OGH 2Ob202/00w

OGH2Ob202/00w2.8.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Lucia G*****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Stadt W*****, vertreten durch Dr. Peter Rudeck und Dr. Gerhard Schlager, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 170.915 sA und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 29. November 1999, GZ 17 R 193/99y-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 6. Juli 1999, GZ 24 Cg 13/98b-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

10.665 (darin enthalten Umsatzsteuer von S 1.777,50, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Mutter der Klägerin ist Mieterin einer Wohnung auf der Stiege 6 in einem Haus der beklagten Partei. Der Zugang zur Stiege 6 erfolgt über den Innenhof des Gebäudes. Als die Klägerin ihre Mutter am 22. 2. 1996 gegen 9.45 Uhr besuchen wollte, kam sie vor dem Eingang der Stiege 6 auf einer schneebedeckten Eisplatte zu Sturz und erlitt dabei schwere Verletzungen.

Sie begehrt die Zahlung von S 170.915 sA und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden mit der Begründung, die Hausbesorgerin sei ihrer Streupflicht nicht nachgekommen. Die beklagte Partei treffe grobes Verschulden, weil die Hausbesorgerin im Hinblick auf die Größe der Wohnhausanlage mit der ordnungsgemäßen Bestreuung und Reinhaltung der Anlage überfordert gewesen sei.

Die beklagte Partei wendete im Wesentlichen ein, der Unfall sei auf die Ungeschicklichkeit der Klägerin zurückzuführen. Die Hausbesorgerin sei weder überfordert gewesen, noch habe sie ihre Sorgfaltspflicht verletzt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab, wobei es im Wesentlichen folgende Feststellungen traf:

Am 22. 2. 1996 gegen 7.30 Uhr war der Boden des Innenhofes noch schneefrei gewesen. Schon damals hatte sich aber vor dem Eingang zur Stiege 6 eine etwa 50 bis 60 cm breite, 2 bis 3 m lange Eisplatte befunden, die weder mit Sand noch mit einem eisschmelzenden Mittel bestreut war. Als die Klägerin gegen 9.45 Uhr den Innenhof der Wohnhausanlage erreichte, lag am Boden eine dünne Schneedecke. Sie konnte deshalb die Eisplatte nicht erkennen, rutschte auf dieser aus und kam zu Sturz. Sie trug knöchelhohe Winterschuhe mit stark profilierter Sohle.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht das Vorliegen eines groben Verschuldens und damit einer Haftung der beklagten Partei nach § 1319a ABGB. Die Streupflicht nach § 93 StVO erstrecke sich nicht auf den Hofraum eines Hauses. Die Schutz- und Sorgfaltspflichten der beklagten Parteien aus dem Mietvertrag mit der Mutter der Klägerin erstreckten sich nur auf die Mieterin und deren Hausgenossen, nicht aber auch auf Besuch weilende Angehörige.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, bewertete den Entscheidungsgegenstand mit S 52.000 nicht aber S 260.000 übersteigend und sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig.

In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, die sich aus § 93 Abs 1 StVO ergebenden Pflichten erstreckten sich nicht auf den Innenhof eines Gebäudes.

Bei Verletzung vertraglicher Pflichten und auch bei Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten hafte der Halter des Weges allerdings ohne die in § 1319a ABGB genannten Beschränkungen, also schon bei leichter Fahrlässigkeit. Bei einem Mietvertrag habe der Oberste Gerichtshof aber den geschützten Personenkreis auf die im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen (Hausgenossen) eingeschränkt (ecolex 1998, 399 = ZVR 1998/139). Nach dieser Entscheidung treffe die beklagte Partei gegenüber der Tochter der Mieterin keine aus dem Mietvertrag ableitbare Schutz- oder Sorgfaltspflicht.

Auch wenn die Bestreuung einer nicht unbeträchtlichen Eisplatte eine leichte Fahrlässigkeit darstelle, so erreiche die Verletzung der Streupflicht unter den hier zu beurteilenden Umständen noch nicht das Ausmaß einer groben Fahrlässigkeit, weshalb auch die Haftung nach § 1319a ABGB zu verneinen sei.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zu dem durch den Bestandvertrag mitgeschützten Personenkreis eine divergierende Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bestehe.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Die beklagte Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der klagenden Partei zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage - der gegenteilige Ausspruch des Berufungsgerichtes ist nicht bindend - nicht zulässig. Der erkennende Senat hat sich nämlich erst am 20. 11. 1997 in der Entscheidung 2 Ob 335/97x (= ecolex 1998, 399 = JBl 1998, 655 = ZVR 1998/139) mit der Frage der Schutz- und Sorgfaltspflichten des Bestandgebers auseinandergesetzt und dabei unter Berücksichtigung der Lehre und der bisherigen Rechtsprechung ausgeführt, dass der Kreis der aus einem Mietvertrag begünstigten Personen nur die zur Hausgemeinschaft des Mieters gehörenden Personen, insbesonders seine Familienangehörigen und Hausangestellten erfasse, nicht aber Personen, mit denen er rein gesellschaftlich oder im allgemeinen Verkehr mit der Umwelt in Kontakt komme. Nicht in den Schutzbereich des Mietvertrages seien daher Personen einzubeziehen, die sich in den Mieträumen nur kurzfristig aufhielten, wie Gäste, Lieferanten und Handwerker. Die gegenteilige Lehre (F. Bydlinski, Vertragliche Sorgfaltspflichten zugunsten Dritter, JBl 1960, 359 [363]) und Rechtsprechung (MietSlg 35.232) wurden ausdrücklich abgelehnt. Die Urteile der Vorinstanzen entsprechen dieser Entscheidung, weshalb insoweit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht gegeben sind.

Aber auch in der Revision der klagenden Partei werden keine erheblichen Rechtsfragen dargelegt.

Die Klägerin vertritt in ihrem Rechtsmittel - über die Frage der Schutzpflichten aus einem Bestandvertrag hinausgehend - die Ansicht, es liege grobes Verschulden der Hausbesorgerin vor. Überdies hafte die beklagte Partei auch nach § 93 StVO.

Bloßen Ermessensentscheidungen - wie über die Teilung oder Schwere des Verschuldens - kommt aber im Allgemeinen keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalls hinausgehende Bedeutung zu. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO liegen dann, wenn das Berufungsgericht nur aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles eine Ermessensentscheidung trifft, nur vor, wenn es von einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung extrem abweicht (Kodek in Rechberger**2, ZPO Rz 3 zu § 502), was von der klagenden Partei gar nicht behauptet wird.

Dass für Innenhöfe keine Streupflicht nach § 93 StVO besteht, hat der erkennende Senat ebenfalls in der schon zitierten Entscheidung 2 Ob 335/97x ausgesprochen.

Es war daher das Rechtsmittel der klagenden Partei wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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