OGH 2Ob411/50

OGH2Ob411/5016.11.1950

SZ 23/335

Normen

ABGB §879
ABGB §986
ABGB §1447
Grundverkehrsnovelle 1946 §3
Wucherverordnung vom 12. Oktober 1914. RGBl. Nr. 279 §1
ZPO §190
ZPO §519 Z3
ABGB §879
ABGB §986
ABGB §1447
Grundverkehrsnovelle 1946 §3
Wucherverordnung vom 12. Oktober 1914. RGBl. Nr. 279 §1
ZPO §190
ZPO §519 Z3

 

Spruch:

Nur die vom Schuldner weder verschuldete noch vorhersehbare Unerschwinglichkeit der Leistung kann einer Unmöglichkeit im Sinne des § 1447 ABGB. gleichgesetzt werden.

Geldleistungen können grundsätzlich nicht als unerschwinglich angesehen werden.

§ 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. hat objektiv ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Zeit des Vertragsabschlusses zur Voraussetzung.

Unerfahrenheit liegt vor, wenn der Vertragspartner infolge Fehlens von Lebenserfahrung oder allgemeinen Geschäftskenntnissen verhindert war, seine Interessen beim Geschäftsabschluß gehörig zu wahren.

Das Gericht ist nicht befugt, eine Entscheidung der Grundverkehrskommission auf ihre allfällige Überschreitung der ihr als Preisbehörde eingeräumten Kompetenz zu überprüfen. Ein allgemeines ausnahmsloses Verbot von Wertsicherungsklauseln besteht nur bei Versicherungsverträgen.

Entscheidung vom 16. November 1950, 2 Ob 411/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Der Beklagte hat mit Kaufvertrag vom 19. September 1946 die der Klägerin und ihrem vermißten Sohn gehörige Ziegelei um den Kaufpreis von 170.000 S gekauft. 80.000 S bezahlte er bar; der mit 4% jährlich zu verzinsende Rest von 90.000 S wurde ihm auf unbestimmte Zeit gestundet, wobei sich die Verkäufer eine sechsmonatige Aufkündigung des gestundeten Kaufpreisrestes vorbehielten. Kapital und Zinsen waren durch die im Pkt. 4 des Vertrages aufgenommene Klausel derart gesichert, daß deren Zahlung mit dem jeweiligen Verkaufspreis von Mauerziegeln der eigenen Produktion und, während der Dauer des Stillstandes dieser Produktion, nach dem in den umliegenden Ziegelwerken geltenden durchschnittlichen Verkaufspreise wertmäßig in Zusammenhang gebracht wurde. Es wurde der Preis für Mauerziegel in der damaligen Höhe von 76 S für 1000 Stück zugrunde gelegt und es sollte sich jede der vom Beklagten bzw. dessen Rechtsnachfolgern zu leistenden Zahlung jeweils an diese Wertrelation angleichen.

Die Klägerin begehrt nun vom Beklagten die Zahlung der vom Kaufpreis allmonatlich zu entrichtenden Zinsen für die Zeit vom 1. April 1947, das ist vom Zeitpunkt der ersten Preiserhöhung an, bis 26. September 1949, in der der vertragsmäßigen Wertsicherung entsprechenden Höhe von 17.347.67 S.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte fest, daß die Wertsicherungsklausel, so wie sie in der Klage dargestellt ist, vereinbart wurde, daß der Kaufschillingrest nicht eine bloße Darlehensforderung, sondern die Einlage stiller Gesellschafter war, und daß der Vertrag nicht schlechthin unkundbar sein sollte, sondern vom Beklagten nur während der Dauer von zehn Jahren nicht aufgekundigt werden durfte. In rechtlicher Beziehung erschien dem Erstgericht, das einen Gewährleistungs- und Schadensersatzanspruch auf Seite des Beklagten negierte, der Klagsanspruch begrundet, da der Vertrag weder gegen preisrechtliche Vorschriften noch gegen die guten Sitten verstoße. Mit der Einwendung des Beklagten, daß die von der Klägerin begehrte Leistung infolge Unerschwinglichkeit unmöglich sei, befaßte sich das Erstgericht nicht.

Infolge Berufung des Beklagten hob das Berufungsgericht das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt (§ 519 Z. 3 ZPO.) auf und verwies die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Prozeßgericht zurück. In Übereinstimmung mit dem Erstgericht hielt auch das Berufungsgericht die gegenständlich vereinbarte Wertsicherungsklausel weder für gesetzwidrig noch - in diesem Zusammenhang - für sittenwidrig. Im Gegensatz zur Feststellung des Erstrichters, daß zwischen den Parteien eine stille Gesellschaft gegrundet worden wäre und die Verzinsung nur eine besondere Form der Gewinnbeteiligung sein sollte, nahm das Berufungsgericht an, daß die Klägerin, der keinerlei Anteilsrechte an dem Unternehmen des Beklagten zustehen sollten, nicht Gesellschafterin sein, sondern nur in Bezug auf die aushaftende Kaufschillingrestforderung wie eine stille Gesellschafterin behandelt werden sollte. Hievon ausgehend, hielt das Berufungsgericht eine Erörterung der ihm wesentlich erscheinenden Frage für notwendig, ob im gegebenen Falle die vereinbarte Wertsicherungsklausel nach dem Willen der Parteien wirklich nur den Zweck hatte, die Gläubigerin vor einem Schaden infolge späterer Geldentwertung zu schützen, oder ob die Parteien auch den aleatorischen Charakter der Vereinbarung willentlich und wissentlich in Kauf nahmen. Insbesondere sei nach Auffassung des Berufungsgerichtes zu erörtern und festzustellen, aus welchem Gründe gerade Mauerziegel als Wertmesser für die Höhe der künftigen Leistungen gewählt wurden. Sollte die Ergänzung des Verfahrens ergeben, daß nur die erste Absicht - nämlich Sicherung des inneren Wertes der Darlehensvaluta, das ist der gestundeten Kaufschillingrestforderung - maßgebend war, dann werde die Vernehmung eines Sachverständigen nicht zu umgehen sein, und zwar darüber, ob die Abstellung auf Mauerziegel als Vergleichsobjekt dem Willen der Parteien gerecht werde, das heißt, ob durch die vereinbarte Wertsicherungsklausel nicht nur der Entwertung des Geldes Rechnung getragen, sondern der Klägerin auch ein nicht beabsichtigter Gewinn zugeschanzt werde, weil die Preiserhöhung der Ziegel außer allem Verhältnis zur Entwertung der Kaufkraft des Geldes erfolgte. Wenn aber von den Parteien unabhängig von den Ereignissen auf dem Geldmarkt ausschließlich die Relation des geschuldeten Kaufpreises zum jeweiligen Anschaffungswert der entsprechenden Menge Mauerziegel gewollt und zum Ausdruck gebracht war, dann hätte sich der Beklagte den außergewöhnlichen Verhältnissen auf dem Ziegelmarkt unterworfen und in den Abschluß eines Glücksvertrages ausdrücklich eingewilligt.

Einen weiteren Verfahrensmangel sah das Berufungsgericht darin gelegen, daß das Erstgericht über die vom Beklagten erhobene Einwendung der Unmöglichkeit der Leistung infolge Unerschwinglichkeit hinweggegangen war. Das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, daß die Prosperität des beklagten Unternehmens und insbesondere geprüft werden müsse, ob diesem die vereinbarten Leistungen zumutbar und erschwinglich seien. Steigen die Preise unverhältnismäßig an und sinke - wenn auch nur örtlich bedingt - die Absatzmöglichkeit für den Beklagten oder seine Produktion ab, dann entstehe tatsächlich die Frage, ob die Leistung ihm wirtschaftlich zumutbar sei. In diesem Zusammenhang werde dann die Frage, ob die Vereinbarung nicht aus dem Gründe des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. (§ 1 WucherV.) nichtig sei, aktuell werden. Wenn auch der Beklagte diese Einwendung im Verfahren erster Instanz expressis verbis nicht vorgebracht habe, so habe er doch immer wieder die Sittenwidrigkeit aus der Unverhältnismäßigkeit der Leistung und Gegenleistung behauptet.

Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurse des Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes nicht Folge gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rekurs nimmt gegen den zweiten Aufhebungsgrund des Berufungsgerichtes Stellung und setzt der Rechtsmeinung des Aufhebungsbeschlusses die auf Lehre und Rechtsprechung (Pisko in Klang's Kommentar zu § 1447 ABGB., SZ. II/133, SZ. IV/24, SZ. II/117) gegrundete Rechtsauffassung entgegen, derzufolge auf die Einwendung der Unerschwinglichkeit der Leistung vorliegendenfalls nicht eingegangen zu werden braucht.

In diesem Belange erachtet der Oberste Gerichtshof den Rekurs, wenn auch nicht aus den von ihm zum Ausdruck gebrachten Gründen, als berechtigt.

Der Ansicht des Berufungsgerichtes, daß die Prosperität des beklagten Unternehmens und insbesondere zu prüfen sei, ob diesem die vereinbarten Leistungen zumutbar und erschwinglich seien, kann nicht beigepflichtet werden. Es handelt sich im vorliegenden Falle um eine wertmäßig gesicherte Kaufpreisrestschuld. Die geschuldete Leistung besteht also in Geld. Geldleistungen können aber grundsätzlich niemals als "unerschwinglich" angesehen werden, weil die Erfüllung der Obligation weder rechtlich noch tatsächlich, weder objektiv noch auch nur für den Schuldner dauernd ausgeschlossen ist (Ehrenzweig, II/2, S. 348, Pisko in Klang's Kommentar, 1. Aufl., IV, S. 568, E.

v. 21. Dezember 1946, 1 Ob 346/46, ÖJZ. 1947, S. 350). Hiezu kommt noch folgendes: Die Parteien haben, indem sie eine Wertsicherungsklausel in den Vertrag aufnahmen, schon beim Vertragsabschluß nicht damit gerechnet, daß die Preise stabil bleiben werden; sie haben vielmehr ein Steigen oder Sinken der Preise in Betracht gezogen. Der Beklagte sagt selbst in seiner Parteienvernehmung "diese Klausel war so gedacht, damit der Sohn der Klägerin durch eine Inflation oder Ähnliches nicht zu Schaden kommt". Nur die vom Schuldner weder verschuldete noch vorhersehbare Unerschwinglichkeit der Leistung kann aber einer Unmöglichkeit im Sinne des § 1447 ABGB. gleichgesetzt werden.

Insoweit der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes auch die Frage einer allfälligen Überprüfung der Vereinbarung aus dem Gesichtspunkt des § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. (§ 1 WucherV.) streift, ist hiezu zu bemerken, daß § 879 Abs. 2 Z. 4 ABGB. objektiv ein Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Zeit des Vertragsabschlusses zur Voraussetzung hat und daß von Unerfahrenheit im Sinne dieser Gesetzesstelle nur dann gesprochen werden kann, wenn infolge des Fehlens von Lebenserfahrung oder allgemeinen Geschäftskenntnissen der Vertragspartner verhindert war, seine Interessen beim Geschäftsabschluß gehörig zu wahren.

Im Hinblick auf diese Rechtslage erscheint somit eine Erörterung über die vom Beklagten eingewendete Unmöglichkeit der Leistung infolge Unerschwinglichkeit in der Tat entbehrlich, ohne daß allerdings dieser Umstand dem Rekurs zu dem von ihm angestrebten Erfolg verhelfen könnte, da sich die vom Berufungsgericht ausgesprochene Aufhebung des erstrichterlichen Urteiles aus anderen - hier nicht abgedruckten - Gründen nicht vermeiden läßt.

Zur Frage der Zulässigkeit der vereinbarten Wertsicherungsklausel bemerkt der Gerichtshof noch folgendes:

Wie der Oberste Gerichtshof bereits in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat (vgl. E. v. 23. Mai 1949, 3 Ob 152/49, JBl. 1949, S. 476, v. 21. Dezember 1949, 1 Ob 203/49, u. v. 1. Februar 1950, 1 Ob 38/50), verstoßen Wertsicherungsklauseln an sich weder gegen das Gesetz noch gegen die guten Sitten. Nur soweit der Gesetzgeber Wertsicherungsklauseln ausdrücklich verboten hat, ist die Berücksichtigung einer vereinbarten Wertsicherungsklausel unzulässig. Das Begehren einer Leistung, die für den Schuldner mit unverhältnismäßigen Opfern verbunden ist, verstößt an sich noch nicht gegen die guten Sitten und ist aus diesem Gründe noch nicht unzulässig.

Daß der im vorliegenden Falle vereinbarten Wertsicherungsklausel gesetzliche Vorschriften entgegenständen, die sie unwirksam machen würden, vermag auch der Oberste Gerichtshof nicht zu erkennen.

Ein allgemeines ausnahmsloses Verbot von Wertsicherungsklauseln besteht nur bei Versicherungsverträgen (Erlaß des Bundesministeriums für Finanzen vom 28. März 1946, Z. 25.320-19/46, legalisiert durch das Gesetz BGBl. Nr. 124/49).

Neben den Erlässen des Bundesministeriums für Inneres vom 14. Juni 1948, Z. 75.153-11, und des Staatsamtes des Inneren vom 15. November 1945, Z. 47.961-11, mit denen sich der angefochtene Beschluß in durchaus zutreffender Weise auseinandersetzt, kommt auch den sonstigen preisrechtlichen Vorschriften keine Bedeutung für die gegenständlich vereinbarte Wertsicherung zu.

Die durch das Preisregelungsgesetz 1950, BGBl. Nr. 194/50, praktisch bedeutungslos gewordene Verordnung über das Verbot von Preiserhöhungen im Lande Österreich vom 29. März 1938, DRGBl. I S. 340, verbietet nur die Erhöhung von Preisen und Entgelten jeder Art, insbesondere für die Bedürfnisse des täglichen Lebens und Waren aller Art.

Das Preisregelungsgesetz 1950, das sich zwar auf die Erzeugnisse eines Ziegelwerkes, wie Mauerziegel (Anlage B), und, sofern Grundstücke in Frage kommen, nur auf überwiegend land- und forstwirtschaftlich genutzte Liegenschaften (Anlage A/II) bezieht, verbietet, wie sich aus dem Sinne des Gesetzes ergibt, nur "echte" Preiserhöhungen, die durch entsprechende Kontrollen und Strafsanktionen verhindert werden sollen.

Die Frage schließlich, ob die gegenständlich vereinbarte Wertsicherung mit Rücksicht darauf, daß auch nicht land- und forstwirtschaftlich genutzte Grundstücke den Gegenstand des Rechtsgeschäftes bildeten, auch noch einer besonderen Genehmigung durch die untere Verwaltungsbehörde als Preisbehörde bedurft hätte, ist unerheblich, weil der gegenständliche Vertrag, wie sich aus dem Genehmigungsvermerk vom 11. April 1947 ergibt, von der Grundverkehrskommission ohne Einschränkung genehmigt wurde. Die Prüfung der Frage, ob die Grundverkehrskommission hiebei etwa die ihr durch § 3 der Grundverkehrsnovelle 1946, BGBl. Nr. 123/46, als Preisbehörde eingeräumte Kompetenz überschritten hat, steht dem Gericht nicht zu.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte