OGH 2Ob396/69 (2Ob397/69)

OGH2Ob396/69 (2Ob397/69)15.1.1970

SZ 43/10

Normen

AHG §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19 Abs2
JN §1
AHG §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §19 Abs2
JN §1

 

Spruch:

Dienstfahrt zu Repräsentationsaufgaben kann Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze sein; dies gilt dann auch für Lenker des Fahrzeuges

OGH 15. Jänner 1970, 2 Ob 396, 397/69 (KG Wels R 336/69; BG Wels 2 C 457/68)

Text

Der Kläger wurde am 26. August 1967 als Mitfahrer des von seinem Vater gelenkten Mopeds verletzt, als dieser mit einem vom Erstbeklagten gelenkten PKW der Zweitbeklagten (Republik Österreich) auf der Bundesstraße Nr 1 in W zusammenstieß. Der Vater des Klägers wurde im Strafverfahren freigesprochen; gegen den Erstbeklagten wurde ein Strafverfahren nicht eingeleitet.

Der Kläger behauptet Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall und verlangt von den beiden Beklagten zur ungeteilten Hand 120 S als Kosten der Reparatur seiner Armbanduhr, die beim Unfall beschädigt worden sei, 5000 S an Schmerzensgeld und die Feststellung der solidarischen Ersatzpflicht der Beklagten für alle künftigen Schäden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte statt, wies aber das Begehren gegen den Erstbeklagten ab. Es ging davon aus, daß das Unfallgeschehen in der Endphase nicht mehr feststellbar sei. Es sei daher ein Verschulden im Sinne des bürgerlichen Rechtes nicht nachweisbar, aber der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 EKHG nicht gelungen. Nach dem EKHG hafte aber nur die Zweitbeklagte als Halterin, nicht auch der Erstbeklagte als Lenker des Fahrzeuges. Das Erstgericht verwies noch darauf, daß das Amtshaftungsgesetz auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, obgleich sich der Unfall während einer Dienstfahrt des Erstbeklagten ereignete. Dieser habe nämlich den Sektionschef Dr X vom Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft zur Erfüllung einer Repräsentationspflicht, nämlich zur Teilnahme an der Eröffnung des Rieder Volksfestes, nach R zu bringen gehabt. Die Erledigung dieser Aufgabe durch den Erstbeklagten sei keine Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze im Sinne des § 1 AHG gewesen.

Gegen das Urteil des Erstgerichtes erhoben der Kläger und die Zweitbeklagte Berufung. Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung des Klägers das Urteil des Erstgerichtes hinsichtlich des Erstbeklagten und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage gegen den Erstbeklagten zurück. Der Berufung der Zweitbeklagten gab das Berufungsgericht teilweise Folge; es wies das Begehren auf Zahlung eines Schmerzengeldes ab und beschränkte die Haftung für künftige Schäden auf Ansprüche nach dem EKHG; den Zuspruch des Ersatzes von Sachschaden (120 S) bestätigte es. Das Berufungsgericht war der Auffassung, daß der Erstbeklagte bei der Fahrt in Vollziehung der Gesetze im Sinne des § 1 AHG tätig gewesen sei, weil er ein "dienstlich hochgestelltes Organ der Bundesverwaltung" zu einer für das öffentliche Leben bedeutsamen Messeeröffnung zu fahren hatte. Daher könne der Erstbeklagte als Lenker des Fahrzeuges überhaupt nicht (§ 9 Abs 5 AHG) und die Zweitbeklagte als Halterin des Fahrzeuges - im vorliegenden Verfahren - nur nach dem EKHG in Anspruch genommen werden. Nach der im Unfallszeitpunkt geltenden Fassung des EKHG gebühre kein Schmerzengeld.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision und dem Rekurs Folge. Der Beschluß des Berufungsgerichtes und dessen Urteil hinsichtlich der Abweisung des Mehrbegehrens gegen die Zweitbeklagte auf Zahlung eines Betrages von 5000 S samt 4% Zinsen seit 6. Juni 1968 und auf Feststellung der Ersatzpflicht ohne Beschränkung auf Ansprüche nach dem EKHG sowie im Kostenausspruche wurden aufgehoben.

Die Rechtssache wurde im Umfange dieser Aufhebung an das Berufungsgericht zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Entscheidung hängt davon ab, ob das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, daß der Schade von einem Organ der Zweitbeklagten "in Vollziehung der Gesetze" im Sinne des § 1 AHG zugefügt wurde. Wird dies bejaht, dann ist gegen den Erstbeklagten als schuldhaft handelndes Organ der Rechtsweg ausgeschlossen (Ent, ZVR 1962, 370; Steininger, ZVR 1962, 231; Schäfer in Staudinger [10/11], RZ 376 zu § 839; RZ 1966, 69; SZ 34/17). Gegen die Zweitbeklagte können allenfalls auch in diesem Fall Ansprüche nach den Bestimmungen des EKHG unabhängig von den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes geltend gemacht werden (Ent, ZVR 1962, 370; Steininger, ZVR 1962, 231; Schäfer aaO; Soergel - Siebert, II, 1356; Moser, ÖJZ 1963, 425 f; RZ 1966, 69 = JBl 1966, 426 mit Besprechung von Moser). Soweit aber der Geschädigte Ansprüche auf ein Verschulden im Sinne des bürgerlichen Rechtes stützt, kann er sie nur unter Beachtung der Verfahrensvorschriften des AHG durchsetzen. Darnach ist zur Entscheidung ausschließlich ein Senat eines Landesgerichtes zuständig (§ 9 AHG; Veit, EKHG[2], 204; Steininger, ZVR 1962, 230, 232; Köckeis, ZVR 1966, 113). Nach § 8 AHG ist überdies der Rechtsweg für Ansprüche, die ein Verschulden des Organes im Sinne des bürgerlichen Rechtes voraussetzen, vor Durchführung des dort vorgesehenen Aufforderungsverfahrens ausgeschlossen (Steininger, ZVR 1962, 231; Ent, ZVR 1962, 370; Moser, ÖJZ 1963, 427). Da es sich bei den Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes über das Aufforderungsverfahren und die Zuständigkeit um zwingende Verfahrensvorschriften handelt, kann ein nach dem Amtshaftungsgesetz nicht zuständiges Gericht über Ansprüche, die diesem Gesetz zu unterstellen sind, nicht entscheiden. Die angeführten verfahrensrechtlichen Sonderbestimmungen des Amtshaftungsgesetzes können auch nicht durch Anwendung des § 19 Abs 2 EKHG umgangen werden, wonach der Halter eines Kraftfahrzeuges für das Verschulden des Lenkers, der mit seinem Willen beim Betrieb tätig war, haftet (vgl Ent, ZVR 1962, 370).

Für die Beurteilung, ob Ansprüche eines bei einem Verkehrsunfall Verletzten gegen einen der im § 1 AHG genannten Rechtsträger als Halter eines am Unfall beteiligten Fahrzeuges dem Amtshaftungsgesetz zu unterstellen seien, ist nicht ausreichend, daß die Fahrt des Organes eine Dienstfahrt im Sinne des Beamtenrechtes oder im Sinne der Reisegebührenvorschriften war. Es ist vielmehr erforderlich, daß die Fahrt im Rahmen der Hoheitsverwaltung - und nicht im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung - ausgeführt wurde. Diese Voraussetzung erfüllen zunächst Fahrten, die unmittelbar der Betätigung der öffentlichen Gewalt dienen (z B Einsatzfahrten von Polizei, Gendarmerie oder Zollwache, Postbeförderung, Einsatzfahrten des Bundesheeres u ä). Bei anderen Dienstfahrten wurde das Vorliegen eines Hoheitsaktes mit der Begründung verneint, daß der Akt selbst - unabhängig von seinem Ziel und Zweck - beurteilt werden müsse und beim Betrieb von Kraftfahrzeugen die Rechtsträger im Sinne des Amtshaftungsgesetzes auf gleicher Ebene stunden mit anderen Personen. Es könne daher von dem für die Annahme eines Hoheitsaktes wesentlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung keine Rede sein (ZVR 1961/320). Später wurde aber der Kreis der Tätigkeiten, welche als Vollziehung der Gesetze im Sinne des Amtshaftungsgesetzes anzusehen seien, sehr weit gezogen. Es wurde eine solche Handlung insbesondere auch dann angenommen, wenn es sich bloß um eine tatsächliche Verrichtung handelte, die eine hoheitliche Tätigkeit vorbereitete oder abschloß und daher mit ihr nur in einem - allerdings unmittelbaren - Zusammenhang stand. Für die Beurteilung, ob ein bestimmter Verwaltungsakt zur Hoheitsverwaltung gehöre, wurde die Bedeutung der jeweils sichtbar in Erscheinung tretenden Zielsetzung betont. Ist die Fahrt wegen ihres Zusammenhanges mit einer hoheitlichen Aufgabe als Ausübung eines öffentlichen Amtes anzusehen, dann ist es nicht wesentlich, ob das Organ, das den eigentlichen Hoheitsakt zu erledigen hatte, den Wagen selbst fährt oder die Lenkung jemand anderem überläßt (Loebenstein - Kaniak, 48 f; Steininger, ZVR 1962, 626 f, insbesondere Anm 4; SZ 34/17; SZ 32/92; SZ 27/256; EvBl 1968/322; EvBl 1965/103). Es ist also die Fahrt des Erstbeklagten als Vollziehung der Gesetze i S des § 1 AHG anzusehen, obgleich er selbst keine hoheitliche Tätigkeit auszuüben hatte, wenn der mit dem Fahrzeug beförderte Sektionschef Dr X eine hoheitliche Aufgabe zu erfüllen hatte.

Diese Frage blieb bisher ungeklärt. Die Feststellung, daß Dr X an der Eröffnung des Rieder Volksfestes teilnahm und damit eine Repräsentationspflicht erledigen mußte, ist für die Beurteilung, ob er im Rahmen der Hoheitsverwaltung oder der Privatwirtschaftsverwaltung tätig war, unzureichend. Wesentlich ist, in welcher Eigenschaft und zu welchem Zweck ihm diese Aufgabe oblag. Wenn er als Vertreter des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft als oberster Verwaltungsbehörde an der Veranstaltung teilnahm, um deren offiziellen Charakter zu betonen, internationale Verbindungen anzubahnen oder ausbauen zu helfen oder überhaupt die Interessen der Wirtschaft im allgemeinen zu fördern, wenn er also eine Tätigkeit vorzunehmen hatte, bei der Erwerbs- und Gewinnstreben des vertretenen Rechtsträgers als bestimmende Faktoren ausschieden, so wäre seine Tätigkeit dem Bereich der Hoheitsverwaltung zuzurechnen (vgl EvBl 1968/322). Sollte er aber nur Interessen von Betrieben wahrzunehmen gehabt haben, die in irgend einer Form ihm oder dem Ministerium unterstellt waren (z B Bundesforste), und diente seine Tätigkeit mittelbar oder unmittelbar der besseren Entfaltung und damit dem Gewinnstreben dieser Betriebe, so müßte seine Aufgabe als eine Tätigkeit der Privatwirtschaftsverwaltung angesehen werden (vgl dazu Liedermann, RZ 1969, 175; Soergel - Siebert, II 1349; Schäfer in Staudinger [10/11], RZ 107 zu § 839).

War das Lenken des Fahrzeuges durch den Erstbeklagten nach dem noch festzustellenden Sachverhalt eine Tätigkeit in Vollziehung der Gesetze, wären die auf ein Verschulden des Erstbeklagten an einem Verkehrsunfall während dieser Fahrt gestützten Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz zu beurteilen. In diesem Fall müßte es bei der Erledigung durch das Berufungsgericht bleiben. Wenn aber das Amtshaftungsgesetz auf diese Ansprüche nicht anwendbar wäre, dann müßte über sie durch das Berufungsgericht sachlich entschieden werden. Derzeit ist eine sachliche Entscheidung über die gegen die Zweitbeklagte erhobenen Ansprüche auch nicht deswegen möglich, weil ein Verschulden des Erstbeklagten ohnehin zu verneinen wäre. Das Berufungsgericht hat nämlich die Bekämpfung der Feststellungen des Erstgerichtes durch die Berufung des Klägers in diesem Punkte bewußt unerledigt gelassen und die Feststellungen des Erstgerichtes nur soweit als unbedenklich übernommen, als sie zur Begründung der Halterhaftung der Zweitbeklagten erforderlich waren.

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