Spruch:
Wenn der Geschädigte zufolge schlechter wirtschaftlicher Verältnisse nicht in der Lage ist, die Reparaturkosten zu bezahlen, hat er den Schädiger (Haftpflichtversicherer) zur Begleichung aufzufordern; wenn dieser unbegrundet ablehnt, kann er die Kosten für ein Mietfahrzeug für die ganze Zeit bis zur Schadensgutmachung begehren.
Entscheidung vom 14. November 1968, 2 Ob 302/68.
I. Instanz: Kreisgericht St. Pölten; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.
Text
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin folgende Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten mit der Begründung geltend gemacht, daß der Beklagte am 4. September 1967 ihren von ihrem Gatten gelenkten Kraftwagen angefahren habe: Reparaturkosten von 16.823 S, Wertminderung in der Höhe von 3000 S, Auslagen für ein Mietfahrzeug in der Höhe von insgesamt 25.000 S.
Der Beklagte, der vom Strafgericht wegen §§ 431, 432 (§ 337b) StG. rechtskräftig verurteilt worden ist, hat sein alleiniges Verschulden an dem Unfall anerkannt. Er hat den Anspruch der Klägerin auf Ersatz des merkantilen Minderwertes dem Gründe und der Höhe nach, die Ansprüche auf Ersatz der Reparaturkosten und der Mietwagenkosten nur der Höhe nach bestritten und eingewendet, daß am Fahrzeug der Klägerin ein Totalschaden eingetreten sei. Dem von der Klägerin selbst angegebenen Zeitwert des Kraftwagens von 20.000 S stehe ein Restwert von 8000 S gegenüber, sodaß ihr ein effektiver Schaden von 12.000 S entstanden sei. Da die Reparaturkosten diesen Schaden übersteigen, habe die Klägerin auf der Grundlage eines Totalschadens abzurechnen. Ein gewisser Alex M. habe sich bereit erklärt, das Wrack um 8000 S zu übernehmen. Einen Schaden der Klägerin von 12.000 S stelle er außer Streit. Zufolge des Totalschadens könne keine Entschädigung für eine merkantile Wertminderung begehrt werden. Mietwagenkosten könnten nur für einen angemessenen Zeitraum von 14 Tagen begehrt werden. Nach den Annahmen der Klägerin ergäben sich Kosten von 3220 S. Abzüglich einer 15%igen Eigenregieersparnis von 483 S verbleibe ein Schadensbetrag von 2737 S, der gleichfalls außer Streit gestellt werde. Die angebotene Vergleichssumme von 21.000 S sei von der Klägerin abgelehnt worden.
Das Erstgericht hat den Beklagten schuldig erkannt, der Klägerin 43.823 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 1000 S (Wertminderung) hat es abgewiesen. Es hat auf Grund eines Sachverständigengutachtens festgestellt, daß der Kraftwagen der Klägerin einen Zeitwert von 25.000 S hatte. Der Wert des Wracks sei mit 7000 bis 8000 S anzunehmen, die Reparaturkosten betragen 16.823 S. Das Erstgericht war der Ansicht, daß ein Totalschaden nicht vorliege. Ein solcher wäre nur anzunehmen, wenn die Reparaturkosten plus Wert des Wracks den Zeitwert übersteigen. Dies sei hier nicht der Fall. Die Klägerin habe grundsätzlich Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes. Die Reparatur des Kraftwagens sei wirtschaftlich vertretbar gewesen. Die Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, sich einen anderen Kraftwagen anzuschaffen, weil sie sich in einer finanziellen schlechten Lage befunden habe. Die Klägerin wäre auch nicht verpflichtet gewesen, Barmittel für die Anschaffung eines anderen Kraftwagens aufzuwenden. Der Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerin die Reparaturkosten von 16.823 S und die Wertminderung von 2000 S zu ersetzen.
Bezüglich der Mietwagenkosten hat das Erstgericht festgestellt, daß der Kraftwagen zwar der Klägerin gehöre, aber im Gewerbebetrieb ihres Gatten Franz H. verwendet und unbedingt benötigt worden sei. Es sei beiden nicht möglich gewesen, einen Ersatzwagen zu beschaffen. Sie hätte nicht einmal die 20%ige Anzahlung für den Ankauf eines Kraftwagens gegen Ratenzahlung aufbringen können. Die Klägerin sei daher in der Zeit vom 26. September 1967 bis 21. März 1968 genötigt gewesen, ein Kraftfahrzeug zu mieten. Der für die Miete aufgelaufene Betrag von 31.915.50 S sei von der Klägerin noch nicht bezahlt worden. Der Beklagte habe daher der Klägerin den Mietaufwand von 25.000 S zu ersetzen.
Das Berufungsgericht hat der Berufung des Beklagten teilweise Folge gegeben und das erstgerichtliche Urteil dahin abgeändert, daß es den Beklagten verurteilt hat, der Klägerin lediglich 21.589.50 S zu bezahlen. Das Mehrbegehren von 23.233.50 S hat es abgewiesen. Es ist davon ausgegangen, daß die Klägerin primär Anspruch auf Naturalersatz habe. Es sei zu prüfen, ob die Wiederherstellung des beschädigten Kraftwagens wirtschaftlich vertretbar sei oder ob es unwirtschaftlich sei und die Klägerin nur den Zeitwert abzüglich des Restwertes des Kraftwagens beanspruchen könne. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes müsse die Reparatur als wirtschaftlich angesehen werden. Den Hinweis des Beklagten in der Berufung auf die Ausführungen Waldherrs in ZVR. 1962 S. 285, wonach Totalschaden anzunehmen sei, wenn die Reparaturkosten einschließlich der notwendigen Aufwendungen für ein Mietfahrzeug den Zeitwert des Kraftwagens übersteigen, hat das Berufungsgericht außer damit, daß diese Auffassung keinen Eingang in die Rechtsprechung gefunden habe, auch damit abgetan, daß der Beklagte in dieser Hinsicht keine Behauptungen aufgestellt habe. Im übrigen hat es auf die eigene Berechnung des Beklagten verwiesen, wonach der Aufwand für die Mietwagenkosten für 14 Tage 2737 S betragen habe, sodaß auch bei Hinzurechnung dieses Betrages zu den Reparaturkosten von 16.823 S der festgestellte Zeitwert des Kraftwagens von 25.000 S noch nicht erreicht sei. Es sei daher ein Totalschaden nicht anzunehmen und der Klägerin seien zu Recht die Reparaturkosten von 16.823 S und die Wertminderung von 2000 S zuerkannt worden.
Bezüglich des Anspruches auf Ersatz der Auslagen für ein Mietfahrzeug hat das Berufungsgericht den erst in der Berufungsschrift erhobenen Einwand des Mangels der aktiven Klagslegitimation der Klägerin als unzulässige Neuerung ebenso zurückgewiesen wie den Einwand, daß der Haftpflichtversicherer den Totalschaden bezahlt habe.
Das Berufungsgericht war jedoch der Auffassung, daß die Klägerin selbst für die Reparatur des Kraftwagens zu sorgen gehabt habe. Sie sei verpflichtet gewesen, den Schaden möglichst gering zu halten. Sie hätte für eine rasche Reparatur sorgen müssen. Dies habe sie nicht getan. Wenn sie die Geldmittel für die Reparatur nicht gehabt habe, hätte sie nach vergeblicher Aufforderung an den Haftpflichtversicherer des Beklagten, die Reparaturkosten zu bezahlen, wegen Verzuges nur das Recht gehabt, den gemäß § 1333 ABGB. vorgesehenen Verzögerungsschaden zu begehren. Es sei belanglos, ob die Klägerin die Reparaturkosten tatsächlich nicht habe aufbringen können, wobei ihr immerhin die Kosten für den Mietwagen in der Höhe von fast 32.000 S kreditiert worden seien. Der Verzögerungsschaden sei eine 4%ige Verzinsung der Schadenssumme ab Fälligkeit. Einen darüber hinausgehenden Verzögerungsschaden könne die Klägerin nur für den Fall begehren, daß der Beklagte am Verzug eine grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz zu verantworten habe. Derartiges sei nicht behauptet worden.
Die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz der Kosten für ein Mietfahrzeug für die reparaturbedingte Stehzeit. In dieser Richtung habe der Beklagte den Anspruch der Klägerin dem Gründe nach anerkannt. Der Unfall sei am 4. September 1967 gewesen. Die Klägerin habe erst am 26. September 1967, also erst nach drei Wochen, einen Kraftwagen gemietet. In dieser Zeit hätte sich die Reparatur durchführen lassen müssen. Der Klägerin stunden daher die Kosten für ein Mietfahrzeug für die Dauer von 14 Tagen in der Höhe von 2737 S und in der Höhe des Verzögerungsschadens von 4% dieses Betrages bis zum 16. Jänner 1968 (Tag vor der Klagseinbringung), somit von 29.50 S, zu. Für die übrige Zeit könne ihr eine Entschädigung nicht zuerkannt werden, weil es sich dabei nicht um einen aus dem Schadensereignis adäquat entstandenen Schaden handle. Das Berufungsgericht ist daher zu einem Gesamtschadensbetrag von 21.589.50 S gekommen und hat das Mehrbegehren in der Höhe von 23.233.50 S abgewiesen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Klägerin Folge und hob die Urteile erster und zweiter Instanz insoweit auf, als damit das Klagemehrbegehren von 22.233.50 S abgewiesen wurde. Die Rechtssache wurde in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Die Klägerin führt ihre Rechtsrüge dahin aus, es sei lediglich üblich, daß sich der Geschädigte um die Reparatur des beschädigten Kraftwagens selbst kümmere, daß er aber gesetzlich hiezu nicht verpflichtet sei. Diesen Ausführungen kann nicht beigepflichtet werden. Schon das Berufungsgericht hat auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hingewiesen, wonach im Haftpflichtrecht die Regel nicht anzuwenden sei, daß der Schädiger den früheren Zustand selbst wiederherzustellen habe (ZVR. 1961 Nr. 313; Geigel, Haftpflichtprozeß[13] S. 42). Daraus ergibt sich, daß die Klägerin für die Reparatur des beschädigten Kraftwagens zu sorgen hatte. Dabei hätte sie auf Grund ihrer Schadensminderungspflicht die Reparatur so schnell als möglich durchführen lassen müssen (ZVR. 1964 Nr. 281). Wenn auch die Klägerin nicht verpflichtet war, eigene Mittel für die Reparatur aufzuwenden (ZVR. 1961 Nr. 313), so war doch der Haftpflichtversicherer des Beklagten oder dieser selbst nicht verpflichtet, sich mit der Reparaturwerkstätte in Verbindung zu setzen und ohne Zutun der Klägerin durch Bezahlung der Reparaturkosten die Ausfolgung des Kraftwagens an diese zu veranlassen. Auftraggeber gegenüber der Werkstätte ist die Klägerin. Sie hat nach den Bestimmungen des Werkvertrages das Entgelt für die aufgetragene Reparatur an den Unternehmer zu leisten. Wenn nun die Klägerin, wie im vorliegenden Fall, allerdings noch nicht endgültig, festgestellt wurde, keine eigenen Mittel für die Bezahlung der Reparaturkosten aufbringen konnte, weil sie ihr nicht zur Verfügung standen und sie auch wegen ihrer schlechten finanziellen Lage nicht die Möglichkeit hatte, sich einen Kredit zu verschaffen, so wäre sie doch verpflichtet gewesen, den Beklagten oder seinen Haftpflichtversicherer aufzufordern, einen angemessenen Vorschuß zu leisten oder unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Reparaturkosten diese zu bezahlen. Wenn der Beklagte oder sein Haftpflichtversicherer es grundlos abgelehnt hätten, diese Leistungen zu erbringen, dann wäre der Beklagte verpflichtet, der Klägerin die gesamten Aufwendungen für einen Mietwagen für die ganze Zeit bis zur Leistung des Schadenersatzes zu ersetzen (siehe Waldherr in ZVR. 1962 S. 286, Geigel, Haftpflichtprozeß[10] S. 53, Wussow, Unfallhaftpflichtrecht[9] S. 490).
Nun hat die Klägerin bereits in der Klage behauptet, daß der Haftpflichtversicherer des Beklagten, nachdem der Schaden von diesem schon lange geschätzt worden war, davon in Kenntnis gesetzt worden sei, daß sie infolge ihrer schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sei, sich ein Darlehen (offensichtlich zur Bezahlung der Reparaturkosten) zu beschaffen und daß trotzdem eine Zahlung bis zur Einbringung der Klage am 17. Jänner 1968, der Unfall war am 4. September 1967, nicht geleistet worden sei. Zum Beweis für diese Behauptungen hat sie sich auf ihren Gatten Franz H. als Zeugen berufen. Dieser hat auch als Zeuge angegeben, daß er nach dem Unfall versucht habe, Geld zum Ankauf eines Ersatzwagens aufzutreiben und daß er sich zunächst an die Versicherung des Beklagten gewendet habe, diese aber eine Begleichung des Schadens abgelehnt habe.
Aus den obigen Behauptungen und dem Beweisanerbieten der Klägerin könnte entnommen werden, daß sich diese wegen der Bezahlung der Reparaturkosten an den Haftpflichtversicherer des Beklagten gewendet und daß dieser eine Bezahlung abgelehnt habe. Das Erstgericht hat lediglich festgestellt, daß die Klägerin nicht in der Lage gewesen sei, sich die Mittel für einen Ersatzwagen zu beschaffen. Diese Voraussetzung allein reicht aber, wie oben bereits ausgeführt worden ist, nicht aus, um der Klägerin einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten für die ganze Zeit zu geben. Der Beklagte hat sich in seiner Berufung mit dieser Frage befaßt und bezweifelt, daß sich die Klägerin keinen Kredit hätte beschaffen können und daß sie die Reparatur des Kraftwagens schuldhaft verzögert habe. Das Berufungsgericht hat es, ausgehend von einer anderen Rechtsauffassung, für belanglos angesehen, ob die Klägerin die Reparaturkosten tatsächlich nicht habe aufbringen können. Damit ist aber die entscheidende Frage, ob sich die Klägerin wegen Bevorschussung oder Bezahlung der Reparaturkosten an den Haftpflichtversicherer gewendet und dieser derartige Leistungen grundlos abgelehnt hat, unerörtert geblieben und es fehlen die Feststellungen, die nach der obigen Rechtsauffassung für die Entscheidung wesentlich sind.
Das Verfahren ist daher in dieser Richtung mangelhaft geblieben, weshalb es notwendig war, die Entscheidungen der Untergerichte wie im Spruch aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Mehrbegehren von 1000 S (Wertminderung) ist rechtskräftig abgewiesen, so daß noch über 22.233.50 S zu entscheiden ist. Das Erstgericht wird nun mit den Parteien auch die nunmehr oben aufgezeigte, für die Entscheidung wesentliche Frage zu erörtern und darüber Feststellungen zu treffen haben.
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