Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 19.203,38 (darin keine Barauslagen und S 3.200,56 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 26.März 1986 wurde der Kläger in Achenkirch auf der Baustelle "Lohbachbrücke" von einem rückwärtsfahrenden LKW des Zweitbeklagten, der von der Erstbeklagten gelenkt wurde und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte war, niedergestoßen und schwer verletzt.
Die Erstbeklagte wurde im Strafverfahren U 455/86 des Bezirksgerichtes Schwaz rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt, weil sie den Unfall durch Unterlassung der beim Rückwärtsfahren gebotenen Vorsicht und Aufmerksamkeit verschuldet habe. Der Kläger forderte zuletzt an Schmerzengeld insgesamt S 625.000, wobei sich unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von S 120.000, des in Rechtskraft erwachsenen Privatbeteiligtenzuspruches im Strafverfahren in Höhe von S 5.000 und eines Teilanerkenntnisurteils über S 78.000 das letztlich noch streitgegenständliche Leistungsbegehren in Höhe von S 422.000 ergab, und stellte auch ein Feststellungsbegehren. Er brachte vor, die Erstbeklagte sei zum Abtransport von Abbruchmaterial ca. 60 m weit rückwärts gefahren und habe dabei den Kläger übersehen, welcher mit dem Rücken zur Fahrtrichtung der Erstbeklagten gestanden sei und an den Polier der Baustelle Anweisungen erteilt habe. Der Kläger habe wegen des Baumaschinenlärms das Betriebsgeräusch des LKWs nicht hören können. Die Erstbeklagte habe durch mangelnde Aufmerksamkeit und Unterlassen der Beiziehung eines Einweisers gegen § 14 StVO verstoßen. Den Kläger treffe dagegen kein Mitverschulden. Würde man in seinem Verhalten jedoch ein Verschulden erblicken, dann wäre dieses so gering, daß es zu vernachlässigen sei. Der Kläger sei von den rechten hinteren Zwillingsreifen des LKWs überfahren und eingequetscht worden und habe sich sehr schwere Verletzungen zugezogen. Die Verletzungsfolgen seien immer noch teilweise vorhanden und würden auch in Zukunft weitere Dauerfolgen bestehen. Es sei daher sowohl ein Schmerzengeldanspruch wie auch ein Feststellungsbegehren gerechtfertigt.
Die Beklagten haben eine Haftung im Umfang von 60 % für die Unfallsfolgen anerkannt, ebenso einen Schmerzengeldanspruch von S 330.000 als Ausgangsbetrag, wobei jedoch entsprechend der von der Beklagtenseite eingewendeten Mitverschuldensquote nur ein Teilbetrag von S 198.000 gerechtfertigt sei. In diesem Umfang wurde der Leistungsanspruch des Klägers durch Teilzahlung bzw. Teilanerkenntnisurteil erledigt. Hinsichtlich des weitergehenden Klagebegehrens haben die Beklagten bestritten, Klagsabweisung beantragt und eingewendet, den Kläger selbst treffe ein 40 %-iges Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Dem Kläger als Baufachmann hätte nämlich bekannt sein müssen, daß die Baustelle ständig von Lastkraftwagen im Rückwärtsgang befahren werde und daß die Lenker dieser Fahrzeuge einen toten Sichtwinkel bei Beobachtung nach rückwärts hätten, sodaß ihm selbst mangelnde Aufmerksamkeit vorzuwerfen sei.
Das Erstgericht sprach dem Kläger S 322.000 s.A. zu und stellte die Haftung der Beklagten für alle künftigen Unfallsschäden des Klägers fest, hinsichtlich der Drittbeklagten mit der Beschränkung auf die Haftpflichtversicherungssumme für den LKW; das Mehrbegehren von S 100.000 wurde abgewiesen. Das Erstgericht legte seiner Entscheidung im wesentlichen folgende Feststellungen zugrunde:
Am 26.März 1986 war die Erstbeklagte als Lenkerin des LKW Mercedes mit dem Kennzeichen T 428.487 seit 7,00 Uhr auf der Straßenbaustelle Lohbachbrücke auf der Achenseestraße (B 181 bei Straßenkilometer 27,4) im Gemeindegebiet von Achenkirch beschäftigt. Sie hatte mit dem LKW Abbruchmaterial, das bei der Herstellung der Böschung westlich der Achenseestraße anfiel, zu transportieren. Aufgeladen wurde von einem Bagger abgegrabenes Material. Dieser Bagger stand auf einem kleinen Plateau in der Böschung einige Meter über der Bundesstraße. Der Ladevorgang war so, daß die Erstbeklagte von Süden her (die Achenseestraße verläuft im Unfallsbereich ungefähr in Nord-Süd-Richtung) in den Baustellenbereich einfuhr und ca. 60 m vor der Ladestelle wendete, und zwar so, daß sie von ihrem rechten Fahrstreifen aus rückwärts die Bundesstraße querend in einen aus Richtung Westen einmündenden Weg einfuhr, dann wieder in die Achenseestraße einfuhr und auf dieser ein kleines Stück in Richtung Süden fuhr, um danach im Rückwärtsgang entlang des westlichen Fahrbahnrandes bis zur Ladestelle zu gelangen. Die dabei zurückzulegende Fahrstrecke betrug ca. 60 m. Die Strecke selbst verlief wegen der damaligen Bauarbeiten praktisch eben und gerade. Trotz der Bauarbeiten blieb der Verkehr auf der Achenseestraße aufrecht. Es war dort lediglich eine Geschwindigkeitsbeschränkung verfügt. Eine Absperrung zwischen Baustelle und dem allgemein benützbaren Teil der Fahrbahn gab es nicht.
Auf Grund der Aufbauten des von der Erstbeklagten gelenkten LKWs Mercedes kann man selbst bei aufmerksamer Beobachtung durch beide Rückspiegel einen Raum von 40 m hinter dem LKW nicht übersehen (toter Winkel). Die Rückwärtsfahrstrecke legte die Erstbeklagte jeweils mit einer Geschwindigkeit zwischen 5 und 10 km/h zurück. Um 60 m mit 7,5 km/h zurückzulegen, benötigt man 28,4 Sekunden; bei 5 km/h 43,16 Sekunden. Um 40 m zurückzulegen benötigt man bei 5 km/h 28,77 Sekunden. Für 20 m bei 7,5 km/h 9,61 Sekunden. Am 26.März 1986 (dem Unfallstag) gegen 14.15 Uhr ging Karl H*** (der Kläger), der dür dieses Straßenbaulos zuständige Landesbeamte, mit dem Polier der Firma S***, Albert S***, von Norden her die Baustelle ab. Sie gingen dabei am westlichen Fahrbahnrand entlang bis auf Höhe des Baggers, der das von der Böschung abgeräumte Material auf den LKW laden sollte, von dort aus noch ein paar Meter weiter in Richtung Süden. Dort blieben sie im Bereich des westlichen Fahrbahnrandes stehen. Der Kläger besprach dort mit dem Polier, daß die Fahrbahn kein Längsgefälle aufwies, daß daher auf Grund des Quergefälles die Entwässerung zur Böschung hin erfolgen und eine Drainage angelegt werden müsse. Ferner sagte er zum Polier, nachdem er sich die Böschung angeschaut hatte, er solle die Böschung westlich der Straße nicht völlig glatt machen, sondern unruhig gestalten. Während dieses Gespräches, das etwa 1 bis 3 Minuten dauerte, standen der Kläger und S*** mit dem Rücken Richtung Süden, sodaß sie nicht sehen konnten, daß bzw. ob sich aus Richtung Süden Fahrzeuge näherten.
Während der Kläger und S*** die Baumaßnahmen besprachen, wollte die Erstbeklagte den LKW wieder beladen lassen. Sie wendete das Fahrzeug wie bereits beschrieben ca. 60 m südlich der Ladestelle und fuhr dann diese Strecke rückwärts mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 10 km/h, wobei sie in den rechten und linken Außenspiegel schaute, um sowohl den westlichen Fahrbahnrand, an dem sie entlangfuhr, als auch den Raum hinter dem LKW beobachten zu können. Dennoch hat sie weder den Kläger noch Albert S*** gesehen, obwohl diese zumindest während der ersten 20 m der Rückwärtsfahrt für die Erstbeklagte im Außenspiegel sichtbar gewesen sein müssen, da die Genannten zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Meter südlich des Baggers standen.
Weder der Kläger noch S*** hörten den LKW kommen, da der Baulärm ziemlich groß war. In der Nähe des Baggers waren ein Bohrgerät sowie ein Kompressor in Betrieb, außerdem fuhr im kritischen Moment gerade ein Radlader vorbei.
Obwohl der Baggerfahrer, der die Annäherung des LKWs erst wahrnahm, als sich das Fahrzeug bis auf 2 bis 3 m den beiden Männern genähert hatte, noch rasch die Hupe betätigte, um diese beiden, sowie die Erstbeklagte, die mit geöffnetem Seitenfenster fuhr, zu warnen, nahm keiner von diesen (Kläger/S***/Erstbeklagte) dieses Signal wahr. Der rückwärts fahrende LKW stieß den Kläger und Albert S*** nieder. Während S*** zwischen den Hinterrädern zu liegen kam und nicht verletzt wurde, wurde der Kläger von den rechten hinteren Zwillingsreifen überfahren. Er wurde zwischen der Fahrbahn und den vorgenannten Reifen eingequetscht. Inzwischen hatte die Erstbeklagte die Hupsignale des Baggerfahrers gehört und ihren LKW zum Stillstand gebracht. Der Kläger erlitt ein schweres kombiniertes Becken-, linksseitiges Hüftpfannen- und Urogenitaltrauma nebst tiefen Weichteilverletzungen im Bereich beider Beine. Es lag kein begleitendes Schädelhirntrauma vor, kein Wirbelsäulentrauma, kein Thoraxtrauma und auch kein weiteres intraabdominelles Trauma. Von Seiten des schweren stumpfen Beckentraumas mit Hüftpfannenbruch links, Brüchen des rechten Beckenrings und des linken Schambeinastes liegt eine endlagige Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk mit entsprechender Belastungsschmerzhaftigkeit vor. Das Bein ist sonst gut belastbar, es besteht eine geringe Bewegungsund auch zum Teil Ruheschmerzhaftigkeit in der linken Hüfte. Die Beckenringbrüche und der Schambeinbruch sind folgenlos abgeheilt. Spätschäden in Form einer zunehmenden, deformierenden schmerzhaften Coxarthrose links sind nicht auszuschließen. Weichteilverletzungen an den Beinen mit Wunden und einem Zustand nach Tibialis Anterior-Syndrom rechts, nebst Prellungen und Abschürfungen sind am rechten Bein mit kontrakten großen Narbenzügen und links mit einer großflächigen, kosmetisch entstellenden, spalthautgedeckten Fläche im Oberschenkelbereich verheilt. Diese Vernarbungen am rechten Bein, kniegelenksnahe, führen zum Teil zu leicht hinderlichen und schmerzhaften aufgewulsteten Narbenzügen. Eine Korrektur bei Zunahme dieser Narbenzüge und Verletzungsgefährdung durch Einreißen derselben, in Form eines plastisch-chirurgischen Eingriffs und Ausschneiden mit Z-Plastik, ist ebenfalls nicht auszuschließen. Direkte Belastung der Narben ist nicht möglich, etwa Knien am rechten Bein, aber auch die oberflächliche Weichteilbelastung links ist eingeschränkt. Hier liegt eine große Spalthautplastik breitflächig unter dem Niveau am verbackenen Muskel. Die Narbenzüge selbst sind beidseits ausgedehnt und entstellend.
Von Seiten des Urogenitaltraumas besteht eine Abschwächung des Harnstrahls bei sonst guter Durchlässigkeit der Harnröhre, eine große Vernarbung im Bereich der wiederhergestellten Harnröhrenanteile und eine gewisse Streßinkontinenz mit zum Teil unwillkürlichem Harnabgang, der bei Kälte bzw. vermehrtem Harndrang auch ein größeres Ausmaß erreichen kann. Der Kläger trägt so zum Ausgleich Inkontinenzeinlagen. Er ist dadurch einerseits subjektiv behindert, anderseits jedoch auch etwa hinsichtlich seiner Arbeitsfähigkeit im Außendienst, vor allem in seinem bislang ausgeübtem Beruf.
Desweiteren besteht eine gewisse restliche Stuhlinkontinenz bei Durchfällen.
Eine Impotenz im Sinne einer Impotentia coeundi ist ebenfalls gegeben, da nur eine geringe Blutfüllung des Penis möglich ist. Es ist keine ausreichende Blutfüllung zum Geschlechtsverkehr gegeben. Eine völlige Wiederherstellung des vor dem Unfall anamnestisch ungestörten Sexuallebens ist nicht zu erwarten. Vielmehr besteht Grund zu der Annahme, daß der Kläger auf Grund der nunmehr bestehenden Kohabitationsunfähigkeit einem zunehmenden psychischen Leistungsdruck unterworfen ist. Dieser kann sich naturgemäß in psychischen Störungen, wie beispielsweise Depressionen, manifestieren, die auch eine Auswirkung auf die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen haben können. Feststellungen zu den damit allenfalls verbundenen traumatisch bedingten Spätfolgen sind nicht kalkulierbar und können daher nicht getroffen werden.
Unter Einschluß auch des urologischen Beschwerdekreises sind die Schmerzperioden komprimiert wie folgt einzuschätzen:
Schmerzen schweren Grades 23 Tage, Schmerzen mittleren Grades 9 Wochen, Schmerzen leichten Grades 5 Monate.
Hierbei sind Schmerzen aus etwaiger akuter Verschlechterung heraus, aus möglichen Spätfolgen, wie sie nicht auszuschließen sind, nicht berücksichtigt worden. Auch das seelische Beschwerdebild, wie es sich aus der langanhaltenden suprapubischen Harnableitung, aber auch der temporären Stuhlfistel in Cholostomie, ergeben hat, wie es auch im Familienleben als "ekelerregend" verspürt werden kann, ist in den oben genannten Perioden nicht miteingeschätzt. Dieser Beschwerdekreis ist noch in die globale Schmerzabgeltung mitaufzunehmen.
Abgesehen von den oben angesprochenen Dauerschäden, sind Verschlechterungen im Gesundheitszustand des Klägers, insbesondere hinsichtlich etwaiger Schmerzen im Bereich des Beckens, aber auch Schmerzen von Seiten der Urogenitalverletzungen wie des Rektums wahrscheinlich und zu erwarten.
Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, daß die Erstbeklagte es an der erforderlichen Aufmerksamkeit beim Rückwärtsfahren mangeln habe lassen, daß sie überdies durch Nichtbeiziehung eines Einweisers gegen § 14 Abs 3 StVO verstoßen habe. Die Bestimmungen des StVO würden auch im Baustellenbereich gelten. Insbesonders sei der Erstbeklagten vorzuwerfen, daß sie beim Rückwärtsfahren über eine Strecke von 20 m sowohl den Kläger wie auch den neben ihm stehenden Polier sehen hätte können und müssen. Erst während der letzten 40 m des Zufahrens auf den Kläger habe sich dieser für die Erstbeklagte im toten Sichtwinkel befunden. Ein Mitverschulden des Klägers nach § 1304 ABGB sei jedoch zu verneinen. Der Kläger sei nicht in die Fahrlinie der Erstbeklagten hineingelaufen, sondern sei zumindest eine bis drei Minuten am Fahrbahnrand der Baustellenzufahrt gestanden. Dabei wäre er eben auch für den rückwärts anfahrenden Baustellenverkehr zumindest zeitweise wahrnehmbar gewesen. Der Kläger hätte zwar dem LKW leicht ausweichen können, wenn er einen kurzen Blick nach hinten geworfen hätte. Dies ergebe sich bei einer Betrachtung im Nachhinein. Das Unterlassen dieser Handlung könne jedoch nicht zu einem Mitverschulden des Klägers führen. Damit bejahte das Erstgericht das Alleinverschulden der Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalls.
Als Schmerzengeld erachtete das Erstgericht einen Betrag von S 525.000 insgesamt als angemessene Abgeltung der vom Kläger erlittenen Schmerzempfindungen und sonstigen Verletzungsfolgen. Es gelangte damit unter Berücksichtigung von Teilzahlungen bzw. bereits erfolgten Teilzusprüchen zu der eingangs angeführten Entscheidung mit einem Zuspruch im Leistungsbegehren von S 322.000 und einer Abweisung des Mehrbegehrens. Dem Feststellungsbegehren des Klägers gab das Erstgericht im vollem Umfang statt.
Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge; hingegen wurde der Berufung des Klägers Folge gegeben und ihm ein weiterer Betrag von S 100.000 s.A. an Schmerzengeld zugesprochen. Das Berufungsgericht traf nach Beweiswiederholung folgende ergänzende Feststellungen:
Über die vom Berufungsgericht hinaus bereits festgestellten Störungen leidet der Kläger noch und auch in Zukunft an körperlichen Beeinträchtigungen in Form von Juckreiz, einer vermehrten Schmerzsymptomatik bei Kälte, einer gelegentlichen Belastungsschmerzhaftigkeit bei direkter Narbenbelastung, möglicherweise auch an Beschwerden bei Durchfällen, wobei letzteres ein Ungemach darstellt, das mehr dem Bereich der seelischen Schmerzen zuzurechnen ist. Der Kläger wird in Zukunft voraussichtlich an leichten Schmerzen im Ausmaß einiger Tage pro Jahr zu leiden haben. Diese Schmerzen können beispielsweise durch Wundwerden am After bei dünnen Stühlen entstehen. Es ergibt sich schon nach der Lebenserfahrung, daß mit Harn- und Stuhlinkontinenz notwendigerweise das Tragen bzw. Wechseln von Einlagen und eine gewisse Geruchsbelästigung verbunden ist. Dies hat auch das medizinische Gutachten bestätigt. Der Kläger ist vom 26.März 1986 bis 27.Juni 1986 stationär in der Klinik gewesen und auch in der Folge mehrmals für einige Tage bis zu zwei Wochen stationär wieder aufgenommen worden. Er ist mehrmals operiert worden. Er ist rund ein Jahr im Krankenstand gewesen. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Bedingungen der Allgemeinen Unfallversicherung liegt im Ausmaß von 40 % vor. Der Kläger ist am 30.Oktober 1951 geboren. Im übrigen erachtete das Berufungsgericht das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei und übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als unbedenklich. Zur Rechtsfrage führte das Berufungsgericht aus, der Kläger habe sich nicht als Fußgänger im Sinne des § 76 StVO, sondern im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zur Überwachung des Straßenausbaus auf der Fahrbahn aufgehalten. Für ihn gelten daher auch nicht die Vorschriften des § 76 StVO (ZVR 1973/190). Die StVO enthalte für den Kreis von Personen, welche die Fahrbahn nicht zu ihrer Fortbewegung, sondern zu anderen Zwecken (etwa Räumung, Erhaltung, sonstige Bauarbeiten etc.) benützten, keine allgemeinen Vorschriften. Es komme für sie auch eine analoge Anwendung des § 76 StVO nicht in Betracht. Allerdings hätten sie auch die Pflicht, das während ihres Aufenthalts auf der Fahrbahn sich abspielende Verkehrsgeschehen besonders aufmerksam zu beobachten, soweit ihnen dies möglich und zumutbar sei. Dem Kläger wäre es nun wohl möglich gewesen, innerhalb einer Zeit von (mindestens) einer Minute den Verkehr aus Richtung Süden zu beobachten, indem er in diese Richtung blickte; dies insbesonders deshalb, weil er wegen des Baustellenlärms nicht einmal das Betriebsgeräusch eines herannahenden LKWs wahrnehmen konnte. Hier sei dem Kläger ein Aufmerksamkeitsfehler unterlaufen, der allerdings unter Berücksichtigung der besonderen Umstände, nämlich einer zeitlich relativ kurzen Besprechung mit dem Baupolier über den Verlauf der Böschung unmittelbar westlich der Fahrbahn, dies auf der dem Baustellenverkehr vorbehaltenen Fahrbahnhälfte, ein zu vernachlässigendes Verschulden darstelle.
Das Verschulden der Erstbeklagten, welche den Kläger zuerst über eine Fahrstrecke von 20 m übersehen habe und dann 40 m ohne Sicht, aber auch ohne Verwendung eines Einweisers nach rückwärts weitergefahren sei, stelle sich als grob fahrlässig dar, wobei dieses Verschulden auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung auch für das Zivilgericht bindend sei. Die geringfügige Unaufmerksamkeit des Klägers könne also kein zu berücksichtigendes Mitverschulden begründen. Es bestehe damit keine Veranlassung, den Kläger nach § 1304 ABGB zur verhältnismäßigen Schadenstragung zu verpflichten. Dem Berufungsgericht erscheine allerdings das vom Erstgericht mit S 525.000 bemessene Schmerzengeld (vor Kürzung um Teilzahlungen und bereits rechtskräftig erfolgte Zusprüche) als Abgeltung sämtlicher Schmerzempfinden köperlicher und seelischer Art, die auch das Bewußtsein des Dauerschadens und der Gefahr einer künftigen Verschlechterung umfassen, als zu gering. Es erachte den vom Kläger begehrten Betrag von S 625.000 als angemessen. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision des Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Zum Mitverschulden des Klägers führen die Beklagten aus, bei richtiger rechtlicher Beurteilung der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen werde zwar zuzugestehen sein, daß der Kläger als mit der Durchführung von Straßenarbeiten auf einer Baustelle befaßter Beamter unter Umständen nicht den Regeln der StVO über den Fußgängerverkehr unterworfen sei. Nach ständiger Rechtsprechung enthebe dies den Kläger aber nicht, jene Sorgfalt gegenüber seiner körperlichen Integrität an den Tag zu legen, die unter den gegebenen Umständen unerläßlich war, um ihn vor Schaden zu bewahren. Diese Sorgfalt habe der Kläger gröblich vernachlässigt, indem er sich mindestens eine Minute lang auf der Fahrbahn mit dem Rücken in jene Richtung gewandt, aus welcher im Rückwärtsgang LKWs herannahten, aufstellte. Dabei sei besonders erschwerend, daß der Kläger dieses leichtsinnige Verhalten nicht unter "gewöhnlichen" Baustellenverhältnissen an den Tag legte, sondern vielmehr in einer besonders gefährlichen Situation. Nach den getroffenen Feststellungen habe zum Unfallszeitpunkt nämlich ein so großer Baustellenlärm geherrscht, daß der Kläger allein mit dem Gehörsinn eine herannahende Gefahr nicht bemerken konnte. Da sohin die Benützung des Gesichtssinnes die einzige Möglichkeit zur Sorgfaltswahrung darstellte, sei die Unterlassung auch nur eines Blicks in jene Richtung, aus welcher mit LKW-Verkehr zu rechnen war, während eines Zeitraumes von ein bis drei Minuten besonders gravierend. Der Kläger sei somit längere Zeit vollkommen unaufmerksam gewesen, es treffe ihn daher ein Mitverschulden von 40 % an dem Unfall.
Hinsichtlich des Schmerzengeldes halten die Beklagten ein solches in der Höhe von insgesamt S 330.000 für angemessen. Ein Rechtsirrtum sei dem Berufungsgericht auch insoferne unterlaufen, als es ausdrücklich unter Berücksichtigung der eingetretenen Geldentwertung einen Zuspruch von S 625.000 als gerechtfertigt erachtet, demgegenüber jedoch die geleisteten Teilzahlungen - wenn auch in der Begründung nicht ausdrücklich ausgeführt - ohne entsprechende Aufwertung lediglich zum Nominale berücksichtigt habe. Nach den erstinstanzlichen Verfahrensergebnissen seien seitens der Beklagten Teilzahlungen im Betrage von S 20.000 am 5.Mai 1986, S 100.000 am 13.April 1987 und S 78.000 nach Teilanerkenntnisurteil vom 9.Mai 1988 am 16.Mai 1988 geleistet worden. Da diese vom Kläger auch angenommenen Teilzahlungen wesentlich vor dem urteilsmäßigen Zuspruch des Schmerzengeldes erbracht wurden, seien sie bei richtiger rechtlicher Beurteilung im Verhältnis der Geldwertverdünnung erhöht auf den Anspruch anzurechnen. Diese im Verhältnis zum urteilsmäßigen Zuspruch früheren Zahlungen bzw. Zusprüche wären somit bei richtiger rechtlicher Beurteilung unter Bedachtnahme auf die zwischenzeitlich eingetretene Kaufkraftminderung rechnerisch entsprechend aufzuwerten gewesen. Selbst wenn man den vom Berufungsgericht ermittelten Schmerzengeldbetrag von S 625.000 für angemessen erachten wolle, wäre unter Berücksichtigung der entsprechend aufgewerteten Teilzahlungen lediglich ein verbleibender Restbetrag von S 400.000 zuzusprechen gewesen.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.
Wie die Revision richtig erkennt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ein mit der Durchführung von Straßenarbeiten auf einer Baustelle befaßter Bediensteter - wie dies der Kläger war - grundsätzlich nicht den Regeln der StVO über den Fußgängerverkehr unterworfen ist (ZVR 1968/184; ZVR 1973/86; ZVR 1980/10 ua.). Dies enthob jedoch den Kläger nicht von der Verpflichtung, jene Sorgfalt gegenüber seiner körperlichen Integrität an den Tag zu legen, die unter den gegebenen Umständen unerläßlich war, um ihn vor Schaden zu bewahren
(vgl. ZVR 1987/97 ua).
Eine Verletzung der eine Schutznorm im Sinne des § 1311 ABGB darstellenden Vorschrift des § 76 Abs 1 StVO fällt dem Kläger, wie dargelegt nicht zur Last. Eine Schadensteilung im Sinne des § 1304 ABGB könnte nur in Betracht kommen, wenn dem Kläger der Vorwurf der Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten gemacht werden könnte. Als Sorgfaltsmaßstab gilt hiebei der § 1297 ABGB, wobei es darauf ankommt, ob der Geschädigte jene Sorgfalt außeracht gelassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch (der sogenannte maßstabgerechte Durchschnittsmensch) in der konkreten Lage zur Vermeidung des Schadens anzuwenden pflegt (Schlegelmilch in Geigel19 311; Reischauer in Rummel, ABGB Rz 2 zu § 1297, 7 Ob 56/87 ua.). Unter Berücksichtigung der festgestellten besonderen Umstände, nämlich einer zeitlich relativ kurzen Besprechung mit einem Baupolier über den Verlauf der Böschung unmittelbar westlich der Fahrbahn, dies auf der dem Baustellenverkehr vorbehaltenen Fahrbahnhälfte, ist jedoch dem Berufungsgericht entgegen der Auffassung der Revision darin beizupflichten, daß den Beklagten der Beweis für ein den Kläger treffendes meßbares, für eine Schadensteilung im Sinne des § 1304 ABGB hinreichendes Mitverschulden nicht gelungen ist.
Was die Höhe des Schmerzengeldanspruchs des Klägers anlangt, ist davon auszugehen, daß er im Sinne des § 1325 ABGB Anspruch auf ein den erhobenen Umständen angemessenes Schmerzengeld hat. Dieses Schmerzengeld kann nur nach § 273 ZPO unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der körperlichen und seelischen Schmerzen des Verletzten sowie der Art und der Schwere seiner Verletzungsfolgen nach freier Überzeugung des Gerichtes global festgesetzt werden. Maßgebend sind dabei die Verhältnisse zur Zeit des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz (ZVR 1974/22; ZVR 1976/265 ua.). Zu berücksichtigen ist hiebei auch eine seit der Schädigung eingetretene wesentliche Verminderung der Kaufkraft des Geldes (ZVR 1974/222; ZVR 1976/143; ZVR 1983/346 ua.). Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet und werden die mehrfachen schweren Verletzungen des im Unfallszeitpunkt erst 34-jährigen Klägers, der langwierige Heilungsverlauf, der mehrere stationäre Krankenhausaufenthalte und Operationen und einen Krankenstand von ca. einem Jahr erforderlich machte, die beträchtlichen Schmerzperioden und die sehr schwerwiegenden Dauerfolgen, insbesondere die Harn- und Stuhlinkontinenz sowie die bleibende Impotenz sowie die mit den Dauerfolgen verbundenen erheblichen psychischen Beeinträchtigungen berücksichtigt, kann entgegen der Auffassung der Revision in der Bemessung des Schmerzengeldes in der rechnerischen Gesamthöhe von S 625.000 keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden. Hinsichtlich der von der Revision geforderten Aufwertung der von den Beklagten geleisteten Teilzahlungen entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß frühere Teilzahlungen bei der endgültigen Bemessung des Schmerzengeldes entsprechend der inzwischen gesunkenen Kaufkraft des Geldes aufzuwerten sind (ZVR 1976/113; ZVR 1980/19 ua.). Dabei stellt jedoch die Bedachtnahme auf die Geldwertverdünnung lediglich einen im Rahmen der Schmerzengeldbemessung zu berücksichtigenden Umstand dar, gewährt aber dem Schädiger einen nicht selbständigen Aufwertungsanspruch hinsichtlich seiner Teilzahlungen (ZVR 1980/233; ZVR 1983/126; ZVR 1985/50 ua.). Diesen Grundsätzen wurde durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Schmerzengeldbemessung nicht zuwider gehandelt.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
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