OGH 2Ob187/03v

OGH2Ob187/03v30.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Manal R*****, vertreten durch Dr. Ruth Hörtnagl, Rechtsanwältin in Fulpmes und des Nebenintervenienten auf Seite der klagenden Partei Tarek M*****, vertreten durch Dr. Josef Neier, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei ***** AG, *****, wegen EUR 130.342,26 sA und Renten (Streitwert EUR 13.080,96 und EUR 7.851,60) sowie Feststellung (Streitwert EUR 2.180,19), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 30. Mai 2003, GZ 2 R 75/03a, 76/03y-52, womit infolge Berufung beider Parteien und des Nebenintervenienten das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 17. Jänner 2003, GZ 5 Cg 56/01s-44, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Punkte 1.) und 4.) des Ersturteils, dessen Punkte 2.) und 3.) als unbekämpft unberührt bleiben, wie folgt zu lauten haben:

"1.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen der Klagevertreterin den Betrag von EUR 52.897,94 samt 4 % Zinsen aus EUR 14.534,57 vom 29. 3. 2000 bis 27. 3. 2001, aus EUR 21. 075,12 vom 28. 3. 2001 bis 17. 4. 2002 und aus EUR 52.897,94 seit 18. 4. 2002 zu bezahlen.

Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer EUR 77.444,32 samt gestaffeltem Zinsenmehrbegehren wird abgewiesen.

4.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen EUR 12.878,28 (darin Barauslagen EUR 3.547,43 und USt EUR 1.962,20) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen."

Die klagende Partei ist weiters schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 7.463,34 (darin Barauslagen EUR 1.453,50 und USt EUR 1.001,74) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit EUR 3.272,85 (darin Barauslagen EUR 1.893,30 und USt EUR 214,93) bestimmten Kosten des Revisionsverfahren zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin wurde am 23. 3. 1998 als auf dem Rücksitz sitzende - nicht angegurtete - Beifahrerin eines vom Nebenintervenienten gelenkten und bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges Opel Kadett verletzt. Zum Unfallszeitpunkt - gegen 3 Uhr morgens - hatte es stark zu schneien begonnen. Der Nebenintervenient fuhr mit seinem PKW auf der Inntalautobahn Richtung Innsbruck und musste wegen eines ihn überholenden und unmittelbar darauf wieder nach rechts gelenkten Fahrzeuges stark abbremsen und nach rechts auslenken, worauf das Fahrzeug in Richtung Leitschiene rutschte, auf dieser aufsaß und sich ein- oder zweimal überschlug, bevor es, auf dem Dach liegend zum Stillstand kam.

Durch die Unfall wurde die damals 24 ½ jährige schwangere Klägerin schwerstens verletzt. Sie erlitt ein Schädel-Hirntrauma mit Hirnerschütterung und Rissquetschwunde in Stirnmitte und in der hohen Scheitelregion links, einen Bruch des Zahnfortsatzes des zweiten Halswirbels, einen Bruch der ersten Rippe links, einen Teilabriss des Nagels am vierten Finger links, Hautablederungen an der Kleinfingerbeere links und eine vorübergehende Blutbeimengung zum Harn. Sie wurde nach dem Unfall 12 Tage stationär im Krankenhaus aufgenommen und müsse monatelang eine Campkrawatte tragen. Im September 1998 musste sich die Klägerin unfallsbedingt einem siebentätigen stationären Krankenhausaufenthalt unterziehen, verbunden mit einer Operation im Zusammenhang mit dem Bruch am Halswirbel. Auch danach war sie genötigt, wochenlang die Campkrawatte zu tragen. Bislang kann nur von einem vorläufigen Behandlungs-. und Heilungsendzustand ausgegangen werden. Die Klägerin leidet an Dauerfolgen in Form einer deutlichen Einschränkung der Beweglichkeit und Belastbarkeit der Halswirbelsäule, verbunden mit einer verminderten körperlichen Belastbarkeit beim Heben und Tragen, bei Instabilität der obersten Halswirbelsäule und Belastungsschmerzhaftigkeit, an mehreren Operationsnarben am Kopf, im Nacken, in der tiefen Rückenregion links und im Unterbauch. Nach dem Unfall geborene Kinder mussten auf Grund des Unfallsgeschehens mittels Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden. Spätfolgen aus dem Unfall als Folge der Halswirbelverletzung sind nicht auszuschließen, vielmehr ist eine nochmalige Korrekturoperation verbunden mit Risken erwartbar.

Die Klägerin erlitt komprimiert 9 Tage starke, 13 Wochen mittlere und 28 Wochen leichte Schmerzen. Auch in Zukunft wird sie pro Jahr auf Dauer eine Woche mittlere und drei Wochen leichte Schmerzen zu erdulden haben, in welcher Einschätzung Schmerzempfinden infolge der zu erwartenden weiteren operativen Maßnahmen nicht eingeschlossen sind.

Wäre die zum Unfallszeitpunkt im sechsten Schwangerschaftsmonat befindliche Klägerin angegurtet gewesen, wäre ihr Verletzungsrisiko erheblich vermindert gewesen, Es wäre kaum zu einem Kontakt mit dem Dach des Fahrzeuges gekommen und sie hätte daher nicht so schwere Verletzungen erlitten. Das Anlegen des Sicherheitsgurtes wäre ihr trotz der bestehenden Schwangerschaft möglich gewesen. Eine bestehende Schwangerschaft stellt keine Kontraindikation zur Gurtbenützung dar.

Die Klägerin begehrt - soweit im Revisionsverfahren noch streitverfangen - Schmerzengeld von EUR 109.000,-. Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalls treffe den Nebenintervenienten, der zum Unfallszeitpunkt übermüdet gewesen sei und eine unangepasste Fahrweise eingehalten habe.

Die Beklagte beantragte - ebenfalls soweit verfahrensgegenständlich - die Abweisung des Klagebegehrens. Der Unfall sei durch ein unabwendbares Ereignis iSd § 9 EKHG verursacht worden; das Schmerzengeld sei nur mit einem Betrag von EUR 50.000 angemessen: Die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden von 25 % anrechnen lassen, weil sie nicht angegurtet gewesen sei.

Das Erstgericht sprach der Klägerin an Schmerzengeld EUR 74.482,72 zu. Es erachtete für die eingangs dargestellten Verletzungen ein Schmerzengeld von - ungekürzt - EUR 109.000 für angemessen. Da die Klägerin nicht angegurtet gewesen sei, sei dieser Betrag (ebenso wie das das Schmerzengeld betreffende Feststellungsbegehren) um 25 % zu kürzen (EUR 81.750). Unter Berücksichtigung zweier Teilzahlungen von insgesamt EUR 7.267,28 ergebe sich der zuzusprechende Betrag (EUR 74.482,72).

Das von beiden Parteien angerufene Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil in der Hauptsache und gab lediglich der Kostenrüge der Klägerin teilweise statt. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, dass die von der Klägerin zu erleidenden beträchtlichen Schmerzen und Unanehmlichkeiten auch ohne weitere Operation in Anbetracht ihres Alters und der voraussichtlichen Lebenserwartung das zugesprochene Schmerzengeld rechtfertigen.

In der außerordentlichen Revision der beklagten Partei wird lediglich die Bemessung des Schmerzengeldes bekämpft und ein solches von EUR 50.000 als angemessen erachtet.

Die Klägerin beantragt in ihrer freigestellten Revisionsbeantwortung die Zurückweisung des Rechtsmittels der Gegenseite als unzulässig. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen ihren Ermessensspielraum überschritten haben, und auch berechtigt.

Das Schmerzengeld ist grundsätzlich vom Richter nach freier Überzeugung (§ 273 ZPO) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles für alles Ungemach, das der Verletzte bereits erduldet hat und voraussichtlich noch zu erdulden haben wird, global, also als Gesamtentschädigung, festzusetzen. Der Schmerzengeldanspruch ist nach Art, Dauer, Intensität der Schmerzen nicht in festen Tagessätzen, sondern als Globalsumme unter Berücksichtigung des Gesamtbildes der physischen und psychischen Schmerzen auszumitteln (2 Ob 296/02h; Danzl/Gutiérrez-Lobos/Müller, Schmerzengeld8 , 87 f).

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist einerseits auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits zur Vermeidung einer völligen Ungleichmäßigkeit ein objektiver Maßstab anzulegen. Es darf der von der Judikatur ganz allgemein gezogene Rahmen für die Bemessung im Einzelfall nicht gesprengt werden (RIS-Justiz RS0031075). Hier ist unter Berücksichtigung der von der Klägerin erlittenen Verletzungen sowie der in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzengeldentscheidungen, ein Schmerzengeld von EUR 60.000 angemessen, was zur Folge hat, dass unter nach Abzug von 25 % infolge Nichtanlegens des Sicherheitsgurtes sowie der Teilzahlung von EUR 7.267,28 (EUR 60.000 - 25 % = EUR 45.000 - EUR 7.267,28 = EUR 37.732,72) unter dem Titel Schmerzengeld EUR 37.732,72 zuzusprechen und weitere EUR 36.750 abzuweisen waren.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die kombinierte Anwendung von §§ 43 Abs 1 und 2 sowie 50 ZPO. Da eine Überklagung bei Geltendmachung des Schmerzengeldanspruches nicht vorliegt, ändert das Unterliegen der Klägerin in diesen Umfang nichts an ihrer Erfolgsquote im Verfahren erster Instanz (vgl Fucik, Der Zivilprozess in Verkehrssachen Rz 108), doch waren die Vertretungskosten auf Basis der obsiegten Betrages neu zu errechnen und die Bemessungsgrundlagen in den Phasen 2 und 3 des Verfahrens erster Instanz um EUR 49.000 zu vermindern. Zu berücksichtigen war weiters, dass auch die Pauschalgebühr anlässlich der Ausdehnung des Klagebegehrens nur im erforderlichen Ausmaß (EUR 2.165 abzüglich der Eingangspauschalgebühr von EUR 500,72) verhältnismäßig zuzusprechen war.

Im Berufungsverfahren ist die Klägerin mit ihrem Begehren, ihr weiteren Verdienstentgang sowie eine weitere Rente zuzusprechen, nicht durchgedrungen, weshalb sie der beklagten Partei die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung sowie der Kosten der Beantwortung der Berufung des Nebenintervenienten zu ersetzen hat. Im Leistungsbegehren ist die beklagte Partei mit ihrer Berufung letztlich mit 83 % durchgedrungen und hat daher Anspruch auf 66 % der Vertretungskosten und 83 % der Barauslagen.

Im Revisionsverfahren ist die beklagte Partei im selben Prozentsatz wie im Berufungsverfahren durchgedrungen und hat daher einen Kostenersatzanspruch im gleichen Verhältnis.

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