Normen
ABGB §1304
ABGB §1311
Zivilluftfahrt-Personal-Verordnung, BGBl. Nr. 219/1958 §32 (4)
ABGB §1304
ABGB §1311
Zivilluftfahrt-Personal-Verordnung, BGBl. Nr. 219/1958 §32 (4)
Spruch:
Zur Frage der Haftung des Flugschülers für den der Fliegerschule am Flugzeug verursachten Sachschaden bei Mitverschulden des Fluglehrers
Entscheidung vom 16. Dezember 1965, 2 Ob 352/65
I. Instanz: Landesgericht Salzburg; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz
Text
Die Klägerin betreibt in Salzburg eine Fliegerschule. Dortselbst war der im Jahre 1944 geborene Beklagte Flugschüler. Fluglehrer war der bei der Klägerin angestellte Hans N. Der Beklagte hatte die theoretische Flugprüfung zur Erwerbung des Privatpilotenscheines abgelegt und sollte am 24. November 1963 zum Abschluß der Ausbildung und Prüfung den sogenannten Navigationsdreieckflug über die Route Salzburg-Innsbruck-Zell am See-Salzburg absolvieren. Nach der ersten Zwischenlandung in Innsbruck mußte die Flugroute wegen der Wetterverhältnisse dahin abgeändert werden, daß nicht Zell am See, sondern Aigen im Ennstal als nächster Zwischenflugplatz angeflogen werden sollte. Auf dem Flug von Innsbruck nach Aigen im Ennstal verlor der Beklagte die Orientierung und fand den Zielflugplatz nicht. Bei Einbruch der Dunkelheit entschloß sich der Beklagte zu einer Notlandung. Dabei wurde die vom Beklagten gesteuerte Maschine der Klägerin beschädigt. Mit der Behauptung des Verschuldens des Beklagten an diesem Sachschaden verlangt die Klägerin von ihm Ersatz des Sachschadens; sie bringt vor, es liege ein Totalschaden vor; der Zeitwert des Flugzeugs vor dem Unfall habe zirka 220.000 S betragen;
aus dem Wrack habe die Klägerin einen Erlös von 80.000 S erzielt;
demnach verlangt sie vom Beklagten die Zahlung von 140.000 S s. A. Die beklagte Partei hat Grund und Höhe des Begehrens bestritten.
Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und erkannte mit Zwischenurteil, daß das Klagebegehren dem Gründe nach zu 3/4 zu Recht und zu 1/4 nicht zu Recht bestehe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, der Berufung des Beklagten aber gab es teilweise Folge und sprach in Abänderung des Ersturteils aus, daß die Klagsforderung dem Gründe nach zur Hälfte zu Recht und zur Hälfte nicht zu Recht bestehe.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht, der Revision der beklagten Partei teilweise Folge und erkannte in Abänderung des Berufungsurteils die Klagsforderung als dem Gründe nach zu einem Viertel (1/4) zu Recht, zu drei Vierteln (3/4) nicht zu Recht bestehend.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Berufungsgericht ist zum Ergebnis gekommen, daß der durch die Bruchlandung eingetretene Schaden sowohl auf ein Verschulden des geklagten Flugschülers wie auch auf das schuldhafte Verhalten des Fluglehrers der Klägerin Hans N., wofür die Klägerin einzustehen habe, zurückzuführen sei; während dem Beklagten zur Last falle, daß er bei der Notlandung knapp vor dem Aufsetzen des Flugzeuges die Landeklappen wieder eingezogen und dadurch ein Durchsacken des Flugzeuges herbeigeführt habe, des weiteren, daß er den Landungsplatz nicht ausreichend beobachtet habe, wie denn überhaupt der Verlust der Orientierung, wodurch die Notlandung notwendig geworden sei, nur mit Unaufmerksamkeit des Beklagten zu erklären sei, müsse als Verschulden des Fluglehrers Hans N. gewertet werden, daß der Überlandflug des Beklagten unter Zeitknappheit abgewickelt worden sei, wodurch die an sich gegebene psychische Belastung des zum ersten Mal allein über Land fliegenden Beklagten erhöht worden war, ferner der Umstand, daß die Flugvorbereitung (für die in Betracht kommende Strecke ab Zell am See) vom Fluglehrer entgegen den maßgeblichen Luftverkehrsregeln nicht allein dem Flugschüler überlassen worden sei; bei Abwägung aller Umstände sei der Schade im Verhältnisse von 1 zu 1 aufzuteilen. Das Revisionsgericht vermag dieser Beurteilung des Berufungssenates nur mit der Einschränkung beizupflichten, daß der Schaden im Verhältnisse von 1 zu 3 (1/4 zu 3/4) zu Lasten der Klägerin aufzuteilen ist. Es ist nämlich vor allem zu berücksichtigen, daß der Fluglehrer der Klägerin, für dessen Verhalten sie gegenüber dem Beklagten einzustehen hat, den geklagten Flugschüler in eine Verkehrslage gebracht hat, welcher dieser nicht gewachsen war; dies nicht berücksichtigt zu haben oder verkannt zu haben, bedeutet ein Verschulden des Fluglehrers Hans N.
In § 32 (4) der Zivilluftfahrt-Personalverordnung (BGBl. Nr. 219/1958) ist ausdrücklich normiert, daß sich beim Navigations-Dreieckflug und beim Höhenflug der Bewerber allein an Bord des Motorflugzeuges befinden, ohne Anleitung fliegen und die gesamte Navigation einschließlich der Flugvorbereitung ohne Anleitung ausführen muß. Nun ist festgestellt, daß jeder einzelne Schüler den Plan in Salzburg für die in Aussicht genommene Route selbständig erstellt hat. Weil der Flugplatz Zell am See wegen Bodennebels nicht angeflogen werden konnte, wurde in Innsbruck bei der ersten Zwischenlandung die Route insofern abgeändert, als vom Beklagten als zweite Station nicht Zell am See, sondern Aigen im Ennstal angeflogen werden sollte. Hiefür konnten die Schüler ihren bereits erstellten Flugplan bis Zell am See verwenden, von dort an aber war der Flugplan neu zu erstellen. Es handelte sich um einen Weiterflug in ungefähr der gleichen Richtung und um weitere Flugzeit von 30 Minuten über Zell am See hinaus bis Aigen im Ennstal. Die Erstellung dieses weiteren Flugplanteiles war eine Arbeit von fünf Minuten. Um Zeit zu sparen, half der Fluglehrer Hans N. den Schülern bei dieser Arbeit in Innsbruck. Zutreffend hat zwar die Berufungsinstanz es dem Fluglehrer der Klägerin zur Last gelegt, die Flugvorbereitung entgegen den bestehenden Vorschriften nicht dem geklagten Fahrschüler allein überlassen zu haben. Sie hat auch mit Recht auf den Zweck dieser Vorschrift verwiesen; eine selbst erarbeitete Flugroute prägt sich ins Gedächtnis des Piloten ja besser ein als eine solche, für welche die Vorbereitung von jemand anderem gemacht worden ist. Das Berufungsgericht hat aber aus der dem Fluglehrer zur Last liegenden Übertretung der bezeichneten Schutznorm (§ 1311 ABGB.) auch unter diesem Gesichtspunkte muß § 32 (4) der Zivilluftfahrt-Personalverordnung gewertet werden, weil der unerfahrene Flugschüler im Interesse seiner persönlichen Sicherheit und der ihm anvertrauten Sachwerte möglichst gut vorbereitet seinen ersten größeren Alleinflug antreten sollte - nicht die entsprechenden Folgerungen gezogen: die Übertretung der Schutznorm ergibt ja die Haftung für allen Nachteil, welcher außerdem nicht erfolgt wäre. Die Klägerin hätte daher nachweisen müssen, daß der Verlust der Orientierung seitens des Flugschülers auf der Route ab Zell am See auch eingetreten wäre, wenn der Fluglehrer als ihr Erfüllungsgehilfe in dem zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisse die Flugvorbereitung für die Ersatzstrecke dem Flugschüler allein überlassen hätte. Dafür hat aber die Klägerin den Nachweis nach den maßgeblichen Feststellungen nicht erbracht; es bleibt ja offen, ob nicht der Beklagte den Flugplatz Aigen im Ennstal erreicht hätte, wenn er die Flugvorbereitung in Innsbruck für die Ersatzroute - wie vorgeschrieben - allein vorgenommen hätte. Zeitnot bei der in Innsbruck notwendig werdenden zusätzlichen Flugvorbereitung vermag den Fluglehrer nicht zu entlasten; notfalls hätte er eben anders disponieren müssen. Unter diesem Gesichtspunkte muß das Verhalten des Flugschülers, das schließlich zur Bruchlandung führte, beurteilt werden. Der Verlust der Orientierung, wofür der Fluglehrer einzustehen hat, weil er die Gefahr der Unterlassung der selbständigen Flugvorbereitung des Schülers nicht erkannt oder nicht gehörig berücksichtigt hatte, hat das weitere Fehlverhalten des Flugschülers ausgelöst. Zwar muß bei dem Stande der Ausbildung des Beklagten die nicht ausreichende Beobachtung des Notlandungsplatzes und das Wiedereinziehen der Landeklappen vor dem Aufsetzen des Flugzeuges bei der Notlandung als ein zum Schadenersatz gegenüber der Klägerin verpflichtendes Verschulden des Beklagten angesehen werden; dieses Fehlverhalten wiegt aber weniger schwer als das oben dargelegte Verschulden des Fluglehrers, weil erkennbar ist, daß der Verlust der Orientierung den geklagten Flugschüler nervlich schwer belastet hatte. Bei diesen Umständen erachtet das Revisionsgericht die Schadensaufteilung im Verhältnisse von 1 zu 3 zu Lasten der Klägerin für gerechtfertigt. Insoweit kann der Rechtsrüge der beklagten Partei die Berechtigung nicht abgesprochen werden.
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