Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben; zugleich wird auch das Urteil des Erstgerichtes aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.
Text
Begründung
Am 22.12.1991 ereignete sich um etwa 3.45 Uhr auf der W*****-Bundesstraße bei Kilometer 41,2 im Gemeindegebiet von S***** ein Verkehrsunfall, an welchem die Klägerin als Lenkerin und Halterin des PKW Peugeot 205 und Dr.Andreas C***** als Lenker und Halter des PKW Audi 100 beteiligt waren. Die beklagte Partei gewährt für das Fahrzeug des Dr.Andreas C***** Versicherungsdeckung.
Die Klägerin begehrte mit der vorliegenden Klage die Zahlung eines Schmerzengeldes von S 210.000,--, einer Verunstaltungsentschädigung von S 40.000,--, den Ersatz des Wertes des durch den Unfall total beschädigten PKW von S 53.000,-- den Ersatz der Abschleppkosten von S 2.203,20 und von Kleidung im Wert von S 3.000,-- sowie an Kosten aufgrund von Besuchen naher Angehöriger während des Krankenhausaufenthaltes S 6.000,--. Sie brachte vor, das Alleinverschulden an dem Unfall treffe Dr.C*****, der seinen PKW vor dem Zusammenstoß auf die linke Fahrbahnhälfte gelenkt und sich dort auch noch befunden habe, als beide Fahrzeuge auf diesem Fahrstreifen zusammenstießen.
Die beklagte Partei bestritt und wendete eine ihr von Dr.C***** abgetretene Gegenforderung ein. Sie führte aus, die Klägerin sei Dr.C***** auf seinem Fahrstreifen entgegengekommen. Dr.C***** habe noch versucht, einen Frontalzusammenstoß durch ein Ausweichmanöver zur Fahrbahnmitte hin zu verhindern, doch habe die Klägerin kurz vor der Kollision selbst ihr Fahrzeug wieder in Richtung Fahrbahnmitte gelenkt, sodaß es dann zum Zusammenstoß gekommen sei. Die Klägerin sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe falsch reagiert. Da die Klägerin im Unfallszeitpunkt nicht angegurtet war, habe sie hinsichtlich des Schmerzengeldes jedenfalls ein Mitverschulden von zumindest einem Drittel zu verantworten.
Nach Einschränkung des Verfahrens auf den Grund des Schmerzengeldanspruches der Klägerin wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:
Die Fahrbahn der W*****-Bundesstraße war zur Zeit des Unfalles im Bereich der Unfallstelle mit durchfeuchtetem und matschigem Schnee in der Höhe von durchschnittlich 15 cm bedeckt, wobei die Schneehöhe durch, vom Kraftfahrzeugverkehr herstammende Spurrinnen ungleich hoch war. Die Fahrbahn war durch an den beiden Rändern angehäufte Schneewälle soweit eingeengt, daß sie nur mehr in einer Breite von etwa 8,40 m befahrbar war.
In den Endlagen nach dem Zusammenstoß befand sich die linke vordere Ecke des PKW der Klägerin (in ihrer Fahrtrichtung gesehen) vom rechten Fahrbahnrand 2,4 m entfernt, die rechte vordere Ecke 1,3 m. Das von Dr.C***** gelenkte Fahrzeug war mit der rechten vorderen Ecke 1,5 m weiter vom rechten Fahrbahnrand (in Fahrtrichtung der Klägerin) entfernt, als die linke vordere Ecke des Klagsfahrzeuges. Die linke vordere Ecke des Fahrzeuges von Dr.C***** war vom rechten Fahrbahnrand (der Klägerin) 2,3 m, die linke hintere Ecke 3,9 m entfernt.
Die Klägerin näherte sich der Unfallstelle zunächst mit einer Geschwindigkeit zwischen 65 und 75 km/h. Sie durchfuhr mit dieser Geschwindigkeit bei Annäherung an die Unfallstelle eine nach rechts verlaufende Kurve. Aufgrund ihrer Fahrgeschwindigkeit, der Schneefahrbahn, eventuell auch eines nicht situationsgemäßen "reflexartigen" Lenk- und/oder Bremsmanövers begann der PKW der Klägerin in einer Entfernung von etwa 170 m bis 200 m vor dem vor Dr.C***** gelenkten Fahrzeug zu schleudern. Diese Schleuderbewegung wurde nicht durch die Fahrlinie des entgegenkommenden Kraftfahrzeuges ausgelöst, weil bei den gegebenen Sichtverhältnissen (Dunkelheit, Regen, Abblendlicht bei beiden Kraftfahrzeugen) Fahrzeuglenker aus dieser Entfernung keinen konkreten Wahrnehmungen über die Fahrlinie eines entgegenkommenden Fahrzeuges treffen können, sondern anhand des Scheinwerferlichtes nur erkennen können, daß ein Fahrzeug entgegenkommt.
Der PKW der Klägerin schleuderte vor dem Zusammenstoß unkontrolliert auf ihren äußersten linken Fahrbahnrand und befand sich zum Zeitpunkt der Kollision weiterhin in Schleuderbewegung vom äußersten linken Fahrbahnrand in Richtung ihrer rechten Fahrbahnhälfte zurück. Zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes hatte ihr PKW noch eine Geschwindigkeit von etwa 50 bis 60 km/h. Im Moment des Zusammenstoßes befand sich der PKW der Klägerin bereits mit dem überwiegenden Teil wieder auf der (in ihrer Fahrtrichtung gesehen) rechten Fahrbahnhälfte. Das Heck überragte die Fahrbahnmitte noch um etwa um 0,9 m nach links.
Ob Dr.C***** mit seinem PKW bei Annäherung an die Unfallstelle eine die Fahrbahnmitte überschreitende Fahrlinie einhielt, konnte nicht festgestellt werden. Er fuhr mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 km/h, eine 40 km/h übersteigende Annäherungsgeschwindigkeit konnte nicht nachgewiesen werden. Zumindest etwa 4 Sekunden vor dem Zusammenstoß erkannte Dr.C***** die Gefahr, welche von dem die Fahrbahnmitte überschreitenden Kraftfahrzeug ausging. Dr.C***** begann auf das entgegenkommende Fahrzeug sofort zu reagieren, als die Strecke zwischen beiden Fahrzeugen von deren Abblendlichtern ausgeleuchtet wurde. Der von Dr.C***** gelenkte PKW erreichte durch das im einzelnen nicht mehr feststellbare Reaktionsverhalten Dris.C***** bis zum Zusammenstoß eine Position, in welcher sich das von ihm gelenkte Fahrzeug zum überwiegenden Teil bereits auf der linken Fahrbahnhälfte, mit etwa 0,5 m noch rechts der Fahrbahnmitte befand und in der das Fahrzeug einen Seitenabstand zum Schneewall an der rechten Seite von etwa 3,7 m einhielt. Ob Dr.C***** in diese Position dadurch gelangte, daß er nach dem Erkennen der Gefahr versuchte, den PKW allmählich nach links zu lenken, oder, weil er eine weiter links und die Fahrbahnmitte überschreitende Fahrlinie einhielt, konnte nicht festgestellt werden.
Zum Kollisionszeitpunkt befand sich der von Dr.C***** gelenkte PKW im wesentlichen in fahrbahnlängsachsparalleler Position, möglicherweise auch mit leichter Tendenz nach rechts. Die Endlagen der beteiligten Fahrzeuge wurden nach dem Unfall nicht verändert.
In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, daß die Klägerin kein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Lenkers des PKW Audi 100 nachweisen hätte können. Der Unfall sei vielmehr auf eine unangepaßte Fahrgeschwindigkeit der Klägerin zurückzuführen.
Die Klägerin bekämpfte dieses Urteil unter Einräumung eines Mitverschuldens von 50 % im Umfang der Abweisung des halben Klagebegehrens. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und erklärte die ordentliche Revison für nicht zulässig.
Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß ein Ausweichversuch nach links, gegen die Bewegungsrichtung dessen, dem ausgewichen werden solle, nur im äußersten Notfall vorgenommen werden dürfe, wenn eine andere Möglichkeit, eine drohende Kollision zu vermeiden, nicht gegeben sei. Eine derartige Situation habe im vorliegenden Fall für Dr.C***** bestanden, zumal er aufgrund der Dunkelheit erst 4 Sekunden vor der Kollison erkennen konnte, daß sich das Klagsfahrzeug auf der falschen Fahrbahnseite befand. Wenngleich es im nachhinein betrachtet richtiger gewesen wäre, das Fahrzeug auf den äußersten rechten Fahrbahnrand zu lenken, könne ein Ausweichversuch nach links Dr.C***** nicht als Verschulden angelastet werden, weil eine unrichtige Maßnahme eines Verkehrsteilnehmers bei einer plötzlich auftretenden Gefahr, welche sich rückschauend betrachtet als unrichtig erweise, kein Verschulden begründe. Der Klägerin sei der ihr obliegende Beweis für ein Verschulden des Schädigers nicht gelungen, weil ungeklärt blieb, ob der PKW Dris.C***** bei Annäherung an die Unfallstelle eine die Fahrbahnmitte überschreitende Fahrlinie einhielt. Entscheidend sei, daß die Gefahrensituation durch das Schleudern des PKW der Klägerin ausgelöst wurde und Dr.C***** auf diesen Schleudervorgang unverzüglich reagierte. Daraus habe das Erstgericht zutreffend geschlossen, daß die Klägerin das Schleudern durch eine Geschwindigkeit, welche den Straßen- und Sichtverhältnissen nicht angepaßt war, ausgelöst habe, was deren Alleinverschulden am gegenständlichen Unfall begründe. Im Hinblick auf dieses eindeutige Verschulden bleibe auch für eine Ausgleichspflicht der beklagten Partei nach § 11 Abs 1 letzter Satz EKHG kein Raum.
Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß der Klägerin ein Betrag von S 158.181,60 sA zugesprochen und festgestellt werden, daß die beklagte Partei der Klägerin für alle künftigen Ansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 22.12.1991 im Ausmaß von 50 % zu haften habe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt, das Rechtsmittel der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihm keine Folge zu geben.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, weil - wie im folgenden noch darzulegen sein wird - das Berufungsgericht die Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB nicht beachtet hat, sie ist im Sinne ihres Eventualantrages auf Aufhebung auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerin macht in ihrem Rechtsmittel geltend, daß Dr.C***** durch das Überschreiten der Fahrbahnmitte gegen das Rechtsfahrgebot nach § 7 Abs 1 und 2 StVO, sohin ein Schutzgesetz im Sinne des § 1311 ABGB, verstoßen habe. Die beklagte Partei hätte sohin beweisen müssen, daß Dr.C***** an der Schutznormverletzung schuldlos sei. Dieser Beweis sei aber nicht erbracht worden, weil nicht festgestellt worden sei, daß Dr.C***** an der Nichteinhaltung des Rechtsfahrgebotes kein Verschulden treffe. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte der Klägerin sohin der Ersatz von 50 % ihres Schadens zuerkannt werden müssen.
Diese Ausführungen sind grundsätzlich zutreffend.
Auszugehen ist davon, daß das von Dr.C***** gelenkte Fahrzeug sich zum Zeitpunkte der Kollision zum überwiegenden Teil auf der linken Fahrbahnhälfte befand, sodaß Dr.C***** gegen das Rechtsfahrgebot nach § 7 Abs 1 und Abs 2 StVO verstoßen hat. Bei diesen Bestimmungen handelt es sich um Schutznormen im Sinne des § 1311 ABGB, deren Zweck jedenfalls im Schutz des Gegenverkehrs liegt (ZVR 1986/9, 1985/153, 1985/1, 1983/232 uva). Nach ständiger Rechtsprechung (JBl 1993, 788;
JBl 1993, 730; SZ 57/134; SZ 51/109) und einem Teil der Lehre (Welser, Schutzgesetzverletzung, Verschulden und Beweislast, ZVR 1976, 9 f; Fucik, Die (objektive) Beweislast, RZ 1990, 59;
Koziol/Welser I10, 457) - die gegenteiligen Lehrmeinungen wurden bereits in der Entscheidung SZ51/109) abgelehnt - ist bei der Verletzung von Schutzgesetzen § 1298 ABGB heranzuziehen, sodaß also der das Schutzgesetz verletzende Schädiger nachzuweisen hat, daß dies ohne Verschulden geschehen ist. Es obliegt daher dem Lenker eines Fahrzeuges, das auf die andere Fahrbahnseite geriet, zu beweisen, daß er unverschuldet daran gehindert war, dem Rechtsfahrgebot zu entsprechen und gehen allfällige Unklärbarkeiten zu seinen Lasten (ZVR 1984/154). Diesen Beweis hatte die beklagte Partei aber nicht erbracht, weil es nach den Feststellungen der Vorinstanzen auch möglich ist, daß Dr.C***** mit seinem PKW bereits bei Annäherung an die Unfallstelle eine die Fahrbahnmitte überschreitende Fahrlinie einhielt. Wenngleich ihm nicht vorgeworfen werden könnte, daß er dem ihm entgegenkommenden schleudernden Fahrzeug der Klägerin nach links auszuweichen versuchte (ZVR 1986/20) und auch die Unrichtigkeit dieser Reaktion kein Verschulden begründen könnte, weil einem Verkehrsteilnehmer, der sich bei einer plötzlich auftretenden Gefahr zum schnellen Handeln gezwungen sieht und unter dem Eindruck dieser Gefahr - rückschauend betrachtet - nicht zweckmäßige Abwehrmaßnahmen trifft, kein Verschulden anzulasten ist (Apathy, Kommz EKHG, Rz 20 zu § 11), wäre es Dr.C***** vorzuwerfen, daß er bereits bei Annäherung an die Unfallstelle eine die Fahrbahnmitte überschreitende Fahrlinie einhielt.
Dem gegenüber ist der Klägerin, wie sie selbst nunmehr in ihren Rechtsmitteln zugibt, anzulasten, daß sie eine unangepaßte Geschwindigkeit wählte und ihrerseits die Fahrbahnmitte überschritt. Gegen die von der Klägerin nunmehr akzeptierte Verschuldensteilung bestehen an sich keine Bedenken, doch wird im fortgesetzten Verfahren noch zu klären sein, ob die Klägerin angegurtet war.
Es waren daher die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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