OGH 2Ob242/68

OGH2Ob242/6826.9.1968

SZ 41/119

Normen

Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §20
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §1
Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz §20

 

Spruch:

Der Gerichtsstand des § 20 EKHG. kann auch für eine Klage, gegen denjenigen herangezogen werden, der ein im Betrieb befindliches Kraftfahrzeug beschädigt hat.

Entscheidung vom 26. September 1968, 2 Ob 242/68.

I. Instanz: Bezirksgericht Bludenz; II. Instanz: Landesgericht Feldkirch.

Text

Mit der vorliegenden Klage begehrt die klagende Partei den Ersatz von Schäden, die ihr nach den Klagsbehauptungen an einem ihr gehörigen PKW. dadurch entstanden, daß dessen Lenker durch den die Straße an einer unübersichtlichen Kurve mit angeschnallten Schiern überquerenden Beklagten zu Brems- und Ausweichhandlungen gezwungen wurde, in deren Folge das Fahrzeug umstürzte.

Die Zuständigkeit des Erstgerichtes grundete die klagende Partei auf § 101 JN. (Gerichtsstand der Gegenseitigkeit für Klagen gegen Ausländer) im Zusammenhang mit § 32 DZPO. (Besonderer Gerichtsstand des Tatortes). Hilfsweise wurde die Zuständigkeit nach § 20 EKHG. in Anspruch genommen.

Der vom Beklagten u. a. erhobenen Unzuständigkeitseinrede gab das Erstgericht statt. Es sprach seine - örtliche - Unzuständigkeit aus und wies die Klage zurück. Unter Hinweis auf die Lehrmeinung Faschings (Komm. I S. 487 f.) vertrat es den Standpunkt, daß sich § 101 JN. als eine Norm nicht der materiellen, sondern der formellen Gegenseitigkeit darstelle und deutsche Staatsangehörige im Inland nicht nach dieser Bestimmung beim Gericht des Tatortes auf Schadenersatz belangt werden können, weil § 32 DZPO. keine, auf Ausländer beschränkte Zuständigkeitsnorm sei, sondern in bezug auf die Staatsangehörigkeit des Beklagten nicht unterscheide.

Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes könne auch nicht auf § 20 EKHG. gestützt werden, weil der Beklagte weder Halter noch Lenker eines beim Unfall beteiligten Kraftfahrzeuges gewesen sei.

Dem Rekurs der klagenden Partei, der sich ausführlich mit der in Lehre und Rechtsprechung widersprüchlich beantworteten Frage auseinandersetzte, ob § 101 JN. formelle oder materielle Gegenseitigkeit statuiere, gab die zweite Instanz Folge. Sie hob den angefochtenen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens auf. Nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes und der Anmerkung 1 Zu § 101 ZPO. in der von Stagel - Michlmayr besorgten Gesetzesausgabe (MGA.[12]) schloß sie sich der überwiegenden Rechtsprechung an, wonach § 101 ZPO. im Sinn materieller Gegenseitigkeit auszulegen sei, der in Rede stehende Gerichtsstand daher hinsichtlich aller im Ausland gegen österreichische Staatsangehörige zugelassenen Gerichtsstände gelte. Der Begriff der unerlaubten Handlung (§ 32 DZPO.) umfasse auch die bürgerlichrechtliche Haftung aus oder ohne Verschulden. Die vom Erstgericht vermißte ausdrückliche Behauptung, daß der Beklagte deutscher Staatsangehöriger sei, könne den von der klagenden Partei für die Begründung der Zuständigkeit angezogenen Gesetzesbestimmungen im Zusammenhalt mit den Angaben über den Wohnort des Beklagten entnommen werden.

Auf den Hinweis des Rekurswerbers, die Zuständigkeit vermöge auch auf § 20 EKHG. gestützt zu werden, weil aus dem Schadensfall abgeleitete Ansprüche außer gegen den Halter auch gegen einen sonstigen Ersatzpflichtigen gerichtet werden könnten, ging das Rekursgericht überhaupt nicht ein.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revisionsrekurs wendet sich gegen die Ansicht, daß bei der Anwendung des § 101 JN. von materieller Gegenseitigkeit auszugehen sei. Die klagende Partei habe überdies gar nicht behauptet, daß der Beklagte deutscher Staatsangehöriger sei.

Auf diese Fragen braucht jedoch nicht eingegangen zu werden, weil die Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes schon nach § 20 EKHG. gegeben ist. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 2 Ob 201/62 zum Ausdruck gebracht hat, kann aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage Nr. 470 der Beilagen zu den sten. Prot. des Nationalrates VIII. GP., und aus der Formulierung des zweiten Satzes des § 20 EKGH. nicht gefolgert werden, daß durch letztere Bestimmung lediglich die in Lehre und Rechtsprechung (vgl. hiezu Schima in ZVR. 1956 Nr. 65 und in JBl. 1957 S. 134; Fasching in ZVR. 1958 S. 42 ff., Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. Juli 1956, ZVR. 1957 Nr. 24 = RiZ. 1956 S. 176 = JBl. 1957 S.

133) entgegengesetzt beantwortete Frage, ob vor dem Wahlgerichtsstand des § 20 KfzVerkG. ausschließlich auf das besondere Haftpflichtrecht gegrundete Ansprüche oder zugleich mit solchen auch andere, etwa auf das bürgerliche Recht gestützte Ansprüche, geltend gemacht werden können, im Sinne der letzterwähnten Ansicht geklärt worden sei. Die Ausführungen zur Regierungsvorlage, die lediglich den Fall der Geltendmachung von auf verschiedener Rechtsgrundlage beruhenden Ansprüchen aus demselben Unfall im Auge hatten, fanden im Wortlaut des Gesetzes, das von anderweitigen aus dem Schadensfall abgeleiteten Klageansprüchen spricht, keinen Niederschlag. Als maßgebend kann daher nur der objektive Sinn des gehörig kundgemachten Gesetzeswortlautes angesehen werden. Bei der parlamentarischen Gesetzgebung tritt ja die außerordentliche Bedeutung des Wortlautes als der einzigen gemeinsamen Absicht jener Personen hervor, die die Arbeit des Gesetzgebers leisten und die seinen Willen bilden. Der Gesetzeswortlaut ist oft nichts anderes als eine Kompromißformel, von der die an der Gesetzgebung beteiligten Personen widersprechende Vorstellungen haben (Schwind, Festschrift zur 100-Jahr-Feier des österreichischen OGH., S. 272).

Der "Schadensfall" als Folge des Unfalles ist gegeben, wenn beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt wird (§ 1 EKHG.). Die beschädigte Sache kann aber auch das Kraftfahrzeug selbst sein. Der Formulierung des zweiten Satzes des § 20 EKHG. ist daher nur der Sinn zu entnehmen, daß beim Gerichte des Unfallortes beliebige Schadenersatzansprüche gegen alle an einem Eisenbahn- oder Kraftfahrzeugunfall beteiligten Personen geltend gemacht werden können. Dies entspricht auch der Erwägung, daß für eine ungleiche Behandlung der Klagemöglichkeit des durch ein Kraftfahrzeug Verletzten und gegen denjenigen, der ein im Betrieb befindliches Kraftfahrzeug beschädigt hat, kein Grund besteht. Die dem § 20 EKHG. allgemein innewohnende Tendenz, die rasche Aufklärung des Sachverhaltes durch das nächstgelegene Gericht zu ermöglichen, trifft für alle diese Fälle gleichermaßen zu.

Der Oberste Gerichtshof hat daher bereits in der angeführten Entscheidung 2 Ob 201/62 die Anwendung des § 20 2. Satz EKHG. auf den Fall gutgeheißen, daß der Kaskoversicherer des Halters gemäß § 67 VersVG. denjenigen auf Schadenersatz klagt, der das Kraftfahrzeug eigenmächtig in Betrieb genommen und dabei beschädigt hat. Desgleichen wurde auf die Klage gegen die Treiberin einer Kuhherde wegen eines Autounfalles diese Gesetzesstelle angewendet (2 Ob 367/64 = ZVR. 1965 Nr. 171). Es besteht aus den erwähnten Überlegungen kein Anlaß, den vorliegenden Fall anders als die zu 2 Ob 201/62 und 2 Ob 367/64 entschiedenen Rechtssachen zu behandeln.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte