OGH 2Ob36/94

OGH2Ob36/9419.5.1994

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Firma K***** GesellschaftmbH, ***** vertreten durch Dr.Kurt Konopatsch und Dr.Sonja Jutta Sturm-Wedenig Rechtsanwälte in Leoben, wider die beklagte Partei V***** Versicherungsunternehmen *****, vertreten durch Dr.Rudolf Griss und Dr.Gunter Griss, Rechtsanwälte in Graz, wegen 120.650,78 S sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 16.Dezember 1993, GZ 6 R 170/93-65, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 12.Mai 1993, GZ 7 Cg 255/91-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß:

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Am 18.12.1990 ereignete es sich gegen 13 Uhr 25 auf der B 113 im Gemeindegebiet von K***** ein Verkehrsunfall, an welchem Franz N***** als Lenker des von der Klägerin gehaltenen LKW-Zuges Marke Volvo F 12 samt Anhänger und Joso M*****, als Lenker und Halter des PKW Marke Volvo 343/500, für welchen bei der K***** Versicherungs-AG eine Haftpflichtversicherung bestand, beteiligt waren. Bei diesem Verkehrsunfall wurden Joso M***** und seine drei Beifahrer getötet.

Gestützt auf das Alleinverschulden des Joso M***** begehrt die Klägerin die Zahlung von S 120.650,78 sA, darin enthalten S 15.000,-- Kaskoselbstbehalt für den LKW, S 5.000,-- Kaskoselbstbehalt für den Anhänger und S 19.216,18 für von der Kaskoversicherung zu Unrecht getätigte Abzüge, sowie einen Verdienstentgang von letztlich S 66.342,--. Die klagende Partei führte aus, Joso M***** habe trotz Überholverbot und Sperrlinie ein Überholmanöver durchgeführt; der entgegenkommende LKW-Zug habe trotz Bremsens, Hupens und Blinkens mit der Lichthupe die Frontalkollision nicht vermeiden können. Eine allenfalls geringfügige überhöhte Geschwindigkeit des LKW-Zuges sei nicht unfallskausal gewesen.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren der Höhe nach und wendete dem Grunde nach ein Mitverschulden des Lenkers des LKW-Zuges von einem Drittel ein, weil dieser mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei. Hätte er bei einer Geschwindigkeit von 60 km/h durch Bremsen, Hupen und Blinken reagiert, wäre ein Anstoß vermieden worden; zumindest wären die Folgen geringer gewesen. Der Lenker des LKW-Zuges habe auch ohne Notwendigkeit blockierend gebremst, wodurch er nach links geraten und gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen habe.

Als Gegenforderung wurden unter Berufung auf erfolgte Zessionen Fahrt-, Aufenthalts-, Überführungs- und Begräbniskosten sowie der Schaden am PKW von zusammen S 177.509,29 eingewendet, weitere S 71.694,-- an Leistungen des Haftpflichtversicherers des von M***** gelenkten PKW an dritte Personen, die kein Mitverschulden trifft; des weiteren seien S 4.080,-- für Sachschaden und für die Entfernung des PKW von der Unfallstelle bezahlt worden.

Das Erstgericht stellte fest, daß die eingeklagte Forderung mit S 120.650,78 zu Recht bestehe, nicht hingegen die eingewendete Gegenforderung; es verurteilte daher die beklagte Partei zur Zahlung von S 120.650,78 sA.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinausgehend wurden vom Erstgericht im wesentlichen folgende Feststellung getroffen:

Der Unfall ereignete sich auf der Bundesstraße 113 im Bereich des Straßenkilometers 11,4, auf dessen Höhe als Normale zur Längsachse zur Bundesstraße die Bezugslinie gewählt wurde. Die Fahrbahn verläuft im Unfallsbereich annähernd eben und gerade, im Unfallsbereich besteht ein Überholverbot für beide Fahrtrichtungen, eine ziffernmäßige Geschwindigkeitsbeschränkung ist nicht verfügt.

Aus der Anfahrtsrichtung des LKW-Zuges ist ab einer Position von 600 m östlich der Bezugslinie die Straße auf eine Entfernung von rund 1 km bis zur Abfahrt nach K***** überblickbar. Ab einer Position von 400 m östlich der Bezugslinie ist die Sicht in Richtung Westen über eine Strecke von rund 800 m gegeben. Rund 100 m östlich der Bezugslinie ist ein Überholverbot verfügt. Bis zu dieser Position ist die Fahrbahn in einer Breite von 7,5 m asphaltiert, in der Fahrbahnmitte befindet sich eine gelbe Leitlinie, an den Rändern sind weiße Randlinien, zwischen deren Innenkanten ist die Fahrbahn 6,7 m breit. Ab einer Position 100 m östlich der Bezugslinie verbreitert sich der nördliche Fahrstreifen allmählich und ist vom südlichen durch eine Sperrlinie getrennt. Innerhalb der Verbreitung des nördlichen Fahrstreifens ist in Richtung Westen weiterführend, ein weiterer Fahrstreifen zum Zwecke des Linksabbiegens zu einem Firmengelände eingeschoben, welcher vom nördlichen Fahrstreifen durch eine Leitlinie getrennt ist und in einer Position 43 m westlich der Bezugslinie endet. Während der nördliche Fahrbahnrand annähernd geradlinig in Richtung Westen weiterführt, verbreitert sich im Einfahrtsbereich der linke Fahrbahnrand nach Süden. Zwischen dem sich allmählich in Richtung Westen verbreiternden mittleren Fahrstreifen und dem nördlichen (richtig: südlichen) Fahrstreifen befindet sich eine durchlaufende Sperrlinie, zwischen dem mittleren und dem nördlichen Fahrstreifen eine Leitlinie. Die Maximalbreite der Fahrbahn beträgt 10 m, zwischen den Innenkanten der Randlinie 9,1 m.

Aus der Fahrtrichtung des PKW (östliche Richtung) beginnt die Sperrlinie rund 400 m westlich der Bezugslinie auf Höhe der mittleren Abfahrt nach K*****, rund 180 m westlich der Bezugslinie ist ein Überholverbot verfügt, welches erst rund 100 m östlich der Bezugslinie endet. Aus der Anfahrtsrichtung des PKW reicht die Sperrlinie vorerst bis 60 m westlich der Bezugslinie; ab einer Position 100 m westlich davon ist ebenfalls ein Mittelstreifen zum Linksabbiegen eingeschoben, der vom südlichen Fahrstreifen durch eine Leitlinie bis 60 m westlich der Bezugslinie getrennt ist. Ab einer Position 100 m westlich der Bezugslinie befindet sich am Beginn der beiden sich in Richtung Osten trennenden Fahrstreifen eine Sperrfläche.

Der südliche Fahrstreifen weist eine durchgehende Breite von 3,5 m auf. Auf Höhe der Mittelabfahrt nach K*****, das ist rund 400 m westlich der Bezugslinie, ist zwischen Sperrflächen ein zusätzlicher Mittelstreifen zum Linksabbiegen in Richtung K***** eingeschoben, dort beträgt die gesamte Fahrbahnbreite rund 10 m, weiter in Richtung Osten vermindert sich die Fahrbahnbreite bis 120 m westlich der Bezugslinie auf 8 m und verbreitert sich von dieser Position an allmählich auf 10 m in den Kreuzungsbereich. Auf Höhe des Unfallspunktes 50 m östlich der Bezugslinie beträgt die Fahrbahnbreite zufolge der aus Osten her, ab einer Position 100 m östlich der Bezugslinie in Richtung Westen gegebenen allmählichen Verbreiterung 8,5 m.

Am 18.12.1990 lenkte Franz N***** den von der klagenden Partei gehaltenen 18 m langen und 2,5 m breiten LKW-Zug, welcher voll beladen war und ein Gesamtgewicht von 38 Tonnen aufwies, auf der nassen Fahrbahn der B 113 aus Richtung S***** kommend in westlicher Richtung in Richtung L*****. Die Lufttemperatur lag um den Gefrierpunkt, während des ganzes Tages traten mit zeitlichen Unterbrechungen Niederschläge, meist in Form von Schnee auf. Zum Unfallszeitpunkt war es bewölkt, die Fahrbahn war naß, eine witterungsbedingte Sichtbeeinträchtigung bestand nicht. Franz N***** hielt zuerst eine Geschwindigekeit von rund 77 km/h und eine rechtsgelegene Fahrlinie ein.

Zur selben Zeit bewegte sich in der Gegenrichtung eine Kolonne, in welcher unter anderem der gelbe Mercedes des Jorj D***** fuhr; diesem folgte Dr.O***** mit seinem PKW; vor dem gelben Mercedes fuhr Joso M***** mit seinen 4,32 m langen und 1,66 m breiten Volvo 343/500, welcher mit vier Personen besetzt war. Vor diesem fuhren weitere Fahrzeuge. Die Geschwindigkeit der Kolonne betrug mindestens 85 km/h.

Rund 100 westlich der Bezugslinie, wo die Straßenverbreiterung für den eingeschobenen Mittelstreifen in Richtung Osten zum Linksabbiegen beginnt, scherte Joso M***** trotz des Überholverbotes, offenbar, weil er den eingeschobenen Mittelstreifen zum Überholen benützen wollte, links blinkend nach links aus und bewegte sich aus der Kolonnengeschwindigkeit von 85 km/h allmählich auf 106 km/h beschleunigend links der Kolonne in Richtung Osten.

Rund 50 m östlich der Bezugslinie stieß der Volvo mit einer Überdeckung von 0,8 m frontal gegen das auf ca 44 km/h abgebremste Zugfahrzeug, wurde hochgehoben, gegen den Uhrzeigersinn verdreht und kam etwa 60 m östlich der Bezugslinie auf dem südlichen Fahrstreifen, diesen für dem nachfolgenden Verkehr blockierend, zum Stillstand. Den auf dem südlichen Fahrstreifen nachfolgenden Jorj D***** gelang es trotz Bremsens nicht, sein Fahrzeug anzuhalten, er stieß mit einer Restgeschwindigkeit von 40 km/h mit der Front gegen die linke vordere Ecke des Volvos; dieser wurde verlagert und kam auf der südlichen Böschung zum Stillstand. Joso M***** und die drei Beifahrer wurden bereits beim Primäranstoß gegen den LKW tödlich verletzt.

Franz N***** faßte seinen Bremsentschluß als die Entfernung zum Volvo rund 245 m betrug. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich 99 m östlich des Unfallspunktes und 149 m östlich der Bezugslinie; er hielt eine Geschwindigkeit von 77,3 km/h ein. Durch den Bremseinsatz wurde kurzzeitig eine Verzögerung von 2,1 m/sec2 erreicht, dann setzte, bedingt durch die Vollbremsung, eine Blockierung der Antriebsachse ein. Vom LKW-Zug wurden vorerst zwei 25 m lange Spurenäste abgezeichnet. Die linke Spur weist eine Gesamtlänge von 102 m bis zur Antriebsachse in die Endlage auf. Über die Spurenlänge konnte eine mittlere Verzögerung mit blockierter Antriebsachse von 2,08 m/sec2 erreicht werden. Aufgrund des Blockierens der Bremsen entfernte sich der ursprünglich rechtsgelenkte LKW-Zug entlang der Spuren im spitzen Winkel vom rechten Fahrbahnrand, sodaß er beim Anstoß mit der rechten Frontecke 1,6 m von der rechten weißen Randlinie und 0,5 rechts der Sperrlinie fuhr. Der PKW hatte sich beim Anstoß gegen den LKW 1,3 m links der Sperrlinie bewegt, so daß sich der Anstoß zur Gänze auf dem sich verbreiternden nördlichen Fahrstreifen des LKW-Zuges ereignete. Aufgrund des Anstoßes blockierte das linke Vorderrad des LKW, der LKW-Zug wurde weiter nach links abgelenkt und kam östlich der Bezugslinie in seine Endlage.

Franz N***** reagierte an sich rechtzeitig, er versuchte auch, durch Hupen und Blinken auf seinen LKW-Zug aufmerksam zu machen. Hätte N***** aus einer Geschwindigkeit von 60 km/h den LKW-Zug abgebremst, hätte er diesen 8 m vor dem Anstoß zum Stillstand bringen können. In diesem Fall wäre Joso M***** eine weitere Zeitspanne von 0.7 sec zur Verfügung gestanden, innerhalb welcher er den PKW um 0,38 m weiter nach rechts lenken hätte können. Der Lenkentschluß hiezu hätte allerdings bereits vor dem tätsächlich erfolgten Anstoß gefaßt werden müssen. Auch im Fall eines solchen Lenkentschlusses, wäre es zu einem massiven Stoß und einer kurzzeitigen Verhakung zwischen dem linken Vorderrad des LKW-Zuges und dem linken Vorderrad des PKW gekommen, eine wesentliche Änderung der Unfallsfolgen wäre nicht eingetreten. Hätte sich N***** mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h genähert und nicht voll gebremst, wären die Blockierung und das damit verbundene Linksabkommen unterblieben. Der Anstoß wäre bei gleichbleibender Fahrlinie, dh ohne blockierbedingtes Linksabkommen und bei Beibehaltung einer äußerst rechts gelegenen Fahrlinie unterblieben. Bei einer Vollbremsung aus einer Geschwindigkeit von 60 km/h wäre allerdings auch ein Blockieren der Antriebsachse mit dem dadurch bedingten Linksabkommen erfolgt. In diesem Fall hätte N***** das Blockieren nur dadurch aufheben können, daß er nach Erkennen die Bremsung unterbrochen und nach rechts gelenkt hätte. Im Falle einer Weiterfahrt nach Aufhebung der Blockierung und einem Lenken nach rechts, wäre der Anstoß vermieden worden. Aus einer blockierenden Bremsung aus 60 km/h besteht wegen der verlängerten Annäherungszeit eher die Möglichkeit, das Blockieren zu korrigieren, als bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 77 km/h.

Der Sachschaden am LKW der Klägerin betrug rund 396.500 S ohne USt, die Reparaturkosten am Anhänger 23.857,20 inkl USt. Der Sachschaden am LKW wurde vom Kaskoversicherer der Klägerin unter Abzügen, unter anderem eines Betrages von S 19.216,18 für Neuteile und Lackierung, ersetzt. Der beim Unfall beschädigte linke Vorderreifen war nur fünf Wochen alt und ein diesbezüglicher Abzug nicht gerechtfertigt. Die reparaturbedingt ersetzten Teile waren keinem solchen Verschleiß unterworfen, die Lackierung und Beschriftung in einem tadellosen Zustand, sodaß der Abzug nicht gerechtfertigt war und einen weiteren Schaden der Klägerin bildete. Zufolge Nichtersatz durch die Kaskoversicherung hat die Klägerin somit einen weiteren Schaden von S 19.216,18 erlitten, sie hatte aus eigenem für das Zugfahrzeug einen Selbstbehalt von S 15.000,-- und für den Anhänger von S 5.000,-- zu tragen.

Der PKW-Volvo war im Mai 1988 erstmals zum Verkehr zugelassen worden und wies zum Unfallszeitpunkt 35.000 km auf; für die Wiederbeschaffung hätten DM 14.500,-- aufgewendet werden müssen, ein Wrackwert war nicht erzielbar. Im Zusammenhang mit der Überführung und Bestattung der beim Unfall Getöteten entstand ein Aufwand von S 65.509,29. An Jorj D***** wurden von der Haftpflichtversicherung S 71.964,-- geleistet, S 4.080,-- wurden für den Ersatz an Sachschäden und die Entfernung des PKW aufgewendet.

Der unfalls- bzw reparaturbedingte Verdienstausfall der Klägerin betrug S 66.343,--. Die Klägerin war zumindest in Höhe des Klagsbetrages im Debet und hatte 10 % Zinsen zu bezahlen.

Mira M***** trat die von ihr für Maria und Joso M*****, die beim Unfall getötet wurden, getätigten Aufwendungen an die beklagte Partei zum Inkasso ab. Eine ebensolche Abtretung erfolgte durch den Haftpflichtversicherer des PKW, der in Deutschland ansässigen K***** Versicherungs AG.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht, die Ansicht, daß wohl Franz N***** die höchstzulässige Fahrgeschwindigkeit für LKW-Züge auf Freilandstraßen von 60 km/h überschritten habe, die Klägerin habe aber den Beweis erbracht, daß der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn der LKW-Zug mit der höchstzulässigen Fahrgeschwindigkeit gelenkt worden wäre. Die Blockierung, bedingt durch die Vollbremsung, die zu einem allmählichen Linksabkommen des LKW-Zuges führte, könne nicht vorgeworfen werden, weil die Vollbremsung durch das rechtswidrige Verhalten des Joso M***** veranlaßt wurde; der Anstoß habe sich noch immer auf jener Fahrbahnhälfte ereignet, welche dem LKW-Zug zustand. Die Klägerin habe daher einen Anspruch auf Ersatz des von ihr erlittenen Schadens in der Höhe von S 120.651,78.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Es stellte ergänzend fest, daß die Bewegungsenergie des LKW-Zuges auch bei einer Ausgangsgeschwindigkeit von 60 km/h noch immer um ein Vielfaches größer als jene des PKW gewesen wäre, sodaß der PKW auch bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit des LKW-Zuges von 60 km/h gegen eine "starre Betonwand" gefahren wäre und für den PKW-Lenker auch eine geringere Geschwindigkeit des LKW-Zuges immer eine nahezu vollständige Umwandlung der Anstoßenergie in Deformation bewirkt hätte.

Das Berufungsgericht schloß daraus, daß der Unfall - was die reine Anstoßenergie betrifft - auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten des LKW-Lenkers sich in gleicher Weise ereignet hätte.

Weiter stellte das Berufungsgericht ergänzend fest, daß bei einer Geschwindigkeit des LKW-Zuges von 60 km/h unter sonst gleichbleibenden Umständen eine Vollbremsung nicht zwingend notwendig gewesen wäre, weil der entgegenkommende PKW im Moment des Bremsentschlusses des Lenkers des Klagsfahrzeuges noch rund 245 m entfernt war. Ohne Vollbremsung wären aber das Blockieren und das damit verbundene Linksabkommen des LKW-Zuges unterblieben. Wäre der LKW-Zug nicht nach links gekommen, wäre auch der Kontakt mit dem entgegenkommenden PKW ausgeblieben. Selbst bei einer blockierenden Bremsung aus einer Geschwindigkeit von 60 km/h bestehe wegen der etwas verlängerten Annäherungszeit eher die Möglichkeit, das Blockieren zu korrigieren, als bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 77 km/h.

Daraus folgerte das Berufungsgericht, daß die klagende Partei den ihr nach § 1311 ABGB obliegenden Freibeweis nicht erbracht habe. Dennoch sei aber für die beklagte Partei nichts gewonnen, weil mit Rücksicht auf das überaus schwerwiegende Verschulden des LKW-Lenkers kein Anlaß bestehe, die klagende Fahrzeughalterin zum Schadensausgleich heranzuziehen. Der Unfall habe sich zur Gänze auf der dem Klagsfahrzeug vorbehaltenen Fahrbahnhälfte ereignet, das Beklagtenfahrzeug sei 1,3 m weit in diese Fahrbahnhälfte eingedrungen.

Dem Verbot des § 9 Abs 1 StVO, eine Sperrlinie zu überfahren, komme für die Verkehrssicherheit besondere Bedeutung zu. Die Verletzung dieser Norm durch den Lenker des PKW, die überdies auf eine krasse Mißachtung des Überholverbotes zurückzuführen war, stelle eine besonders schwerwiegende Verkehrswidrigkeit dar. Dem gegenüber habe der Lenker des Fahrzeuges der klagenden Partei zur Sperrlinie noch einen Abstand von 50 cm eingehalten. Selbst wenn er damit im Hinblick darauf, daß der Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand 1,6 m betrug, den Bestimmungen des § 7 Abs 1 und 2 StVO nicht voll Rechnung trug, so handle es sich doch nur um einen geringfügigen Verstoß, der gegenüber dem grob verkehrswidrigen Verhalten des PKW-Lenkers in den Hintergrund trete. Es bestehe daher kein Anlaß zur Heranziehung der klagenden Partei zum Ausgleich nach § 11 EKHG. Der Regelverstoß des Lenkers des Klagsfahrzeuges habe sich letztlich nur in einer etwas links gelegenen Fahrlinie ausgewirkt und sei daher nicht anders zu beurteilen, als wenn das Klagsfahrzeug von vornherein 0,5 m von der Sperrlinie entfernt gelenkt worden wäre. In diesem Fall könnte aber das von der klagenden Partei zu vertretende Verschulden des Lenkers vernachlässigt werden. Derselbe müsse im vorliegenden Fall gelten, in dem das Klagsfahrzeug erst aufgrund einer auf eine überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführenden blockierenden Bremsung in diese Fahrlinie gelangte.

Ein Schadensausgleich könne allerdings auch dann in Betracht kommen, wenn auf der einen Seite ein schwerwiegenden Verschulden vorliege, auf der anderen Seite der Schaden aber durch eine außergewöhnliche Betriebsgefahr mitverursacht wurde. Eine solche außerordentliche Betriebsgefahr sei im vorliegenden Fall aufgrund der vom Lenker des Klagsfahrzeuges eingehaltenen überhöhten Geschwindigkeit, die die Vollbremsung bedingte, die wiederum zum Blockieren der Antriebsachse und damit zum Linksabkommen des LKW-Zuges führte, gegeben. Dies rechtfertige jedoch unter Bedachtnahme auf das krasse Verschulden des PKW-Lenkers nicht, die klagende Partei zum Schadensausgleich heranzuziehen; die außerordentliche Betriebsgefahr habe sich letztlich in nichts anderem manifestiert, als in einem Abkommen des LKW-Zuges von der ursprünglichen Fahrlinie soweit, daß er trotzdem 0,5 m von der Sperrlinie entfernt zur Gänze auf der eigenen Fahrbahnhälfte verblieb.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Berufungsgericht die neue Entscheidung aufzutragen; hilfsweise wird beantragt, in der Sache selbst dahingehend zu entscheiden, daß das Klagebegehren aufgrund der aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen abgewendet werde.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, weil das Berufungsgericht - wie noch darzulegen sein wird - von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist, sie ist zum Teil auch berechtigt.

Die beklagte Partei vertritt in ihrem Rechtsmittel die Ansicht, die Klägerin habe den sogenannten "Freibeweis" gemäß § 1311 ABGB nicht erbracht. Auf Grund des mehrfachen fehlerhaften Verhaltens des LKW-Lenkers müsse die Klägerin als LKW-Halterin zum Schadenersatz bzw Schadensausgleich herangezogen werden. Es stehe fest, daß der LKW-Lenker bei Einhaltung einer zulässigen Geschwindigkeit von 60 km/h und bei vernünftiger Betätigung der Bremse den Unfall hätte vermeiden können, es sei somit evident, daß trotz der schweren Verfehlungen des PKW-Lenkers ein Schadensausgleich iSd § 11 EKHG hätte erfolgen müssen. Die schweren Fehler des LKW-Fahrers müßten infolge der außerordentlichen Betriebsgefahr zu dem Schluß führen, daß die Klägerin zum Schadensausgleich heranzuziehen sei.

Diese Ausführungen sind jedenfall zum Teil zutreffend.

Für die Bemessung der Mitverantwortung der geschädigten Beteiligten kommt es gemäß § 11 EKHG in erster Linie auf das Verschulden der Beteiligten an (Apathy, Kommz EKHG, Rz 17 zu § 11). Im vorliegenden Fall ist nun das krasse Verschulden Joso M***** evident; es trifft aber auch den Lenker des LKW-Zuges ein Verschulden, weil er die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h um mehr als 28 % überschritt, indem er sein Fahrzeug mit 77 km/h lenkte. Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß bei schwerwiegendem Verschulden eines Beteiligten ein geringfügiges Verschulden eines anderen Beteiligten zu vernachlässigen ist (Apathy, aaO, Rz 34 zu § 11; ZVR 1992/101 jeweils mwN). Eine Ausgleichspflicht kann entfallen, wenn einem primär unfallskausalen schuldhaften Fehlverhalten des einen Beteiligten lediglich eine allfällige Fehlreaktion des anderen gegenübersteht (ZVR 1973/12); ein nicht allen Gegebenheiten voll Rechnung tragendes Verhalten eines Verkehrsteilnehmers muß nicht in jedem Fall zu einer Anspruchskürzung führen (ZVR 1974/95). Auch geringfügige Geschwindigkeitsüberschreitungen können bei schwerem Verschulden des Unfallsgegners vernachlässigt werden; eine Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 % kann allerdings auch bei krassem Fehlverhalten des anderen Verkehrsteilnehmers nicht außer Betracht bleiben (siehe Apathy, aaO, Rz 67 zu § 11 mwN). Es ist zwar richtig, daß ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vernachlässigt werden kann, solange ein ausreichender Abstand zur Fahrbahnmitte besteht (ZVR 1988/11; 1988/137 uva). Ein derartiger Verstoß kann aber nicht einer erheblichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gleichgesetzt werden. Das Verschulden dessen, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 28 % überschreitet, ist größer als jenes dessen, der gegen das Rechtsfahrgebot (unbeträchtlich) verstößt, mag auch der Erfolg der Verstöße gleich sein.

Den Nachweis, daß der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten eingetreten bzw in diesem Ausmaße eingetreten wäre (siehe Reischauer in Rummel2, Rz 8 § 1311), konnte die beklagte Partei nicht erbringen. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 60 km/h wäre eine Vollbremsung nicht zwingend notwendig gewesen; ohne Vollbremsung wären aber das Blockieren und das damit verbundene Linksabkommen des LKW-Zuges unterblieben. Wäre der LKW-Zug nicht nach links gekommen, wäre auch der Kontakt mit dem entgegenkommenden PKW ausgeblieben. Selbst bei einer blockierenden Bremsung aus einer Geschwindigkeit von 60 km/h besteht wegen der verlängerten Annäherungszeit eher die Möglichekeit, das Blockieren zu korrigieren, als bei höherer Geschwindigkeit.

Im Hinblick auf das krasse Fehlverhalten des Joso M***** erscheint eine Verschuldensteilung im Verhältnis von 3:1 zugunsten der klagenden Partei angemessen, doch kann das Verschulden des Lenkers des LKW-Zuges der klagenden Partei nicht völlig außer Betracht bleiben. Daraus folgt, daß die klagende Partei an sich einen Anspruch auf 3/4 der von ihr erlittenen Schäden hat, die beklagte Partei hingegen einen solchen auf 1/4 ihrer Schäden. Was aber die Anrechnung der Leistungen, die die klagende Partei von ihrer Versicherung erhalten hat, anlangt, ist nach herrschende Lehre und Rechtsprechung von der sogenannten Differenztheorie auszugehen. Ersetzt der Versicherer dem Versicherungsnehmer nur einen Teil des Schadens, so bleibt der Versicherungsnehmer Gläubiger des Schadenersatzanspruches in der Höhe des Unterschiedes zwischen seinem Schaden und der erhaltenen Versicherungsleistung. Er hat in Ansehung seines noch ungedeckten Restschadens den Vorrang vor dem Versicherer, während der auf den Versicherer übergegangene Teil der Forderung dem beim Versicherten gebliebenen Ersatzanspruch im Range nachgeht. Die Lücke zwischen Schaden und Schadenersatzanspruch soll nicht der Versicherungsnehmer fühlen, sondern der Versicherer, der für seine Leistung in Gestalt der Prämie bezahlt worden ist und daher seine Entschädigung zu erbringen hat, ohne Rücksicht darauf, ob und in welcher Höhe er einen Regreßanspruch gewinnt. Hiebei ist es auch völlig gleich, ob der Versicherungsnehmer zuerst den Dritten belangt und dann seinen Versicherer oder umgekehrt (SZ 49/18; ZVR 1978/192, ZVR 1985/14). Die Differenztheorie (= Quotenvorrecht des Versicherungsnehmers) ist aber nur innerhalb des Gegenstandes des betreffenden Versicherungsverhältnisses wirksam. Hat der Versicherer ein vom Versicherungsvertrag nicht umfaßten Risiko nicht gedeckt, so ist auch kein Schadenersatzanspruch des Geschädigten auf den Versicherer übergegangen. Der beim Geschädigten verbleibende Ersatzanspruch steht somit sonstigen Schadenersatzforderungen des Versicherungsnehmers aus einem anderen nichtversicherten Risiko gleichrangig gegenüber (ZVR 1985/14; Pröllss-Martin, VersVG25, 521 f). Entgegen der in SZ 49/18 vertretenen Ansicht ist die von der beklagten Partei eingewendeten Gegenforderung erst dann bedeutsam, wenn feststeht, ob bzw in welchem Ausmaß der klagenden Partei der Ersatzanspruch aufgrund des Quotenvorrechtes verbleibt (ZVR 1985/14 mwN). Wenngleich im vorliegenden Fall die Parteien und auch die Vorinstanzen von einer anderen Berechnung des Ersatzanspruches der klagenden Partei ausgegangen sind, ist in Behandlung der Rechtsrüge, die zu einer Überprüfung der rechtlichen Beurteilung nach allen rechtlichen Gesichtspunkten hin zu führen hat, bei der Errechnung des Schadens unter Berücksichtigung der Mitverschuldensquote darauf Bedacht zu nehmen, daß es sich bei dem auf die Schadensquote anzurechnenden Vorteil zum Teil um Leistungen der Kaskoversicherung der klagenden Partei handelt (ZVR 1978/192). Die für die Entscheidung relevanten Fragen, wie hoch der Gesamtschaden der klagenden Partei ist und inwieweit diese Risken vom Versicherungsvertrag umfaßt sind, wurden von den Vorinstanzen mit den Parteien nicht erörtert, sodaß das Verfahren mangelhaft geblieben ist. Im fortgesetzten Verfahren wird daher das Erstgericht mit den Parteien zu erörtern haben, wie hoch der Gesamtschaden der klagenden Partei ist und inwieweit diese Risken vom Versicherungsvertrag gedeckt sind (im Bestreitungsfall werden darüber Feststellungen zu treffen sein). Insoweit vom Versicherungsvertrag nicht gedeckte Risken vorliegen, ist die für die Anwendung der Differenztheorie erforderliche Kongruenz nicht gegeben, sodaß der Ersatzanspruch der klagenden Partei um die Mitverschuldensquote zu kürzen sein wird. Hinsichtlich der anderen Ansprüche wird im Sinne der Differenztheorie keine Quotierung vorzunehmen sein. Wenn dann feststeht, in welchem Ausmaß der klagenden Partei Ersatzansprüche zustehen, wird auf die Gegenforderung der beklagten Partei zu berücksichtigen sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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