OGH 2Ob2087/96t

OGH2Ob2087/96t4.9.1997

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fritz M*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Stolz, Rechtsanwalt in Radstadt, wider die beklagte Partei Stadtgemeinde Radstadt, 5550 Radstadt, vertreten durch Univ.Prof.Dr.Friedrich Harrer und Dr.Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 50.000,- und Feststellung (Streitwert S 25.000,-) infolge außerordentlicher Revision sowie außerordentlichen Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgericht vom 4. Dezember 1995, GZ 54 R 1018/95k-11, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Radstadt vom 11.August 1995, GZ 2 C 449/95m-5, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

1. Das als "außerordentliche Revisionsrekurs" bezeichnete Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2. Der Revision wird hingegen Folge gegeben.

Die damit angefochtene Entscheidung über das Feststellungsbegehren des Klägers wird aufgehoben. Dem Erstgericht wird hierüber eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die beklagte Partei ist Straßenerhalterin einer in ihrem Gemeindegebiet liegenden Straße.

Der Kläger kam 22.Juli 1994 als Fahrradfahrer zu Sturz.

Er begehrt Schmerzengeld von S 50.000 sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei als Straßenerhalterin aus diesem Unfall. Er sei mit seinem Fahrrad in angemessener Geschwindigkeit talwärts gefahren, als er plötzlich und unvorhersehbar in eine ca 30 cm tiefe Absenkung im Asphalt geraten und zu Sturz gekommen sei und sich verletzt habe. Die beklagte Partei habe trotz Kenntnis dieser Gefahrenstelle seit Mai 1994 die Gefahr weder beseitigt noch in irgendeiner Form abgesichert.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, erst am 11.Juli 1994 von der Gefahrenstelle Kenntnis erlangt zu haben. Sie habe einen Mitarbeiter mit der ausreichenden Absicherung der Gefahrenstelle durch Anbringung von rotem Sprühlack auf der Asphaltdecke beauftragt. Eine Sanierung sei für den 18.Juli 1994 mit einem einschlägigen Unternehmen vereinbart worden. Da der dazu erforderliche Bagger nicht bereitgestellt werden haben können, sei die Sanierung erst am 25.Juli 1994 durchgeführt worden. Den Kläger treffe das Alleinverschulden, weil er mit überhöhter Geschwindigkeit und nicht auf Sicht gefahren sei. Ein Feststellungsinteresse bestehe nicht, weil beim Kläger nicht vorhersehbare Spätfolgen auszuschließen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von nachstehenden wesentlichen Feststellungen aus:

Der Kläger fuhr am 22.Juli 1994 mit seinem Fahrrad die Roßbrandstraße in Radstadt talwärts und kam dabei im Bereich einer Bodenunebenheit zu Sturz. Bei dieser Straße handelt es sich um eine Ausflugsstraße, die von Radstadt auf den Roßbrand in etwa 1700 m Seehöhe führt. Die Straße ist 11 km lang, dem alpinen Gelände angepaßt und weist ein Gefälle von bis zu 15 % auf. Sie ist etwa 4,5 m breit und mit einer Asphaltdecke versehen. Die Asphaltdecke ist aufgrund von Frostaufbrüchen und Witterungseinflüssen im gesamten Straßenverlauf an zahlreichen Stellen ausgebessert.

Am 11.Juli 1994 wurde ein Techniker, der bei der beklagten Partei für die Straßen zuständig ist, telefonisch darüber informiert, daß sich im Bereich der Neureith-Kurve ein Loch in der Fahrbahn der Straße befinde. Er besichtigte am selben Tag die Straße und stellte über einem trockenen Wasserdurchlaß eine etwa 80 cm große kreisförmige Delle im Asphalt mit einer Eintiefung von 2 cm fest. In der Mitte dieser Delle befand sich eine handflächengroße Vertiefung von etwa 3 bis 4 cm, bei der die Ränder senkrecht abgebrochen waren. Der Techniker markierte den Bereich der Absenkung in der Mitte der Fahrbahn mit rotem Sprühlack für eine spätere Sanierung. Er vereinbarte mit einem einschlägigen Unternehmen einen Termin für den 18. Juli 1994 zur Durchführung der Bauarbeiten. Eine Absicherung oder gar Absperrung der Stelle erschien ihm nicht erforderlich.

Die für den 18.Juli 1994 geplante Sanierung konnte nicht durchgeführt werden, weil das Baggerunternehmen noch mit einer anderen Baustelle beschäftigt war. Am 18.Juli 1994 konnte gegenüber der Vorwoche keine Veränderung festgestellt werden. Die Sanierung erfolgte am 25.Juli 1994. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Delle bereits weiter vertieft, aus der Eintiefung in der Mitte war ein Loch entstanden.

Der Kläger fuhr am 22.Juli 1994 mit seinem Fahrrad die Roßbrandstraße bergwärts bis zur Radstädter Hütte, wobei er kein Loch in der Fahrbahn warnahm. Danach fuhr er nach einer Rast wieder talwärts und hielt zunächst eine nicht näher bestimmbare Geschwindigkeit ein. Als er zu beiden Seiten der Roßbrandstraße unmittelbar am Straßenrand Weidevieh bemerkte, reduzierte er seine Geschwindigkeit auf etwa 25 km/h und fuhr in der Mitte der Fahrbahn. Er geriet während des Bremsens mit dem Vorderrad in eine Fahrbahnvertiefung, die er nicht wahrgenommen hatte und kam dadurch zu Sturz.

Das Erstgericht hielt noch fest, daß sich der Sturz des Klägers nicht an der Stelle ereignete, wo sich das von der Gemeinde ausgetauschte Betonrohr des Wasserdurchlasses befand, und daß die genaue Unfallstelle nicht mehr "auffindbar" ist.

Rechtlich erörterte das Erstgericht, daß der Kläger aufgrund einer bloßen, für eine Bergstraße nicht unüblichen Fahrbahnunebenheit bei gleichzeitiger eigener Bremsung zu Sturz gekommen sei, und zwar nicht an der zur Unfallszeit sanierungsbedürftigen Stelle mit dem eingebrochenen Loch in der Asphaltdecke. Dem Kläger sei vorzuwerfen, daß er auf einer den gewöhnlichen Verhältnissen entsprechenden Bergstraße sein Fahrverhalten nicht entsprechend angepaßt habe.

Das Berufungsgericht gab der dagegen vom Kläger erhobenen Berufung Folge, gab dem Feststellungsbegehren statt und hob das Urteil im Umfange des Leistungsbegehrens zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung auf.

Es traf nach Beweiswiederholung die Feststellung, daß der Kläger mit seinem Fahrrad in ein trichterförmiges, von der beklagten Partei als reparaturbedürftig erachtetes Loch geraten und zu Sturz gekommen sei. Über Lage und Identifizierung der Unfallsstelle bestehe kein Zweifel.

Rechtlich erörterte das Berufungsgericht, daß die beklagte Partei als Wegehalterin nach § 1319a Abs 1 ABGB für grobe Fahrlässigkeit einzustehen habe. Die bloße Kennzeichnung eines Asphalteinbruches durch einen Farbspray sei kein geeignetes Mittel, um Straßenbenützer auf den Fahrbahnschaden hinzuweisen. Die beklagte Partei habe in Kenntnis des Fahrbahnschadens eine ordnungsgemäße Absicherung unterlassen. Der Sachverhalt biete keinen Anhaltspunkt dafür, ein Fehlverhalten des Klägers und damit ein Verschulden auf seiner Seite anzunehmen. Die beklagte Partei habe zur Gänze für die Unfallsfolgen des Radunfalles, den der Kläger erlitten habe, einzustehen.

Das Feststellungsbegehren sei daher als berechtigt anzuerkennen. Hingegen sei das Leistungsbegehren noch nicht spruchreif, weil sich das Erstgericht mit den vom Kläger erlittenen Verletzungen und dem daraus gebührenden Schmerzengeld nicht auseinandergesetzt habe.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, daß der Wert des berufungsgerichtlichen Streitgegenstandes, soweit dieser nicht ohnehin von der Aufhebung betroffen sei, S 50.000 nicht übersteigt. Als Folge davon sei ein weiteres Rechtsmittel jedenfalls unzulässig.

In der Folge hat das Berufungsgericht über Auftrag des erkennenden Senates ausgesprochen, daß der Wert des berufungsgerichtlichen Entscheidungsgegenstandes insgesamt S 50.000 übersteigt und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen den dem Feststellungsbegehren stattgebenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, es in diesem Umfang aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen. Bekämpft wird auch der aufhebende Teil dieser Entscheidung mit "außerordentlichem Revisionsrekurs" mit dem Antrag auszusprechen, daß die beklagte Partei dem Kläger nur im Ausmaß von 50 % für dessen Schäden aus dem Unfall hafte.

Rechtliche Beurteilung

Soweit im Rechtsmittel der beklagten Partei ein Rekurs gegen den aufhebenden Teil der Berufungsentscheidung erhoben wird, war es als unzulässig zurückzuweisen, weil das Berufungsgericht einen Ausspruch nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO unterlassen hat.

Die außerordentliche Revision ist hingegen zulässig, weil das Berufungsgericht die im folgenden bezeichnete Rechtsprechung zur Entscheidung über ein Feststellungsbegehren nicht beachtet hat; sie ist auch berechtigt.

Zutreffend weist die Revisionswerberin darauf hin, daß eine Feststellungsklage nach § 228 ZPO ein rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Feststellung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses voraussetzt. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, daß die Feststellungsklage zwar auch der Klärung des Verschuldens und der Klarstellung der Haftungsfrage nach Grund und Umfang dient (ZVR 1978/160; ZVR 1978/200; ZVR 1980/80). Darüberhinaus hat der Oberste Gerichtshof das Feststellungsinteresse auch dann bejaht, wenn die Möglichkeit eines künftigen Schadeneintrittes nicht ausgeschlossen werden konnte. Voraussetzung ist daher, daß künftige, aus dem Unfall resultierende Schäden nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sind.

Der Berufungswerberin ist zuzugeben, daß Feststellungen, ob im konkreten Fall ein zukünftiger Schaden - entsprechend dem Vorbringen der beklagten Partei - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, fehlen. Aus diesem Grunde ist die Entscheidung, auch soweit sie das Feststellungsbegehren betrifft, ergänzungsbedürftig.

Soweit in der Revision ein Mitverschulden des Klägers infolge unaufmerksamer Fahrweise eingewendet wird, ist sie unberechtigt.

In den Entscheidungen SZ 51/111, ZVR 1980/230 und ZVR 1990/85 wurde zwar das Mitverschulden eines unaufmerksamen Fußgängers bejaht, doch können sie wegen der von einem Radfahrer bzw Fußgänger erreichten unterschiedlichen Geschwindigkeiten, nicht analog herangezogen werden. In der Entscheidung ZVR 1984/176 (in der außerordentlichen Revision unrichtig mit ZVR 1976/176 zitiert) wird ein Mitverschulden einer unaufmerksamen Langläuferin angenommen, weil sie auf eine erkennbare Gefahrenquelle trotz Warnung anderer Skifahrer nicht reagierte. Dieser Sachverhalt ist daher keineswegs vergleichbar.

Da der Kläger nicht mit unangemessener Geschwindigkeit fuhr und eine ihm zur Last zu legende Unaufmerksamkeit nicht erwiesen ist, kommt dem Mitverschuldenseinwand keine Berechtigung zu.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.

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