Spruch:
Keine Bindung an Erkenntnisse ausländischer Strafgerichte
OGH 17. Dezember 1976, 2 Ob 202, 203/76 (OLG Wien 9R 206/75; LGZ Wien 24 Cg 281, 282/71)
Text
Am 10. Juni 1971 ereignete sich auf der Insel Cres (FVR Jugoslawien) auf der Hauptstraße bei Mali Losinj ein Verkehrsunfall zwischen dem vom Erstkläger gelenkten und ihm als Halter gehörenden PKW Ford Cortina 1300, Kennzeichen N 544 006, und dem dem Zweitbeklagten als Halter gehörenden, bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW Citroen 2 CV/6 mit dem Zollkennzeichen W 11 604/71.
Der Erstkläger begehrt den Ersatz der ihm durch den Unfall entstandenen, letztlich mit 57 419.10 S bezifferten Schadens mit der Behauptung, er sei in Richtung Mali Losinj gefahren, als ihm in einer leichten Rechtskurve das vom Erstbeklagten gelenkte Fahrzeug des Zweitbeklagten entgegengekommen und über die Fahrbahnmitte gekommen sei. Dadurch sei es zur Kollision gekommen. Der Erstbeklagte sei an Ort und Stelle von den jugoslawischen Behörden abgeurteilt worden. Die Zweitklägerin begehrte als Mitfahrerin des Erstklägers ein Schmerzensgeld von letztlich 15 000 S und stellte zunächst auch ein, später wieder zurückgenommenes Feststellungsbegehren, das sie mit 10ß 000 S bewertete. Beide Verfahren wurden verbunden.
An den Erstbeklagten konnten die Klagen nicht zugestellt werden; dieser ist an den von den Klägern angegebenen Anschriften unbekannt. Weitere Anträge stellten die Kläger bezüglich des Erstbeklagten nicht.
Der Zweit- und die Drittbeklagte wendeten ein, daß es der Wagen des Erstklägers gewesen sei, der über die Fahrbahnmitte gekommen sei, so daß der Erstkläger den Unfall allein verschuldet habe. Das Schmerzensgeldbegehren der Zweitklägerin sei überhöht. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens mangle es - an einem rechtlichen Interesse. Das Kraftfahrzeug des Zweitbeklagten sei von diesem selbst gelenkt worden. Josef A. der Erstbeklagte, sei dem Zweitbeklagten unbekannt.
Das Erstgericht gab dem Begehren der Zweitklägerin gegenüber dem Zweit- und der Drittbeklagten - allerdings ohne förmliche Abweisung des Mehrbegehrens - mit 10 000 S samt Anhang statt, wies aber das Begehren des Erstklägers ab.
Die lediglich vom Erstkläger erhobene Berufung blieb erfolglos. Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Erstklägers nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Das Erstgericht hat im wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
Die Unfallstelle befindet sich auf der Straße III. Ordnung Zl. 2122 Mali Losinj-Cres zwischen den Orten Cunski und Sv. Jakov. Die Straße bildet in Fahrtrichtung des Klägers gesehen eine unübersichtliche Rechtskurve. Die mit Rauhasphalt belegte Fahrbahn ist 5.20 m breit. Links schließt ein nicht asphaltiertes Bankett an, daran eine Steinmauer unterschiedlicher Höhe (40 bis 50 cm). Danach befindet sich ein Mischwald. Rechts der Straße zieht sich ein mit Bäumen bewachsener Berg hin. Zwischen Berghang und Fahrbahn befindet sich ein nicht asphaltierter Streifen von 30 bis 100 cm. Vor der Unfallstelle steht zirka 3 m rechts der Fahrbahn ein Telefonmast (Nr. 197). In der Mitte der Fahrbahn war zur Unfallszeit eine weiße Sperrlinie. Nach dem Unfall fanden die jugoslawischen Behörden keinerlei Bremsspuren, sondern lediglich Glassplitter und Blutspuren. Der Erstkläger fuhr in Richtung Mali Losinj mit zirka 40 km/h; aus der Gegenrichtung näherte sich das Beklagtenfahrzeug mit etwa 30 bis 35 km/h. Welches der beiden Fahrzeuge oder ob beide die auf der Mitte der Fahrbahn der Kurve befindliche Sperrlinie überschritten, konnte nicht festgestellt werden. Als der Erstkläger etwa 10 m vor dem eine Kuppe bildenden Kurvenscheitelpunkt war, vermeinte er jedenfalls, der Citroen komme auf ihn zu, und bremste. Hingegen entstand beim Zweitbeklagten, der sein Auto selbst lenkte, der Eindruck, daß der Cortina des Erstklägers teilweise die Sperrlinie benützend rasch tangential aus der Kurve herauskomme, so daß kein Bremseinsatz mehr stattfand. Die Fahrzeuge stießen mit ihren linken vorderen Ecken zusammen und gerieten dadurch in Drehbewegungen entgegen dem Uhrzeigersinn; der Wagen des Erstbeklagten wurde zurückgestoßen und stieß mit dem Heck gegen einen rechts liegenden Steinhaufen. Das Fahrzeug des Erstklägers war in der Endstellung infolge der Drehbewegung und der Massenverhältnisse der Wagen mit der Vorderfront über der Sperrlinie. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde der Zweitbeklagte vom zuständigen Richter für Übertretungen der Gemeinde Mali Losinj deswegen schuldig gesprochen, weil er sich als Lenker seines Fahrzeuges nicht an die Bestimmungen über die Lage und die Fahrt von Fahrzeugen auf Straßengehalten habe, so daß er sich in der scharfen und unübersichtlichen Kurve mit seinem Fahrzeug auf der vollen weißen Linie befand, bzw. diese um 10 cm überschritt und so den Verkehrsunfall verursachte; er wurde zur Strafe des Tadels verurteilt. Infolge Berufung des Zweitbeklagten befaßte sich der Senat für Übertretungen in Zagreb (offenbar Rechtsmittelsenat) mit der Entscheidung der I. Instanz und bestätigte diese vollinhaltlich. Aus der Begründung der Entscheidungen beider Instanzen geht jedoch nicht hervor, wie die Gerichte zu der Feststellung der Überschreitung der Sperrlinie durch den Citroen um 10 cm kamen, zumal der Zweitbeklagte bereits bei seiner Vernehmung in I. Instanz Zweifel hieran deponierte. Die Protokolle, welche zur Entscheidung erster Instanz führten, wurden ohnedies zur Gänze angeschlossen.
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt dahin, daß nach ständiger Rechtsprechung jugoslawisches Recht anzuwenden sei. Gemäß Art. 16 des jugoslawischen Gesetzes über die Haftpflichtversicherung könne die Klage direkt gegen den Haftpflichtversicherer eingebracht werden. Daher sei die Drittbeklagte passiv legitimiert. Was den Schadenersatzanspruch betreffe, so herrsche dritten Personen Zweitklägerin gegenüber wie sich aus den Ausführungen Radisics, auf die das Bundesministerium für Justiz hingewiesen habe(§ 271 ZPO), ergebe, eine Erfolgshaftung (das Prinzip der "objektiven Haftung"), wogegen zwischen den Beteiligten Verschuldenshaftung bestehe. Eine Ausgleichspflicht sei nicht gegeben. Da vorliegend ein
Verschulden des Lenkers des Citroen (Zweitbeklagten) nicht erweislich gewesen sei, sei die Klage des Erstklägers abzuweisen gewesen.
Das Berufungsgericht erachtete das erstgerichtliche Verfahren als mängelfrei, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte auch dessen rechtliche Beurteilung.
In seiner Revision bekämpft der Kläger zunächst die Auffassung des Berufungsgerichtes, dem verurteilenden Straferkenntnis des für Übertretungen zuständigen Richters der Gemeinde Mali Losinj komme keine Bindungswirkung für das österreichische Zivilgericht zu. Sei zur rechtlichen Beurteilung jugoslawisches Recht heranzuziehen, müßte auch die Bindung des jugoslawischen Zivilgerichtes an ein rechtskräftiges Strafurteil eines jugoslawischen Gerichtes vom österreichischen Zivilgericht berücksichtigt werden.
Die Bindungswirkung behördlicher Entscheidungen ist eine Folgewirkung der staatlichen Entscheidungs- bzw. Gerichtshoheit, die auf das österreichische Staatsgebiet beschränkt ist. Es besteht deshalb keine Bindung des Zivilrichters an verurteilende Erkenntnisse ausländischer Strafgerichte (vgl. Fasching III, 254 Anm. 8 zu § 268 ZPO; Neumann[4]II, 988; Pollak, ZP-Recht[2], 32; Holzhammer, ZP-Recht Erkenntnisverfahren, 17; Kralik in ZfRV 1969, 215). Von diesen Grundsätzen abzugehen, bieten die Revisionsausführungen keinen Anlaß.
Dem Vorbringen des Klägers, es sei inkonsequent, im vorliegenden Fall zur rechtlichen Beurteilung auf Grund der Anknüpfung an den Unfallsort jugoslawisches Recht anzuwenden, die im jugoslawischen Recht vorgesehene Bindung des Zivilrichters an ein verurteilendes Straferkenntnis aber nicht zu beachten, ist zu erwidern, daß die Bestimmungen über die Bindung des Zivilrichters an Erkenntnisse der Strafgerichte dem Verfahrensrecht angehören. Das Verfahrensrecht ist aber öffentliches Recht. Für seinen Geltungsbereich hat ausschließlich das Prozeßrecht desjenigen Staates Anwendung zu finden, dessen Gerichte den Streitfall entscheiden. Die inländischen Gerichte haben daher ausschließlich das inländische Prozeßrecht anzuwenden, auch wenn der Entscheidung materiell das Privatrecht eines anderen Staates zugrunde gelegt wird (vgl. Fasching III, 5 Anm. 5; SZ 27/297; ÖBl. 1972, 113; 8 Ob 47/75 u.a.). Nach § 268 ZPO ist jedoch, wie schon dargelegt, die Bindung des Zivilrichters auf verurteilende Erkenntnisse österreichischer Strafgerichte beschränkt.
Daß im vorliegenden Fall mit Rücksicht auf den Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist die lex loci delicti commissi also jugoslawisches materielles Recht anzuwenden ist, hat das Berufungsgericht unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des OGH zutreffend dargelegt. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß beide in den Unfall verwickelten Fahrzeuge bei österreichischen Versicherungen gegen Haftpflicht versichert waren, weil es sich im vorliegenden Fall nicht um die Rechtsbeziehungen aus dem Versicherungsvertrag zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer, sondern um Schadenersatzansprüche eines geschädigten Dritten handelt, die gegen den
Versicherungsnehmer und seinen Haftpflichtversicherer geltend gemacht werden. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch darauf hingewiesen, daß das Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht, BGBl. 387/1975 im vorliegenden Fall nicht anzuwenden ist, weil sich der Unfall vor dem Inkrafttreten dieses Übereinkommens ereignet hat (vgl. ZVR 1976/114 u. a.). Die Auslegung des anzuwendenden jugoslawischen Rechtes durch die Vorinstanzen wird in der Revision nicht mehr bekämpft und begegnet im übrigen auch keinen Bedenken.
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