OGH 2Ob163/11a

OGH2Ob163/11a29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Cornelius T*****, vertreten durch Mag. Leopold Zechner, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagten Parteien 1. Gerhard G*****, und 2. U***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Kurt Konopatsch und Dr. Sonja Jutta Sturm-Wedenig, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Feststellung (Streitinteresse: 7.500 EUR), über die „außerordentliche Revision“ der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 1. März 2011, GZ 1 R 30/11w-17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 15. Dezember 2010, GZ 4 C 572/10b-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Akten werden dem Erstgericht zurückgestellt.

Text

B e g r ü n d u n g :

Der Kläger begehrte die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien - jene der zweitbeklagten Partei beschränkt auf die Versicherungssumme eines bestimmten Haftpflichtversicherungsvertrags - für alle (zukünftigen) Folgen des Verkehrsunfalls vom 15. 2. 2010 auf der Gemeindestraße „Am Wienerbühel“ in Bruck an der Mur. Er bewertete sein rechtliches Interesse mit 7.500 EUR.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die „außerordentliche Revision“ des Klägers, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof vorlegte.

Diese Aktenvorlage ist verfehlt:

Rechtliche Beurteilung

1. Das Berufungsgericht hat nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO über den Wert des Entscheidungsgegenstands abzusprechen, ohne dabei an die Bewertung des Klägers gebunden zu sein. Der Bewertungsausspruch ist grundsätzlich unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend (RIS-Justiz RS0042410, RS0042515), es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt, eine offenkundige Fehlbewertung vorgenommen oder eine Bewertung hätte überhaupt unterbleiben müssen (2 Ob 248/09y mwN; 2 Ob 55/11v; Zechner in Fasching/Konecny² § 502 ZPO Rz 155). Selbst wenn - wie hier - keine zwingenden Bewertungsvorschriften bestehen, ist das Berufungsgericht demnach in der Bewertung nicht völlig frei. Sein gebundenes Ermessen hat sich an den für die Bewertung des Streitgegenstands normierten Grundsätzen zu orientieren, Danach bildet der objektive Wert der Streitsache ein Bewertungskriterium. Das Berufungsgericht darf daher den Wert des Entscheidungsgegenstands - bezogen auf den objektiven Wert der Streitsache - weder übermäßig hoch noch übermäßig niedrig ansetzen; ist eine solche Fehlbewertung offenkundig, dann ist der Oberste Gerichtshof daran nicht gebunden (2 Ob 248/09y mwN; 2 Ob 55/11v; RIS-Justiz RS0118748).

2. Das Berufungsgericht hat sich bei seinem Bewertungsausspruch an der Bewertung des Feststellungsinteresses durch den Kläger orientiert, Wenngleich es an dessen Bewertung nicht gebunden war, hat es den ihm zur Verfügung stehenden Ermessensspielraum im Ergebnis nicht überschritten. Der Kläger hat in erster Instanz zwar vorgebracht, bei dem Verkehrsunfall diverse schwere Verletzungen erlitten zu haben, an Spät- und Dauerfolgen zu leiden und voraussichtlich auf Dauer erwerbsunfähig zu sein. Dazu liegen aber keine Feststellungen vor. Seinem Vorbringen lässt sich auch nicht entnehmen, dass ihm jedenfalls ein 30.000 EUR übersteigender künftiger Schaden droht. Von einer „offenkundigen“, dh eindeutig erkennbaren Unterbewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht ist unter diesen Umständen nicht auszugehen.

3. Die Zulässigkeit der Revision richtet sich daher nach § 502 Abs 3 ZPO, weil der berufungsgerichtliche Entscheidungsgegenstand zwar 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Unter diesen Voraussetzungen ist auch ein außerordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Eine Partei kann in einem solchen Fall nur gemäß § 508 Abs 1 ZPO einen Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahingehend abzuändern, dass das ordentliche Rechtsmittel doch für zulässig erklärt werde. Mit demselben Schriftsatz ist das ordentliche Rechtsmittel auszuführen.

Dieser Antrag, verbunden mit dem ordentlichen Rechtsmittel, ist beim Prozessgericht erster Instanz einzubringen und gemäß § 508 Abs 3 und 4 ZPO vom Rechtsmittelgericht zu behandeln. Erhebt in den dargestellten Fällen eine Partei ein Rechtsmittel, so ist dieses gemäß § 507b Abs 2 ZPO dem Gericht zweiter Instanz vorzulegen. Das gilt auch dann, wenn das Rechtsmittel als „außerordentliches“ Rechtsmittel bezeichnet wird und wenn es an den Obersten Gerichtshof gerichtet ist; auch dieser darf hierüber nur und erst entscheiden, wenn das Gericht zweiter Instanz gemäß § 508 Abs 3 ZPO ausgesprochen hat, dass ein ordentliches Rechtsmittel doch zulässig sei. Dies gilt ferner auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber in dem Schriftsatz - wie hier der Kläger - nicht iSd § 508 Abs 1 ZPO den Antrag auf Abänderung des Ausspruchs des Gerichts zweiter Instanz gestellt hat, weil dieser Mangel gemäß § 84 Abs 3 ZPO verbesserungsfähig ist (RIS-Justiz RS0109623).

4. Das Erstgericht wird somit das Rechtsmittel dem Berufungsgericht vorzulegen haben. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten.

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