OGH 2Ob46/55

OGH2Ob46/559.3.1955

SZ 28/70

Normen

ZPO §269
ZPO §498
ZPO §503 Z2
ZPO §269
ZPO §498
ZPO §503 Z2

 

Spruch:

Wenn die erste Instanz den Sachverständigenbeweis durchführt und darauf gestützt eine Tatsache feststellt, das Berufungsgericht jedoch, "auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung" eine gegenteilige Feststellung trifft, liegt ein Verfahrensmangel vor.

Entscheidung vom 9. März 1955, 2 Ob 46/55.

I. Instanz: Bezirksgericht Grieskirchen; II. Instanz: Kreisgericht Wels.

Text

Der Beklagte hat am 2. Mai 1953 einen in seinem Besitz befindlichen dreijährigen Stier über die verkehrsreiche Schallerbacher Bundesstraße getrieben. Er wurde dabei von seinem Bruder unterstützt. Der Stier wurde von den beiden an einer Kette und einem Halfter geführt und trug eine Blende, die ihn jeglicher Sicht beraubte. Er war vom Beklagten aufgezogen worden und hatte nie ein bösartiges, unruhiges, störrisches oder sonst gefährliches Verhalten gezeigt. Er hatte bisher noch nie den Hof des Beklagten verlassen. Als ein der Klägerin gehöriger Kraftwagen langsam an dem gerade an seiner rechten Straßenseite stehenden Stier vorbeifahren wollte, sprang dieser gegen den Kraftwagen und beschädigte ihn.

Das Erstgericht hat die Schadenersatzklage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat in Abänderung des erstgerichtlichen Urteiles im Sinne des Klagebegehrens erkannt.

Der Oberste Gerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes auf und verwies die Rechtssache an das Berufungsgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Es kommt im vorliegenden Fall darauf an, ob der Beklagte als Tierhalter eine ins Gewicht fallende Gefährdung (Wahrscheinlichkeit einer Beschädigung) durch die Art des von ihm vorgenommenen Transportes erkennen mußte, das heißt - da der Beklagte selbst zugibt, daß er außerstande war, zusammen mit seinem Bruder den scheuenden Stier zurückzuhalten (mag das Scheuen im Sinne der Revisionsausführungen auch nicht ein mit ganzer Kraft durchgeführter Ausreißversuch des Stieres gewesen sein) -, ob er mit einem Scheuen des Stieres rechnen mußte. Das Berufungsgericht glaubt auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung diese Frage bejahen zu können. Der vom Berufungsgericht ausgesprochene Erfahrungssatz ist gleich einem von ihm ausgesprochenen Rechtssatz anfechtbar (vgl. die bei Stagel - Michlmayr ZPO. 1951 zu § 498 ZPO. unter B b Nr. 11 angeführten Entscheidungen), und das Revisionsgericht kann ihm nicht ohne weiteres beitreten. Das Erstgericht hat - zum Teil auf Grund der Sachverständigenaussage des Theodor A. - festgestellt, daß das schadenstiftende Ausbrechen des Stieres unvorhersehbar war und daß die vom Beklagten getroffenen Vorsichtsmaßnahmen im Hinblick auf die Gutmütigkeit des Stieres genügten und dem Üblichen entsprachen, was (da auch der genannte Sachverständige davon ausgeht, daß diese Vorsichtsmaßnahmen im Falle des Scheuens des Stieres unwirksam waren) die Feststellung des Gegenteiles des vom Berufungsgericht angenommenen Erfahrungssatzes enthält. Bei dieser - gewiß einer Überprüfung bedürftigen - Feststellung des Erstgerichtes erscheint die vom Berufungsgericht auf Grund allgemeiner Lebenserfahrung ohne Beweiswiederholung getroffene Feststellung des Gegenteiles, daß nämlich der Beklagte mit einem Scheuen des Stieres rechnen mußte, nicht ganz unbedenklich und daher untunlich und das Berufungsverfahren dadurch, daß das Berufungsgericht von einer erstrichterlichen Feststellung ohne Beweiswiederholung (unter Bestellung anderer Sachverständiger nach § 488 Abs. 3 ZPO.) abgegangen ist, mit einem in der Revision auch gelten gemachten Verfahrensmangel behaftet (vgl. die bei Stagel - Michlmayr a. a. O. zu § 498 ZPO. unter A Nr. 1 und zu § 503 Z. 2 ZPO. unter Nr. 10 angeführten Entscheidungen). Die vom Berufungsgericht bezogene Vorschrift des § 80 Abs. 1 StPolO. (insbesondere in der Richtung, daß bei Stieren besondere Vorsichtsmaßnahmen zu treffen sind) ist wegen ihrer Unbestimmtheit zur scharfen Abgrenzung des "erlaubten Risikos" im vorliegenden Falle ungeeignet.

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