Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 5.001,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 833,52 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 14.10.1989 ereignete sich auf der F*****-Bundesstraße B ***** bei Kilometer 34 ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Lenkerin und Halterin des PKWs Mazda 323 Kombi mit dem Kennzeichen ***** und der Erstbeklagte als Lenker des vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKWs Ford Transit Pritsche mit dem Kennzeichen ***** beteiligt waren. Die Klägerin erlitt dadurch einen Schaden von insgesamt S 53.792,-.
Sie begehrte den Ersatz dieses Schadens mit der Begründung, der Erstbeklagte habe den Unfall verschuldet, weil er von einer Einbiegespur in flachem Bogen nach links auf die rechte Fahrspur der Bundesstraße eingefahren sei und dabei die Fahrlinie der Klägerin knapp vor dem PKW geschnitten und deren Vorrang verletzt habe. Hartwig W*****, der Beifahrer der Klägerin, sei dadurch erschreckt worden, habe in das Lenkrad des Fahrzeuges der Klägerin gegriffen und dieses nach links gelenkt. Dadurch sei eine Kollision mit dem vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeug vermieden worden, allerdings sei der PKW der Klägerin in der Folge wegen Gegenverkehrs und einer dadurch veranlaßten Lenkung nach rechts ins Schleudern geraten und gegen entgegenkommende Motorradfahrer sowie letztlich gegen einen Zaun gestoßen.
Die beklagten Parteien beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wendeten ein, es sei richtig, daß der Erstbeklagte strafgerichtlich schuldig erkannt wurde, den Unfall durch Verletzung des Vorranges der Klägerin mitverschuldet zu haben. Die Klägerin treffe jedoch ein gleichteiliges Mitverschulden, weil sie versucht habe, das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug, das die Einbiegespur bereits verlassen hatte, mit überhöhter Geschwindigkeit zu überholen. Bei einer sofortigen Bremsung hätte sie den Unfall vermeiden können. Die Klägerin habe auch zu verantworten, daß ihr Beifahrer ins Lenkrad gegriffen und dadurch den Schleudervorgang ausgelöst habe. Im übrigen werde gegen die Klageforderung eine Gegenforderung von S 318.694,67 sA aufrechnungsweise eingewendet.
Das Erstgericht sprach im zweiten Rechtsgang aus, daß die Klageforderung mit S 53.792,- zu Recht, die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und verurteilte die Beklagten zur Bezahlung des Klagebetrages. Es traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:
Im Unfallsbereich mündet in die F*****-Bundesstraße von rechts die von L***** kommende, durch das Verkehrszeichen "Vorrang geben" abgewertete Zufahrtsstraße ein, und zwar in der Weise, daß die Zufahrtsstraße in eine Beschleunigungsspur übergeht, die mit zwei nach links weisenden Bodenmarkierungen (Pfeilen) versehen ist; der zweite Richtungspfeil ist vom 90 m nach Beginn der Beschleunigungsspur angebrachten Überkopfwegweiser weniger als 10 m entfernt. Die Fahrbahnbreite der F*****-Bundesstraße beträgt 7,5 m. Im Bereich der Beschleunigungsspur sind die beiden Fahrspuren der F*****-Bundesstraße durch eine Sperrlinie getrennt.
Die Klägerin fuhr mit ihrem PKW mit einer Geschwindigkeit von 80 km/h in Richtung Westen. Der Erstbeklagte fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca 60 km/h auf der Zufahrtsstraße, von L***** kommend ebenfalls in diese Richtung. Er fuhr in einem Zug in die F*****-Bundesstraße ein und benötigte vom Verkehrszeichen "Vorrang geben", das sich am Beginn der Beschleunigungsspur befindet, bis zum Überkopfwegweiser 5,4 Sekunden. Für einen vollständigen Fahrstreifenwechsel hätte er ca. 2,5 bis 3 Sekunden benötigt.
Als der Erstbeklagte das Verkehrszeichen "Vorrang geben" passierte, befand sich die Klägerin 30 m hinter dem von ihm gelenkten Fahrzeug. Um ein Auffahren auf dieses Fahrzeug im Rahmen einer leichten Betriebsbremsung zu verhindern, hätte sie 3,5 Sekunden vor Erreichen des Überkopfwegweisers in einer Entfernung von 76 m vor diesem reagieren müssen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug noch zur Gänze auf der Beschleunigungsspur. 3 Sekunden vor Erreichen des Überkopfwegweisers durch den Erstbeklagten war die Klägerin "16,76 m" vom Fahrzeug des Erstbeklagten entfernt, wobei der Erstbeklagte so in die in Richtung Westen führende Fahrspur der F*****-Bundesstraße einfuhr, daß er sich im Bereich des Überkopfwegweisers ungefähr mit der Hälfte der Fahrzeugbreite auf der nördlichen Richtungsfahrbahn der F*****-Bundesstraße befand. Auf Grund dieses Fahrverhaltens des Erstbeklagten war es der Klägerin, die sich mit ihrem Fahrzeug im Bereich des Überkopfwegweisers etwa auf gleicher Höhe mit dem vom Erstbeklagten gelenkten Fahrzeug befand, nicht möglich, im Rahmen eines reinen Bremsmanövers die Kollision zu verhindern. Das Fahrzeug der Klägerin hatte zu diesem Zeitpunkt zum rechten Fahrbahnrand einen Seitenabstand von weniger als 1,6 m. Da sich der Beifahrer der Klägerin, Hartmut W*****, durch das Fahrzeug des Erstbeklagten bedroht fühlte, griff er ins Lenkrad und lenkte das Fahrzeug der Klägerin nach links, wobei er auf der Gegenfahrbahn entgegenkommende Fahrzeuge nicht bemerkt hatte. Das Fahrzeug der Klägerin geriet über die Sperrlinie nach links; es gelang der Klägerin aber, ihr Fahrzeug vor einem entgegenkommenden Fahrzeug wieder nach rechts zu verreißen. Durch dieses Fahrmanöver kam das Fahrzeug der Klägerin ins Schleudern, streifte dabei zwei entgegenkommende Motorräder und stieß schließlich gegen einen am rechten Fahrbahnrand etwa 100 m westlich des Überkopfwegweisers befindlichen Holzzaun.
Durch die von Hartmut W***** veranlaßte Lenkbewegung ergab sich eine unkontrollierbare Fahrzeugbewegung, wobei das zu erwartende Schadensrisiko durch das Hineingreifen in die Lenkung höher zu bewerten ist als jenes im Rahmen eines Auffahrunfalles bei einer Differenzgeschwindigkeit von etwa 20 km/h.
Für die Klägerin war das Fahrmanöver des Erstbeklagten auffällig, als sie erkennen konnte, daß dieser den rechten Fahrbahnrand der F*****-Bundesstraße nach links überfährt. Dieses Einfahren erfolgte im Hinblick auf die Tatsache, daß das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug im Bereich des Überkopfwegweisers erst mit der Hälfte der Fahrzeugbreite auf der nördlichen Richtungsfahrbahn der Bundesstraße fuhr, weniger als 3 Sekunden vor Erreichen des Überkopfwegweisers.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß der Erstbeklagte den Vorrang der Klägerin verletzt habe. Die Klägerin treffe kein Mitverschulden, weil sie zu jenem Zeitpunkt, als sie das vorschriftswidrige Verhalten des Erstbeklagten habe erkennen können, eine Kollision durch eine Bremsung nicht mehr zu verhindern vermocht hätte. Durch das Lenkmanöver des Beifahrers der Klägerin sei zwar eine außerordentliche Betriebsgefahr entstanden, da das Fahrzeug außer Kontrolle geraten sei; die Schreckreaktion, die dazu geführt habe, sei der Klägerin aber nicht vorwerfbar, weil das Verhalten des Erstbeklagten so bedrohlich gewesen sei, daß es ein überstürztes Handeln erfordert habe.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Parteien nicht Folge und ließ die ordentliche Revision zu. Es verwies darauf, daß die Vorrangverletzung des Erstbeklagten nicht mehr strittig sei, weshalb nur mehr zum von den beklagten Parteien angestrebten Schadensausgleich wegen der durch das Schleudern des Fahrzeuges der Klägerin eingetretenen außergewöhnlichen Betriebsgefahr Stellung zu nehmen sei. Da diese aber letztlich durch den anderen Beteiligten, nämlich den Erstbeklagten, hervorgerufen wurde, falle sie bei der Schadensteilung nicht ins Gewicht.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und das Klagebegehren im Hinblick auf die Höhe der eingewendeten Gegenforderung abzuweisen.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Beklagten stellen sich in ihrer Revision auf den Standpunkt, daß die außergewöhnliche Betriebsgefahr des schleudernden Fahrzeuges der Klägerin mit einer Schadensteilungsquote von zumindest 1/4 in Rechnung zu stellen sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:
Nach ständiger Rechtsprechung (JBl 1962, 558; ZVR 1977/45; ZVR 1977/60; 8 Ob 59/78 ua) machen das eine Reaktion auf das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers darstellende Verreißen eines Fahrzeuges auf die linke Fahrbahnhälfte die gewöhnliche Betriebsgefahr dieses Fahrzeuges zu einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr. Dies gilt auch dann, wenn die Reaktion durch den an einer Kollision beteiligten Unfallsgegner veranlaßt wurde, weil es sich bei diesem um einen nicht beim Betrieb des Fahrzeuges des Gegners tätigen Dritten handelt.
Für den vorliegenden Fall ergibt sich, daß die festgestellte gemeinsame Reaktion des neben der Klägerin sitzenden Hartmut W***** und der Klägerin selbst auf das grob verkehrswidrige Verhalten des Erstbeklagten das Schleudern des Fahrzeuges der Klägerin bewirkte und schließlich zum Unfall führte. Der Klägerin kann daher zwar kein Mitverschulden angelastet werden; da aber die Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges zu einer außergewöhnlichen wurde und damit grundsätzlich kein Haftungsausschluß nach § 9 Abs 1 EKHG vorliegt, kommt ihre grundsätzliche Haftung als Halterin nach den Bestimmungen des EKHG in Betracht.
Der Oberste Gerichtshof hat aber bereits in mehreren Fällen dann, wenn der Unfall durch eine (insbesondere grobe) verkehrswidrige Fahrweise des einen Verkehrsteilnehmers verschuldet wurde, während den anderen kein Verschulden trifft, er vielmehr nur infolge der durch das Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers bzw eines nicht beim Betrieb beschäftigten Dritten ausgelösten außergewöhnlichen Betriebsgefahr seines Fahrzeuges nach den Bestimmungen des EKHG zu haften hat, keinen Anlaß gesehen, diesen im Sinne des § 11 Abs 1 EKHG zur Mithaftung an den vom verkehrsordnungswidrig fahrenden Fahrzeuglenker zugefügten Schaden heranzuziehen bzw die berechtigten Ersatzansprüche des schuldlosen Fahrzeuglenkers zu kürzen (vgl 8 Ob 59/78; ZVR 1976/109; ZVR 1976/274, Apathy, Kommentar zum EKHG Rz 25, 26, 27 und 28 und die dort eingehend dargestellte weitere Judikatur).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Die schwerwiegende Vorrangverletzung durch den Erstbeklagten löste die Schreckreaktion von Beifahrer und Lenkerin aus, wobei letztlich die jähe Rücklenkung des PKWs durch die Klägerin vor herankommenden anderen Verkehrsteilnehmern für das Schleudern des PKWs den Ausschlag gab. Bei dieser Sachlage haben beide Vorinstanzen zutreffend den Standpunkt eingenommen, daß für eine Schadensteilung selbst in dem von den Beklagten angestrebten geringen Ausmaß hier kein Anlaß besteht und der Klägerin mit Recht vollen Schadenersatz gewährt.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Kostenausspruch beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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