Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 11.333,85 (darin keine Barauslagen und S 1.030,35 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 15.6.1984 ereignete sich auf der Bundesstraße 17 im Ortsgebiet von Traiskirchen ein Verkehrsunfall, an dem Sylvia S*** als Lenkerin des PKW VW Käfer mit dem Kennzeichen N 602.J62, haftpflichtversichert bei der Beklagten, und die Klägerin als Fußgängerin beteiligt waren. Die Klägerin wurde bei diesem Verkehrsunfall schwer verletzt.
Sie brachte vor, ihr Gesamtschaden auf Grund dieses Unfalls betrage insgesamt S 538.444,-- und setze sich aus Schmerzengeld, Verunstaltungsentschädigung, Kosten der kosmetischen Operation, Pflegekosten, erhöhtem Aufwand, Fahrt- und Besuchskosten sowie Kleiderschäden zusammen. Sie begehrte im Hinblick auf ein nicht näher spezifiziertes Mitverschulden die Hälfte dieses Gesamtschadens und stellte ein auf den Ersatz der entsprechenden Schadensquote gerichtetes Feststellungsbegehren. Sylvia S*** habe den Verkehrsunfall infolge Außerachtlassung der gehörigen Aufmerksamkeit verschuldet. Die Klägerin habe versucht, den Fußgängerübergang (in Richtung der PKW-Lenkerin gesehen) von rechts nach links zu überqueren. Diese habe auf die Fußgängertafel nicht geachtet und auch nicht darauf, daß die Klägerin die Straße habe überqueren wollen. Der Unfall sei vermeidbar gewesen.
Die beklagte Partei bestritt dieses Vorbringen, beantragte Klagsabweisung und führte aus, Sylvia S*** sei im Strafverfahren U 1507/84 des Bezirksgerichtes Baden freigesprochen worden, wobei in dem dem Urteil zugrundeliegenden Sachverständigengutachten davon ausgegangen worden sei, es könne nicht festgestellt werden, welche Bewegungsrichtung die Klägerin eingehalten habe. Sylvia S*** habe weder verspätet reagiert, noch hätte sie auch bei größtmöglicher Aufmerksamkeit die Klägerin wahrnehmen können.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Die Klägerin beabsichtigte, wie jeden Freitag, zu einer Turnstunde des Turnvereines zu gehen, welche nach 16 Uhr beginnt. Sie begab sich um 15.55 Uhr von zu Hause weg, und gelangte durch eine kleine Quergasse, die Kirchengasse, zur Bundesstraße 17. Es herrschte Tageslicht, es war bedeckt, die Straße trocken. Die Klägerin beabsichtigte, die B 17 auf Höhe der Puchbergerstraße zu überqueren, um auf der Puchbergerstraße zu der 2-3 Min. von der Kreuzung entfernt gelegenen Hauptschule zu gelangen. Vor Einmündung der Puchbergerstraße (in Fahrtrichtung des Fahrzeuges Sylvia S*** gesehen) befindet sich ein Fußgängerübergang, der durch das Hinweiszeichen "Vorsicht Fußgängerübergang" gekennzeichnet ist. Zum Unfallszeitpunkt war die oberste Schicht des Fahrbahnbelages abgetragen, der Fußgängerübergang als solcher nicht markiert. Um zum Fußgängerübergang zu gelangen, hatte die Klägerin am rechten (in Fahrtrichtung des Beklagtenfahrzeuges gesehen) Gehweg der B 17, der in diesem Bereich 1,6 m breit ist, eine Strecke von 51 m zurückzulegen, wovon eine 30 m lange Strecke ab Kirchengasse gegenüber der Fahrbahn durch ein mit Blumenkästen versehenes Geländer abgeschrankt ist. Sylvia S*** näherte sich der späteren Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit von ca. 40 km/h in einer aufgelockerten Kolonne fahrend. Vor der Unfallstelle waren in ihrer Fahrtrichtung gesehen keine Fahrzeuge rechts abgestellt. Sie hielt einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von ca. 1 m ein. Als Sylvia S*** mit der Front ihres Fahrzeuges den Fußgängerübergang bereits passiert hatte, trat die Klägerin auf die Fahrbahn der B 17 und kollidierte mit dem Beklagtenfahrzeug auf Höhe des rechten hinteren Kotflügels. Durch den Kontakt wurde das Kind in eine Drehbewegung nach rechts drehend versetzt und zu Sturz gebracht. Am PKW wurde der rechte hintere Kotflügel an der Vorderseite eingedrückt und der Türsteher leicht beschädigt. Sylvia S*** war es nicht möglich, den Unfall zu verhindern. Eine Reaktionsverspätung oder Aufmerksamkeitsfehler fällt ihr nicht zur Last. Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, der Verkehrsunfall sei auf das Alleinverschulden der Klägerin zurückzuführen, die daher ihren Schaden selbst zu tragen habe.
Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt; es erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und billigte auch die rechtliche Beurteilung der ersten InstanZ Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, es sei festgestellt, daß es Sylvia S*** nicht möglich gewesen sei, den Unfall zu verhindern, und daß ihr eine Reaktionsverspätung oder ein Aufmerksamkeitsfehler nicht zur Last fallen. Ein Verhalten der Klägerin, das sie zu einer besonderen, sonst nicht erforderlichen Reaktion veranlassen hätte müssen, sei in erster Instanz nicht einmal behauptet worden, insbesondere auch nicht, daß die Lenkerin hätte sehen müssen, daß die Klägerin im Begriff gewesen sei, die Fahrbahn zu betreten. Besonders ins Gewicht falle hiebei der Umstand, daß die Klägerin die Fahrbahn überhaupt erst betreten habe, als Sylvia S*** mit der Front ihres Fahrzeuges den Fußgängerübergang bereits passiert hatte, sodaß es zu einer Kollision auf Höhe des hinteren Kotflügels gekommen sei. Ergänzend bemerkt sei in diesem Zusammenhang, daß bei einem Seitenabstand des PKW von etwa 1 1/2 Schritten die Klägerin nur eine Zeit von etwa einer Sekunde benötigte, um den PKW zu erreichen, und es im Hinblick auf die breite des VW auszuschließen sei, daß das Kind gestanden sei, und daß schließlich ein in Längsrichtung auf einem Gehsteig sich bewegendes Kind grundsätzlich keine Reaktionsaufforderung darstelle. Da somit das Schadensereignis auf das Verhalten des Geschädigten selbst zurückzuführen sei, während der Lenkerin Sylvia S*** auch nicht eine Verletzung der veschärften Sorgfaltsanforderungen des EKHG vorgeworfen werden könne noch ein weiterer der Ausnahmsfälle des § 9 Abs 2 EKHG vorliege, habe es bei der Entscheidung des Erstgerichtes zu verbleiben. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Klägerin aus den Anfechtungsgründen nach § 503 Abs 1 Z 3 und 4 ZPO mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsstattgebung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragte in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Der Anfechtungsgrund nach § 503 Abs 1 Z 3 ZPO liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
In der Rechtsrüge führt die Klägerin aus, es habe weder im Verfahren erster Instanz noch im Berufungsverfahren festgestellt werden können, daß sie tatsächlich nicht schon am Fahrbahnrand gestanden sei, als die Versicherungsnehmerin der Beklagten aufgetaucht sei. Nach den Bestimmungen des EKHG, insbesondere des § 9, habe der Halter zu beweisen, daß ein unabwendbares Ereignis vorliege. Er habe weiter die Beachtung jeder nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt durch ihn selbst und den Lenker zu beweisen und schließlich, daß dieses unabwendbare Ereignis ein solches sei, das nicht auf einem Fahrzeugmangel beruhe. Jede nicht aufklärbare Ungewißheit über wesentliche Einzelheiten des Unfalles gehe zu Lasten des Halters. Zweifel darüber, ob der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht sei, gingen zu Lasten des KFZ-Halters. Bei mehreren möglichen Versionen des Unfallsgeschehens sei im Zweifel wegen der den Halter treffenden Beweislast von der für den Kläger günstigeren Möglichkeit auszugehen. Der Lenkerin des PKWs, die immer angegeben habe, sie habe die Klägerin nicht gesehen, ihr sei aber bekannt gewesen, daß sich an dieser Stelle ein Fußgängerübergang befinde, doch habe sie auf die Tafel, die den Fußgängerübergang anzeige, nicht geachtet, sei der Beweis für das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses nicht gelungen. Bei pflichtgemäßer Beobachtung der Fahrbahnränder bei Annäherung an den Schutzweg hätte die PKW-Lenkerin bemerken müssen, daß die Klägerin im Begriffe gewesen sei, die Fahrbahn zu betreten. Sie habe eine Sicht von 30 m auf den Fußgängerübergang gehabt und hätte die Klägerin dort sehen müssen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte daher der Beweis, daß ein unabwendbares Ereignis vorliege, durch die Beklagte nicht als erbracht angesehen werden dürfen. Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Es handelt sich im vorliegenden Fall nicht um einen nach § 11 Abs 1 EKHG zu beurteilenden Ausgleichsanspruch zwischen Beteiligten, sondern um einen nach § 7 Abs 1 EKHG zu beurteilenden Ersatzanspruch eines unbeteiligten Dritten (siehe dazu MGA EKHG3 § 7 Anm.1, § 8 Anm.2 und § 11 Anm.2). Auszugehen ist davon, daß beide Streitteile die Behauptungs- und Beweislast für ein die Haftung für die Unfallsfolgen begründendes Verschulden des Gegners trifft; jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit geht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet (ZVR 1976/194; ZVR 1979/58; ZVR 1984/332). Soweit es sich aber um die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG handelt, gehen verbliebene Unklarheiten im erhobenen Sachverhaltsbild zu Lasten des Halters (ZVR 1984, 332, ZVR 1975/118 ua.).
Gemäß § 9 Abs 2 EKHG ist die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG setzt voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätige Person jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht bloß die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers heranzuziehen. Die erhöhte Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß auch schon vorher vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann (ZVR 1977/306; ZVR 1980/225 uva). Allerdings darf diese Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden (ZVR 1984/332 ua). Im Sinne dieser rechtlichen Grundsätze stellt das verkehrswidrige Verhalten von Fußgängern für den Lenker eines Kraftfahrzeuges in der Regel dann ein unabwendbares Ereignis dar, wenn er nach den konkreten Umständen damit nicht zu rechnen brauchte und er den Unfall bei Anwendung der Vorsicht und Aufmerksamkeit eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers nicht verhindern konnte (ZVR 1979/288; ZVR 1984/332 ua.).
Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist zunächst darauf zu verweisen, daß die Klägerin die zutreffende Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die PKW-Lenkerin kein Verschulden an dem Unfall treffe, in der Revision nicht mehr bekämpft. Bei Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Erbringung des Entlastungsbeweises im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG durch die Beklagte ist davon auszugehen, daß nach den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes die Klägerin erst auf die Fahrbahn trat, als die PKW-Lenkerin mit der Front ihres Fahrzeuges den Fußgängerübergang bereits passiert hatte. Daß die Klägerin vor dem Betreten der Fahrbahn überhaupt am Gehsteigrand gestanden sei oder ihr Verhalten von der PKW-Lenkerin als Gefahr hätte erkannt werden müssen, wurde im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht und findet in den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen keine Grundlage. Soweit die Klägerin daher in der Revision davon ausgeht, die PKW-Lenkerin hätte sie vor dem Betreten der Fahrbahn am Gehsteigrand stehend wahrnehmen und damit rechnen müssen, daß sie trotz des Kolonnenverkehrs versuchen werde, die Fahrbahn auf dem Schutzweg zu überqueren, weicht sie vom festgestellten Sachverhalt ab und bringt in diesem Umfang die Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Ausgehend von den vom Berufungsgericht übernommenen Feststellungen des Erstgerichtes kann also in der Auffassung, daß der PKW-Lenkerin, ungeachtet des Umstandes, daß der Vertrauensgrundsatz des § 3 StVO gegenüber der minderjährigen Klägerin nicht galt, auch keine Verletzung der strengen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs 2 EKHG vorgeworfen werden kann und der Beklagten daher die Erbringung des Entlastungsbeweises im Sinne dieser Gesetzesstelle gelungen sei, keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.
Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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