OGH 2Ob438/53

OGH2Ob438/5317.6.1953

SZ 26/160

Normen

Kraftfahrverordnung 1947 §99
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §16
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §18
Kraftfahrverordnung 1947 §99
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §7 Abs2
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §16
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen §18

 

Spruch:

Geht das schuldhafte Verhalten des Fahrzeughalters über die Ermöglichung einer unbefugten Benützung des Wagens hinaus, gefährdet es unmittelbar die Allgemeinheit und stellt es eine Verletzung seiner Halterpflicht überhaupt dar, dann tritt die Haftung im weiteren Umfang nach dem bürgerlichen Rechte ein.

Entscheidung vom 17. Juni 1953, 2 Ob 438/53.

I. Instanz: Kreisgericht Wels; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Das Erstgericht hat mit Zwischenurteil die geltend gemachten Schadenersatzansprüche der Kläger zufolge der durch den Verkehrsunfall vom 15. Juli 1951 erlittenen schweren Verletzungen beiden Beklagten gegenüber als dem Gründe nach zu Recht bestehend erkannt. Das Verschulden des Erstbeklagten als Lenker des dem Zweitbeklagten gehörigen PKW. wurde zufolge strafgerichtlicher Verurteilung, ein Mitverschulden auf Seite der Kläger jedoch nicht als erwiesen angenommen. Der Erstbeklagte hafte demnach nach dem Kraftfahrzeugverkehrsgesetz und nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes, während die Haftung des Zweitbeklagten lediglich nach dem bürgerlichen Recht angenommen wurde, weil er die Benützung des Fahrzeuges durch den Erstbeklagten durch seine Fahrlässigkeit dadurch ermöglicht habe, daß er es unterließ, den Zundungsschlüssel abzuziehen, bevor er seine Aufmerksamkeit von dem Fahrzeug abwendete und somit der ihm als Führer eines Kraftfahrzeuges gemäß § 99/4 der Kraftfahrverordnung auferlegten Verpflichtung zuwiderhandelte.

Den von beiden Beklagten erhobenen Berufungen wurde nicht Folge gegeben. Das Berufungsgericht vertrat hinsichtlich der Schuldhaftung des Zweitbeklagten die Rechtsansicht, daß der Fahrzeughalter dann, wenn er lediglich die widerrechtliche Benützung des Kraftfahrzeuges als solche durch sein Verschulden ermöglicht habe, auch nur nach den Bestimmungen des Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes haftbar gemacht werden könne. Wenn zu dieser schuldhaften Benützungsermöglichung aber noch ein spezifisches Verschulden hinzutrete und zwischen diesem Verschulden und dem eingetretenen Schadensfall eine vom Halter noch zu verantwortende Kausalität bestehe, dann hafte der Halter für dieses besondere Verschulden unabhängig von den Bestimmungen des Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes, bzw. darüber hinaus nach den Grundsätzen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches. Ein solches Verschulden des Zweitbeklagten sei aber im vorliegenden Fall darin zu erblicken, daß er, wenn er auch den trunkenen Zustand des Erstbeklagten nicht bemerkt haben sollte, mit dem Hineinhelfen der Frauen in den Wagen überhaupt begann, obwohl der bereits am Führersitz befindliche Erstbeklagte trotz der ersten Aufforderung den Platz nicht verließ, zumindest es aber als Führer des Kraftfahrzeuges unterlassen habe, vor Beginn des Einsteigens der Frauen den Zundungsschlüssel abzuziehen. Der Zweitbeklagte hätte überdies, auch wenn er gerade mit dem Hineinhelfen der Erstklägerin beschäftigt war, mit einem Griff an das Instrumentenbrett den Schlüssel abziehen und damit den Motor außer Betrieb setzen können. Schließlich hätte ihm auch das verwunderliche Verhalten des Erstbeklagten auffallen müssen, als dieser unbefugt den Führersitz des ihm fremden Autos einnahm und auf entsprechende Abmahnungen nicht reagierte, weiters ihm auch bewußt sein müssen, daß das Stehenlassen eines nicht abgeschlossenen Kraftwagens mit angestecktem Zundungsschlüssel vor einem Gasthaus nach einer ländlichen Festlichkeit im Hochsommer, wenn also die Anwesenheit angeheiterter, bzw. betrunkener Menschen geradezu wahrscheinlich ist, besondere Vorsicht erheischt. Die vom Erstgericht angenommene Haftung des Zweitbeklagen für sein Verschulden an dem unfallsbedingten Schaden nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes sei daher rechtlich zutreffend.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der zweitbeklagten Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Insoweit der Revisionswerber ausführt, daß die Bestimmung des § 7 Abs. 3zweiter Halbsatz Kraftfahrzeugverkehrsgesetz keine Verschuldenshaftung enthalte, sondern lediglich eine Sonderbedingung desErfolghaftungstatbestandes, ist ihm beizupflichten. Die dort statuierte Haftung des Halters ändert nichts an dem Grundsatz der Haftpflicht nach dem Kraftfahrzeugverkehrsgesetz, die, vom Verschulden losgelöst, sich lediglich auf den Betrieb des Fahrzeuges stützt. Die Haftung nach dieser Gesetzesstelle ist also keine Verschuldenshaftung mit den Rechtsfolgen der Schadenshaftung nach bürgerlichem Recht, sondern stellt vielmehr die Haftung nach dem Kraftfahrzeugverkehrsgesetz mit allen ihren Rechtsfolgen dar. Das ergibt sich schon aus den Worten: "Daneben bleibt der Halter zum Ersatz des Schadens verpflichtet." Es ist also die Tatsache der schuldhaften Benützungsermöglichung nicht als selbständiger neuer Verpflichtungsgrund anzusehen, aus dem sich die Rechtsfolgen der Schadenshaftung nach bürgerlichem Recht ergeben, sondern ist die schuldhafte Ermöglichung der Benützung durch Dritte eine vom Gesetzgeberbesonders herausgehobene Art des Betriebes, bei der an den besonderen Tatbestand eines schuldhaften Verhaltens die Rechtsfolge der Haftung nach dem Kraftfahrzeugverkehrsgesetz geknüpft ist. Die Haftung aus schuldhafter Benützungsermöglichung ist also die übliche Erfolgshaftung eines Fahrzeughalters mit der Entlastungsmöglichkeit nach § 7 Abs. 2 und mit der Beschränkung auf die Höchstsummen des § 12 Kraftfahrzeugverkehrsgesetz. Geht aber das schuldhafte Verhalten des Fahrzeughalters über die Ermöglichung einer unbefugten Benützung hinaus, ist die Allgemeinheit unmittelbar gefährdet und stellt sein Verhalten eine Verletzung seiner Haltepflicht überhaupt dar, dann tritt die Haftung des Fahrzeughalters zufolge der Bestimmung des § 16 Kraftfahrzeugverkehrsgesetzes in weiterem Umfang nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes ein, sofern deren Voraussetzungen vorliegen (vgl. Dr. Fritz Müller, Straßenverkehrsrecht, S. 223, 228; RG. 136, 4 und 15). Ein solches über die Ermöglichung einer unbefugten Benützung hinausgehendes, fahrlässiges, die Allgemeinheit unmittelbar gefährdendes Verhalten, welches eine Verletzung der den Zweitbeklagten gleichzeitig als Führer seines Fahrzeuges auf Grund der bestehenden Vorschriften treffenden Pflichten darstellt, hat jedoch das Berufungsgericht mit Recht angenommen und daher auch gleich dem Erstgericht die erweiterte Haftung des Zweitbeklagten nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes zutreffend bejaht. Es ist hiebei von den Feststellungen der Untergerichte auszugehen, wonach der Zweitbeklagte den bereits am Lenkersitz befindlichen Erstbeklagten bemerkte, als sich die Frauen zum Einsteigen anschickten, und zu ihm sagte, "fahren dürfe er aber nicht", worauf der Zweitbeklagte durch längere Zeit (5 bis 10 Minuten) damit beschäftigt war, den Frauen in den Wagen hineinzuhelfen. Damit allein schon hat aber der Zweitbeklagte als Führer seines Kraftfahrzeuges die Vorschrift des § 99/4 Kraftfahrverordnung 1947 verletzt, die ihm die Pflicht auferlegt, bevor er sich von seinem Fahrzeug entfernte, alle nötigen Vorkehrungen zu treffen, um Unfälle und Verkehrsstörungen zu vermeiden, so insbesondere auch zur Verhinderung der unbefugten Inbetriebsetzung des Fahrzeuges die üblicherweise hiezu bestimmten Vorrichtungen am Fahrzeug in Wirksamkeit zu setzen. Wie weit sich der Zweitbeklagte von seinem Fahrzeug räumlich entfernt hat, als er sich einer anderen Beschäftigung zuwandte, die seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, ist gleichgültig. Maßgebend ist lediglich, daß der Zweitbeklagte zufolge Ablenkung seiner Aufmerksamkeit einige Zeit hindurch nicht in der Lage war, sein Fahrzeug entsprechend zu überwachen, sodaß er nach der bezogenen Vorschrift jedenfalls gehalten war, alles vorzukehren, um auch eine unbefugte Inbetriebsetzung des Fahrzeuges zu verhindern, was umso nötiger erschien, als er den Erstbeklagten bereits am Lenkersitz bemerkt hatte und er nach einer ländlichen Festlichkeit vor einem Gasthaus auch mit der Anwesenheit betrunkener Menschen rechnen mußte. Durch die Warnung an den Erstbeklagten "fahren dürfe er aber nicht" wird auch deutlich, daß er sich der Gefahr, der Erstbeklagte könnte den Wagen in Betrieb setzen, bewußt war. Trotzdem hat es der Zweitbeklagte unterlassen, die zur Abwendung dieser Gefahr allein nötige Vorkehrung zu treffen, nämlich vor Beginn des Einsteigens der Frauen, also bevor er seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwandte, den Zundungsschlüssel abzuziehen. Hat aber der Zweitbeklagte durch Unterlassung der ihm zur Pflicht gemachten Vorsichtsmaßnahmen einer zwingenden Vorschrift zuwidergehandelt, die zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, haftet er schon gemäß § 1311 ABGB. für allen Nachteil, der außerdem nicht erfolgt wäre, wobei ein strenger Beweis des Kausalzusammenhanges nicht einmal erforderlich wäre (Slg. XVIII/7260; Slg. XV/5953). Dies ergibt schon die Überlegung, daß der Zweck der Vorschrift des § 99/4 Kraftfahrverordnung gerade darin erblickt werden muß, den nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwartenden Schadensfolgen, so auch der Inbetriebsetzung des Fahrzeuges durch einen Unbefugten, vorzubeugen. Da sohin die Schadenshaftung des Zweitbeklagten im vollen Umfang der geltend gemachten Schadenersatzansprüche schon aus den obigen Erwägungen zu Recht besteht, betreffen die zu 2. der Revision als aktenwidrig bzw. mangelhaft gerügten Feststellungen keine prozeßentscheidenden Tatsachen, sodaß sich ein weiteres Eingehen auf diese geltend gemachten Revisionsgrunde erübrigt.

Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.

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