OGH 2Ob46/86

OGH2Ob46/8616.9.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Dr. Franz R***, Tierarzt, 3244 Ruprechtshofen 16, 2. Edith R***, Lehrerin, 3340 Waidhofen/Ybbs, Pocksteinerstraße 25, beide vertreten durch Dr. Alfred Lukesch und Dr. Eduard Pranz, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagten Parteien 1. Karl P***, Kaufmann, 3140 Pottenbrunn, Bahnstraße 43 a, 2. W*** S***

W*** Versicherungsanstalt, 1010 Wien, Ringturm, beide vertreten durch Dr. Stefan Gloß und Dr. Hans Pucher, Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen S 77.671 s.A. und S 265.843,17 s.A. (Revisionsinteresse S 70.000,-- s.A.), infolge Revision der zweitklagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 16. April 1986, GZ. 16 R 65/86-22, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Kreisgerichtes St. Pölten vom 20. November 1985, GZ. 4 Cg 313/84-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil in seinem die Zweitklägerin betreffenden Ausspruch dahin abgeändert, daß die Entscheidung unter Einbeziehung des unangefochten gebliebenen und des bestätigten Teiles insgesamt zu lauten hat:

"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Zweitklägerin Edith R*** den Betrag von S 96.079,86 samt 4 % Zinsen aus S 90.701,86 vom 1.7.1983 bis 14.2.1985 und aus S 96.079,86 seit 15.2.1985 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Das Mehrbegehren, der Zweitklägerin den Betrag von S 169.763,31 samt 4 % Zinsen seit 1.7.1983 zu bezahlen, wird abgewiesen. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Zweitklägerin die mit S 20.084,44 (darin S 5.756,10 Barauslagen und S 1.364,75 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die Zweitklägerin ist schuldig, den Beklagten S 1.860,60 (darin S 53,33 Barauslagen und S 164,30 Umsatzsteuer) an Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13.1.1982 ereignete sich im Gemeindegebiet von Markersdorf auf der B 1 in Mitterau bei der Einmündung der Landesstraße 5143 ein Verkehrsunfall, an dem der Erstkläger mit seinem PKW VW 11, Kennzeichen N 142.260, und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW Kombi Range Rover, Kennzeichen N 253.230, beteiligt waren. Bei diesem Unfall wurden der Erstkläger leicht und seine mitfahrende Schwester, die Zweitklägerin, schwer verletzt. Das Alleinverschulden des Erstbeklagten an diesem Unfall ist unbestritten.

Die Ansprüche des Erstklägers sind rechtskräftig erledigt. Nach mehrfachen Klagsausdehnungen und -einschränkungen begehrte die Zweitklägerin zuletzt S 265.843,17 s.A., darin S 70.000 an Verunstaltungsentschädigung.

Das Erstgericht sprach der Zweitklägerin S 61.079,86 s.A. zu und wies das Mehrbegehren von S 204.763,31 s.A., darunter auch die geforderte Verunstaltungsentschädigung von S 70.000, ab. Die Berufung der Kläger blieb erfolglos. Das Berufungsgericht erklärte die Revision hinsichtlich der Zweitklägerin für zulässig. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Zweitklägerin aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs.1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne des Zuspruches von S 70.000 s.A. an Verunstaltungsentschädigung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagten beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig (§ 502 Abs.4 Z 1 ZPO) und auch teilweise berechtigt.

Im Revisionsverfahren ist nur der Anspruch der Zweitklägerin auf Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung strittig. Die Klägerin brachte hiezu vor, sie sei durch die als Folge des Unfalles zurückgebliebenen Narben im Gesicht und Veränderungen im Hüftbereich entstellt. Sie sei unverheiratet, übe den Beruf einer Lehrerin aus und betreibe daneben ein kleines Textilgeschäft. Sowohl wegen ihrer verminderten Heiratsfähigkeit als auch aus dem Titel der Verhinderung des besseren beruflichen Fortkommens begehre sie eine Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von S 70.000. Die Beklagten wendeten gegen den Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung ein, eine Entstellung der Zweitklägerin liege nicht vor, ebensowenig eine Behinderung des besseren beruflichen Fortkommens oder eine Verminderung der Heiratsaussichten der im Unfallszeitpunkt bereits 54 Jahre alten Zweitklägerin. Das Erstgericht stellte fest, daß die zum Zeitpunkt des Unfalles 54 Jahre alte unverheiratete Zweitklägerin eine große Rißquetschwunde im Bereich der rechten Unterlippe und der Wange, die zum Teil durchbohrend war, eine kleinere Rißquetschwunde im Bereich der rechten Oberlippe, eine Prellung der rechten Schulter und eine Prellung der rechten Hüftregion erlitt. Die Narbe im Bereich der Unterlippe erscheint nach außenhin völlig abgeheilt und weist keine Farbunterschiede zur Umgebung auf. Die Narbe ist gegenüber den übrigen Hautfalten kein Blickfang. Die Schwellung und Verformung im Gesäßbereich ist zwar deutlicher sichtbar, wird aber bei "weiterer Flüssigkeitsfüllung" noch behandelt werden müssen. Die wulstigen Veränderungen können bei Tragen eines Badeanzuges weitgehend verdeckt und ausgeglichen werden.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der geltend gemachte Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung sei nicht berechtigt, weil Voraussetzung dafür nicht nur die sichtbaren Verletzungsfolgen, sondern auch eine dadurch bewirkte Verhinderung des besseren Fortkommens sei. Die Zweitklägerin sei eine in sicherer beruflicher Stellung stehende Lehrerin, die halbtags auch ein Textilgeschäft betreibe. Sie stehe knapp vor dem Pensionsalter. Bei einer Frau fortgeschrittenen Alters, die keine konkret nachgewiesenen Heiratsaussichten und -absichten habe, genüge nicht bloß die theoretische Möglichkeit einer Eheschließung zum Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung. Hier müßten besondere Umstände hinzukommen, die aber nicht behauptet und bewiesen worden seien, sodaß dieser Anspruch abzuweisen gewesen sei, ohne daß auf die Frage der Verunstaltung einzugehen gewesen sei.

Das Berufungsgericht erachtete zwar - insbesondere im Hinblick auf die vorgelegten Lichtbilder - eine Verunstaltung der Zweitklägerin als gegeben, verneinte jedoch gleich dem Erstgericht deren Anspruch auf Verunstaltungsentschädigung, da sie eine Behinderung ihres beruflichen Fortkommens nicht darzutun vermocht habe. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen sei die am 13.1.1928 geborene Zweitklägerin ledig und habe auch vor dem Unfall keine Bekannten gehabt, mit denen eine Ehe geplant oder möglich gewesen wäre. Im Hinblick auf diese Umstände sei im Unfallszeitpunkt eine zukünftige Eheschließung der Zweitklägerin zwar nicht auszuschließen, doch in hohem Maße unwahrscheinlich, sodaß die von der Rechtsprechung für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung geforderte zumindest geringgradige Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes nicht gegeben sei. Der Revisionsgrund nach § 503 Abs.1 Z 2 ZPO liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs.3 ZPO).

In der Rechtsrüge der Revision wendet sich die Zweitklägerin gegen die Auffassung des Berufungsgerichtes, mit Rücksicht auf ihr Lebensalter und den Umstand, daß sie vor dem Unfall keine Bekannten gehabt habe, mit denen eine Ehe geplant oder möglich gewesen wäre, habe nicht einmal eine geringgradige Wahrscheinlichkeit einer künftigen Eheschließung bestanden, sodaß auch durch den Unfall keine Verminderung der Heiratsaussichten eingetreten sei. Diesen Ausführungen kommt Berechtigung zu.

Eine Entschädigung nach § 1326 ABGB gebührt dann, wenn der Verletzte durch die Verunstaltung, also durch eine erheblich nachteilige Veränderung seiner Erscheinung, in seinem besseren Fortkommen behindert werden kann. Unter einer Verunstaltung im Sinne dieser Gesetzesstelle ist jede wesentlich nachteilige Veränderung der äußeren Erscheinung des Verletzten zu verstehen (ZVR 1974/56; 8 Ob 80/85 uva.), wobei es weder erforderlich ist, daß eine solche nachteilige Veränderung besonders abstoßend wirkt noch, daß sie bei einem normal bekleideten Menschen sichtbar ist (8 Ob 80/85 uva.). Wesentlich für die Annahme einer Verunstaltung des Verletzten im Sinne dieser Gesetzesstelle ist die nachteilige Veränderung seiner Gesamterscheinung, die Beeinträchtigung seines äußeren Aussehens für den Betrachter, und zwar nicht nach medizinischen Begriffen, sondern unter Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes nach allgemeiner Lebensanschauung (8 Ob 80/85 ua.). Werden diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall angewendet, ist dem Berufungsgericht zunächst beizupflichten, daß die Narbe im Gesicht und die wulstartige Verformung im Hüftbereich nicht unwesentliche nachteilige Veränderungen der äußeren Erscheinung der Zweitklägerin und damit eine Verunstaltung darstellen. Entgegenzutreten ist jedoch der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß im vorliegenden Fall nicht einmal die geringgradige Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintrittes infolge verminderter Heiratsaussichten der Zweitklägerin gegeben sei, weil diese im Unfallszeitpunkt bereits 54 Jahre alt war und keine Bekannten hatte, mit denen eine Ehe geplant oder möglich gewesen wäre. Es ist nämlich nicht Aufgabe der Zweitklägerin, ihre Heiratsabsicht oder eine bestimmte Heiratsaussicht zu beweisen, vielmehr genügt für den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung die bloße Möglichkeit einer Minderung der Heiratsaussicht schlechthin (vgl.ZVR 1978/21; ZVR 1978/47 ua.). Weder das Lebensalter der Zweitklägerin noch der Mangel an entsprechenden Männerbekanntschaften und konkreter Eheplanung sind eine hinlängliche Grundlage dafür, der Zweitklägerin jede auch nur geringgradige Wahrscheinlichkeit der Verbesserung ihres Fortkommens durch eine Eheschließung abzusprechen und anzunehmen, daß eine solche Verbesserung ihrer Lebenslage praktisch ausgeschlossen sei (vgl. SZ 47/60 ua.).

Die somit vorliegende Minderung der Heiratsaussicht der Zweitklägerin durch die festgestellten entstellenden Verletzungsfolgen rechtfertigt den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung im Sinne des § 1326 ABGB. Für deren Höhe ist das Ausmaß der Entstellung des Verletzten und die Größe der Wahrscheinlichkeit der durch die Verunstaltung bedingten Behinderung seines besseren Fortkommens maßgebend (8 Ob 80/85 ua.). In Anwendung dieser Grundsätze und Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles erachtet das Revisionsgericht die Zuerkennung einer Verunstaltungsentschädigung in der Höhe von S 35.000 für gerechtfertigt.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und wie im Spruch zu entscheiden.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf dem § 43 Abs.1 und 2 ZPO, jene über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf den §§ 43 und 50 ZPO.

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