Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.783,68 (darin enthalten S 797,28 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 29.Dezember 1990 ereignete sich im Bereich der P***** Straße in K***** ein Unfall zwischen dem damals knapp zweijährigen Kläger, der auf einer Plastikbobschale rodelnd auf die Fahrbahn dieser Straße geriet, und einem vom Zweitbeklagten gelenkten und gehaltenen und bei der Erstbeklagten haftpflichtversicherten PKW. Die Fahrbahn der P***** Straße ist 3,8 m breit, sie war zur Unfallszeit vereist und nicht frisch gestreut, teilweise war alter Rollsplit vorhanden. In der Fahrbahnmitte und an den Rändern lag Schnee. Im näheren Unfallsbereich befinden sich weder Gebäude noch Grundstückszufahrten. Für den Bereich der Unfallsstelle waren Verkehrstafeln mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h aufgestellt, denen jedoch keine behördliche Verordnung zugrunde lag. Der Zweitbeklagte hielt eine Geschwindigkeit von 45 km/h ein. Der vom Kläger mit dem Plastikbob befahrene Hang ist aus der Richtung des Zweitbeklagten zufolge eines dort befindlichen Zaunes nur bis auf eine Tiefe von 10 m ab einer Distanz von ca. 20 bis 25 m einzusehen. 24,8 m bzw 2 Sekunden vor der Kollision bemerkte der Zweitbeklagte den Kläger, der sich zu diesem Zeitpunkt 2 bis 3 m östlich (rechts) des Fahrbahnrandes befand und sich mit etwa 10 bis 11 km/h annähernd im rechten Winkel zur Straße näherte. Der Zweitbeklagte reagierte prompt mit einer Vollbremsung und konnte seine Geschwindigkeit bei einer erzielbaren Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 auf 37 km/h im Kollisionszeitpunkt verringern. Hätte er eine Geschwindigkeit von 30 km/h eingehalten, wäre es ihm möglich gewesen, sein Fahrzeug 2,5 m vor dem Schnittpunkt der beiden Fahrlinien anzuhalten. Die Vereeisung der Fahrbahn ist dem Zweitbeklagten erst beim Aussteigen nach dem Unfall aufgefallen, obwohl für ihn der Straßenzustand nach Einbiegen in die P***** Straße erkennbar gewesen wäre.
Der Kläger begehrt von den Beklagten Zahlung von S 52.500 mit der Behauptung, der Zweitbeklagte sei im Unfallsbereich zu schnell gefahren.
Die Beklagten beantragten die Abweisung der Klage, weil der Zweitbeklagte eine zulässige Geschwindigkeit eingehalten und unverzüglich reagiert habe. Die im Bereich der Unfallstelle angebrachte Verkehrstafel mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h sei nicht verordnet gewesen.
Die Vorinstanzen haben ausgehend von dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt dem Klagebegehren stattgegeben.
Das Erstgericht verneinte zwar ein Verschulden des Zweitbeklagten, weil eine verbindliche Geschwindigkeitsbschränkung auf 30 km/h im Bereich der Unfallstelle nicht verordnet gewesen sei. Er hafte allerdings nach den Bestimmungen des EKHG; eine Haftungsbefreiung nach § 9 Abs 2 EKHG komme nicht zum Tragen, weil der Zweitbeklagte nicht die äußerste und nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt aufgewendet habe. Diese erhöhte Sorgfaltspflicht setze nicht erst in der Gefahrenlage selbst ein, sondern verlange, daß von vornherein vermieden werde, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen könne. Ein besonders sorgfältiger Kraftfahrer, dem der Mangel der rechtsverbindlichen Kraft der kundgemachten Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h nicht bekannt gewesen sei, hätte sich zweifellos an die vermeintlich erlaubte Höchstgeschwindigkeit gehalten. Der Entlastungsbeweis scheitere aber auch daran, daß der Zweitbeklagte die bestehende Fahrbahnglätte trotz objektiver Erkennbarkeit nicht sofort nach dem Einbiegen in die P***** Straße, sondern erst nach dem Unfall, erkannt habe. Einen den äußersten Sorgfaltserfordernissen Rechnung tragender Kraftfahrer hätte sich anders verhalten und seine Fahrweise durch Herabsetzen der Geschwindigkeit den Straßenverhältnissen optimal angepaßt. Bei Einhalten einer Geschwindigkeit von 30 km/h wäre der Unfall vermeidbar gewesen. Die Einhaltung dieser Geschwindigkeit sei unter Anwendung des vom Gesetz geforderten strengen Maßstabes, ohne Überspannung der Sorgfaltspflicht, zu fordern.
Das Berufungsgericht teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes. Bei der Prüfung, ob jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet worden sei, sei von der Sachlage vor dem Unfall auszugehen und nicht rückblickend zu beurteilen, ob der Unfall bei anderem Verhalten vermieden worde wäre. Es komme darauf an, ob auch für einen besonders sorgfältigen Fahrer bei der gegebenen Sachlage der geschehene Unfall unvermeidbar gewesen sei, wobei an diese Sorgfaltspflichten strengste Anforderungen zu stellen seien. Ein besonders aufmerksamer Fahrzeuglenker sei auf einer bloß 3,8 m breiten und vereisten Straße, auf der nur eine Bremsverzögerung von 1,5 m/sec2 bis 2,5 m/sec2 erzielt werden konnte und für die eine zwar nicht verordnete, aber durch ein Vorschriftszeichen kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h bestand, jedenfalls gehalten gewesen, eine erheblich geringere Geschwindigkeit als 45 km/h einzuhalten.
Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil zur Frage, inwieweit eine zwar kundgemachte, aber nicht auf einer Verordnung beruhende Geschwindigkeitsbeschränkung den Lenker eines Kraftfahrzeuges doch zur Anwendung besonderer Sorgfalt verpflichte, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der beklagten Parteien mit dem Antrag, sie dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt dem Rechtsmittel der Beklagten keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Revisionswerber vertreten weiterhin den Standpunkt, den Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG erbracht zu haben, weil für den Zweitbeklagten aufgrund der besonderen Umstände (übersichtlicher und einsichtbarer Fahrbahnverlauf, keine Gebäude beiderseits der Fahrbahn, keine Grundstückszufahrten sowie keine im Sichtbereich befindlichen Verkehrsteilnehmer und Personen) nicht vorhersehbar gewesen sei, er könne in eine Gefahrensituation geraten oder eine solche schaffen. Dem Zweitbeklagten könne auch die Überschreitung der mangels Verordnung nicht rechtsgültigen Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h nicht vorgeworfen werden, weil der Großvater des Klägers nicht auf die Einhaltung der 30 km/h-Beschränkung vertraut habe.
Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Nach § 9 Abs 2 EKHG ist eine Haftung der beklagten Parteien dann anzunehmen, wenn der Halter oder der Lenker nicht jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat. In einem solchen Fall liegt kein unabwendbares Ereignis im Sinne der zitierten Gesetzesstelle vor. Unter "jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt" ist die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt zu verstehen. Der Unfall muß also auch für einen besonders sorgfältigen Fahrer bei gegebener Sachlage unvermeidbar sein (Apathy, Kommentar zum EKHG, § 9 Rz 15, ZVR 1992/12, ZVR 1982/281 uza). Zur Haftungsbefreiung muß daher die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare Sorgfalt eingehalten worden sein. Diese Sorgfaltspflicht setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß von vornherein vermieden wird, in eine Lage zu kommen, aus der Gefahr entstehen kann (Apathy aaO Rz 16, ZVR 1991/133). Insbesondere wurde bereits entschieden, daß die äußerste Sorgfalt bei Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit eines Kraftfahrzeuges auf einer engen und vereisten Fahrbahn (vgl dazu die ähnliche Fallkonstellation in ZVR 1984/323) nicht eingehalten wurde.
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann von der Erbringung des den Beklagten obliegenden Entlastungsbeweises keine Rede sein.
Der Zweitbeklagte hat trotz erkennbarer Vereisung der nur 3,8 m breiten Straße die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit nahezu ausgeschöpft, obwohl wegen der herrschenden Straßenverhältnisse nur eine Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 erzielbar war. Zudem war ihm bekannt, daß sich im Bereich der von ihm befahrenen Straße eine Rodelbahn befindet. Schließlich kann bei Beurteilung der Frage, ob der Zweitbeklagte im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beobachtet hat, auch das angebrachte Vorschriftszeichen, nach welchem die erlaubte Höchstgeschwindigkeit 30 km/h war, nicht unberücksichtigt bleiben, auch wenn dieses Zeichen durch keine Verordnung gedeckt war. Von der Einhaltung der äußersten nach den Umständen des Falles möglichen und zumutbaren Sorgfalt kann daher keine Rede sein.
Die Vorinstanzen haben daher zutreffend die Haftung der Beklagten bejaht, weshalb der Revision ein Erfolg zu versagen war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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