Spruch:
Zur Frage der Kausalität bei Tötung nach vorheriger schwerer Verletzung durch einen Dritten
Entscheidung vom 19. Oktober 1966, 2 Ob 216/66
I. Instanz: Landesgericht Feldkirch; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien
Text
Am 6. Mai 1963 kam Herbert L., der Gatte der Erstklägerin und Vater der beiden anderen Klägerinnen, bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der Beklagte wurde vom Strafgericht des Vergehens nach § 335 StG. schuldig erkannt, begangen dadurch, daß er als Lenker eines PKW zu schnell fuhr, es an der Aufmerksamkeit und Abwehrbereitschaft mangeln ließ und Haltezeichen nicht beachtete. Die Klägerinnen begehren den Ersatz ihres Schadens.
Der Erstrichter sprach mit Zwischenurteil aus, der Anspruch der Klägerinnen bestehe dem Gründe nach zu drei Viertel zu Recht. Er nahm unter Verwertung der Ergebnisse des Strafverfahrens als erwiesen an: Herbert L. wollte, nachdem er in der Dunkelheit die kleine Notdurft verrichtet hatte, zu seiner auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf dem Gehsteig wartenden Frau zurückkehren. Er wartete zunächst die Vorbeifahrt eines PKW ab und versuchte dann, etwa 100 m von einem anderen herankommenden PKW die Straße zu überqueren. Er wurde von diesem von Günther M. gelenkten und mit einer Geschwindigkeit von mindestens 110 km/h daherkommenden PKW erfaßt und zu Boden geschleudert. Herbert L. blieb mit schweren, allerdings nicht absolut tödlichen Verletzungen (mehrere Unterschenkelbrüche, Oberschenkelbruch links, offene Wunde an der Vorderseite des rechten Oberschenkels, teilweise Zertrümmerung des Gesichtes, Bruch des Kiefers und Auslaufen eines Auges) bewußtlos auf der Straße liegen. Es kamen nun andere Verkehrsteilnehmer zur Unfallstelle, die anhielten und von denen sich einige anschickten, die Unfallstelle nach beiden Seiten hin abzusichern. Kurze Zeit darauf näherte sich der Beklagte der Unfallstelle. Er fuhr mit abgeblendeten Scheinwerfern und hielt eine Geschwindigkeit von ungefähr 90 km/h ein. Er bemerkte zwar die beiden auf der Straße stehenden Personen, die ihm zuwinkten, um ihn zu warnen. Er verminderte jedoch seine Geschwindigkeit nicht, sodaß sich die beiden Männer nur durch einen Sprung zur Seite in Sicherheit bringen konnten. Den auf der Straße liegenden Herbert L. nahm er im Licht der abgeblendeten Scheinwerfer zu spät wahr. Er fuhr über ihn hinweg und kam nach etwa 42 m zum Stehen. Durch dieses Überfahren trat der Tod des Hermann L. sofort ein. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß Herbert L. trotz der Schwere der Verletzungen, die ihm von dem von Günther M. gelenkten PKW zugefügt wurden, mit dem Leben davongekommen wäre, wenn er nicht auch noch vom Beklagten überfahren worden wäre. Der Erstrichter war der Ansicht, es treffe sowohl Günther M., der vom Strafgericht freigesprochen wurde, als auch den Beklagten ein Verschulden. Dem Herbert L, sei ein Mitverschulden anzulasten, weil er noch vor dem Herankommen des von Günther M. gelenkten PKW die Straße zu überqueren versucht habe. Sein Mitverschulden sei im Verhältnis zu dem Verschulden des Günther M. mit einem Viertel zu veranschlagen. Der Beklagte hafte solidarisch mit Günther M. zu drei Viertel für die Unfallsfolgen.
Das Urteil der ersten Instanz wurde von beiden Parteien mit Berufung angefochten. Der Beklagte strebte die Abweisung des Klagebegehrens an, die Klägerinnen wollten die Ausschaltung einer Mithaftung für die Unfallsfolgen.
Das Berufungsgericht gab keiner der beiden Berufungen Folge.
Der Oberste Gerichtshof bestätigte das Urteil des Berufungsgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Auszugehen ist von der strafgerichtlichen Verurteilung des Beklagten, wonach er zu schnell und mit mangelnder Aufmerksamkeit fuhr sowie von anderen Personen abgegebene Warnzeichen nicht beachtete und so den auf der Straße liegenden Herbert L. überfuhr, woraus der Tod des Herbert L. erfolgte. Für das Zivilgericht steht daher bindend fest, daß dieses Verhalten des Beklagten die unmittelbare Ursache des Todes des Herbert L. war. An diesem Ursachenzusammenhang vermag nichts zu ändern, daß Herbert L. kurz vorher bei einem anderen Verkehrsunfall schwere Verletzungen erlitten hat, die möglicherweise unabhängig von der ihm vom Beklagten zugefügten Verletzung in absehbarer Zeit zum Tode geführt hätten. Dadurch erscheint der Ursachenzusammenhang zwischen dem Verhalten des Beklagten und dem Tod des Herbert L. nicht aus der Welt geschafft (vgl. auch die Ausführungen Wolffs in Klang[2] VI 9 bei Anm. 27). Die vielfach in der Lehre und auch in der Rechtsprechung bezüglich der sogenannten überholenden Kausalität entwickelten Grundsätze können auf den vorliegenden Fall, der einen vom Anspruch nach § 1325 ABGB. verschiedenen, den Hinterbliebenen eines getöteten Menschen zustehenden Anspruch nach § 1327 ABGB. zum Gegenstand hat, nicht ohne Einschränkung angewendet werden. Zu dem der Entscheidung JBl. 1956 S. 503 zugrunde liegenden Fall sei bemerkt, daß die in dieser Entscheidung entwickelten Grundsätze auf den vorliegenden Fall auch deshalb nicht angewendet werden können, weil ein organisches Leiden, bei dem kein Ersatzanspruch besteht, nicht einer von einem Dritten zugefügten Verletzung gleichgehalten werden kann, bei der ein Ersatzanspruch in Betracht kommt. Kann doch der von einem Dritten Verletzte auf Grund dieses Ersatzanspruches in der Lage sein, Unterhaltsleistungen an seine Angehörigen im gleichen Maß wie vor der Verletzung zu erbringen. Daß Herbert L. im Zeitpunkt, als er vom Beklagten überfahren wurde, bereits schwer verletzt war, mag daher allenfalls bei der Beurteilung der Höhe des Anspruches eine Rolle spielen. Die Entscheidung über den Grund des Anspruches ist davon nicht abhängig.
Ob allenfalls dem Beklagten ein Regreßanspruch gegen Günther M. zusteht, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Geht man von dieser Rechtsansicht aus, dann kommt der Frage, ob Herbert L. schon auf Grund der beim ersten Unfall erlittenen Verletzungen in absehbarer Zeit gestorben wäre, keine entscheidende Bedeutung zu. Der in diesem Belange geltend gemachte Verfahrensmangel, der darin gelegen sein soll, daß nicht auch im vorliegenden Verfahren ein Sachverständiger zu dieser Frage gehört wurde, liegt daher nicht vor.
Was die Verschuldensaufteilung anlangt, so ist wohl nicht, wie dies die Vorinstanzen für richtig hielten, eine Beziehung zwischen dem Verschulden des Herbert L. und dem Verschulden des gar nicht am Prozeß beteiligten Günther M. herzustellen, sondern eine Beziehung zwischen dem Verschulden des Herbert L. und dem Verschulden des Beklagten. Dem Herbert L. ist zum Vorwurf zu machen, daß er es unternahm, etwa 100 m vor einem mit großer Geschwindigkeit herankommenden PKW die Straße zu überqueren. Denn dies war eine der Ursachen dafür, daß er, als er beim Überqueren der Straße von dem von Günther M. gelenkten Kraftwagen niedergestoßen wurde, auf der Straße zu liegen kam, wo er dann vom Beklagten überfahren wurde. Das Verschulden des Beklagten, der eine Geschwindigkeit von 90 km/h beibehielt, obwohl er wegen der auf der Straße befindlichen Personen und Fahrzeuge abblenden mußte und der überdies auch die Warnzeichen zweier auf der Straße stehender Personen unbeachtet ließ, wiegt demgegenüber in der Tat erheblich schwerer. Die von den Vorinstanzen wenn auch aus anderen rechtlichen Erwägungen heraus vorgenommene Verschuldensaufteilung im Verhältnis von 3 : 1 zum Nachteil des Beklagten erscheint gerechtfertigt.
Die Kläger haben in der Klage eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß sie Ersatzansprüche nur insoweit geltend machen, als ihr Anspruch nicht auf Grund der Legalzession auf den Sozialversicherungsträger übergegangen ist. Schon daraus folgt, daß vom Ausspruch über den Grund des Anspruches die Ersatzansprüche der Kläger nur insoweit erfaßt sind, als die Kläger zur Geltendmachung des Anspruches noch aktiv legitimiert sind. Eines ausdrücklichen in diesem Sinne lautenden Vorbehaltes in der Entscheidung über den Grund des Anspruches bedurfte es bei dieser Sachlage nicht.
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