OGH 2Ob19/85

OGH2Ob19/857.5.1985

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Paul A, Gastwirt, 9702 Ferndorf, Neubau, vertreten durch Dr. Günther Karpf, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei 1) Karl B, KFZ-Mechaniker, 9712 Fresach, Mitterberg 31, 2) C D E F G, 1010 Wien, Tegetthoffstraße 7-9, vertreten durch Dr. Gert Paulsen, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Schadenersatzes und Feststellung (Gesamtstreitwert S 326.572,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. Jänner 1985, GZ 7 R 212/84-86, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 8. August 1984, GZ 24 Cg 393/83-76, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat den beklagten Parteien die mit S 14.671,13 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.246,46 Umsatzsteuer und S 960,- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde am 10. Jänner 1976 als Fußgänger auf der Landesstraße in Ferndorf von dem vom Erstbeklagten gelenkten und gehaltenen, bei der zweitbeklagten Partei haftpflichtversicherten PKW Kennzeichen K 228.604

erfaßt, zu Boden gestoßen und schwer verletzt. Eine von ihm wegen dieses Unfalles zu 24 Cg 187/77 des Landesgerichtes Klagenfurt gegen die beiden beklagten Parteien eingebrachte Schadenersatzklage wurde mit rechtskräftigem Urteil abgewiesen.

Im gegenständlichen Verfahren wurde dem Kläger die Wiederaufnahme des Vorprozesses bewilligt (ON 35 und 39), das auf Zahlung von S 176.572,-- s.A., einer Rente von monatlich S 1.000,-- ab 1. Juli 1977 bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres des Klägers, sowie auf Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für die zukünftigen Schäden des Klägers aus dem Unfall gerichtete Klagebegehren vom Erstgericht aber neuerlich abgewiesen.

Das Berufungsgericht bestätigte das erstgerichtliche Urteil; es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes den Betrag von S 300.000,- übersteige.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichtes erhebt der Kläger eine auf § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO gestützte Revision mit dem Antrage auf Aufhebung und Rückverweisung der Rechtssache an eine der Unterinstanzen zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung, hilfsweise auf teilweise Abänderung dahin, daß die Haftung der beklagten Parteien für ein Drittel der zukünftigen Unfallsschäden des Klägers zur ungeteilten Hand festgestellt werde. Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Nach den vom Berufungsgericht als unbedenklich übernommenen erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen hat der im Ortsgebiet von Ferndorf außerhalb der Fahrbahn, jedoch unmittelbar an deren Begrenzung, stehende Kläger zunächst in die Fahrtrichtung des sich mit seinem PKW mit einer Fahrgeschwindigkeit von 50,7 km/h und eingeschaltetem Abblendlicht auf der durch die Straßenbeleuchtung ausgeleuchteten, übersichtlich verlaufenden Landesstraße mit einem Seitenabstand von 1 m zum rechten Fahrbahnrand nähernden Erstbeklagten geblickt, in der Folge jedoch unmittelbar vor diesem PKW die Fahrbahn betreten und auf dieser bis zur Kollision in 1,1 sec. eine Strecke von 1,6 m zurückgelegt. Rund 1 sec. vor der Kollision faßte der Erstbeklagte den Entschluß, sein Fahrzeug nach links zu lenken, 0,7 sec. vor der Kollision den Bremsentschluß. Die Bremsung wurde 0,3 sec. vor dem Anstoß wirksam. Auch wenn der Erstbeklagte eine Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h eingehalten hätte, wäre der Unfall mit den Unfallsfolgen nicht vermeidbar gewesen. Die Fahrbahn war in einer Breite von 6 m schneefrei, naß und nicht glitschig.

Das Erstgericht verneinte ein Verschulden des Erstbeklagten am Unfall und vertrat die Auffassung, die beklagten Parteien hätten auch den Entlastungsbeweis gemäß § 9 Abs 2 EKHG erbracht. Das Berufungsgericht schloß sich dieser Beurteilung in der Verschuldensfrage an und war hinsichtlich der Gefährdungshaftung der Meinung, der den Befreiungsbeweis zwar ausschließende Verstoß des Erstbeklagten gegen § 20 Abs 2 StVO 1960 sei aber so geringfügig, daß er im Hinblick auf das krasse Fehlverhalten des Klägers bei der Schadensteilung vernachlässigt werden könne.

In der Verfahrensrüge der Revision werden ausschließlich erstgerichtliche Verfahrensmängel gerügt, deren Vorliegen bereits vom Berufungsgericht verneint wurde. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine solche neuerliche Rüge in dritter Instanz nicht zulässig. Der Revisionsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO ist daher nicht gegeben. In der Rechtsrüge wird ausgeführt, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen sei ein Mitverschulden des Erstbeklagten am Unfall im Ausmaß von zumindest einem Drittel anzunehmen. Die vom Erstbeklagten eingehaltene Fahrgeschwindigkeit sei nur bei optimalen Verhältnissen zulässig, solche seien aber nicht vorgelegen, weil sich der Unfall zur Nachtzeit bei völliger Dunkelheit und schlüpfriger Fahrbahn mitten im verbauten Ortsgebiet ereignet habe, wobei die Fahrbahn durch Schneewälle auf eine Breite von 6 m eingeengt und an den Fahrbahnrändern zumindest vereist gewesen sei. Auch hätten sich zwei weitere Fußgängerinnen im Unfallsbereich befunden. Keinesfalls sei den Beklagten der Befreiungsbeweis nach § 9 EKHG gelungen. Diese Ausführungen weichen zum Teil von den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen ab und sind insoweit daher unbeachtlich. Zur Unfallszeit am 10. Jänner 1976 um ca. 18.25 Uhr herrschte zwar bereits Dunkelheit, doch war die Straße im Ortsgebiet Ferndorf durch die Straßenbeleuchtung ausgeleuchtet. Die in einer Breite von 6 m von Schnee freie Fahrbahn war festgestelltermaßen nicht schlüpfrig, sondern nur naß. Daß sich im Unfallsbereich auf der Fahrbahn Fußgänger aufgehalten hätten, wurde nicht festgestellt. Ausgehend von dem von den Unterinstanzen als erwiesen angenommenen Sachverhalt kann nicht gesagt werden, daß die Einhaltung der im Ortsgebiet mit 50 km/h beschränkten Höchstgeschwindigkeit für den Erstbeklagten nicht zulässig gewesen wäre. Nach der Judikatur darf diese Geschwindigkeit zwar bei Dunkelheit und zusätzlicher Sichtbehinderung oder bei eisglatter bzw. schlüpfriger Fahrbahn nicht voll ausgeschöpft werden. Solche Umstände lagen hier aber nicht vor. Da der Kläger seinen Blick dem sich nähernden PKW des Erstbeklagten zugewendet hatte, mußte letzterer auch nicht von vornherein mit einem Fehlverhalten des Klägers rechnen, sondern konnte gemäß § 3 StVO 1960 darauf vertrauen, daß dieser nicht entgegen den Vorschriften des § 76 Abs 1

und 4 lit b StVO 1960 unmittelbar vor ihm die Fahrbahn betreten würde. Die überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 0,7 km/h stellt grundsätzlich kein Verschulden, sondern lediglich einen Verstoß gegen die im § 9 Abs 2 EKHG normierte besondere Sorgfaltspflicht dar. Wie der Oberste Gerichtshof in der bereits vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung ZVR 1978/260 indes ausgesprochen hat, tritt eine in einer ganz geringfügigen Geschwindigkeitsüberschreitung gelegene Nichtbeachtung jeglicher Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG gegenüber einem krassen Verschulden eines Fußgängers so zurück, daß sie bei der Schadensteilung im allgemeinen vernachlässigt werden kann. Vorliegendenfalls muß ein solches krasses Verschulden des Klägers zugrundegelegt werden. Im übrigen steht jedoch fest, daß der Unfall selbst dann mit den gleichen Folgen eingetreten wäre, wenn der Erstbeklagte eine Fahrgeschwindigkeit von nur 40 km/h eingehalten hätte. Den beklagten Parteien ist damit auch der Beweis gelungen, daß die übertretung der eine Schutzvorschrift im Sinne des § 1311 ABGB darstellenden Bestimmung des § 20 Abs 2 StVO 1960 durch den Erstbeklagten überhaupt ohne Einfluß auf das Schadensereignis geblieben ist.

Der ungerechtfertigten Revision war demgemäß ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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