OGH 2Ob263/82

OGH2Ob263/8221.12.1982

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Scheiderbauer, Dr. Kralik, Dr. Melber und Dr. Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O*****, vertreten durch Dr. Peter Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagten Parteien 1. Dipl.-Ing. O*****, 2. I*****-Aktiengesellschaft, *****, beide vertreten durch Dr. Manfred Traxlmayr, Rechtsanwalt in Linz, wegen 2.291,90 S sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. Oktober 1982, GZ 13 R 572/82-15, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 9. Juni 1982, GZ 23 C 281/82-8, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit 1.442,72 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 92,64 S USt und 192 S Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrt den Ersatz der Reparaturkosten seines PKW von 4.583,80 S sA mit der Behauptung, der Erstbeklagte habe diesen Schaden durch ein mit seinem bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen ***** am 5. 6. 1981 in der Khevenhüllerstraße in Linz vorschriftswidrig durchgeführtes Überholmanöver schuldhaft herbeigeführt.

Die beklagten Parteien beantragten Klagsabweisung wegen Eigenverschuldens des Klägers am Unfall und wendeten darüber hinaus aufrechnungsweise eine aus der unfallsbedingten Beschädigung des Fahrzeugs des Erstbeklagten hervorgehende Gegenforderung von 423,15 S ein.

Das Erstgericht stellte die Klagsforderung als zu Recht bestehend, die eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend fest und gab der Klage demgemäß statt.

Das Berufungsgericht stellte die Klagsforderung als mit 2.291,90 S und die eingewendete Gegenforderung als mit 211,58 S zu Recht bestehend fest, sprach dem Kläger einen Betrag von 2.080,32 S sA zu und wies das Mehrbegehren ab.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts erhebt der Kläger eine auf § 503 Z 3 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils; hilfsweise stellt er auch einen Aufhebungsantrag.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Das Erstgericht traf die auf den Seiten 3 bis 5 (AS 49 ff) der Urteilsausfertigung angeführten Sachverhaltsfeststellungen. Danach wollte der mit seinem PKW auf der Khevenhüllerstraße stadtauswärts fahrende Kläger nach links in die Wüstenrotstraße einbiegen, hatte sich zu diesem Zwecke unter Anzeige der beabsichtigten Fahrtrichtungsänderung zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet, musste aber wegen eines abbiegenden PKW sein Fahrzeug etwa auf Höhe des Hauses Khevenhüllerstraße 21 anhalten. Dabei betrug sein Abstand zum rechten Fahrbahnrand maximal 2,5 m. Indessen hatte sich der unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h mit seinem PKW nachkommende Erstbeklagte genähert und wollte das Fahrzeug des Klägers „rechts passieren“. Es ist nicht feststellbar, in welcher Position sich die beiden Fahrzeuge zueinander befanden, als der Kläger sein Fahrzeug wieder in Bewegung setzte. Ebenso wenig ist feststellbar, welchen Seitenabstand der Erstbeklagte „im Zuge des Passierens zum Klagsfahrzeug innehatte“. Ein Abstand wesentlich unter 2,5 m ist nicht erweislich. Als sich das Fahrzeug des Erstbeklagten „beinahe schon zur Gänze am Klagsfahrzeug vorbeibewegt hatte, kam es zur Kollision dergestalt, dass das rechte vordere Stoßeck des Fahrzeugs des Klägers und das linke hintere Stoßeck des Fahrzeugs des Erstbeklagten einander berührten.“ Es ist weder erweislich, dass diese Berührung durch ein Rechtsverlenken des Fahrzeugs des Klägers noch dass sie durch ein Linksverlenken des Fahrzeugs des Erstbeklagten hervorgerufen wurde. Auch die exakte Position der Unfallstelle ist nicht feststellbar. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, dass dem Erstbeklagten mangels Erweislichkeit eines Überholvorgangs zwar nicht eine Verletzung der Vorschriften des § 15 Abs 3 und 4 StVO 1960 und mangels Einhaltung eines ungenügenden Seitenabstands auch nicht eine Übertretung der Vorschrift des § 17 Abs 1 StVO 1960 angelastet werden könne. Es treffe ihn aber deswegen ein Verschulden am Unfall, weil er in der gegebenen Situation zur Abgabe eines Warnzeichens verpflichtet gewesen wäre. Das Vorbeibewegen an einem Fahrzeug mit 30 km/h stelle nämlich bei einer zur Verfügung stehenden Fahrbahnbreite von nur 2,5 m ein zweifellos riskantes Unternehmen dar, dem aus Sicherheitsgründen durch Abgabe eines solchen Warnzeichens Rechnung getragen werden müsse. Da dem Kläger ein Abweichen von seiner Fahrlinie nicht habe nachgewiesen werden können, sei vom Alleinverschulden des Erstbeklagten am Unfall auszugehen.

Demgegenüber vertrat das allein mit Rechtsrüge angerufene Berufungsgericht die Auffassung, dass auch den Erstbeklagten kein Verschulden am Unfall treffe, weil unter den gegebenen Umständen einerseits ein Seitenabstand von nicht wesentlich unter 50 cm ausreichend gewesen sei und andererseits die Verkehrssicherheit auch nicht die Abgabe eines Schallzeichens erfordert habe, zumal sich der Kläger zu Beginn des Vorbeifahr- oder späteren Überholmanövers nicht verkehrswidrig verhalten habe. Da schließlich die exakte Position der Kollisionsstelle nicht feststellbar gewesen sei, könne nicht gesagt werden, dass dem Erstbeklagten beim „Überholen“ die folgende Fahrbahnverengung schon erkennbar gewesen sei. Somit hätten aber die Streitteile den ihnen nach den Beweislastregeln jeweils zukommenden Beweis eines Verschuldens des Unfallsgegners nicht zu erbringen vermocht. In einem solchen Falle sei aber mangels einer hier gegebenen außergewöhnlichen oder überwiegenden gewöhnlichen Betriebsgefahr der Schadensausgleich im Sinne des § 11 EKHG auf der Grundlage der gewöhnlichen Betriebsgefahr vorzunehmen. Da diese vorliegendenfalls als ungefähr gleich groß bewertet werden müsse, habe die Schadensteilung demgemäß im Verhältnis von 1:1 zu erfolgen.

Unter dem Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit bringt der Kläger vor, das Berufungsgericht sei entgegen dem Akteninhalt davon ausgegangen, dass für den Erstbeklagten beim „Überholen“ die folgende Fahrbahnverengung noch nicht erkennbar gewesen sei. Dies widerspreche nämlich den erstgerichtlichen Feststellungen, wonach die Fahrbahn vor dem Hause Khevenhüllerstraße 21 eine Breite von 8 m, dagegen 50 m vorher (in Fahrtrichtung der Streitteile) aber eine solche von 8,6 m und, wenngleich diesbezüglich keine Feststellungen vorlägen, insgesamt 100 m vorher eine solche von 9,5 m aufgewiesen habe. Somit stehe aber eindeutig fest, dass im Unfallsbereich eine merkliche Fahrbahnverengung gegeben sei.

Ob das Berufungsgericht mit der vorgenannten Ausführung seinem Urteil eine tatsächliche Voraussetzung zugrundelegte, welche mit den Prozessakten im Widerspruch steht, kann dahingestellt bleiben. Eine Aktenwidrigkeit iSd § 503 Z 3 ZPO liegt nämlich jedenfalls nur dann vor, wenn sie einen wesentlichen Punkt betrifft und damit eine entscheidungserhebliche Bedeutung hat. Dies ist hier, wie die Behandlung der Rechtsrüge des Klägers zeigen wird, nicht der Fall. Der vorgenannte Revisionsgrund ist somit nicht gegeben.

In seiner Rechtsrüge verweist der Kläger darauf, dass nach der Judikatur ein Seitenabstand von 50 cm zum überholten Fahrzeug als zu gering gelte. Ein Seitenabstand von weniger als 50 cm hätte dagegen bei einer Geschwindigkeit von 30 km/h allenfalls wohl dann ausgereicht, wenn das Fahrzeug des Klägers gestanden wäre. Dem Erstbeklagten sei somit aber ein Fehlverhalten und damit ein Verschulden am Unfall anzulasten.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist nicht nur weder erweislich, dass der Erstbeklagte zum Fahrzeug des Klägers einen wesentlich unter einen halben Meter liegenden Seitenabstand einhielt noch, in welcher Position sich die beiden unfallsbeteiligten Fahrzeuge zueinander befanden, als der Kläger sein Fahrzeug wieder in Bewegung setzte, sondern es war vor allem auch eine exakte Position der Kollisionsstelle nicht feststellbar. Diese mangelnde Feststellbarkeit führte das Erstgericht im Rahmen seiner Beweiswürdigung (US 8 = AS 54) noch näher wie folgt aus: „Da aber nicht auszuschließen ist, dass das Klagsfahrzeug bereits anfuhr, ehe das Beklagtenfahrzeug sich daran vorbeibewegte, und sich die Fahrbahn ja in der Folge dann zusehends verengte, wäre ein geringerer Seitenabstand zwischen Klags- und Beklagtenfahrzeug denkbar, allerdings wegen der Unmöglichkeit einer Feststellung der Position der Fahrzeuge vor dem Inbewegungsetzen des Klagsfahrzeuges zueinander nicht erweislich.“

Somit blieb es aber offen, ob der Erstbeklagte ein Überholmanöver mit einem nicht wesentlich unter 50 cm liegenden Seitenabstand zum Fahrzeug des Klägers durchgeführt hat oder in diesem Abstand am stehenden Fahrzeug des Klägers vorbeifahren wollte und die Kollision durch ein plötzliches Rechtsverlenken des anfahrenden Klägers - siehe oben - herbeigeführt wurde.

Nach ständiger Judikatur trifft jede Partei, die ein von der Gegenseite zu vertretendes Verschulden geltend macht, für jene Tatumstände die Beweislast, auf die sie ihren Verschuldensvorwurf gründet. Ungeklärt gebliebene Einzelheiten können nicht Grundlage einer Verschuldenshaftung bilden. Bei der Beurteilung des Verschuldens ist vielmehr jeweils von der für den Betroffenen günstigeren Annahme auszugehen (8 Ob 4/79; 2 Ob 228/80; 2 Ob 158/82 ua).

Demgemäß ist auch hier die für den Erstbeklagten günstigere Variante zugrundezulegen. Nach dieser ist er aber unter Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von 30 km/h und eines Seitenabstands von nicht wesentlich unter 50 cm am stehenden Fahrzeug des Klägers vorbeigefahren. Eine solche Vorbeifahrt ist noch nicht zu beanstanden, weil dies auch der Kläger in seiner Revision selbst einräumt. Fehlt es aber auch an einem Verschulden des Erstbeklagten am Unfall dann ist im Sinne der zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts im Rahmen der Gefährdungshaftung gemäß § 11 EKHG eine Abwägung dahin vorzunehmen, bei welchem der Fahrzeuge die Betriebsgefahr größer war. Bei gleich großer Betriebsgefahr der Fahrzeuge - hier handelt es sich um zwei PKW - ist der Schaden aber im Sinne der ständigen Rechtsprechung im Verhältnis von 1:1 zu teilen (ZVR 1974/58; 1978/186; 2 Ob 158/82 ua).

Somit erweist sich das angefochtene Urteil aber frei von Rechtsirrtum.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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