Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die beklagte Partei, deren Gesellschafterin zu 100 % das Land Tirol ist, sandte am 10. 4. 1995 ua an die Redaktion des "Boten für Tirol" und an das Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ein Schreiben, in welchem um Einschaltung des nachfolgenden Ausschreibungstextes ersucht wurde:
"Öffentliche Ausschreibung
der Sanitäre-, Medizinalgas-, Heizung-, Lufttechnische-, Kälte-, Meß-, Regel- und Steuertechnik-Anlagen
für die Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie, Umbau Ambulanz und OP-Bereich, Dienstzimmer und Labore im Areal des aö Landeskrankenhauses I*****.
Die Anbotsunterlagen liegen ab 19. 4. 1995 in der Direktion Bau und Technik (...) auf und können gegen Einzahlung von S 500,-- bezogen werden.
(...)
Die Anbotsunterlagen müssen bis spätestens 17. 5. 1995, 12.00 Uhr, verschlossen im amtlichen Umschlag der beklagten Partei vorliegen, wo anschließend auch die Anbotseröffnung stattfindet.
Später einlangende Anbote können nicht mehr berücksichtigt werden."
Dieser Ausschreibungstext wurde am 20. 4. 1995 im "Boten für Tirol" unter dem Titel "Öffentliche Ausschreibung" unter Nr 594 veröffentlicht.
Nach Anforderung der entsprechenden Unterlagen stellte die klagende Partei für die Gewerke Sanitäre, Medizinalgas-, Heizungsgas-, Lufttechnik- und Kältetechnik-Anlage ein Angebot über 19,391.847,50 S netto. Insgesamt langten acht Angebote bei der beklagten Partei ein. Billigstbieterin bei den Komplettangeboten war die Arbeitsgemeinschaft H***** D***** mit 19,257.908 S netto, gefolgt von der klagenden Partei. Beim Teilbereich Lüftung war die klagende Partei mit 5,985.816,50 S netto Billigstbieterin, während sie beim Teilbereich Heizung an dritter sowie bei "Medizinalgas" an zweiter Stelle lag.
Mit Schreiben vom 4. 7. 1995 informierte die beklagte Partei die Anbieter davon, daß die Ausschreibung aufgehoben wird. In weiterer Folge wurden die Gewerke so geteilt, daß Baulose unter einem bestimmten Betrag lagen, wobei die beklagte Partei festhielt, daß zwingende und dringende Gründe für die Aufnahme eines Verhandlungsverfahrens vorlägen, weil die Abteilungen aus medizinischen Gründen schnellstens fertigzustellen seien. In weiterer Folge wurden die einzelnen Lose von der beklagten Partei freihändig vergeben, wobei die Firma D*****, welche an der ursprünglichen Ausschreibung nicht beteiligt war, einige Tage nach Aufhebung der Ausschreibung mit dem Gewerk Lüftung beauftragt wurde, wovon die klagende Partei wenige Tage nach Erhalt des Schreibens vom 4. 7. 1995 erfuhr.
Der Geschäftsführer der klagenden Partei war der Meinung, daß das Auftragsvolumen unter dem Schwellenwert von 5 Mio ECU (ca 68 Mio S) bei Bauaufträgen lag, und erfuhr erst im Laufe des gegenständlichen Verfahrens, daß die Arbeiten international ausgeschrieben worden waren. Aus diesem Grunde wandte sich die klagende Partei nicht an die Landesvergabekommission.
Mit ihrer am 24. 7. 1995 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte die klagende Partei von der beklagten Partei die Bezahlung von 359.149 S sA an entgangenem Gewinn und brachte dazu im wesentlichen vor, aus der Ausschreibung im "Boten für Tirol" sei nicht ersichtlich gewesen, ob der Schwellenwert im Sinne des § 3 Abs 1 und 2 Bundesvergabegesetz (im folgenden kurz BVergG) überschritten sei oder nicht. Dies sei auch nicht der Fall gewesen, weil die geschätzte Gesamtauftragssumme nicht 106 Mio S, sondern nur rund 50 Mio S betragen habe. Die EU-weite Verlautbarung der Ausschreibung sei nicht rechtmäßig erfolgt. Auch seien die Ausschreibungen im "Boten für Tirol" nicht formgerecht und die Anbotsfristen zu kurz bemessen gewesen. Die klagende Partei habe daher nicht erkennen können, daß die Schwellenwerte des BVergG überschritten worden seien. Die beklagte Partei könne sich daher keineswegs auf eine zivilrechtliche Verwirkung des Anspruches der klagenden Partei nach dem Tiroler Vergabegesetz (im folgenden kurz TVergG) berufen, zumal sie selbst durch ihr Verhalten zu erkennen gegeben habe, daß für die gegenständlichen Gewerke die Schwellenwerte des BVergG nicht überschritten würden und daher auch das TVergG nicht anwendbar sei. Zudem sei § 14 TVergG verfassungswidrig, weil dieser dem Gleichheitsgrundsatz und dem verfassungsrechtlich geschützten Grundsatz der Unverletzlichkeit des Eigentums widerspreche. Überdies sei das Landesvergabeamt nicht als Gericht im Sinne des Art 6 MRK eingerichtet. Da die klagende Partei im Teilbereich Lüftung Bestanbieterin gewesen sei, sei das Vergabeverfahren zu Unrecht aufgehoben worden. Es sei in der Folge zu gesetzwidrigen Nachverhandlungen gekommen, zu welchen die klagende Partei nicht einmal eingeladen worden sei. Dadurch habe die beklagte Partei nicht nur gegen die Vergabevorschriften, sondern auch gegen die ÖNORM A 2050, den Gleichheitsgrundsatz, die Grundsätze von Treu und Glauben und gegen die EU-Grundrechtsnormen verstoßen. Zudem sei ihr Verhalten grob sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB; die beklagte Partei treffe auch eine Haftung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis wegen culpa in contrahendo. Deshalb habe die klagende Partei auch nicht das dafür unzuständige Landesvergabeamt anrufen müssen. Durch dieses schuldhafte Verhalten der beklagten Partei sei der klagenden Partei ein Schaden (entgangener Gewinn) zumindest in Höhe des eingeklagten Betrages entstanden.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Wegen der über dem Schwellenwert gelegenen Gesamtauftragssumme sei das Projekt öffentlich ausgeschrieben worden. Da das Angebot der klagenden Partei 20 % über entsprechenden Vergleichswerten gelegen sei, sei die Ausschreibung zu Recht aufgehoben und seien in der Folge Nachverhandlungen durchgeführt worden. All dies sei in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Vergabevorschriften geschehen. Eine Schadenersatzklage sei überdies gemäß § 14 Abs 7 TVergG nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung des Landesvergabeamtes nach § 12 Abs 2 TVerG erfolgt sei, welche jedoch nicht vorliege, weshalb der klagenden Partei keine Ersatzansprüche, insbesondere kein Ersatz des entgangenen Gewinns, gegenüber der beklagten Partei zustünden.
Das Erstgericht erkannte nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Anspruches mit Zwischenurteil die Forderung der klagenden Partei dem Grunde nach als zu Recht bestehend und traf im wesentlichen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. In rechtlicher Hinsicht führte es aus, daß auf die gegenständliche Ausschreibung das TVergG anzuwenden sei. Weil es die beklagte Partei entgegen der Bestimmung des § 46 Abs 4 BVergG unterlassen habe, in der Veröffentlichung im "Boten für Tirol" den Tag der Absendung an das Amt für amtliche Veröffentlichungen (der Europäischen Gemeinschaften) bekanntzugeben, sei die klagende Partei nicht in der Lage gewesen, zu erkennen, daß die gegenständliche Ausschreibung unter das TVergG falle, sodaß es für sie unmöglich gewesen sei, das Landesvergabeamt mit der Rechtswidrigkeit der Ausschreibung zu befassen. Da die beklagte Partei gegen Vergabebestimmungen verstoßen habe, sei sie der klagenden Partei im Umfang des § 14 TVergG schadenersatzpflichtig, wobei der Ersatz eines entgangenen Gewinnes jedoch nicht geltend gemacht werden könne.
Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der von der beklagten Partei gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung mit dem angefochtenen Beschluß das Zwischenurteil des Erstgerichtes einschließlich des vorangegangenen Verfahrens als nichtig auf und wies die Klage zurück.
Unbestritten sei, daß das Land Tirol zu 100 % Gesellschafterin der beklagten Partei sei, weshalb diese in den persönlichen Geltungsbereich des TVergG falle. Gemäß § 4 TVergG sei auch § 3 BVergG betreffend Schwellenwerte bei Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen auf dem TVergG unterliegende Bauaufträge anzuwenden. Weil die Gesamtauftragssumme für den Um- und Zubau der Universitätsklinik für Dermatologie und Venerologie in I***** ohne Mehrwertsteuer 106 Mio S betragen habe, lägen die Kosten für den gesamten Bauauftrag, welche für die Beurteilung des Schwellenwertes heranzuziehen seien, weit über dem Wert von 5 Mio ECU, weshalb auf den gegenständlichen Bauauftrag das TVergG und entsprechend der Verweisung auch sinngemäß der 1., 2. und 3. Teil des BVergG anzuwenden seien. Nach § 14 Abs 7 TVergG, welcher im wesentlichen § 102 Abs 2 BVergG entspreche, sei eine Schadenersatzklage wegen Verletzung von Vergabevorschriften nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung des Landesvergabeamtes nach § 12 Abs 2 TVergG erfolgt sei, wobei das Gericht und die Parteien im Verfahren vor dem Landesvergabeamt an eine solche Feststellung gebunden seien. Daraus ergebe sich, daß die Überprüfung der Einhaltung der Vergabevorschriften des TVergG in die alleinige Zuständigkeit des Landesvergabeamtes falle und damit den Gerichten die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens völlig entzogen sei. Voraussetzung für die Durchführung eines Schadenersatzprozesses vor den ordentlichen Gerichten sei daher die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Zuschlages an einen Bieter nach § 12 Abs 2 TVergG. Ohne einen solchen Feststellungsbescheid sei eine Schadenersatzklage unzulässig. Auch der Oberste Gerichteshof habe die Ansicht vertreten, daß Ausschreibungen, die dem BVergG unterlägen, in die Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens fielen (ecolex 1995, 328). Bei den der beklagten Partei zur Last gelegten Verstößen, nämlich der Nichterfüllung der Formerfordernisse der Ausschreibung, der falschen Berechnung des Schwellenwertes, der Nichteinhaltung von Fristen, der zu Unrecht erfolgten Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens, der nicht gerechtfertigten Aufteilung in Baulose und der nicht rechtmäßigen Durchführung von Nachverhandlungen, handle es sich um Verletzungen des TVergG und des sinngemäß anzuwendenden BVergG, welche beim Landesvergabeamt geltend zu machen gewesen wären. Für die Überprüfung der Frage, ob und inwieweit der beklagten Partei bei der Vergabe des gegenständlichen Auftrages die Verletzung von Vergabevorschriften und damit auch die von der klagenden Partei behauptete culpa in contrahendo angelastet werden könne, sei somit der ordentliche Rechtsweg unzulässig, weil ein Feststellungsbescheid im Sinne des § 12 Abs 2 TVergG nicht vorliege.
Der gegen den Beschluß des Berufungsgerichtes gerichtete Rekurs der klagenden Partei ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (1 Ob 7/93 ua; Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 519). Er ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Im vorliegenden Fall ist zunächst davon auszugehen, daß für den verfahrensgegenständlichen Vergabevorgang (Veröffentlichung der Ausschreibung im "Boten für Tirol" am 20. 4. 1995) das TVergG (LGBl 87/1994) und gemäß § 4 TVergG der 1., 2. und 3. Teil des BVergG (BGBl 462/1993) zur Anwendung kommen, weil - wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben - die beklagte Partei, deren Gesellschafterin zu 100 % das Land Tirol ist, gemäß § 1 Abs 1 lit d TVergG in dessen Geltungsbereich fällt. Weiters steht aufgrund der Feststellungen des Erstgerichtes fest, daß zufolge der Gesamtauftragssumme von etwa 106 Mio S, sohin jedenfalls über 5 Mio ECU, die Schwellenwerte gemäß § 4 TVergG iVm § 2 Abs 1 und 2 sowie § 3 Abs 1 BVergG überschritten wurden und somit die erwähnten Gesetze zur Anwendung kommen.
Gemäß § 14 Abs 7 TVergG, der im wesentlichen § 102 Abs 2 BVergG entspricht, ist eine Schadenersatzklage nur zulässig, wenn zuvor eine Feststellung des Landesvergabeamtes nach § 12 Abs 2 TVergG (bzw § 91 Abs 3 BVergG) erfolgt ist. Das Landesvergabeamt (bzw das Bundesvergabeamt) hat, wenn der Zuschlag bereits erfolgt ist, gemäß § 12 Abs 2 TVergG (bzw § 91 Abs 3 BVergG) festzustellen, ob wegen einer Rechtswidrigkeit der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde. In den Erläuternden Bemerkungen zum TVergG wird dazu näher ausgeführt, daß Voraussetzung für ein Feststellungsverfahren nach § 12 Abs 2 TVergG der erfolgte Zuschlag sei und daß diesem Feststellungsbescheid für die gerichtliche Entscheidung Tatbestandswirkung zukomme (Wibmer, Tiroler Vergaberecht, 32 und 34). Die zwingende Durchführung eines Feststellungsverfahrens vor dem Bundesvergabeamt gemäß § 91 Abs 3 BVergG als Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Schadenersatzklage soll nach den dazu ergangenen Erläuternden Bemerkungen (972 BlgNR 18. GP 71) einer übermäßigen Arbeitsbelastung der Gerichte vorbeugen.
Im vorliegenden Fall wurden nach den diesbezüglich unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes die Anbieter mit Schreiben der beklagten Partei vom 4. 7. 1995, welches bei der klagenden Partei am 6. 7. 1995 einlangte, davon informiert, daß die Ausschreibung aufgehoben wird; in der Folge erteilte die beklagte Partei der Firma D***** von der beklagten Partei hinsichtlich des verfahrensgegenständlichen Gewerks Lüftung - ohne eine weitere Ausschreibung - den Auftrag. Da es im gegenständlichen Fall sohin zu einem Zuschlag gar nicht gekommen ist, sondern die Ausschreibung von der beklagten Partei unter Berufung auf § 4 TVergG iVm § 42 BVergG nach Ablauf der Anbotsfrist widerrufen wurde, war es der klagenden Partei gar nicht möglich, ein Feststellungsverfahren gemäß § 12 Abs 2 TVergG beim Landesvergabeamt einzuleiten, weil diese Bestimmung einen bereits erfolgten Zuschlag voraussetzt (Wibmer aaO, 32; Thienel, Das Nachprüfungsverfahren nach dem Bundesvergabegesetz, WBl 1993, 373 [384]; Grussmann, Das neue Vergaberecht - Erste Analyse und Problemübersicht, WBl 1994, 285 [296]; ders, Veränderungen des Rechtsschutzes im Vergabeverfahren, ecolex 1996, 68 ff [69]). Da sohin eine Feststellung des Landesvergabeamtes nach § 12 Abs 2 TVergG mangels erfolgten Zuschlags gar nicht möglich war, ist im vorliegenden Fall - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - § 14 Abs 7 TVergG, der nur auf § 12 Abs 2 TVergG verweist, nicht anwendbar.
Das Berufungsgericht hat daher die gegenständliche Klage zu Unrecht unter Berufung auf §§ 14 Abs 7 iVm 12 Abs 2 TVergG wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen und ist sohin ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht auf die Ausführungen in der Berufung der beklagten Partei nicht eingegangen. Demgemäß war der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen (1 Ob 146/98x ua).
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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