenden Vereinbarungen gültig, auch wenn eine gültige Versicherungsbescheinigung fehlt und diese Vereinbarungen sind, soweit dies praktisch durchführbar ist, so zu interpretieren, als ob sie keine Bestimmung enthielten, welche das Vorhandensein einer Versicherungsbescheinigung verlangt.

Weiters stellte das Berufungsgericht ergänzend fest, daß die beklagte Partei am 12.6.1969 die geschäftsplanmäßige Erklärung abgegeben hat, es werde mit dem Inkrafttreten des Zusatzabkommens zum Bürovertrag Österreich/Tschechoslowakei mit 1.7.1969 für Kraftfahrzeuge, die mit einem amtlichen tschechoslowakischen Kennzeichen in das Gebiet der Republik Österreich einreisten, so gehaftet, als ob diese Kraftfahrzeuge mit einer für Österreich gültigen internationalen Versicherungskarte eingereist wären.

In rechtlicher Beurteilung dieses Sachverhaltes gelangte das Gericht zweiter Instanz in Anlehnung an die in der Entscheidung SZ 62/91 dargelegten Grundsätze und in Auslegung der Bestimmungen des Londoner Interbüroabkommens zu dem Ergebnis, daß nach dem anzunehmenden Vertragswillen der Vertragspartner des Interbüro- sowie des Zusatzabkommens eine Haftung auch dann bestehen solle, wenn die grüne Versicherungskarte tatsächlich nicht gültig sei, also etwa gefälscht oder verfälscht worden sei. Eben dies gelte aber auch für das an die Stelle der Versicherungsbescheinigung getretene ausländische Kennzeichen eines Fahrzeuges. Die widmungswidrige Verwendung an sich echter ausländischer Kennzeichentafeln, die im vorliegenden Fall zudem zwar nicht dem Unfallsfahrzeug, wohl aber dem Lenker desselben für ein anderes Fahrzeug zugewiesen worden seien, könne nicht anders beurteilt werden, als die Verwendung einer ungültigen Versicherungskarte, weil sonst die Vereinbarung, daß das Kennzeichen an die Stelle der Versicherungskarte trete, einer entsprechenden Einschränkung bedürfte, die nicht getroffen worden sei. Die widmungswidrige Verwendung eines an sich gültigen amtlichen Kennzeichens könne daher an der im Art 12 des Londoner Abkommens genannten Rechtsscheinwirkung nichts ändern.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes gerichtete Revision der beklagten Parteien ist nicht berechtigt.

Davon, daß das Fahrzeug, durch welches der PKW der klagenden Partei beschädigt wurde, nicht zum Verkehr zugelassen und nicht versichert war, gingen die Vorinstanzen ohnedies aus. Einer ausdrücklichen diesbezüglichen Feststellung bedurfte es nicht, sodaß der in der Revision gerügte Feststellungsmangel nicht vorliegt. Nicht zielführend ist auch der Hinweis auf das Verkehrsopfergesetz, weil daraus abzuleitende Ansprüche subsidiärer Natur sind (SZ 56/5; ZVR 1984/126).

Wie die Revision grundsätzlich richtig ausführt, handelt es sich beim Londoner Abkommen ebenso wie beim Zusatzabkommen um einen privatrechtlichen Vertrag zwischen Versicherungsverbänden (Schmitt, System der Grünen Karte 122; derselbe in VersR 1975, 2 ff). Maßgebend für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreites sind die gesetzlichen Vorschriften, und zwar § 62 KFG und § 27 a Abs 1 Z 16

KDV.

Gemäß § 62 Abs 1 KFG muß für Kraftfahrzeuge mit ausländischem Kennzeichen, wenn sie im Inland auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet werden, die Haftung eines zum Betrieb der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in Österreich zugelassenen Versicherers oder eines Verbandes solcher Versicherer vorliegen. Gemäß dem Absatz 2 des § 62 KFG ist der Nachweis der im Abs 1 angeführten Haftung beim Eintritt in das Bundesgebiet beim Zollamt oder sonst im Bundesgebiet auf Verlangen den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes oder der Straßenaufsicht zu erbringen. Wird beim Zollamt dieser Nachweis nicht erbracht und auch keine Versicherung abgeschlossen, ist die Einbringung des Fahrzeuges in das Bundesgebiet zu verhindern.

Durch die Vorlage der "Grünen Karte", wie sie im Londoner Abkommen vorgesehen ist, wird dieser Nachweis erbracht. Die "Grüne Karte" hat eine Garantiefunktion und zwar unabhängig davon, ob tatsächlich eine Haftpflichtversicherung besteht (Schmitt in VersR 1975, 4).

Gemäß § 62 Abs 7 KFG hat der Bundesminister für öffentliche Wirtschaft und Verkehr bestimmte Arten von Fahrzeugen mit ausländischem Kennzeichen von der im Absatz 2 angeführten Verpflichtung zu befreien, wenn der Nachweis der Haftung für diese Fahrzeugarten durch eine allgemeine Erklärung eines im Absatz 1 angeführten Versicherers oder eines Verbandes solcher Versicherer erbracht ist. Eine derartige Erklärung gab die beklagte Partei für Fahrzeuge ab, die mit einem amtlichen tschechoslowakischen Kennzeichen einreisen. Dementsprechend ist im § 27 a Abs 1 Z 16 normiert, daß der gemäß § 62 Abs 2 KFG erforderliche Nachweis für Fahrzeuge mit einem amtlichen Kennzeichen der Tschechoslowakei erbracht ist.

Entscheidend ist daher, ob von einem amtlichen Kennzeichen im Sinne des § 27 a Abs 1 KDV und der geschäftsplanmäßigen Erklärung der beklagten Partei vom 12.Juni 1969 auch dann gesprochen werden kann, wenn die Kennzeichentafel zwar eine amtliche ist, die von einer ausländischen Behörde stammt, sie aber nicht auf dem Fahrzeug, für das sie ausgestellt wurde, montiert ist, sondern auf einem anderen.

Der Oberste Gerichtshof hat sich mit diesem Problem bereits in SZ 62/92 befaßt. Damals hatte ein Österreicher auf sein Motorrad das für ein anderes Motorrad bestimmte Kennzeichen montiert und in Italien einen Unfall verschuldet. Der italienische Versicherungsverband wendete gegenüber der geschädigten Italienerin zwar Mangel der passiven Klagslegitimation ein, das italienische Gericht verurteilte den Verband jedoch zum Schadenersatz. Der Verband der Versicherungsunternehmer Österreichs ersetzte dem italienischen Verband den an die Geschädigte bezahlten Betrag und begehrte in dem der Entscheidung SZ 62/92 zugrunde liegenden Fall vom Schädiger Ersatz. Obwohl ein für ein anderes Fahrzeug ausgegebenes Kennzeichen verwendet worden war, vertrat der Oberste Gerichtshof die Ansicht, der Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs sei verpflichtet gewesen, der Geschädigten mittelbar durch das italienische Büro Ersatz zu leisten, der Schädiger habe den bezahlten Betrag aus dem Titel des Schadenersatzes zu bezahlen.

Der erkennende Senat schließt sich der Ansicht, trotz der widmungswidrigen Verwendung der Kennzeichentafel sei die beklagte Partei zum Schadenersatz verpflichtet, an. Die Vorschrift des § 62 KFG dient ohne Zweifel dem Schutz der Verkehrsopfer, durch § 27 a Abs 1 KDV wurde eine vereinfachende Regelung getroffen. Auch das System der "Grünen Karte" dient dem Schutz der Verkehrsopfer und dem Wohl der Kraftfahrer (Becker-Böhme, Kraftfahrzeughaftpflichtschäden 414), die Versicherungsverbände haben hiedurch eine Verantwortung gegenüber den Verkehrsopfern in ihrem Land übernommen (Schmitt, VersR 1975, 9 f). Wird ein Kraftfahrzeug in das Bundesgebiet eingebracht, bei welchem als Nachweis einer Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung das amtliche Kennzeichen im Sinne des § 27 a KDV nicht genügt, dann muß eine Versicherung - etwa durch Vorlage einer "Grünen Karte" - beim Grenzübertritt nachgewiesen werden, anderenfalls müßte die Einbringung in das Bundesgebiet verhindert werden. Daraus folgt, daß bei Fahrzeugen, bei denen die Kennzeichentafel als Nachweis nicht genügt, der Versicherungsschutz beim Grenzübertritt kontrolliert werden muß. Ist eine "Grüne Karte" vorhanden, dann haftet der Versicherungsverband auch dann, wenn in Wahrheit kein Versicherungsschutz besteht. Dies bestreitet auch die beklagte Partei nicht.

In Fällen, in denen als Nachweis ein amtliches Kennzeichen genügt, ist bei der Einreise unschwer zu kontrollieren, ob ein entsprechendes Kennzeichen auf dem Kraftfahrzeug angebracht ist. Ob das Kennzeichen tatsächlich für das betreffende Fahrzeug bestimmt ist, könnte nur durch Einsicht in den Zulassungsschein festgestellt werden. Eine Kontrolle des Zulassungsscheines bei jedem Grenzübertritt erfolgt in der Praxis nicht, sie würde zu großen Verzögerungen beim Reiseverkehr führen. Dies mußte auch der beklagten Partei, die eine geschäftsplanmäßige Erklärung abgab, daß für Fahrzeuge gehaftet wird, die mit einem amtlichen tschechoslowakischen Kennzeichen einreisen, bekannt sein.

Dem Gedanken des Schutzes von Verkehrsopfern wird daher nur dann Rechnung getragen, wenn die Haftung des Versicherungsverbandes auch dann besteht, wenn das amtliche Kennzeichen widmungswidrig verwendet wird. Die beklagte Partei haftet daher auf Grund der oben angeführten geschäftsplanmäßig abgegebenen Erklärung für den Schaden der klagenden Partei, obwohl das Kennzeichen, das auf dem ausländischen Fahrzeug montiert war, von der Behörde nicht für dieses, sondern für ein anderes Fahrzeug ausgegeben worden war (in diesem Sinne auch Messiner in ZVR 1992, 12 ff).

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte