Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.
Text
Begründung
Der Ehegatte der Klägerin wurde am 17. Mai 1988 bei einem Verkehrsunfall getötet. Gestützt auf das Alleinverschulden des Erstbeklagten, der einen von der zweitbeklagten Partei gehaltenen, bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten LKW-Zug lenkte, stellte die Klägerin ein Leistungsbegehren (Todfallskosten und Unterhaltsentgang, der für die Vergangenheit in Form eines Kapitalbetrages und für die Zukunft als Rente gefordert wurde) und ein Feststellungsbegehren.
Das Erstgericht erkannte die zweit- und die drittbeklagte Partei zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin S 21.735,60 samt Zinsen (ein Drittel der Todfallskosten) zu bezahlen. Außerdem sprach es aus, daß diese beiden Beklagten der Klägerin zur ungeteilten Hand für ein Drittel der künftigen Schäden, begrenzt mit dem Haftungshöchstbetrag nach § 15 Abs. 1 Z 2 EKHG, haften. Die gegen den Erstbeklagten gerichteten Begehren sowie das Leistungs- und Feststellungsmehrbegehren gegenüber der zweit- und der drittbeklagten Partei wurden abgewiesen. Das Erstgericht stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Erstbeklagte lenkte den LKW-Zug auf dem rechten der beiden für seine Fahrtrichtung bestimmten Fahrstreifen mit einem Seitenabstand von einem Meter zum rechten Fahrbahnrand, hielt an der Haltelinie vor einer Kreuzung wegen Rotlichts an und blieb in dieser Position etwa eine Minute. Bereits 200 m vor der Kreuzung hatte er den rechten Blinker eingeschaltet. Der Ehegatte der Klägerin fuhr mit dem Fahrrad in der selben Richtung, schloß von hinten auf und begann am LKW-Zug rechts vorbeizuführen. Als er sich neben dem LKW-Zug befand, schaltete die Verkehrsampel auf Grünlicht, der Erstbeklagte setzte den LKW-Zug in Bewegung, fuhr ca. 7 m geradeaus und begann dann nach rechts einzubiegen. Ob der Erstbeklagte in den rechten Außenspiegel schaute, konnte nicht festgestellt werden, er nahm den Radfahrer jedenfalls nicht wahr. Im Moment des Anfahrens bei der Haltelinie hätte der Erstbeklagte den Radfahrer im Rückspiegel sehen können. Ob der Erstbeklagte beim Beginn des Rechtseinbiegens den Radfahrer hätte sehen können oder ob sich dieser im "toten Winkel" befand, ist nicht feststellbar. Der Radfahrer kam durch den einbiegenden LKW zu Sturz und wurde überrollt.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, den Erstbeklagten treffe kein Verschulden, er habe das Rechtsabbiegemanöver korrekt durchgeführt, er habe nicht damit rechnen müssen, unzulässig rechts überholt zu werden. Überdies stehe nicht fest, daß er den Radfahrer beim Beginn des Rechtsabbiegens überhaupt hätte sehen können. Die gegen ihn gerichteten Begehren seien daher abzuweisen. Die zweit- und die drittbeklagte Partei hätten den Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG nicht erbracht. Den Radfahrer treffe ein Verschulden. Er sei am LKW-Zug rechts vorbeigefahren, das Vorbeifahren sei dadurch, daß der LKW in Bewegung gesetzt worden sei, zu einem Überholen geworden. Wegen des in Betrieb befindlichen rechten Blinkers hätte der Radfahrer es unterlassen müssen, rechts vorbeizufahren bzw. zu überholen. Der Radfahrer habe auch gegen § 12 Abs. 5 aF StVO verstoßen, da er am angehaltenen LKW-Zug vorbeigefahren sei. Eine Schadensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu Lasten der Klägerin sei gerechtfertigt. Auf Grund des Mitverschuldens des Getöteten und der Leistungen des Sozialversicherungsträgers habe die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz eine Unterhaltsentganges.
Das Berufungsgericht gab den von der Klägerin sowie von der zweit- und der drittbeklagten Partei erhobenen Berufungen nicht Folge. Es erachtete die Verfahrens- und die Beweisrüge für nicht berechtigt und billigte die Ansicht des Erstgerichtes, den Erstbeklagten treffe kein Verschulden, der zweit- und der drittbeklagten Partei sei aber der Entlastungsbeweis nicht gelungen. Auch das Berufungsgericht vertrat die Ansicht, dem Radfahrer sei ein Verschulden anzulasten. Er habe zwar nicht gegen § 12 Abs. 5 aF StVO verstoßen, weil das Verbot dieser Vorschrift nur gelte, wenn mehrere Fahrzeuge angehalten hätten. Wohl aber treffe es zu, daß aus dem Vorbeifahren am stehenden LKW ein (versuchtes) Überholen geworden sei. Da am LKW-Zug der Blinker in Tätigkeit gewesen sei, hätte der Radfahrer das Rechtsüberholen auch nicht einleiten dürfen. Er habe daher gegen § 15 Abs. 1 StVO verstoßen. Mit der 15. StVO-Novelle sei den Radfahrern die Erlaubnis gegeben worden, vor der Kreuzung an haltenden Fahrzeugen vorbeizufahren und gleichzeitig die Verpflichtung auferlegt worden, jene Fahrzeuglenker, die ihre Absicht zum Abbiegen nach rechts angezeigt haben, beim Abbiegen nicht zu behindern. Dies bedeute daher nunmehr, daß sie den die Abbiegeabsicht ordnungsgemäß anzeigenden Fahrzeuglenkern die Durchführung des Abbiegevorganges ermöglichen müssen. Obwohl diese Regelung zur Zeit des Unfalles noch nicht erlassen worden sei, könne das Verhalten des Radfahrers im Ergebnis nicht anders beurteilt werden, weil die Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen angezeigten Abbiegeabsicht des Erstbeklagten dem Radfahrer als auffallende Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern zugerechnet werden müsse. Dieses "Eigenverschulden" des Getöteten wiege gegenüber einer allfälligen Verletzung der beim Abbiegen anzuwendenden Vorsicht und Aufmerksamkeit des Erstbeklagten so schwer, daß es vernachlässigt werden könne. Der Erstbeklagte hafte somit nicht. Im Hinblick auf das Verschulden des Radfahrers und die Haftung der zweit- und drittbeklagten Partei nach den Vorschriften des EKHG sei die vom Erstgericht vorgenommene Schadensteilung sachgerecht. Die Revision sei zuzulassen, weil die Entscheidung über das Verhältnis Verschuldenshaftung - Gefährdungshaftung nach dem EKHG unter den obwaltenden Sachverhaltsgrundlagen zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung doch von erheblicher Bedeutung sei.
Sowohl die von der Klägerin als auch von der zweit- und der drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revisionen sind nicht zulässig.
Gemäß § 7 EKHG führt ein Mitverschulden des Geschädigten bzw. des Getöteten zur Anwendung des § 1304 ABGB, also zu einer Schadensteilung. Die im vorliegenden Fall "obwaltenden Sachverhaltsgrundlagen" führen nicht dazu, daß eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO vorliegt. Vielmehr hat die Frage, in welchem Verhältnis hier der Schaden zu teilen ist, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung. Der vom Berufungsgericht angeführte Grund rechtfertigt daher die Zulassung der Revisionen nicht. Aber auch keine der Parteien vermag mit ihrer Revision Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen.
Zur Revision der Klägerin:
Mit dem Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens werden angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz geltend gemacht, deren Vorliegen das Berufungsgericht verneinte. Nach ständiger Rechtsprechung können diese Mängel nicht neuerlich in der Revision gerügt werden (ZVR 1989/30 uva).
Richtig ist, daß der Erstbeklagte im Moment des Losfahrens die Möglichkeit gehabt hätte, den Radfahrer im Rückspiegel zu sehen. Darin, daß der Erstbeklagte, der rechtzeitig den rechten Blinker betätigt hatte und auf dem rechten Fahrstreifen eingeordnet war, nicht im Moment des Losfahrens in den Rückspiegel blickte, liegt aber noch kein Verschulden.
Den Ausführungen der Klägerin, die Annahme, ihr Ehegatte habe versucht, rechts zu überholen, sei durch die Beweisergebnisse nicht gedeckt, ist entgegenzuhalten, daß sich der Radfahrer am LKW-Zug auch nach dessen Losfahren vorbeibewegte, was gemäß § 2 Abs. 1 Z 29 StVO ein Überholen darstellt. Im übrigen hat das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, daß der Radfahrer dadurch, daß er die ordnungsgemäß angezeigte Einbiegeabsicht des Erstbeklagten nicht beachtete, auffallend sorglos handelte und ihm daher ein schweres "Eigenverschulden" anzulasten ist. Bei der Beurteilung des Verschuldens ist zusätzlich noch darauf hinzuweisen, daß dem Radfahrer nur ein ein Meter breiter Streifen zur Verfügung stand, so daß er sehr knapp am LKW-Zug vorbeigefahren sein muß, obwohl beim Vorbeifahren gemäß § 17 Abs. 1 StVO die beim Überholen zu beachtenden Vorschriften über die Einhaltung eines Sicherheitsabstandes gelten.
Mit ihren Ausführungen, den Erstbeklagten treffe ein Verschulden, den Radfahrer hingegen nicht, macht die Klägerin daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs. 1 ZPO geltend.
Rechtliche Beurteilung
Zur Revision der zweit- und der drittbeklagten Partei:
Die Revisionswerber vertreten die Ansicht, ginge man von einem Verschulden des Erstbeklagten aus, dann wäre dieses so gering, daß eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 4 oder 1 : 3 vorgenommen werden müßte. Es könne nicht Sinn der Rechtslage sein, bei Verneinung eines Verschuldens auf Grund der Haftung nach dem EKHG eine für die beklagten Parteien ungünstigere Schadensteilung vorzunehmen. Diese Ausführungen sind unberechtigt, da die Behauptung, bei Verschulden des Erstbeklagten wäre eine für die Beklagten günstigere Schadensteilung vorgenommen worden, keinerlei Grundlage hat.
Zur Frage, ob den Beklagten ein Entlastungsbeweis gelungen ist, haben bereits die Vorinstanzen ausgeführt, es stehe nicht fest, ob der Erstbeklagte überhaupt in den Rückspiegel geblickt habe. Hätte er dies getan, dann hätte er im Moment des Losfahrens und möglicherweise auch im Zeitpunkt des Rechtseinbiegens den Radfahrer sehen können. Überdies ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung die Sorgfaltspflicht des § 9 Abs. 2 EKHG nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt ist (ZVR 1984/243 uva).
Als Mangel des Verfahrens rügen die zweit- und die drittbeklagte Partei das Fehlen einer Feststellung, daß der Erstbeklagte im Zeitpunkt des Anfahrens in den rechten Rückspiegel blickte und den Radfahrer nicht sah. Mit diesen Ausführungen wird kein Verfahrensmangel geltend gemacht. Es liegt aber auch kein Feststellungsmangel vor, weil das Erstgericht nicht feststellen konnte, ob der Erstbeklagte in den Rückspiegel blickte. In Wahrheit wird hier also in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung bekämpft.
Aus diesen Gründen waren beide Revisionen zurückzuweisen, ohne daß dies einer eingehenderen Begründung bedürfte (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Keiner der Parteien steht ein Kostenersatzanspruch für die erstattete Revisionsbeantwortung zu, weil darin auf die Unzulässigkeit der Revision des Gegners nicht hingewiesen wurde.
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