Spruch:
Der Revision im Übrigen wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 939 S 69 g bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Emil D***** stand in der Zeit vom 1. 1. 1913 bis 30. 4. 1945 im Dienste der Gemeinde Wien (Gaswerke); es handelte sich dabei um ein von der Pensionsversicherungspflicht ausgenommenes pragmatisches Dienstverhältnis. Im Jahre 1945 wurde er aus politischen Gründen ohne Anspruch auf Ruhegenuss außer Dienst gestellt. Auf seinen Antrag wurde die Nachversicherung für den erwähnten Zeitraum bei der Klägerin durchgeführt. Dafür leistete die beklagte Partei an die Klägerin eine Zahlung von 7.626 S. Ab 1. 12. 1952 leistete die klagende Partei an Emil D***** (geboren am 23. 2. 1887) Altersruhegeld. Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 15. 2. 1955 wurde der Genannte von den Sühnefolgen ausgenommen. Hierauf wurde Emil D***** von der beklagten Partei mit Wirkung vom 1. 5. 1955 in den Ruhestand versetzt, so dass ihm ab diesem Tag auf Grund seiner Dienstleistung vom 1. 1. 1913 bis 12. 3. 1938 ein Ruhebezug gewährt wurde. Die beklagte Partei verständigte davon die Klägerin und ersuchte um Stornierung der Nachversicherung sowie Rückzahlung des aus diesem Grunde bezahlten Betrages von 7.626 S. Die Klägerin hat an Emil D***** das Altersruhegeld bis 31. 8. 1955 ausbezahlt, sich aber über dessen Bezüge vom 1. 5. 1955 bis 31. 8. 1955 mit ihm verglichen. Mit der am 15. 2. 1960 erhobenen Klage verlangt die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten von der beklagten Partei gemäß § 45 NS-Amnestie 1957 (Bundesverfassungsgesetz vom 14. 3. 1957, BGBl Nr 82) den Ersatz der in der Zeit vom 1. 12. 1952 bis 30. 4. 1955 an Emil D***** geleisteten Beträge in der Gesamthöhe von 34.039,80 S sA. Die von der jetzigen beklagten Partei beim Schiedsgericht der Sozialversicherung für Wien am 15. 1. 1959 gegen die jetzige Klägerin erhobene Klage auf Feststellung, dass die Wiener Stadtwerke - Gaswerke zur Rückerstattung des von der jetzigen Klägerin an Emil D***** ausbezahlten Betrages von 34.039,80 S nicht verpflichtet seien an, wurde vom bezeichneten Schiedsgericht mit Beschluss vom 8. 4. 1959 wegen sachlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen; dieser Beschluss wurde vom Oberlandesgericht Wien am 13. 11. 1959 bestätigt (Akten 10 C 26/59 des genannten Schiedsgerichtes). Im vorliegenden Prozesse hat die beklagte Partei die Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend gemacht; die Sache gehöre auf den Verwaltungsweg. Im Übrigen hat die Beklagte den Anspruch bestritten und in eventu compensando den Betrag von 7.626 S eingewendet.
Das Erstgericht hat mit Beschluss (ON 6, Punkt I) die Einwendung der Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen und mit Urteil (ON 6, Punkt II) das Zahlungsbegehren pcto 34.039,80 S sA abgewiesen. Der Rechtsweg sei gegeben, der Anspruch aber sachlich nicht begründet, weil die beklagte Partei kein öffentlich-rechtlicher Dienstgeber im Sinne des § 45 der NS-Amnestie 1957 sei.
Der Berufung der klagenden Partei hat das Berufungsgericht Folge (richtig: teilweise Folge) gegeben und in Abänderung des Ersturteils ausgesprochen, dass die Klagsforderung mit dem Betrage von 34.039,80 S sA, die Gegenforderung aber mit dem Betrage von 7.626 S zu Recht bestehe; daher sei die beklagte Partei schuldig, der Klägerin den Betrag von 26.413,80 S sA zu bezahlen (die Abweisung des Mehrbegehrens pcto 7.626 S sA ist im Spruche nicht enthalten, ergibt sich aber aus den Gründen des Urteils der zweiten Instanz). Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei, worin die Revisionsgründe des § 503 Z 1 und 4 ZPO geltend gemacht werden und beantragt wird, "das angefochtene Urteil und das gesamte vorangegangene Verfahren erster und zweiter Instanz als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen"; hilfsweise hat die beklagte Partei die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne der Klagsabweisung, in eventu die Aufhebung dieses Urteils und die Rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht beantragt.
Rechtliche Beurteilung
Die klagende Partei hat die Revision bekämpft und beantragt, ihr keine Folge zu geben.
Zum Nichtigkeitsgrunde des § 503 Z 1 (§ 477 Abs 1 Z 6) ZPO:
Das Berufungsgericht hat darauf verwiesen, dass der Beschluss des Erstgerichtes, womit der Rechtsweg zulässig sei, nicht angefochten worden sei; gegenüber dem Vorbringen der beklagten Partei als Berufungsgegnerin (ON 9) sei zu bemerken, dass das Berufungsgericht an den rechtskräftig gewordenen Beschluss des Erstgerichtes gebunden sei, so dass es die Zulässigkeit des Rechtsweges nicht mehr verneinen könne. Nunmehr macht die Revisionswerberin Nichtigkeit geltend, weil der Rechtsweg unzulässig sei. Sie übersieht dabei, dass nach dem - bereits vom Berufungsgerichte zitierten - Jud Nr 63 neu, Abschnitt A (SZ XXVIII 265), Prozesshindernisse in höherer Instanz auch von Amts wegen nicht mehr wahrgenommen werden können, wenn eine noch bindende Entscheidung über das Prozesshindernis entgegensteht. Die Berücksichtigung eines rechtskräftig abgelehnten Nichtigkeitsgrundes wäre ja selbst als Einbruch in die Rechtskraft mit Nichtigkeit bedroht (vgl die Gründe des genannten Judikats, Abschnitt A). Mit Recht hat daher das Berufungsgericht dargelegt, dass die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges in zweiter Instanz nicht mehr zur Erörterung stehe, und dasselbe gilt infolge der bestehenden Bindung an den Beschluss des Erstgerichtes ON 6 Punkt I, auch in dritter Instanz. Auf die Ausführungen der Revisionswerberin, denen zufolge der Rechtsweg unzulässig sei, kann daher in diesem Verfahrensabschnitt nicht mehr Bedacht genommen werden. Es ist unrichtig, dass die beklagte Partei infolge Obsiegens in der Hauptsache laut Erledigung der ersten Instanz keine Veranlassung und nicht einmal die Möglichkeit gehabt hätte, den erwähnten Beschluss des Erstgerichtes, durch welchen das Prozesshindernis der Unzulässigkeit des Rechtsweges negiert worden war, zu bekämpfen. In einem derartigen Falle hat die Rechtsprechung das Rekursgericht des Beklagten immer anerkannt (vgl zB SZ VIII 97 vom 31. 3. 1926), da die rechtlichen Auswirkungen für den Beklagten verschieden sind, je nachdem die Klage als nicht auf den ordentlichen Rechtsweg gehörig erachtet oder als privatrechtlich nicht begründet erkannt worden ist; es war aber auch für die beklagte Partei nicht vorhersehbar, ob die Oberinstanz die Abweisung der Klage durch das Erstgericht billigen würde, wenn ihr Gegner Berufung erhebe. Die von der Revision bezogene Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien vom 20. 12. 1937, 2 R 602/37, EvBl Nr 49/1938, betrifft nicht einen Fall der Ablehnung der Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, sondern jenen des Obsiegens in der Hauptsache bei Ablehnung der von der obsiegenden Partei vertretenen Ansicht, dass das Erstgericht örtlich unzuständig sei; schon deshalb können daraus Schlüsse im Sinne des Revisionsvorbringens nicht gezogen werden.
Bei diesen Umständen liegt die geltend gemachte Nichtigkeit nicht vor, so dass die Revision insoweit zu verwerfen war. Es ist aber auch der Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO nicht gegeben. In § 45 Abs 1 Satz 2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 14. 3. 1957, BGBl Nr 82 (NS-Amnestie 1957), ist bestimmt, dass die vom Träger der Pensionsversicherung geleisteten Zahlungen diesem vom öffentlich-rechtlichen Dienstgeber zu erstatten sind, wenn vor der Übernahme in die neugebildeten Personalstände oder vor der Versetzung in den Ruhestand Leistungen aus der Pensionsversicherung angefallen sind (diese Vorschrift kommt nach dem eingangs dargestellten Sachverhalt gemäß § 45 Abs 4 NS-Amnestie 1957 vorliegendenfalls sinngemäß zur Anwendung). Die Revisionswerberin regt nun einen Antrag des Obersten Gerichtshofes an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art 140 Abs 1 B-VG an. Dieser Anregung kann aber schon deswegen nicht näher getreten werden, weil es sich bei der NS-Amnestie 1957 selbst um ein Bundesverfassungsgesetz handelt. Es trifft auch nicht zu, dass die beklagte Partei nicht öffentlich-rechtlicher Dienstgeber des Emil D***** im Sinne der bezogenen Vorschrift sei. Zwischen der Bundeshauptstadt Wien und ihren Unternehmungen ist in dieser Hinsicht keineswegs im Sinne der Revisionsausführungen zu unterscheiden; § 36 HGB bzw Art 6 Nr 9 der 4. Verordnung zur Einführung handelsrechtlicher Vorschriften in Österreich betrifft ja nur Fragen des Rechtes der Handelsfirma; nach § 1 der Dienstordnung für die Beamten der Bundeshauptstadt Wien (LGBl für Wien 1951, Nr 34) gilt diese Dienstordnung ausdrücklich für die im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Bundeshauptstadt Wien einschließlich ihrer Unternehmungen stehenden Bediensteten. Die Ausführungen der Revisionswerberin sind nicht geeignet, die Beurteilung des Berufungsgerichtes zu diesem Punkte zu widerlegen. Aber auch die Verjährungsfrage hat das Berufungsgericht richtig gelöst. Denn § 107 ASVG ist im 6. Abschnitt des Ersten Teils des ASVG über Leistungsansprüche (§§ 85 bis 108) enthalten und betrifft nach dem Zusammenhange das Rechtsverhältnis zwischen Versicherungsträger und Versichertem bzw dessen Hinterbliebenen. Vorliegendenfalls steht aber ein Kondiktionsanspruch nach der Sonderregelung des § 45 des mehrfach bezogenen Bundesverfassungsgesetzes vom 14. 3. 1957 zur Erörterung; hier kommt also die allgemeine Verjährungsfrist des § 1479 ABGB in Betracht (vgl Wilburg in Klangs Kommentar, 2. Aufl., VI/S. 490; die Sondervorschrift des § 45 Abs 3 letzter Satz NS-Amnestie 1957 betrifft nur den Antrag des öffentlich-rechtlichen Dienstgebers auf Rückerstattung der Nachversicherungsbeiträge). Die gerügte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) ist also in keinem Punkte gegeben.
Somit war wie im Spruche zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung (auf der Grundlage von 26.413,80 S) beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.
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