OGH 2Ob227/11p

OGH2Ob227/11p8.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manfred G*****, vertreten durch Pitzl & Huber Anwaltspartnerschaft (OG) in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. W***** Versicherungs AG *****, vertreten durch Dr. Helmut Trenkwalder, Rechtsanwalt in Linz, und 2. Elisabeth B*****, vertreten durch Dr. Walter Mörth, Mag. Dr. Georg Buder, Rechtsanwälte in Linz, wegen 91.293,60 EUR sA, über die Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. September 2011, GZ 2 R 40/11g-139, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 29. Dezember 2010, GZ 5 Cg 80/10z-135, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden im Ausmaß des Zuspruchs von 18.890,82 EUR aufgehoben und wird die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger wurde bei einem Unfall am 25. August 1990, an dem die Zweitbeklagte das Alleinverschulden trifft, schwer verletzt. Die Erstbeklagte ist Haftpflichtversicherer des von der Zweitbeklagten gelenkten und gehaltenen Fahrzeugs. Die Beklagten haften für alle künftigen Folgen aus diesem Verkehrsunfall. Die vertragliche Versicherungssumme der Erstbeklagten betrug im Unfallszeitpunkt 12 Mio ATS = 872.074,01 EUR. Davon wurde bislang ein Betrag von 429.000 EUR verbraucht. Für allfällige zukünftige Kapitalforderungen der Pensionsversicherungsanstalt und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse hat die Erstbeklagte einen Betrag von insgesamt 30.000 EUR zurückzustellen. Dabei handelt es sich um Kapitalforderungen.

Der monatliche Nettoverdienstentgang des Klägers im Zeitraum Oktober 2003 bis einschließlich Dezember 2006 betrug 1.500 EUR. Der Verdienstentgang des Klägers - bei Ausbezahlung im Jahr 2011 - ergibt einen jährlichen Bruttobetrag von 27.782,85 EUR und für den Zeitraum Oktober 2003 bis einschließlich Dezember 2006 91.293,60 EUR.

Der Kläger begehrt 91.293,60 EUR sA an Verdienstentgang für den Zeitraum Oktober 2003 bis einschließlich Dezember 2006. Der Betrag beziehe sich auf die Vergangenheit und stelle eine Kapitalsumme dar und keine Rente, sodass er bezogen auf die Erstbeklagte nicht zu kürzen sei, da die Versicherungssumme bisher nicht erschöpft sei.

Die Beklagten bestritten dies.

Die erstbeklagte Haftpflichtversicherung brachte vor, der geltend gemachte Anspruch des Klägers sei eine Rentenforderung, die aufgrund der zur Verfügung stehenden Versicherungssumme gemäß § 156 Abs 3 VersVG zu kürzen sei. Die Sozialversicherungsträger, auf die Ansprüche ex lege übergegangen seien, seien Dritte im Sinn der genannten Bestimmung.

Die zweitbeklagte Lenkerin und Halterin des Kfz legte dar, dass eine Anspruchskürzung gegenüber der Erstbeklagten unzulässig sei, weil keine Rente begehrt werde. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz fällige Beträge seien grundsätzlich als Kapitalforderung anzusehen. Auch seien Ansprüche mehrerer Dritter nicht vorhanden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Zwar sei ein Sozialversicherungsträger als Dritter iSd § 156 Abs 3 VersVG anzusehen, der Kläger mache aber keine Verdienstentgangsrente geltend, sondern nur Beträge für die Vergangenheit, die als Kapitalforderung anzusehen seien. Eine Kürzung iSd § 155 Abs 1 sowie § 156 Abs 3 VersVG sei nicht vorzunehmen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Rentenkürzung nach § 155 Abs 1 VersVG setze voraus, dass die Verpflichtung zu einer Renten- anstatt einer Kapitalzahlung bestehe. Die bis zum Schluss der Verhandlung erster Instanz angefallenen Verdienstentgangsbeträge seien als Kapitalforderung und nicht als Rentenforderung zu behandeln. Nach der Judikatur zu § 156 Abs 3 VersVG müsse ein Verdienstentgang zwar als Rentenschaden im „technischen“ Sinn behandelt werden, und zwar sowohl hinsichtlich bereits geleisteter als auch noch zu leistender Renten, allerdings seien den dazu veröffentlichten Entscheidungen jeweils echte Rentenbegehren für die Zukunft zu Grunde gelegen, mit denen ein betragsmäßig geringes Kapitalbegehren für die Vergangenheit verbunden gewesen sei. Hier werde dagegen lediglich Verdienstentgang für die Vergangenheit und kein Rentenbegehren für die Zukunft gestellt. Ein Rückgriff auf diese Judikatur sei auch deshalb nicht angezeigt, weil der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 84/04y zum Ausdruck gebracht habe, dass für den Einwand des Deckungskonkurses nur in Verfahren Platz sei, deren Gegenstand ein Rentenbegehren bilde, nicht aber ein Begehren für einen genau bestimmten Zeitraum. Soweit der Oberste Gerichtshof in 2 Ob 207/09v ausgesprochen habe, dass beim Deckungskonkurs auch künftig zu erwartende Forderungen zu berücksichtigen seien, habe sich der Anlassfall ebenfalls erheblich unterschieden und es lägen daher insgesamt die Voraussetzungen für eine Anspruchskürzung nach § 156 Abs 3 VersVG nicht vor.

Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil der Frage, ob ein Verdienstentgangsbegehren für die Vergangenheit einer Anspruchskürzung nach § 156 Abs 3 VersVG unterliege, über den konkreten Fall hinaus Bedeutung zukomme.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Erstbeklagten insoweit, als sie eine Abweisung des Zuspruchs im Umfang von 18.890,82 EUR, in eventu eine Aufhebung in diesem Umfang anstrebt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Zweitbeklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage des „Deckungskonkurses“ in der hier vorliegenden Konstellation eines Verdienstentgangsbegehrens ausschließlich für die Vergangenheit oberstgerichtliche Judikatur - soweit ersichtlich - nicht vorliegt; sie ist auch berechtigt im Sinne des Aufhebungsantrags.

Die Revisionswerberin macht geltend, dass ein Deckungskonkurs iSd § 156 Abs 3 VersVG vorliege. Es seien nicht nur bereits geltend gemachte und festgestellte, sondern auch zukünftig zu erwartende Forderungen durch Bildung einer Rücklage zu berücksichtigen. Aufgrund dieser Rechtsgrundsätze sei im vorliegenden Fall eine Kürzung des Verdienstentgangs vorzunehmen.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 155 Abs 1 VersVG kann der Versicherungsnehmer, wenn er einem Dritten zur Gewährung einer Rente verpflichtet ist und die Versicherungssumme den Kapitalwert der Rente nicht erreicht, nur den verhältnismäßigen Teil der Rente verlangen. Nach § 156 Abs 3 VersVG hat der Versicherer, wenn mehrere Dritte vorhanden sind, deren Forderungen aus der Verantwortlichkeit des Versicherungsnehmers die Versicherungssumme übersteigen, die Forderungen nach dem Verhältnis ihrer Beträge zu berichtigen.

Rente ist nach der Judikatur eine periodische Leistung, die weder Teilabtragung eines Kapitals (Raten) noch Nebenleistung zu einer Kapitalschuld (Zinsen) ist, neben der also eine Kapitalschuld überhaupt nicht besteht (RIS-Justiz RS0058400).

Reicht die Versicherungssumme nicht aus, könnte bei einer Rente der Fall eintreten, dass der Versicherer für die volle Rente solange Deckung gewähren müsste, bis die Versicherungssumme erschöpft ist. Der Gesetzgeber hat aber in § 155 Abs 1 VersVG eine andere Regelung getroffen, um die Versorgung des geschädigten Dritten zu gewährleisten: Es ist versicherungsmathematisch eine Rente festzustellen, deren Kapitalwert der in Betracht kommenden Versicherungssumme entspricht. Diese herabgesetzte Rente ist auch dann zu leisten, wenn die Versicherungssumme erschöpft ist. Dadurch will das Gesetz verhindern, dass ein Fall eintritt, in dem für die Rente überhaupt keine versicherungsmäßige Deckung besteht (2 Ob 84/04y mwN). In diesem Fall darf die Rente also in betraglicher, nicht aber in zeitlicher Hinsicht gekürzt werden (RIS-Justiz RS0080737). Durch dieses Verfahren wird gewährleistet, dass der Dritte die ihm zuerkannte Rente in jedem Fall wenigstens teilweise erhält, und es wird vermieden, dass der sorglose Versicherungsnehmer, der keine Rücklagen bildet, finanziell ruiniert wird (2 Ob 84/04y). Das Kürzungsverfahren nach § 155 Abs 1 VersVG stellt sich im Hinblick auf die langfristig wirkende Berechnung notwendig als im gewissen Sinne spekulativ dar. So muss sich der schadenersatzpflichtige Versicherungsnehmer an der Rentenzahlung beteiligen, obwohl der Rentenberechtigte früher sterben kann und die Deckungssumme dann noch nicht erschöpft ist. Andererseits hat der Versicherer anteilig weiter zu zahlen, wenn der Anspruchsberechtigte länger lebt als berechnet und die Versicherungssumme ausgeschöpft ist (2 Ob 84/04y).

Lediglich im Zusammenhang mit der Präklusion des Einwands des Deckungskonkurses wurde in 2 Ob 84/04y ausgeführt, dass es zu einer solchen Präklusion nur dann kommen könne, wenn Gegenstand des Vorverfahrens überhaupt ein Rentenbegehren gewesen sei. War dagegen Gegenstand des Begehrens ein genau bestimmter Zeitraum, stehe dies der Erhebung des Präklusionseinwands im späteren Verfahren mit anderem Streitgegenstand nicht entgegen und sei auch ein konkludenter Verzicht auf den Einwand des Deckungskonkurses nicht anzunehmen.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach - wenn auch nicht in neuester Zeit - ausgesprochen, dass bei der Aufteilung nach § 156 Abs 3 VersVG der Verdienstentgang als Rente im „technischen“ Sinn zu behandeln ist und zwar ohne Bedachtnahme auf die Fälligkeit sowohl bezüglich bereits geleisteter als auch noch zu leistender Beträge (RIS-Justiz RS0080813; RS0080814; 7 Ob 25/78; 7 Ob 71/78 mwN). Dies gilt auch, wenn bisher fällige Beträge mit einem Kapitalbetrag begehrt werden (7 Ob 71/78).

Mögen diesen Entscheidungen auch Fälle zugrunde gelegen sein, in denen neben kapitalisiertem Verdienstentgang für die Vergangenheit jeweils eine Verdienstentgangsrente für die Zukunft begehrt wurde, während hier nur ein Kapitalbetrag für die Vergangenheit geltend gemacht wird, ist kein sachlicher Grund ersichtlich, weshalb dies insoweit einen Unterschied in der Beurteilung machen sollte.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zum konkreten Barwert der Rente und dessen Verhältnis zur Versicherungssumme und den sonstigen bestehenden und zu erwartenden Forderungen sowie zum allenfalls sich daraus ergebenden Kürzungsbetrag des vorliegenden Verdienstentgangsbegehrens zu treffen haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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