Spruch:
Mitverschulden eines volltrunkenen Fahrgastes, der sich einem alkoholisierten Fahrzeuglenker anvertraut
OGH 10. Dezember 1970, 2 Ob 380/70 (OLG Graz 5 R 72/70; LGZ Graz 16 Cg 104/69)
Text
Am 6. Jänner 1968 um zirka 23 Uhr 30 ereignete sich auf der Bundesstraße 17 in St bei Straßenkilometer 171.3 ein Unfall, den der Zweitbeklagte als Lenker seines PKWs, der bei der erstbeklagten Partei haftpflichtversichert war, verschuldete. Sein Blutalkoholwert betrug noch am 7. Jänner 1968 um 2 Uhr 50 1.6 Promille. Die Gattin des Zweitbeklagten wurde beim Unfall getötet, der Kläger, der Zweitbeklagte und die beiden Mitfahrer Adalbert S und Karl D wurden schwer verletzt. Der Zweitbeklagte wurde mit Urteil des Kreisgerichtes wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens nach §§ 335, 337 lit a StG rechtskräftig verurteilt, weil er zur Nachtzeit in schwer alkoholisiertem Zustand den PKW gelenkt hatte und eine für die Fahrbahnverhältnisse wesentlich überhöhte Geschwindigkeit gefahren war. Eine Qualifikation der Tat nach § 337 lit b StG wurde nicht angenommen, da nicht als erweislich galt, daß der Zweitbeklagte vor oder während des Alkoholkonsums die PKW-Fahrt beabsichtigt gehabt hätte.
Der Kläger, der von der erstbeklagten Partei bereits Zahlungen in der Höhe von 30.000 S erhalten hatte, stellte darüber hinausgehende Schadenersatzansprüche und begehrte die Feststellung, daß ihm die beklagte Partei zur ungeteilten Hand für alle Schäden aus dem Unfall vom 6. Jänner 1968 hafte. Die beklagten Parteien wendeten u a ein Mitverschulden des Klägers von 50% ein, da er den Zweitbeklagten, obwohl ihm dessen Alkoholisierung bekannt gewesen sei, zur Fahrt, auf der sich der Unfall ereignete, überredet habe.
Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren und dem Feststellungsbegehren statt. Es stellte im wesentlichen fest: Der Kläger sei seit Jahren in der Schuhfabrik H als technischer Modelleur im Angestelltenverhältnis beschäftigt und habe unter anderem die Aufgabe, den der äußeren Form nach entworfenen Skischuh produktionsreif zu machen und sodann den fertigen Skischuh zu testen. Er sei am 5. und 6. Jänner 1968 mit Karl D und Adalbert S im Lachtalhaus Skifahren gewesen und habe hiebei auch ein Testprogramm durchgeführt. Als sie am Abend des 6. Jänner 1968 mit dem PKW des Karl D nach Hause gefahren seien, hätten sie um zirka 18.30 Uhr den Zweitbeklagten in L, der dort eine Konditorei besitze, besucht. Während der Zweitgeklagte noch gearbeitet habe, habe der Kläger mit der Ehefrau des Zweitbeklagten einen Liter Wein getrunken. Der Zweitbeklagte habe nur vom Wein genippt. Wieviel er schon vorher am Nachmittag getrunken habe, sei nicht feststellbar. An die Geschäftssperre um 19.30 Uhr habe sich ein gemütlicher Abend geschlossen, bei dem weitere zwei Liter Wein, vor allem vom Kläger und der Gattin des Zweitbeklagten, und dazu noch ein Teil einer Flasche Sekt konsumiert worden seien; der Zweitbeklagte habe etwa drei Achtel- oder vier Achtel-Liter Wein sowie ein Achtel-Liter Sekt getrunken. Der Kläger, der den ganzen Tag nichts gegessen gehabt hätte, habe über Hunger geklagt und den Wunsch geäußert, irgendwohin essen zu gehen. Da dies im Gösserbräu in L nicht mehr möglich gewesen sei, habe der Zweitbeklagte den Vorschlag gemacht, mit seinem PKW nach St zu fahren. Auf dieser Fahrt habe sich der Unfall ereignet.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß sich der Kläger nach dem von ihm feststellbaren Alkoholgenuß durch den Zweitbeklagten diesem als Lenker eines Fahrzeuges nicht mehr anvertrauen hätte dürfen. Er sei zum Zeitpunkt der Abfahrt von L nach St jedoch bereits so betrunken gewesen, daß es ihm gar nicht mehr bewußt geworden sei, daß er im Fahrzeug des Zweitbeklagten mitfahre. Dem Kläger sei auch durch seine eigene Trunkenheit die Alkoholisierung des Zweitbeklagten und die darauf zurückzuführende Herabminderung der Fahrfähigkeit nicht erkennbar gewesen. Ein Mitverschulden könne ihm daher nicht angelastet werden.
Über Berufung der beklagten Parteien änderte das Berufungsgericht das Ersturteil dahin ab, daß es die beklagten Parteien nur zur Bezahlung eines Betrages von 5676.66 S samt Anhang verurteilte und feststellte, daß die beklagten Parteien dem Kläger zur ungeteilten Hand nur für zwei Drittel der künftigen Schäden haften. Das Mehrbegehren wurde hingegen abgewiesen. Den Kläger, der mit dem Zweitbeklagten gemeinsam Alkohol genossen habe, treffe ein Mitverschulden. Entgegen der Meinung des Erstgerichtes sei es ohne Belang, daß der Kläger selbst stark betrunken und daher außerstande gewesen sei, die Alkoholisierung des Zweitbeklagten und die Herabminderung seiner Fahrfähigkeit zu erkennen. Gemäß § 1307 ABGB sei auch demjenigen ein verursachter Schaden zum Verschulden bzw zum Mitverschulden zuzuschreiben, der sich aus eigenem Verschulden in einen Zustand der Sinnesverwirrung versetzt habe. Da der Kläger nach den Feststellungen des Erstgerichtes nicht als Initiator der Fahrt anzusehen sei, sei sein Mitverschulden mit einem Drittel zu bewerten.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Kläger bekämpft zunächst die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß er sich ein Mitverschulden von einem Drittel anrechnen lassen müsse. Es ist jedoch ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß sich der Fahrgast, der mit einem infolge Alkoholgenusses fahruntüchtigen Lenker mitfährt, ein Mitverschulden anrechnen lassen muß, wenn er von der Alkoholisierung und der dadurch bedingten Fahruntüchtigkeit des Lenkers Kenntnis hatte oder aus den Umständen haben mußte; die bloße Kenntnis, daß der Lenker Alkohol zu sich genommen hat, reicht für die Annahme eines Mitverschuldens allerdings noch nicht aus, sondern der Fahrgast muß auch gesehen haben, daß der Lenker Alkohol zu sich nahm, was insbesondere dann der Fall ist, wenn er mit dem Lenker vorher selbst gemeinsam Alkohol genossen und daher ziemlich genau die Menge des vom Lenker konsumierten Alkohols gekannt hat (ZVR 1969/249, ZVR 1968/37 u a). Es ist hiebei nach den Umständen des Einzelfalles zu prüfen, ob der Fahrgast bei Berücksichtigung der Erfahrungen des täglichen Lebens damit rechnen mußte, daß der Fahrzeuglenker nicht mehr voll fahrtüchtig sein könnte; Zweifel darüber, ob diese Annahme gerechtfertigt gewesen wäre, gehen zu Lasten des Fahrzeuglenkers und dessen, der für sein Verhalten einstehen muß, weil diese für ein Eigenverschulden des geschädigten Fahrgastes die Beweispflicht trifft (ZVR 1970/33). Im vorliegenden Falle hat das Erstgericht mit Billigung durch das Berufungsgericht und auch nunmehr vom Kläger unbekämpft angenommen, daß die beklagten Parteien ihrer Beweispflicht insoweit genügten, als es zu dem Ergebnis gelangte, daß der Zweitbeklagte in Gegenwart des Klägers so viel Alkohol zu sich genommen hatte, daß dieser sich dem Zweitbeklagten als Lenker, eines Fahrzeuges nie mehr anvertrauen hätte dürfen.
Bei dieser Beweislage ist jedoch dem Berufungsgericht beizupflichten, daß die Ansicht des Erstgerichtes, der Kläger müsse sich ein Mitverschulden dennoch nicht anrechnen lassen, weil er wegen eigener starker Trunkenheit zur Beurteilung der Alkoholisierung des Zweitbeklagten außerstande war, verfehlt ist. Mit Recht hielt vielmehr das Berufungsgericht die Bestimmung des § 1307 ABGB, wonach derjenige, der sich aus eigenem Verschulden in einen Zustand der Sinnesverwirrung versetzt hat, auch den in diesem Zustand verursachten Schaden seinem Verschulden zuzuschreiben hat, auch auf den vorliegenden Fall anwendbar. Die Bestimmung des § 1307 ABGB gilt nämlich insbesondere auch dann, wenn jemand absichtlich oder schuldhaft den Zustand der Sinnesverwirrung durch übermäßigen Alkoholgenuß herbeiführte und in diesem Zustand einen Schaden zufügte (Wolff in Klangs Kommentar[2] zu § 1307 ABGB bei Anm 2 VI 74; Ehrenzweig, Das Recht der Schuldverhältnisse[2], § 401 II 680). Das Verschulden, für das der Schädiger haftet, liegt hiebei in der Herbeiführung der Sinnesverwirrung an sich, so daß es nicht erforderlich ist, daß er den im Zustand selbstverschuldeter Sinnesverwirrung herbeigeführten Schaden im einzelnen auch vorhersehen konnte (Wolff in Klang[2] VI 74 bei Anm 3; Ehrenzweig Schuldverhältnisse[2] § 401 II 680; in diesem Sinne auch Haager in BGB-RGRK[11] Anm 4 zu § 827, II/2, 1358); es gilt vielmehr der Satz:
"Was man trunken tut, muß man nüchtern büßen" (Ehrenzweig a a O Fußnote 8). Der § 1307 ABGB ist, wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (SZ 37/90), auch auf den Geschädigten selbst anzuwenden, der in betrunkenem Zustand den ihm zugefügten Schaden mitverursachte. Auch den Geschädigten, der sich vor dem Antritt der Fahrt sinnlos betrunken und damit selbst außerstande gesetzt hat nachzuprüfen, ob er sich dem Fahrer eines Kraftwagens anvertrauen darf, trifft damit ein Mitverschulden an dem ihm zustoßenden Unfall, der durch die Trunkenheit des Fahrers herbeigeführt wurde (in diesem Sinne RG NJW 1936, 2065; Reimer Schmidt in Soergel - Siebert Kommz BGB[10] Anm 35 zu § 254, 2, 202; Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[10] 576, Anm 1273). Dieses Mitverschulden müßte sich der Geschädigte nur dann nicht anrechnen lassen, wenn ihn an der Herbeiführung der Trunkenheit kein Verschulden träfe, was z B der Fall wäre, wenn er die berauschende Eigenschaft des Getränks nicht gekannt oder es über ärztliche Verschreibung zu sich genommen hätte (Engelmann in Staudinger Komm z BGB[9] Anm 2 zu § 827, II/3, 1844) oder ihm der Alkohol von anderen eingeflößt worden wäre (Wussow Unfallhaftpflichtrecht[10] 124, Anm 297). Solche Umstände waren im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Kläger muß sich dann aber jenes Mitverschulden anrechnen lassen, das ihm anzurechnen wäre, wenn er sich nüchtern dem erkennbar infolge Alkoholisierung fahruntüchtigen Zweitbeklagten als Kraftfahrzeuglenker anvertraut hätte. Eine Mitverschuldensquote von einem Drittel ist unter diesen Umständen, wie dem Berufungsgericht beizupflichten ist, gerechtfertigt. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht den Ausspruch über das Feststellungsbegehren des Klägers entsprechend abgeändert und auch einen der Mitverschuldensquote entsprechenden Teil des Leistungsbegehrens abgewiesen.
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