Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Das erstgerichtliche - klagsabweisende - Urteil wird wiederhergestellt.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 24.400,42 EUR (darin enthalten 1.319,69 EUR USt und 16.482,30 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger legte als Bauarbeiter am 21. 11. 2006 eine 3 mm dicke Schnur aus einer Baugrube auf einer Fahrbahn in Feldkirch-Gisingen aus. Die Erstbeklagte fuhr mit ihrem Personenkraftwagen - bei Dämmerlicht und Nieselregen - mit einer Geschwindigkeit von 10 bis 15 km/h an der Baugrube vorbei. Sie überfuhr die von ihr nicht wahrgenommene Schnur, die sich in der Folge im Profil eines Reifens ihres Fahrzeugs verfing, sich aufwickelte und sich laufend verkürzte, bis sie den Kläger im Bereich der Arbeitsschuhe erfasste. Als sich die Leine straffte, hebelte sie die Füße des Klägers aus, sodass er durch die Luft geschleudert wurde und in die Baugrube stürzte. Der Kläger erlitt dadurch ua einen Schädelbruch und ist seither ein Pflegefall.
Der Kläger begehrt von der Erstbeklagten und vom zweitbeklagten Haftpflichtversicherer 317.876,99 EUR und eine monatliche Geldrente von 5.029,27 EUR sowie die Feststellung, dass ihm die Beklagten für sämtliche Schäden aus dem Unfall zu haften haben. Das Überfahren der Schnur stelle eine Sorgfaltswidrigkeit dar.
Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, die Erstbeklagte habe die auf der Straße liegende Schnur nicht sehen müssen und auch nicht sehen können. Für sie liege ein unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis vor. Den Kläger, der die Schnur entgegen der Weisung seines Vorgesetzten auf die öffentliche Straße gelegt habe, treffe das Alleinverschulden am Unfall.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Geschehensablauf, der zum Sturz des Klägers geführt habe, stelle eine außergewöhnliche und unglückliche Verkettung von Umständen dar. Der Schadenseintritt sei daher inadäquat. Selbst wenn man die Adäquanz bejahe, könne der Erstbeklagten kein rechtswidriges Handeln vorgeworfen werden. Der Unfall stelle für die Beklagten ein unabwendbares Ereignis gemäß § 9 EKHG dar.
Das Berufungsgericht hob dieses Urteil auf und trug dem Erstgericht die Ergänzung des Verfahrens und die neuerliche Entscheidung auf. Ferner sprach es aus, dass der Rekurs zulässig sei, weil die Rechtsprechung, wonach die Adäquanz objektiv zu beurteilen sei, von einer Lehrmeinung (Harrer in Schwimann, ABGB3 § 1295 Rz 9) kritisiert werde und sich die Judikatur mit dieser Rechtsansicht noch nicht auseinandergesetzt habe. Zwischen dem Fahrverhalten der Erstbeklagten und dem Sturz des Klägers in die Baugrube bestünde ein adäquater Kausalzusammenhang, sollte sich der vom Kläger behauptete Unfallshergang als richtig erweisen. Damit sei der Einwand der Beklagten zu prüfen, ob sich das Unfallsgeschehen für die Erstbeklagte als unabwendbares Ereignis im Sinne des § 9 EKHG dargestellt habe. Entscheidungsrelevant sei daher die Frage, ob die dem Kläger zum Verhängnis gewordene Schnur für die Erstbeklagte bei Aufwendung der entsprechenden Sorgfalt und Aufmerksamkeit erkennbar gewesen sei. Zur Klärung dieser Frage bedürfe es der - vom Kläger ohnehin beantragten - Einholung eines kfz-technischen Sachverständigengutachtens, weil dies nicht in das Fachgebiet des bestellten unfalltechnischen Sachverständigen falle. Zur Beurteilung des Mitverschuldenseinwands der Beklagten bedürfe es außerdem näherer Feststellungen dazu, in welchem Bereich der Fahrbahn die Schnur gelegen sei und ob die Erstbeklagte auch ohne weiteres an der Schnur hätte vorbeifahren können, ohne ihr Fahrzeug anzuhalten.
Der Rekurs der Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; er ist auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Nach ständiger Rechtsprechung ist die Adäquanz des Kausalzusammenhangs objektiv und nicht danach zu beurteilen, was dem Schädiger subjektiv vorhersehbar war (RIS-Justiz RS0022940; RS0022952; RS0022953). Adäquate Verursachung ist dann anzunehmen, wenn das Verhalten unter Zugrundelegung eines zur Zeit der Beurteilung vorhandenen höchsten menschlichen Erfahrungswissens und unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Handlung dem Verantwortlichen oder einem durchschnittlichen Menschen bekannten oder erkennbaren Umständen geeignet war, eine Schadensfolge von der Art des eingetretenen Schadens in nicht ganz unerheblichem Grad zu begünstigen. Ein Schade ist dann inadäquat, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung das schädigende Ereignis für den eingetretenen Schaden gleichgültig ist und nur durch eine außergewöhnliche Verkettung von Umständen eine Bedingung für den Schaden war (RIS-Justiz RS0022914).
2. Im vorliegenden Fall ist es zu einer solchen außergewöhnlichen Verkettung von Umständen gekommen. Das Überfahren einer 3 mm starken Schnur in einem Baustellenbereich mit einer Geschwindigkeit von 10-15 km/h ist im Sinn der zitierten Judikatur nicht geeignet, die Herbeiführung eines Erfolgs wie des eingetretenen (Verfangen der Schnur im Reifenprofil, Aufwickeln, Erfassen und durch die Luft Schleudern einer daneben stehenden Person, Absturz in die Baugrube) zu begünstigen. Vielmehr handelt es sich um einen ganz atypischen Kausalverlauf.
3. Die vom Berufungsgericht thematisierte Auseinandersetzung mit der Lehrmeinung Harrers kann ebenso unterbleiben wie jene mit der von den Rekurswerbern aufgeworfenen Thematik eines beweglichen Systems der Adäquanzbeurteilung. Beide Ansätze würden zu keinem anderen Ergebnis als die - vom Erstgericht zutreffend vorgenommene - objektive Beurteilung, nämlich zur Verneinung der Adäquanz des Verhaltens der Erstbeklagten für den eingetretenen Schaden führen.
Mangels adäquater Verursachung kann auch die - nachgelagerte - Frage des Vorliegens eines unabwendbaren Ereignisses iSv § 9 EKHG auf sich beruhen.
Dem Rekurs der Beklagten war daher Folge zu geben und in der Sache das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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