OGH 2Ob2006/96f

OGH2Ob2006/96f14.3.1996

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den

Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Melber als

Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes

Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Gerstenecker und Dr.Baumann als weitere

Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Österreichische

Bundesbahnen, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien,

Singerstraße 17 - 19, wider die beklagte Partei ***** Versicherungs

Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Oswald

Karminski-Pielsticker, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 166.819,99 sA,

infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 24.Oktober 1995, GZ 11 R 164/95-64, womit infolge der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 25. April 1995, GZ 22 Cg 23/94b-59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 6.975,- (darin enthalten weder Umsatzsteuer noch Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 21.6.1990 wurde durch einen bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten LKW auf einer Eisenbahnkreuzung der Südbahn ein Schrankenbaum samt Ständer umgefahren. Am 12.2.1991 beschädigte ein anderer bei der beklagten Partei haftpflichtversicherter PKW auf einer Eisenbahnkreuzung zwischen den Bahnhöfen Föderlach und Villach-Hauptbahnhof die Schrankenbäume.

Aus dem Unfall vom 21.6.1990 begehrt die klagende Partei die Zahlung von S 155.964,89 sA. Sie brachte vor, ihr Gesamtschaden betrage S 318.491,89, eine Teilzahlung von S 162.527,- sei geleistet worden. Aus dem Unfall vom 12.2.1991 begehrt die klagende Partei die Zahlung von S 10.855,10. Der Gesamtschaden betrage S 28.275,10, S 17.420,-

seien bezahlt worden.

Hinsichtlich des Unfalles vom 21.6.1990 führte die klagende Partei aus, daß sich ihre Schadenersatzforderung S 318.491,89 wie folgt zusammensetze:

Lohnkosten: S 92.428,30,

Nebengebühren: S 2.715,-,

Fahrtkosten: S 483,36,

VW-Kombi: Einsatzkosten S 11.370,-,

Fundamentwiederherstellung: S 28.569,-,

Frachtkosten: S 879,40

Einsatzkosten für Motordraisine: S 2.460,-

Materialkosten abzüglich Eisenschrott S 13.676,83,

Betriebserschwerniskosten: S 165.910,-.

Die Betriebserschwerniskosten setzten sich aus Zugverhaltekosten und Langsamfahrkosten zusammen. Bei den Langsamfahrkosten handle es sich um zusätzliche Energiekosten, die sich aus der Verminderung der Zugsgeschwindigkeit und der nachfolgenden Wiederbeschleunigung der Zugsgarnituren im Bereich der Baustelle während der Bauzeit ergeben. Durch die einzuleitenden Geschwindigkeitsverminderungen ergebe sich auch ein größerer Materialverschleiß. Bei den Zugverhaltekosten handle es sich um zusätzliche Betriebskosten, die durch das außerplanmäßige Verhalten der Züge, durch Verspätungen entstanden seien; auch Werbungsverlust falle unter diese Kosten. Eine konkrete Erfassung der einzelnen Faktoren für den Einzelfall sei praktisch nicht durchführbar, sondern sei von angemessenen Pauschalsätzen auf Grund von Erfahrungssätzen auszugehen.

Die beklagte Partei bestritt und wendete unter anderem ein, die geltend gemachten Ansprüche seien nicht nachvollziehbar und überhöht. Die Wiederinstandsetzungsarbeiten seien durch Bedienstete der klagenden Partei in deren Arbeitszeit durchgeführt worden, sodaß kein zusätzlicher Aufwand entstanden sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im Umfang von S 150.648,99 samt Zinsen statt und wies ein Mehrbegehren von S 16.171,- sA ab.

Hinsichtlich des der klagenden Partei durch den Unfall vom 21.6.1990

zugefügten Schadens stellte es fest, daß die Reparaturarbeiten

folgenden "angemessenen" Aufwand erforderten: S 92.428,30 an

Lohnkosten, S 2.715,- an Nebengebühren, S 483,36 an Fahrtkosten, S

11.370,- an Fahrzeugkosten, S 879,40 an Frachtkosten, S 2.460,- an

Einsatzkosten einer Motordraisine, S 18.000,- für

Fundamentherstellung durch eine Fremdfirma, S 13.676,83 an

Materialkosten. Zu diesen tatsächlichen Aufwand entstanden der

klagenden Partei weitere Schäden und zwar S 117.312,- an

Energiekosten, S 23.461,- bis S 39.102,- an Verschleißkosten, S

4.808,- an Fahrzeugkosten, S 2.952,- an Personalkosten, S 8.000,-

bis S 40.000,- an Folgeverspätungskosten und bis zu S 80.000,- an

Werbungsverlustkosten.

Im übrigen wurde zum Unfall vom 21.6.1990 festgestellt, daß durch diesen der Schrankenständer als Haltevorrichtung des Schrankenbaumes umgelegt wurde. Die Unmöglichkeit der Schrankenbetätigung führte dazu, daß alle die Eisenbahnkreuzung passierenden Züge anhalten mußten. Erst nach dreimaliger Signalabgabe konnten die Züge dann neuerlich anfahren und die Kreuzung passieren. Eine aus drei Mann bestehende Arbeitspartie montierte den Schrankenbaum und die dazugehörigen Teile ab. Diese Arbeit wurde um 13.45 Uhr des Unfallstages abgeschlossen. Da die Eisenbahnkreuzung nunmehr nur einseitig mit einem Schrankenbaum versehen war, mußte zur Absicherung ein Bewachungsdienst eingeteilt werden. Ein Bediensteter hatte unter Zuhilfenahme einer roten Fahne die Kreuzung bei Zugsverkehr abzusichern. Ein neuer Schrankenständer wurde durch ein privates Unternehmen einbetoniert. Die Reparaturarbeiten waren am 25.6.1990 um 12.00 Uhr beendet. Die Betonmasse mußte zwei Tage lang austrocknen. Nach Befestigung des Schrankenbaumes am Schrankenständer war am 27.6.1990 um 18.30 Uhr die Schrankenanlage wieder funktionsfähig. Während der Reparatur mußten die passierenden Züge verhalten werden, die vorgesehene Geschwindigkeit durch Einleitung von Bremsmanövern zu reduzieren und nach Passieren der Baustelle die Geschwindigkeit durch Beschleunigung anzuheben. Während der Reparaturdauer passierten 316 Schnellzüge, 58 Eilzüge, 641 Regionalzüge, 174 Güterzüge und 118 Lokzüge die Baustelle. Die Brems- und Beschleunigungsmanöver erforderten zusätzliche Energie- und Verschleißkosten. Zusätzliche Fahrzeug- und Personalkosten entstanden dadurch, daß der bestehende Fahrplan durcheinander kam, Verspätungen eintraten und in der Folge von Bediensteten Überstunden geleistet werden mußten. Die Werbungsverlustkosten entstanden durch Auswirkungen im Konkurrenzstreit infolge Beeinträchtigungen der Pünktlichkeit bei Verspätungen und der Benützungsfrequenz durch Reisende.

Hinsichtlich des Unfalles vom 21.6.1990 ging das Erstgericht von einem Schadensumfang von S 309.791,89 aus und wies ein Begehren über S 8.700,- ab. Hinsichtlich des Unfalles vom 12.2.1991 ging es von einem Schadensumfang von S 20.804,10 aus und wies ein Begehren von S

7.471,- ab. Die Höhe der Schäden wurde unter Heranziehung des § 273 Abs 1 ZPO festgesetzt.

Das von der beklagten Partei hinsichtlich des klagsstattgebenden Teiles dieser Entscheidung angerufene Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Das Berufungsgericht führte aus, daß davon auszugehen sei, daß der klagenden Partei durch die schädigenden Ereignisse über den tatsächlichen Reparaturaufwand hinaus weitere Schäden entstanden seien, welche als Betriebserschwerniskosten geltend gemacht wurden. Aufgrund der Ergebnisse des Sachverständigengutachtens habe das Erstgericht die einzelnen Betriebserschwernisse und die damit verbundenen Schäden festgestellt und unter Bedachtnahme auf § 273 Abs 1 ZPO die Schadenshöhe festgesetzt und zwar, in dem es die aus dem Titel Betriebserschwerniskosten begehrten Ersatzbeträge als berechtigt in diesem Umfang erkannte. Diese Beträge würden in den vom Sachverständigen ermittelten Kosten der Betriebserschwernisse volle Deckung finden, wenn man die Energiekosten mit S 117.312,-, die Fahrtkosten mit S 4.808,-, die Personalkosten mit S 2.952,-, von den Verschleißkosten einen gehobenen Mittelwert sowie die Folgeverspätungskosten mit dem Mindestwert von S 8.000,-

berücksichtige. Hinsichtlich der Werbungsverlustkosten könne man dabei von einem Nullbetrag ausgehen. Entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen resultierten der Aufwand an Energiekosten aus der Abbremsung und Beschleunigung der Züge, die erhöhten Verschleißkosten aus den Betätigungen der Bremsen der Wagen und Triebfahrzeuge, die Fahrzeugkosten aus dem Zeitverlust bedingt durch die Abbremsung und das Wiederbeschleunigen unter Berücksichtigung der Investitionskosten und die Personalkosten aus anteilsmäßigen Überstunden bedingt durch zusätzlichen Zeitaufwand bei Betriebsstörungen. Die Ersatzfähigkeit der Werbungsverlustkosten sei nicht weiter zu erörtern, weil sie ohnehin mit dem Nullwert angesetzt wurden.

Die ordentliche Revision wurde zugelassen, weil eine Rechtsprechung zum Schadenersatz aus Zugverhaltekosten und Langsamfahrkosten nicht vorliege.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, das Rechtsmittel der beklagten Partei als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise wird beantragt, ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist, soweit sie den Anspruch aus

dem Unfall vom 12.2.1991 über S 10.855,10 sA betrifft, gemäß § 502

Abs 2 ZPO unzulässig, weil der Streitgegenstand, über den das

Berufungsgericht insoweit entschieden hat (Entscheidungsgegenstand),

S 50.000,- nicht übersteigt und kein Ausnahmefall des § 502 Abs 3

ZPO vorliegt. Eine Zusammenrechnung der Ansprüche aus dem Unfall vom

21.6.1990 mit jenen aus dem Unfall vom 12.2.1991 hat nicht

stattzufinden. Nach § 55 Abs 1 Z 1 JN sind bei

Parteienidentität mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche

nur dann zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder

rechtlichen Zusammenhang stehen. Nach § 55 Abs 5 JN ist dies auch

für die Beurteilung der Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgeblich.

Ein tatsächlicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht nicht, wenn

- wie im vorliegenden Fall - jeder der mehreren Ansprüche

unabhängig von den anderen besteht, also jeder ein ganz verschiedenes

rechtliches Schicksal haben kann und die Ansprüche weder aus einer

gemeinsamen Tatsache noch aus einem gemeinsamen Rechtsgrund

abgeleitet werden (Mayr in Rechberger, ZPO Rz 2 zu § 55 JN mwN).

Hinsichtlich des Unfalles vom 21.6.1990 fehlt es aber an einer

erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO.

Die beklagte Partei macht insoweit in ihrem Rechtsmittel geltend, bei

den Betriebserschwerniskosten in der Höhe von S 117.312,-, den

Fahrzeugkosten von S 4.808,-, den Personalkosten von S 2.952,-, den

Verschleißkosten und den Folgeverspätungskosten handle es sich um nur

schwer erfaßbare pauschale Rechengrößen, was für einen Zuspruch der

begehrten Ersatzkosten nicht ausreichen könne. Der angenommene

Mehraufwand an Energie-Verschleißkosten sowie erhöhten

Fahrzeug-Personalkosten sei auch deshalb nicht ersatzfähig, weil

diese Kostenbeträge durch den Betrieb der Fahrzeuge zwangsläufig

entstehen und niemals gesagt werden könne, ob sie nicht auch ohne

Unfall so oder so entstanden wären. Vielmehr sei davon auszugehen,

daß derartige Abbremsungen und auch deren allfällige Folgen zum

Risiko des Fahrzeugeigners gehörten, die er nicht überwälzen könne.

Dem kann nicht gefolgt werden:

Ohne Zweifel sind der klagenden Partei durch das schädigende

Ereignis, für dessen Folgen die beklagte Partei aufzukommen hat,

Schäden, die über den tatsächlichen Reparaturaufwand hinausgehen,

entstanden. Im Falle der Unmöglichkeit und der besonderen

Schwierigkeit des Beweises der Höhe einer Forderung kann das Gericht

aber nach § 273 ZPO den Betrag nach freier Überzeugung festsetzen,

ohne daß den Kläger diesbezüglich eine unbedingte Beweislast trifft.

Ob § 273 Abs 1 ZPO anzuwenden ist, entscheiden richterliche

Erfahrung, allgemeine Lebenserfahrung oder auch die

Zwischenergebnisse des bereits durchgeführten Beweisverfahrens (ZVR

1988/138). Nach diesen Grundsätzen kann kein Zweifel daran bestehen,

daß die Heranziehung des § 273 ZPO zur Ermittlung des über den

Reparaturaufwand hinausgehenden Schadens durch die Unterinstanzen

sich im Rahmen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bewegt.

Dazu kommt, daß es einen Verfahrensmangel darstellt, wenn § 273 ZPO

angewendet wird, obwohl die Voraussetzungen nicht gegeben sind

(Rechberger in Rechberger, Rz 3 zu § 273 mwN). Da aber das

Berufungsgericht das Vorliegen eines derartigen Verfahrensmangels

verneint hat, kann der Mangel nicht mehr in der Revision gerügt

werden (Kodek in Rechberger, ZPO Rz 3 zu § 503 mwN). Was aber nun

das Ergebnis der Anwendung des § 273 ZPO betrifft, handelt es sich

um eine Ermessensentscheidung. Einer solchen kommt aber in der Regel

keine über die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles hinausgehende

Bedeutung zu. Treffen die Vorinstanzen auf Grund der besonderen

Umstände des Einzelfalles eine (Ermessens-)Entscheidung, ohne von

einer in ständiger Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung extrem

abzuweichen, liegt eine erhebliche Rechtsfrage nicht vor (Kodek, aaO,

Rz 3 zu § 502 mwN).

Ein derartiges extremes Abweichen von einer in ständiger

Rechtsprechung anerkannten Ermessensübung wird aber weder behauptet,

noch ist ein solches ersichtlich.

Der zu beurteilenden Rechtsfrage kommt daher keine zur Wahrung der

Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche

Bedeutung zu (§ 502 Abs 1 ZPO), sodaß die Revision der beklagten

Partei zurückzuweisen war; der gegenteilige Ausspruch des

Berufungsgerichtes bindet den Obersten Gerichtshof nicht (§ 508 a

Abs 1 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Der klagenden Partei, die auf die Unzulässigkeit der Revision der beklagten Partei hingewiesen hat, waren die Kosten der Revisionsbeantwortung zuzusprechen.

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